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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus Woche 14 in der NFL

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf Week 12 in der NFL.
© getty
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5. Wie geht es weiter für Geno und die Seahawks?

Die Saison, die wir gerade von Geno Smith sehen, ist wahrlich bemerkenswert. Dass ein Quarterback nach neun Jahren in der Liga, als Starter allem Anschein nach gescheitert und bereits bei mehreren Teams als Backup unterwegs, nochmal eine Chance bekommt, zu starten, ist selten genug.

Dass dieser Quarterback dann so auftritt, wie Smith es in dieser Saison macht? Das ist so selten, dass mir kaum ein vernünftiger Vergleich einfällt. Ryan Tannehill, der seine besten NFL-Jahre nach dem zur damaligen Zeit wenig beachteten Wechsel nach Tennessee hatte, wäre ein in Ansätzen vergleichbares Beispiel. Aber Tannehill war nicht schon jahrelang Backup, und als Starter in Miami war er fraglos besser als Geno Smith bei den Jets. Wirklich zufriedenstellend ist der Vergleich also nicht.

Kurt Warner hatte immensen Erfolg in seinen ersten Jahren bei den Rams, nachdem er aus dem Nichts gekommen war. Dann fiel er schnell ab, wurde entlassen und war ein Jahr lang Eli Mannings Backup bei den Giants, bevor er wieder ohne Job war. Die Cardinals verpflichteten ihn 2005, wo er sich nicht als Starter durchsetzen und 2006 als Mentor für Matt Leinart fungieren sollte. 2008 ersetzte er den enttäuschenden Leinart - und spielte nochmals einige seiner besten Saisons, inklusive eines Super-Bowl-Trips.

Aber Warner hatte eben schon früher in seiner Karriere gezeigt, dass er auf höchstem Level spielen kann. Geno Smith hatte das während seiner NFL-Karriere nicht getan, und indem die Seahawks Drew Lock in den Russell-Wilson-Trade inkludiert, und ein offenes Quarterback-Duell über den Sommer ausgerufen haben, zeigten sie deutlich, dass auch sie nicht ansatzweise diese Version von Geno erwartet hatten.

Panthers-Spiel zeigt die Probleme der Seahawks auf

Und wer weiß, was passiert wäre, wäre Lock während der Preseason nicht an Corona erkrankt und hätte "seinen" Start verpasst? Was, wenn Lock hier gespielt und geglänzt hätte? Wäre er dann vielleicht sogar als Starter in die Saison gegangen?

All das ist spekulativ und längst irrelevant, aber es hilft, ein Bild zu zeichnen, welches die Absurdität dieser Situation darstellt. Und die Art und Weise, wie Geno spielt - wie stark er aus der Pocket agiert, wie gut sein Armtalent zur Geltung kommt, wie akkurat er als Passer ist -, lässt den Schluss zu, dass er kein One-Hit-Wonder ist, sondern dass Smith sein Armtalent, welches er immer, auch schon als Draft-Prospect, hatte, von einer rohen physischen Qualität zu einem von mehreren Tools in seinem Arsenal umgewandelt hat.

Diese Erkenntnis macht die Situation so interessant. Denn plötzlich bekommt Seattle einen Top-5-Pick von den Broncos, den sie so vor 4 Monaten nicht erhoffen konnten, und sie haben einen legitimen Quarterback bereits in ihrem Team, was sie an diesem Punkt auch nicht erwarten konnten.

Spiele wie das gegen Carolina, in dem Smith mehrere schlechte Plays hatte, mehrere schlechte Entscheidungen traf, in der Hinsicht vielleicht sein schlechtestes Saisonspiel hatte, sind in dieser Gesamtbetrachtung absolut normal. Problematisch aus Seahawks-Sicht ist eher, dass sie es nicht kompensieren können, wenn Smith mal ein schlechteres Spiel hat. Das verrät uns einiges über den Gesamtzustand dieses Kaders.

Smith verlängern - und einen Quarterback draften?

Smiths Vertrag läuft aus, also muss hier schon vor dem Draft eine Entscheidung getroffen werden. Und man kann einen sehr legitimen Case dafür machen, dass keiner der Quarterbacks, den Seattle an drei, oder vier, oder fünf bekommen würde, ein Upgrade zu Smith darstellen würde.

Es könnte sich lohnen, später in der ersten Runde einen Quarterback zu draften, um eine Option in der Hinterhand zu haben. Einen jungen, günstigen Quarterback, den man entwickeln kann, und der 2024 - oder 2025 - übernehmen könnte, sollte der goldene Geno-Karriereherbst doch zu einem früheren Ende kommen. Genauso wie es sich lohnen könnte, den unverhofften Top-5-Pick zu traden, um Kapital für 2024 zu sammeln - falls man es da braucht.

Seattle ist unverhofft in der Entwicklung seines Kaders viel weiter als erwartet, wegen Geno Smith, wegen mehrerer Rookies, die direkt eingeschlagen haben, und wegen der Munition, die man im kommenden Draft haben wird.

Carrolls größter Impact - und was ist mit der Defense?

Pete Carrolls "Always Compete"-Mantra, welches auch vor Quarterbacks nicht Halt macht, und welches er einst schon bei Russell Wilson und jetzt bei Geno Smith angewandt hat, ist hier relevant. Carrolls vielleicht größte Qualität liegt darin, eine Kultur innerhalb einer Franchise zu manifestieren.

