Nach dem ersten Preseason-Spiel der New England Patriots bleibt das Hauptthema das gleiche wie zuvor - wer ist der neue Play-Caller des Teams? Und wie soll die Offense generell aussehen? Das Spiel gegen die New York Giants warf dahingehend mehr Fragen auf als es beantwortete.
Preseason-Spiele haben in aller Regel kaum Aussagekraft. Ein gutes Beispiel dafür ist die 21:23-Pleite New Englands gegen die Giants. Es spielte kaum ein Starter aufseiten der Patriots und die Playbooks waren offensiv wie defensiv äußerst beschränkt. Man will zum jetzigen Zeitpunkt der Saison der Konkurrenz möglichst wenig zeigen.
Und dennoch sorgte ein Aspekt dieser Partie für Aufregung - die Rolle des offensiven Play-Callers.
Seit Offensive Coordinator Josh McDaniels nach Las Vegas abgewandert ist, um dort seinen zweiten Head-Coach-Job in der NFL anzutreten, ist sein Job bei den Patriots vakant. Und technisch gesehen bleibt er das auch: Die Patriots gehen ohne Offensive Coordinator in die neue Saison - übrigens auch ohne Defensive Coordinator, aber den haben sie seit 2017 nicht mehr.
Die große Frage über das Frühjahr und den Sommer hinweg lautete daher vor allem, wer denn nun die Plays in der Offense ansagen würde. Es wurde viel spekuliert, die Rede war von Matt Patricia, Joe Judge und sogar Bill Belichick wurde genannt.
New England Patriots: Belichick häufiger in Offense involviert
Während seiner seit 2000 andauernden Amtszeit in Foxborough mischte sich Belichick immer mal wieder in die Offense ein, etwa als der damalige QB-Coach Richard Rehbein - einer von Tom Bradys Entdeckern - während der Saison 2001 plötzlich verstarb. Oder nach dem Abgang von Charlie Weis, Offensive Coordinator des ersten Teils der Dynasty von 2000 bis 2004. Doch sein Steckenpferd war und ist eben die Defense.
Patricia wiederum war von 2004 an in diversen Rollen in New England aktiv, anfangs sogar als Offensive Assistant und sogar ein Jahr (2005) Assistant Offensive Line Coach unter Trainer-Legende Dante Scarnecchia.
Aber auch Patricia hat vor allem einen defensiven Background und fungierte von 2012 bis eben 2017 als Defensive Coordinator New Englands, ehe er für fast drei Jahre als Head Coach nach Detroit ging. Nachdem er dort geschasst worden war, kam er ebenso nach New England zurück wie Joe Judge, der in den vergangenen zwei Jahren Head Coach der Giants war.
Jener Judge arbeitete von 2012 bis 2019 vor allem mit den Special Teams der Patriots und war in seiner letzten Saison dort auch noch der Wide Receivers Coach. In seiner Giants-Zeit war er zwar generell auch in die Offense des Teams involviert, doch war fürs Play-Calling bis zu seiner Entlassung Jason Garrett verantwortlich.
Doch weder Patricia, seines Zeichens "Senior Football Advisor/Offensive Line", noch "Offensive Assistant/QB Coach" Judge haben ausgiebige Erfahrung, wenn es darum geht, Plays zu callen oder eine Offense zu designen oder auch im Camp zu installieren.
Die Eindrücke aus den Minicamps und schließlich dem Training Camp deuteten jedoch klar auf Patricia als Play-Caller hin. Im Spiel gegen die Giants wurde diese Annahme dann aber doch ein wenig infrage gestellt.
New England Patriots: Zwei Play-Caller gegen Giants
Alle waren irgendwie in die Offense involviert. Patricia begann das Spiel als Play-Caller, als Backup-QB Brian Hoyer auf dem Feld stand - Mac Jones wurde nicht eingesetzt. Als Hoyer dann nach drei ordentlichen Serien vom Feld ging und Rookie Bailey Zappe übernahm, sagte plötzlich Judge die Spielzüge an. Darüber hinaus coachte Belichick selbst häufiger seine Quarterbacks und vor allem Zappe direkt an der Seitenlinie.
Anschließend gab sich der Coach gewohnt zugeknöpft, als Reporter das Play-Calling-Thema nach dem Spiel ansprachen. "Ja, nun, wir haben das in diesem Spiel so gemacht. Wir haben viele Dinge gemacht, die langfristig gut für uns sein werden - ob das nun im Coaching Staff, die Einsatzzeit der Spieler, die Positionen der Spieler und so weiter war. Das ist alles Teil des Prozesses."
