Die Green Bay Packers haben in der ersten Runde des Drafts 2022 darauf verzichtet, einen Wide Receiver für die Offense um Quarterback und MVP Aaron Rodgers zu holen. Das hängt mit einer Entwicklung in der NFL zusammen, die es so noch nie gegeben hat - aber auch mit einer ganz bestimmten Taktik von General Manager Brian Gutekunst. Dennoch muss sich in Green Bay so schnell wie möglich etwas tun.
Rückblick: Als die Green Bay Packers in der NFC Divisional Round im Januar überraschend mit 10:13 an den San Francisco 49ers scheiterten - als Top Seed und mit dem Publikum im Lambeau Field im Rücken - brachte Regular-Season-MVP Aaron Rodgers insgesamt neun Pässe in die Hände von Superstar-Receiver Davante Adams. Neun weitere Catches verbuchte Running Back Aaron Jones, aus dem Backfield startend.
Die übrigen Wideouts? Allan Lazard, Randall Cobb, dazu Tight End Marcedes Lewis? In ihre Richtung zielte Rodgers genau sechsmal, für zwei Catches und 6 (!) Yards Raumgewinn. Als das Spiel auf Messers Schneide stand, übersah er in der Schlussphase den offenen Lazard und versuchte lieber den langen Pass auf Adams. Incomplete. Wenig später war das Spiel verloren.
Als sich Rodgers Wochen später zu einer - äußerst hochpreisigen - Vertragsverlängerung in Wisconsin durchrang, wartete auf den vierfachen MVP eine Überraschung: Nur Tage später wechselte Adams plötzlich zu den Las Vegas Raiders. Dann unterschrieb auch noch Speed-Receiver Marquez Valdes-Scantling bei den Kansas City Chiefs. Und die Packers? Deren Corps stand plötzlich völlig blank da.
Spätestens jetzt mussten die Packers im Draft doch endlich einmal auch bei den Receivern nachlegen, oder? Und zwar diesmal endlich in der ersten Runde, mit einem großen Kaliber. Was hat das Team davon, wenn der Rebuild aufgeschoben und Rodgers für viel Geld gehalten wird - und dann hat der keine Anspielstationen mehr (Ähnliches hatte auch bei Tom Bradys Abschied aus New England eine nicht unwesentliche Rolle gespielt ...)?
gettyGreen Bay Packers im NFL Draft 2022: Defense in Runde eins
Stattdessen machten die Packers um General Manager Brian Gutekunst in der ersten Runde das, was sie am besten können: Defense draften. Zweimal gleich, mit Linebacker Quay Walker (22. Pick) und Defensive Tackle Devonte Wyatt (28.), beide vom NCAA-Champion Georgia. Und zum zehnten Mal bei den letzten elf Versuchen.
Das Beharren in Green Bay darauf, bloß nicht zu früh ins Receiver-Regal zu greifen, geht mittlerweile so weit, dass US-Medien (halb) im Scherz von einem Troll-Versuch in Richtung Rodgers sprachen - und der Quittung dafür, dass er im vergangenen Jahr ... nun ja, nicht immer als "Musterprofi" aufgetreten war.
So einfach ist es natürlich nicht. Vielmehr stopften die Packers mit ihren beiden Erstrundenpicks - einer war im Adams-Trade an Land gezogen worden - Löcher im Kader. Vor allem mit Walker, der neben All-Pro-Linebacker De'Vondre Campbell endlich dafür sorgen soll, dass die Run-Defense nicht mehr aussieht wie der Rumpf der Titanic nach der Eisberg-Kollision: 4,7 Yards/Rush ließ die Front Seven in der Saison 2021 zu, 60 Prozent aller Third Downs verwandelten die Gegner am Boden in neue Versuche, und auch sämtliche tiefergehenden Analytics stellen dem Team schlicht und ergreifend eine horrende Run-Verteidigung aus.
gettyDen Run zu stoppen, gehört umgekehrt zu den großen Stärken Walkers, während Wyatt zu den Top-2-Defensive-Tackles im Draft gezählt wurde und nun in der D-Line neben Kenny Clark für mehr Gefahr sorgen soll, sein Trumpf ist enorme Schnelligkeit und Wendigkeit auf der Jagd nach dem gegnerischen QB.
"Er ist ein Disruptor an der Line of Scrimmage", lobte Gutekunst, "ein dynamischer Pass Rusher. Und wie er sich gegen den Run zum Ball vorkämpft, das hat schon Züge eines Linebackers". Ein weiterer Pluspunkt: Die beiden Bulldogs sind NFL-ready: "Sie haben ihre gesamte Karriere über gegen NFL-Spieler gespielt, auch im Training. Das hilft beim Sprung in die NFL natürlich sehr."
Green Bay Packers im Draft: Opfer des Receiver-Runs
Das ist ja alles schön und gut, nur kann Rodgers den Ball eben nicht zu Walker und Wyatt werfen. Wie nahm der so häufig streitlustige Quarterback die Picks seines GMs also auf?
