Vor ziemlich genau einem Jahr verblüfften die New England Patriots mit einer Shoppingtour, die ihresgleichen gesucht hatte. Sie verpflichteten zahlreiche Free Agents zu Marktpreisen und versuchten damit, ihr Team nach einer ernüchternden Saison 2020 im Eilverfahren wieder auf Vordermann zu bringen.
Das Ergebnis war letztlich eine Rückkehr in die Playoffs, aber auch ein schwerer Absturz zum Saisonende.
Unterm Strich muss man zudem konstatieren, dass längst nicht alle der aggressiven Neuerwerbungen tatsächlich eingeschlagen haben und zu Leistungsträgern wurden. Positiv zu erwähnen sind hier sicherlich Tight End Hunter Henry und auch Wide Receiver Kendrick Bourne. Defensiv wiederum erwiesen sich Edge Rusher Matt Judon, Safety Adrian Phillips und Cornerback Jalen Mills als gute Griffe.
In diesem Jahr jedoch kehrten die Patriots zu ihrem gewöhnlichen modus operandi zurück - sie demonstrierten Zurückhaltung und gingen bislang eher behutsam vor. Und das während gleichzeitig gerade im Westen der AFC ein Wettrüsten der Extraklasse stattfindet.
Die Zurückhaltung der Patriots ist zwar auch dem begrenzten Cap Space (ca. 10,6 Millionen Dollar) geschuldet, doch sie repräsentiert auch eine Rückkehr zur Normalität.
2021 war eine Anomalie und keine Strategie, die Head Coach Bill Belichick gerne mehrfach wiederholen würde. Dafür hat sein bisheriger Weg einfach zu gut funktioniert. Damit einher geht jedoch auch, dass die Patriots von außen betrachtet wieder wie ein Enigma wirken.
Was genau ist hier der Plan?
Patriots: Zahlreiche Abgänge in dieser Offseason
Die Patriots verblüffen dieser Tage eher mit auf den ersten Blick fragwürdigen Personalentscheidungen. Sie ließen Star-Cornerback J.C. Jackson im Grunde kampflos ziehen - auf den Franchise Tag wurde verzichtet, ein Angebot wurde seit Saisonmitte 2021 auch nicht mehr unterbreitet. Und so zog er weiter zu den Los Angeles Chargers.
Darüber hinaus tradete New England überraschend den stets zuverlässigen zweimaligen Super-Bowl-Champion Guard Shaq Mason zu den Bucs - für einen Fünftrundenpick. Zudem wurde Linebacker Kyle Van Noy entlassen und der andere Starting Guard, Ted Karras, verabschiedete sich ohne großes Tamtam Richtung Cincinnati.
Doch es hörte nicht beim Personal auf dem Feld auf. Nach dem Abgang von Offensive Coordinator Josh McDaniels, der für seinen Head-Coaching-Job in Las Vegas gleich mal Assistant QB Coach Bo Hardegree, Wide Receivers Coach Mick Lombardi und Offensive Line Coach Carmen Bricillo mitnahm, sind im Patriots-Staff diverse Planstellen frei. Außerdem beendete der hochgeschätzte Running Backs Coach Ivan Fears seine Karriere, sodass ein großer Umbruch ansteht.
Einzig die Nachbesetzung scheint derzeit nicht im Fokus zu stehen.
Stand jetzt hat Belichick bis auf den geschassten Giants-Head-Coach Joe Judge genau niemanden verpflichtet. Judge, der zuvor schon jahrelang unter Belichick als Special Teams Coordinator und Wide Receivers Coach tätig war, trägt fortan den Titel "Offensive Assistant". Was es jedoch nicht gibt, ist ein neuer Offensive Coordinator - einen Defensive Coordinator gibt es derweil bereits seit 2017 nicht mehr.
Wer die Plays in der Offense "callt", ist damit völlig offen. Doch das mag nicht das größte Problem der Offensive sein. Vielmehr stellt sich die Frage, wie jene künftig auf dem Feld aussehen wird. Aus der letztjährigen Offensive Line sind seit Montag nach dem Verbleib von Right Tackle Trent Brown immerhin drei Starter übrig - Left Tackle Isaiah Wynn, Center David Andrews und Brown.
