Sollte Reich Matt Ryan etwas Verantwortung nehmen?
Außerdem muss zusehends auch in Frage gestellt werden, ob Reichs Mandat an Ryan, die Protection selbst an der Line of Scrimmage ansagen zu können, wie es für einen Veteran von seiner Statur durchaus üblich ist, eine gute Idee war.
Die neue Chemie, die sich da aufbauen muss, ist anfangs noch unausgegoren, und gerade die Jaguars in Woche 2 und die Chiefs in Woche 3 wussten mit Stunts und Blitzen genau die Kommunikations-Schwachstelle zwischen Ryan und der OL zu attackieren. Dabei wurden Erinnerungen an 2015 wach, als Ryan mit dem in Atlanta neu angekommenen Protection System von Kyle Shanahan auch massive Schwierigkeiten hatte. Erst die Ankunft von Center Alex Mack und seine Übernahme der Protection Calls ermöglichte die 2016-Falcons-Saison, die offensive Rekorde schrieb.
Zwischen dem für Ryan gewohnten System, das die Shanahan-Outside-Zone mit sich bringt, bei dem ein Running Back recht simpel Bescheid weiß, wo er blocken muss, je nachdem wen der Center als Mike Linebacker identifiziert, und dem was Reich in Indianapolis vom Protection Call abverlangt bestehen große Unterschiede. Das bestätigte Ryan im Sommer. Bei den Colts wird jede Protection einzeln gesetzt, und es gibt viel mehr Möglichkeiten für Running Back - also auch viel mehr Möglichkeiten, dass die Kommunikation scheitert.
Hier ist ein Beispiel für so eine Situation, bei der OL, RB und Protection Call nicht zusammenpassen.
Da Ryan die Verantwortung für die Calls trägt, sind letztlich einige der Probleme also von ihm selbst verursacht.
Auch erlaubt er laut PFF nach Patrick Mahomes die zweitmeisten Pressures, die man dem QB ankreiden kann, also beispielsweise durch zu langes Halten des Balles. Die Colts haben auf die OL-Probleme reagiert - mehrere Offensive Linemen wurden schon ersetzt oder auf neue Positionen gestellt, auf der Suche nach der besten Kombination an fünf Startern. Und mit Dennis Kelly, der Rookie Bernhard Raimann auf Left Tackle in Woche 6 ersetzte, scheint man eine vorläufige Zwischenlösung gefunden zu haben.
Protection Probleme liegen nicht nur bei der Offensive Line
Aber Matt Ryan und die entstandenen Verwirrungen bei der Protection können sie so schnell nicht ersetzen. Offensive Coordinator Marcus Brady sagte nach dem Sieg gegen die Chiefs, dass es hier mehr Konstanz braucht: "Ja, wir haben manche Pressures abgefangen, den richtigen Call gemacht, den Pass angebracht. Aber zu oft haben wir sie auch nicht abgefangen."
Auch Frank Reich sprach bezüglich der Protection Probleme von einem "kollektiven" Thema: "Es ist nicht nur die Line, es sind alle elf. Tight Ends, Quarterbacks, Running Backs, Receiver, die zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein müssen." Beide nehmen also Ryan hier nicht aus der Pflicht und machen durch die Blume klar, dass sie nicht die Line als das Haup-, oder zumindest alleinige Problem ansehen.
Ob sie ihm in letzter Konsequenz die Protection Calls entziehen, wird sich zeigen. In Woche 6 war dies zumindest nicht notwendig. Die Colts nutzten die Mini-Bye nach dem Thursday Night Game gegen Denver um sich gegen die Jaguars vorzubereiten, und alle Fehler aus dem Woche-2-Debakel zu analysieren. Das Resultat war ein Kurzpassspiel, das mit 2,4 Sekunden zwischen Snap und Wurf die schnellsten Würfe der bisherigen Colts-Saison beinhaltete.