Überraschend gelassen. "Ich hatte ein paar Einblicke", gab Rodgers in der Pat McAfee Show zu, wo er die 1. Draft-Runde per Schalte live begleitete. "Ich habe den ganzen Abend über mit ihnen gesprochen und wusste, dass sie von Wyatt eine sehr hohe Meinung hatten." Und: Die hoch gehandelten Receiver waren gleichzeitig sehr schnell vom Board. Vier in den ersten zwölf Picks, zwei weitere an 16. und 18. Stelle. Genau diese sechs Wideouts waren bei den Packers als potenzielle Erstrundenpicks eingestuft worden.
Zum Vergleich: 2021 und 2020 waren vor dem 22. Pick je vier Receiver gezogen worden, 2019 und 2018 sogar kein einziger. Sechs Receiver in den Top 20, das hatte es in der Common Draft Era (seit 1967) noch nie gegeben. Das war auch der diesmal schwachen QB-Klasse geschuldet, aber eben nicht nur: Receiver sind so begehrt - und so teuer - wie noch nie.
Dementsprechend schnell waren sie weg - und dementsprechend teuer wäre ein Trade gewesen, um ein Elite Prospect zu bekommen. Er habe ein paar mögliche Trades abgeklopft, erklärte Gutekunst. "Der Run [auf Receiver] war sehr früh. Das sind richtig gute Spieler. Aber man muss sich auch den Preis anschauen und die Sinnfrage stellen." Prinzipiell ist der Packers-GM einem solchen Trade in der 1. Runde nicht abgeneigt, wie die Vergangenheit zeigt (drei der letzten vier Drafts).
Packers brauchen Receiver: Draft oder Trade?
Mit dem 53., 59. und 92. Pick muss das Front Office der Packers in der Nacht auf Samstag nun aber spätestens zugreifen, oder? Das eine oder andere große Talent gibt es natürlich noch abzugreifen, wobei die Frage ist, ob Christian Watson, Skyy Moore und Co. noch 20 weitere Picks auf dem Board überstehen. "Wir werden nichts erzwingen", betonte Gutekunst: "Wir haben noch neun Picks, als jede Menge Munition. Warten wir einfach mal ab, ob wir so bleiben oder unsere Picks traden."
Rodgers betonte seinerseits, dass die Packers in den vergangenen Jahren durchaus auch in späteren Runden echte Klasse-Leute gefunden hätten, von Adams (2. Runde) angefangen über Jordy Nelson, Greg Jennings oder James Jones: "Es gibt auch in der zweiten, vierten, fünften, sechsten Runde noch Jungs, die richtig gut spielen können."
Andererseits hat A-Rod mit seinen mittlerweile 38 Jahren so viel Zeit vielleicht auch nicht mehr, um auf die Entwicklung junger, ungeschliffener Wideouts zu warten. Die Alternative wäre ein Trade für einen großen Namen, wie etwa in der Nacht bei A.J. Brown gesehen.
Rodgers zeigte sich jedoch skeptisch: "Es gibt nicht viele Teams, die Receiver nach Green Bay traden wollen", vermutete er, "das sind wir wahrscheinlich am Ende der Schlange. Gleichzeitig ergibt es nicht viel Sinn, Davante nicht zu bezahlen und dann einen anderen zu holen, um den dann doch zu bezahlen." Und: "Will San Francisco wirklich Deebo Samuel an uns abgeben?"
Green Bay und die Wide Receiver: "Müssen Vertrauen haben"
Stand jetzt weist das Depth Chart der Packers Allen Lazard, einen stetig alternden Sammy Watkins und einen bereits gealterten Randall Cobb auf, dahinter wird es dann schon extrem dünn - und bei den Tight Ends sieht es nicht viel besser aus. Wenn keine Bombe mehr platzt, müssen es wohl ein oder zwei Rookies aus den späteren Runden richten, vielleicht kommt noch ein Veteran dazu.
Heißt: Der MVP von 2020 und 2021, frisch ausgestattet mit einem enormen Vertrag, muss es jetzt richten. Die finanziellen Ressourcen stecken in Rodgers, die Draft-Ressourcen vor allem in der Defense. Ein Erfolgsrezept?
Immerhin macht der Packers-Quarterback bislang gute Miene zum bösen Spiel, vielleicht hat er sich auch einfach nur mit Gutekunst zusammengerauft. "Ich weiß, dass die Packer Nation sich fragt, warum wir noch keinen Receiver gewählt oder hochgetradet haben", sagte er in der Pat McAfee Show. "Aber sie müssen Vertrauen haben. Wen auch immer wir morgen und darüber hinaus noch holen, ich werde die nötige Zeit investieren, damit wir wie immer eine erfolgreiche Offense haben."
Und dann stellte er noch fest: "Unsere Defensive wird sehr gut sein, wie man sehen kann. Und mit Defense gewinnt man Titel."
Aaron Rodgers: Statistik in der Regular Season in den letzten Jahren
Saison | Einsätze | Passing Touchdowns | Interceptions | Passing Yards | Completion Percentage | Bilanz |
19/20 | 16 | 26 | 4 | 4.002 | 62.0 Prozent | 13-3 |
20/21 | 16 | 48 | 5 | 4.299 | 70.7 Prozent | 13-3 |
21/22 | 16 | 37 | 4 | 4.115 | 68.9 Prozent | 13-3 |