Die beiden Guards sind wie erwähnt woanders untergekommen. Einen dieser zwei vakanten Spots dürfte Michael Onwenu übernehmen, der 2020 noch der beste Rookie des Teams war. 2021 dann fungierte er hauptsächlich als sechster O-Liner im Run Blocking, während der seinerzeit zu den Chiefs abgewanderte Guard Joe Thuney durch Karras ersetzt wurde.
Patriots: Komplett neue Offense 2022?
Der gesamte offensive Ansatz könnte sich nun grundlegend ändern, denn dieser übermäßig große Fokus aufs Run Game könnte nun der Vergangenheit angehören. Ex-Patriots-Fullback Jakob Johnson gab den größten Hinweis in diese Richtung. Der dpa sagte er nach seinem Wechsel zu den Raiders: "Die Patriots haben mich informiert, dass sie meine Dienste für nächste Saison nicht mehr brauchen werden, einfach aus dem Grund, weil sie meine Position nicht mehr auf dem Roster haben werden."
Der Fullback wird abgeschafft. Das kann zwei Gründe haben. Zum einen eine Abkehr vom Fokus aufs Run Game. Zum anderen mehr 12-Personnel, also Personalpakete mit zwei Tight Ends. Im Vorjahr nutzte kein Team mehr 21-Personnel (zwei Running Backs, beziehungsweise ein Running Back und ein Fullback) als die Patriots mit 23 Prozent ihrer Offensiv-Snaps. 12 hingegen spielten sie nur in 14 Prozent ihrer Snaps, was deutlich unter Liga-Schnitt lag.
Und Letzteres war durchaus überraschend, schließlich investierten die Patriots zuvor sehr viel Geld in zwei Free-Agent-Tight-Ends - Hunter Henry und Jonnu Smith. Wobei Letzterer sogar einen noch lukrativeren Vertrag erhalten hatte.
Doch es gelang McDaniels und Co. nicht, jenen gewinnbringend einzusetzen. Die Vermutung liegt nahe, dass man dieses Versäumnis nun nachholen will. Etwa dadurch, dass Henry, der beweglicher und ein besserer Receiver ist, mehr von der Line weg bewegt werden könnte, sodass Smith dort seinen Platz fände. Die Alternative wäre es, Smith eher hinter die Line als H-Back zu postieren. Hier könnte er sowohl eine Matchup-Waffe im Passspiel als auch eine Hilfe im Run-Blocking darstellen.
Generell aber wird damit die Mitte des Feldes gestärkt, auch was Passoptionen betrifft, auch wenn das nun wirklich nicht das Problem dieses Kaders ist. Die Stärke der Patriots-Offense ist vielmehr die Mitte des Feldes. Wide Receiver Jakobi Meyers hat seine Stärken im Slot, Kendrick Bourne im Grunde auch. Was fehlt - und das ist nicht neu -, ist ein verlässlicher Outside Receiver.
Nelson Agholor erwies nicht als erhoffter produktiver Deep Threat und könnte nach nur einem Jahr schon wieder entlassen werden. Zudem setzte der 2019er Erstrundenpick N'Keal Harry seine Probleme in den Bereichen Route Running und Fangen des Balls eindrucksvoll fort, sodass eine Trennung in dieser Offseason unausweichlich wirkt.
Patriots: Es fehlt ein X-Receiver
Doch Stand jetzt wurde in diesem Bereich noch nicht allzu viel unternommen. Die Patriots haben "Receiving Back" Ty Montgomery verpflichtet, wohl in der Hoffnung, ihn in eine ähnliche Rolle zu stecken wie sie Cordarrelle Patterson, an dem man Gerüchten zufolge auch dran war, in Atlanta bekleidet. Doch auch hier sprechen wir über Plays über die Mitte.
Die spannende Frage wird daher sein, wie die Patriots Jahr 2 von Quarterback Mac Jones insgesamt angehen wollen. Idealerweise müsste das Receiving Corps nochmal verstärkt werden - mit einem X-Receiver. Und die Offensive Line muss neu aufgebaut werden. Zudem sollte man sich gut überlegen, welche Coaches künftig die direkte Betreuung des jungen Quarterbacks übernehmen werden.
Und dann wäre da noch die Defense, die gegen Ende der Saison komplett überfordert wirkte und speziell im Playoff-Spiel in Buffalo komplett zerlegt wurde.