Und jenen Prozess betonte Belichick bei etwaigen Nachfragen immer wieder. Frei nach dem Mantra "Trust the Process", das man immer wieder bei den Philadelphia 76ers aus der NBA gehört hat. Doch was genau sind denn die Vorteile dieses Play-Call-Splittings? "Ich dachte, es würde eine gute Möglichkeit für uns sein, das zu machen", sagte Belichick.
Auf die Frage, ob einer aus Patricia und Judge die Spielzüge ansagen werde, entgegnete der 70-Jährige nur: "Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Wir werden schon eine Lösung finden." Doch hat er schon eine Entscheidung getroffen? "Wir gehen durch einen Prozess - wie mit allen anderen Dingen in diesem Team." Doch was muss Belichick denn eigentlich noch sehen, um eine Entscheidung zu treffen? "Ich muss gar nichts sehen, wir gehen einfach durch einen Prozess. So einfach ist das."
Auf Nachfragen eines Reporters lieferte er denn diese Gegenfrage: "Was soll ich denn machen?" Der Reporter präzisierte und merkte an, dass er sich einfach ein wenig Klarheit wünschte. Belichick: "Großartig. Ja. Wir gehen durch einen Prozess."
Vertraut doch bitte alle dem Prozess, ok?!
Naturgemäß wissen wir noch nicht, wie das Endprodukt aussehen wird, schon deshalb, weil Mac Jones nicht gespielt hat. Aber die Eindrücke des Camps lassen zumindest mal darauf schließen, dass besagter Prozess noch nicht abgeschlossen ist. Jones zeigt sich dieser Tage anders als in der Vorsaison öfters unentschlossen und macht dadurch Fehler. Fast täglich wird vom Trainingsplatz berichtet, dass die Defense die Offense mal wieder dominiert habe.
Es ist nur Training und bis zum Saisonstart sind es noch rund vier Wochen. Kein Grund zur Panik also, oder?
gettyNew England Patriots: Entwicklung von Mac Jones in Gefahr?
Zu bedenken ist, dass die ersten paar Jahre in der Entwicklung eines Quarterbacks extrem wichtig sind - Ausnahmen bestätigten die Regel, wie Josh Allen in Buffalo zeigte, der erst ab Jahr 3 zum Star wurde. Doch jener hatte die Hilfe des brillanten Offensiv-Kopfs Brian Daboll, in New England ebenfalls kein Unbekannter.
Jones profitierte im Vorjahr sicherlich von McDaniels, der über mehr als ein Jahrzehnt an der Seite von Tom Brady gearbeitet hat. Jones muss nun mit Quasi-QB-Coach Judge und Quasi-OC Patricia in sein naturgemäß schwierigeres zweites Jahr gehen und der Eindruck entsteht, dass besagte Coaches mit ihrer bescheidenen Offensiv-Erfahrung da keine ganz große Hilfe sein können.
Zudem weiß man immer noch nicht, wie das Offensiv-Scheme denn künftig aussehen wird. Die inoffizielle Depth Chart auf der Team-Homepage lässt aber zumindest schon mal darauf schließen, dass der Einfluss von Judge dazu führt, dass mehr 12-Personnel geplant ist - also Sets mit zwei Tight Ends. Da es keinen Fullback mehr gibt, wäre dies ein Weg, das Run-Blocking zu verbessern und gleichzeitig zwei gute Passoptionen über die Mitte zu haben, mit Hunter Henry und Jonnu Smith.
Was den Spielstil angeht, sind zudem mehr RPOs denkbar als zuletzt. RPOs fanden bislang in New England kaum statt, obwohl sie Jones und seiner Fähigkeit, schnell Entscheidungen zu treffen, sicherlich entgegenkommen würden.
Wie auch immer das Scheme nun aussehen wird, oberste Priorität bleibt zunächst, den Play-Caller zu finden. Denn gerade im Coaching Staff sollte in Kombination mit einem jungen Quarterback eine klare Linie und ein Plan erkennbar sein. Und solche sucht man in New England dieser Tage mit der Lupe.
Belichicks Reaktion auf eine solche Aussage können wir uns selbstredend denken: Trust the Process!