NFL: Die größten noch offenen Fragen der AFC
Draft und Free Agency liegen hinter uns, ebenso die OTAs und Minicamps. Die Training Camps starten in rund einem Monat und die neue Saison schließlich am zweiten Septemberwochenende. Soweit alles klar. Dennoch gibt es immer noch einige größere Fragen, die über den Teams hängen. Diesmal behandeln wir die der AFC.
NFL: Was passiert mit Deshaun Watson?
Kein Name im Kreis der NFL polarisiert dieser Tage so sehr wie der von Deshaun Watson. Und das mit gutem Grund, denn die Cleveland Browns gaben dem Quarterback nicht nur den höchstdotierten voll garantierten Vertrag in der Geschichte der Liga. Sie taten dies auch, obwohl er aufgrund vermeintlicher sexueller Übergriffe verklagt wird.
Die Zahl der Vorwürfe steigerte sich immer wieder, sodass zwischenzeitlich 24 Zivilklagen gegen den Quarterback liefen. Am Dienstag dann wurde bekannt, dass sich der Quarterback in 20 Fällen außergerichtlich geeinigt hat, sodass nun nur noch vier Klagen laufen.
Und ohne auf die schaurigen Details einzugehen, dürften die letzten beiden Fälle das Fass wohl zum Überlaufen gebracht haben. Eigentlich waren die Untersuchungen der NFL bereits abgeschlossen, doch aufgrund neuer Informationen könnte es weitere Nachforschungen geben. Ob das Auswirkungen in strafrechtlicher Hinsicht hat, kann derzeit noch nicht gesagt werden - bislang sahen zwei Geschworenengerichte nicht genügend Beweise für Strafverfolgungen. Die NFL allerdings hat bekanntermaßen geringere Hürden unter dem Dach ihrer Personal Conduct Policy, den Verhaltensregeln für Spieler und Team-Mitarbeiter.
Letztlich wird die frühere US-Bezirksrichterin Sue Robinson als Disziplinar-Direktorin über den Fall entscheiden. Robinson wurde im Rahmen des aktuellen CBA von NFLPA und NFL als erste Instanz für Disziplinarstrafen eingesetzt. Kommt es zur Berufung, ist allerdings weiterhin Commissioner Roger Goodell die letzte Instanz.
Das heißt: Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, als wäre es eine offene Verhandlung, ist es letzten Endes weiterhin eine Entscheidung des Commissioners. Und das ist gerade in diesem Fall absolut relevant.
Vor kurzem berichtete die Washington Post, dass die NFL gegenüber Robinson für eine "erhebliche" Bestrafung Watsons plädieren werde. Die Rede ist von "mindestens" einer Saison. Damit einher geht ein Bericht von Pro Football Talk, der besagt, dass die NFL Watson zumindest bis zur Beendigung aller gegen ihn laufenden Zivilklagen nicht auf dem Feld sehen will. Wie lange das sein könnte, ist schwer zu sagen, doch einige Verhandlungen werden voraussichtlich nicht vor 2023 beginnen.
NFL: Sperre oder Exempt List für Deshaun Watson?
Eine Auszeit für Watson ließe sich auch ohne offizielle Sperre bewerkstelligen, denn Goodell könnte den 26-Jährigen einfach auf die Commissioner's Exempt List setzen: Er wäre damit nicht spielberechtigt, würde aber sein normales Gehalt kassieren.
Unterm Strich stellt sich für die NFL vor allem eine Frage im Auge der breiten Öffentlichkeit: Will sie eine Institution sein, die hart durchgreift im Zusammenhang mit Vorwürfen sexueller Übergriffe? Oder will sie sich vorwerfen lassen, hier eher soft vorzugehen?
Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass jeder - auch Watson - als unschuldig gilt, bis ihm seine Schuld bewiesen wurde. Aber ein Blick zum Baseball zeigt: MLB-Pitcher Trevor Bauer, derzeit bei den Los Angeles Dodgers unter Vertrag, wurde kürzlich von der MLB für zwei komplette Spielzeiten gesperrt, weil er gegenüber einer Frau beim Geschlechtsverkehr gewalttätig geworden sein soll.
Auch bei ihm kam es letztlich nicht zu einer strafrechtlichen Anklage, und er legte Berufung gegen seine Sperre ein - Ende offen. Trotzdem standen da erst einmal 324 Spiele Sperre. In dieser Hinsicht griff die MLB also konsequent und hart durch. Die NFL muss sich nun fragen, ob bei einem zumindest ähnlichen Fall - das soll keine Bewertung der beiden Fälle sein, beide behandeln abartige Vorgänge, die, wenn wahr, entsprechend geahndet werden müssen - softer reagieren will als die MLB.
Nach menschlichem Ermessen wird Watson in nächster Zeit eher nicht zur Verfügung stehen, was die Browns dann in eine heikle Situation bringt: Backup wäre dann wohl Jacoby Brissett, der ein guter Vertreter ist, aber eben keiner, mit dem sich Bäume ausreißen lassen. Oder gibt es doch noch die große Versöhnung mit Baker Mayfield, dem man ohnehin fast 19 Millionen Dollar Gehalt zahlen muss? Durch die Watson-Situation, an der die Browns als Organisation nun wohl kaum noch gezielt vorbeischauen können, könnte aus einem Contender ein Mittelklasse-Team werden, das auf ein verlorenes Jahr zusteuert.