Ryan konnte in dem Spiel erstmals wieder zu seinem alten Selbst finden. Er warf 58 Mal und kassierte keinen Sack. Es war das saubere Spiel, das sich Ballard, Reich und Co. immer erhofft hatten von der Position, inklusive einem Game Winner auf Alec Pierce, der das Potential der Receiver-Gruppe aufzeigt. Die Colts sind mit 3-2-1 bei weitem nicht aus dem Playoff-Rennen raus und haben immer noch eine Defense, die man schwer aus dem Weg räumt, und die sie auch in Spielen gegen Schwergewichte - wie Kansas City - oft im Spiel halten wird.
Frank Reich hat eingesehen, dass es leichter ist, das ganze Team um den QB herum zu ändern, als den QB selbst zu ändern. Der Nachteil eines Veterans von der Größe ist eben auch, dass man ihm seine Ticks aus vielen Jahren in der NFL nicht abgewöhnen wird - zumindest nicht in einer Offseason.
So sind zum Beispiel RPOs, davor prominenter Teil der Colts-Offense, fast komplett verschwunden aus dem Gameplan - einfach weil sie Ryan nicht so liegen. Und aus der angekündigten 80-Prozent-Colts-20-Prozent-Ryan Aufteilung bezüglich des Inputs in die Offense, ist auf dem Feld dann doch eher eine 50:50-Teilung geworden.
Potential für 2022 - aber dann?
So flexibel Reich hier also auf Ryan zugeht, hat er selbst natürlich noch einiges zu verbessern, wenn die Colts ernsthafte Playoff-Anwärter werden wollen. Die Colts laufen ein recht eintöniges Inside-Zone-Laufspiel, das auf leichte Boxen angewiesen ist. Wenn das Passspiel wegen der beschriebenen Probleme niemanden tief bindet, sind die Läufe trotz Jonathan Taylor oft der Grund, warum die Offense hinter dem Fahrplan herhinkt.
Auf Early Downs, wo die Protection zum Beispiel weniger kritisch ist, stehen die Colts auf Platz 24 in EPA pro Play und Platz 27 in Success Rate. Vor allem bei Second Down läuft Reich einfach noch zu oft. Und seine Gamescripts lassen auch zu wünschen übrig: Im ersten Viertel sind die Colts 28. in EPA/play und 29. in Success Rate.
Ob Coaching, Blocking oder QB-Play, die Colts haben mehrere Ecken, an denen sie noch besser werden können. Einzig die Receiver dürften eine Unit der Offense sein, die von sich wenig Schlechtes sagen kann. Sogar Parris Campbell, der so oft verletzt war, hat gegen die Jaguars mit einem TD und einigen guten Catches bereits nach sechs Wochen die beste Saison seiner Karriere.
Das Team hat für 2022 also durchaus noch Potential. Ryan wird die Kommunikationsprobleme sicher in Woche 15 besser im Griff haben als in Woche 5, und auch bei Philip Rivers - der der erste war, den Ryan anrief, als er Ratschlag suchte, ob er den Colts-Job nehmen soll - dauert es, bis die Offense und der Veteran-QB wirklich rund wirkten. Gleichzeitig wird Ryans Arm vermutlich nicht besser werden, und noch bei jedem QB kam der Punkt irgendwann, an dem der Kopf das nicht mehr wettmachen kann.
Langfristig - und so hat Jim Irsay den Trade argumentiert, als Drei-Jahres-Fenster - wird das die Colts natürlich in Schwierigkeiten bringen. Aber für 2022 gibt das Jaguars-Spiel zumindest die Hoffnung, dass im Entgegenkommen auf den alten Mann ein Mittelweg liegen kann, der zumindest für die AFC South schwer zu knacken ist.
Woche 7 bringt mit den Titans jetzt ein vorentscheidendes Duell, um aus dieser Hoffnung mehr zu machen. Gelingt Matt Ryan wie gegen die Jags eine Revanche, sind die Colts trotz einiger unschöner Partien in der Pole-Position in der Division. Und je mehr sich der alte Matt Ryan zu erkennen gibt, mit seiner Präzision und seinen Full-Field-Reads, umso eher werden sie diese auch halten können.
Aber sollte doch nur ein alter Matt Ryan auftauchen, wird das eine erneut lange Saison. Für ein Team und einen Quarterback, die beide schon viele lange Saisons gewöhnt sind.