Der größte Kritikpunkt an dieser Unit war letztlich, dass die Agilität, die Athletik in der Front fehlte. Die Patriots reagierten auf diesen Umstand zunächst damit, sich von Linebacker Kyle Van Noy zu trennen. Zudem wurde der einst vielversprechende Edge-Verteidiger Chase Winovich sang- und klanglos für Off-Ball-Linebacker Mack Wilson nach Cleveland geschickt.
Winovich hatte allerdings ohnehin schon im Vorjahr seinen Platz in der Defense verloren und stand nur in 14 Prozent der Defensiv-Snaps auf dem Feld. Wilsons Einsatzzeit ging derweil in Cleveland nach solider Rookie-Saison 2019 auch rapide bergab. Er jedoch steht für die Art Linebacker, die man nun offenbar in Foxboro bevorzugt - kleiner, leichter (105 kg) und damit schneller. Die Idee: Ein Linebacker muss auch mal einen Tight End covern können. Von der Sorte hatten die Patriots zuletzt kaum noch jemanden.
Patriots: Erstmals seit langem keine Compensatory Picks
Insofern ist davon auszugehen, dass im weiteren Verlauf dieser Offseason genau solche Spieler weiter im Fokus stehen werden. Sei es via Free Agency oder im Draft. Dann braucht es sicherlich noch Unterstützung im Pass-Rush, nachdem 2021 eigentlich nur Matt Judon bis zu seiner Corona-Infektion zu überzeugen wusste.
Und in der Secondary braucht es einen Nachfolger für J.C. Jackson, wobei hier davon auszugehen ist, dass deutlich mehr Zone Coverage die Antwort auf dessen Abgang sein wird. Einen individuell ähnlich guten Cover-Corner zu finden, wird mit den begrenzten Mitteln der Patriots in diesem Jahr hingegen schwierig. Ex-Super-Bowl-Held Malcolm Butler ist wohl ein Kandidat für eine überraschende Rückkehr.
Was noch hinzu kommt in dieser Offseason - neben dem überschaubaren Cap Space -, ist die Tatsache, dass die Patriots erstmals seit vielen Jahren keine Compensatory Picks zur Hand haben. Die teure Shoppingtour des Vorjahres machte dies unmöglich, sodass in diesem Jahr lediglich sieben Lotterietickets zur Verfügung stehen, davon auch nur drei an den ersten zwei Tagen.
in durchaus ungewohntes Bild für New England, das in aller Regel die maximale Anzahl von vier Compensatory Picks abgreift. Auch das dürfte ein Grund sein, warum man nicht damit rechnen sollte, dass noch ein teurer, namhafter Free Agent dazu stößt - der Abgang Jacksons würde Stand jetzt nämlich einen sicheren zusätzlichen Drittrundenpick 2023 bedeuten. Eine teure eigene Verpflichtung hingegen negiert dies wieder.
Patriots: Draftkapital 2022
Runde | Pick |
1 | 21. |
2 | 54. |
3 | 85. |
4 | 127. |
5 | 170. (TB) |
6 | 201. |
6 | 211. (LAR) |
Überhaupt scheint der Fokus der Patriots darauf zu liegen, in diesem Jahr der nahen Zukunft nicht allzu sehr vorzugreifen. Die Patriots hätten durchaus die Möglichkeit, mit ein paar Stellschrauben den eigenen Cap Space deutlich zu erhöhen - simple Restructures bei Henry, Judon und Smith würden im Handumdrehen rund 15 Millionen Dollar an zusätzlichem Cap Space bewirken.
Doch dafür scheint man nicht die Notwendigkeit zu sehen. Außerdem dürfte die Perspektive, die kommende Offseason mit rund 100 Millionen Dollar an Cap Space zu begehen (bei einem spekulierten Salary Cap in Höhe von 225 Millionen Dollar), zu verlockend zu sein.
Daher werden 2021 eher kleinere Brötchen gebacken, zumal im Vorjahr erst groß - und nur mit überschaubarem Ertrag - investiert worden war. In diesem Jahr gilt daher die Rückkehr zum bewährten Modell mit Schnäppchen und dem Draft als Weg zu erhofften Verbesserungen.
Ob das aber reicht, um mit der aggressiven Konkurrenz Schritt zu halten, darf zumindest bezweifelt werden.