Seine Aussagen vor der Saison hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit seines Teams wurden mitunter - auch von mir - belächelt, er strafte die Skeptiker Lügen.

Kurios ist dabei allerdings, dass diese Wettbewerbsfähigkeit nicht von "seiner" Defense kommt, auch nicht vom Run Game, welches Carroll stets in Ehren hält; sondern von einer unerwarteten Quelle, die auch Carroll so nicht prognostiziert haben kann.

Seine Defense derweil ist auf Kurs, die Saison im vierten Jahr in Folge nach Expected Points Added pro Play in der unteren Liga-Hälfte zu beenden. Insbesondere, weil die Seahawks viel zu viele Big Plays zulassen. Die Run-Defense ist ein riesiges Problem und kostete Seattle das Spiel gegen die Panthers maßgeblich, und selbst wenn die Offense auf einem hohen Level agieren kann, muss sie diese Hypothek zunehmend deutlich ausgleichen. Ein Problem, das Russell Wilson aus seinen individuell besten Seahawks-Jahren nur zu gut kennt.

Seahawks-Defense über die Jahre:

Saison

EPA/Play (Rank)

Success Rate (Rank)

2022*

23

9

2021

20

25

2020

18

12

2019

19

30

2018

13

24

*vor Woche 14

Die Seahawks und die potenzielle Mittelmaß-Gefahr

Die Defense ist jung, in manchen Bereichen wird sie besser werden, und gut möglich, dass Seattle im kommenden Draft gleich mehrere hohe Picks in die Defense investieren wird, etwa um den Pass-Rush auf ein neues Level zu heben.

Hier allerdings sehe ich auch eine Gefahr, und diese Gefahr lautet: Mittelmaß. Den Draft und die Offseason generell so zu managen, als wäre Geno Smith die klare Antwort und jetzt ein jährlicher Top-10-Quarterback, birgt ein massives Risiko.

Smith in diesem Jahr ist eine tolle Story; bleibt es dabei, wenn er 30 Millionen im Jahr verdient? Die Receiver-Breite ist schon jetzt problematisch, und Tyler Lockett wird nächstes Jahr 31. Wie lange hält seine Prime an? Wie schnell entwickelt sich die Offensive Line? Und wie lange dauert es, bis Seattle eine Top-10-Defense an den Start bringt? Können die Seahawks nochmals einen derart spektakulären Draft hinlegen, oder schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung aus? Ist Smiths leicht negativer Trend zuletzt doch ein Warnsignal?

Was ich damit sagen will: Die Seahawks sollten sich Optionen offenhalten, angefangen mit dem Draft-Kapital für 2024 und weitergedacht mit möglichen Quarterback-Optionen auch außerhalb der Top 10 im diesjährigen Draft. Denn so märchenhaft diese Saison verläuft, die Gefahr könnte sein, basierend auf dieser Saison zu viel auf eine Karte zu setzen.

Seahawks: Ryan Tannehill als Vorbild für den Geno-Deal?

Aber ein Schritt nach dem anderen. Wie also könnte ein Vertrag für Geno Smith nach der Saison aussehen? Die Titans und Ryan Tannehill hatten sich im März 2020 auf einen neuen Vertrag geeinigt: Eine Vertragsverlängerung um vier Jahre, welche Tannehill im Schnitt 29,5 Millionen Dollar pro Jahr einbringt, mit insgesamt Garantien in Höhe von 91 Millionen Dollar, wovon 62 Millionen vollständig garantiert sind.

Zwei Jahre später rangiert Tannehill unter Quarterbacks was das durchschnittliche Jahresgehalt angeht noch auf Rang 14, bei den Garantien auf Platz 11. Natürlich ist das ein Stück weit auch die natürliche Entwicklung des Marktes: Andere Quarterbacks verlängern, sodass sich die Spirale immer weiter nach oben dreht und ältere Verträge im Vergleich immer weiter abrutschen.

Aber Tannehills Kontrakt rangierte auch im März 2020 nicht in der Quarterback-Spitze, sondern eine klare Stufe darunter. Hinter Russell Wilson, hinter Ben Roethlisberger, hinter Aaron Rodgers, und auch hinter den Verträgen von unter anderem Matt Ryan, Jared Goff, Carson Wentz und Kirk Cousins.

Die neue Quarterback-Benchmark setzte in der gleichen Offseason Patrick Mahomes mit seinem Zehnjahresvertrag in Kansas City, aber Tannehill setzte auf seine Art ebenfalls einen Maßstab für einen Typ Quarterback-Vertrag, den es in meinen Augen noch immer zu selten gibt: Den Mid-Level-Quarterback-Vertrag.

An diesem Vertrag würde ich mich aus Sicht der Seahawks orientieren, wenn es etwas Langfristiges sein soll. Der Franchise Tag kann immer eine Option sein, womöglich auch als Platzhalter, um Zeit am Verhandlungstisch zu gewinnen. Und vielleicht will Geno Smith auch den ganz großen Vertrag in der kommenden Offseason abräumen, da können wir natürlich nur spekulieren - dann hätte Seattle dank der Broncos mutmaßlich einen Top-5-Pick in der Hinterhand, um die Position zu adressieren, sollte man mit Smith überhaupt nicht auf einen Nenner kommen.

Meine Vermutung ist das jedoch nicht. Ich vermute, dass Smith in Seattle ideale Umstände gefunden hat, in denen er sich wohlfühlt. Ich vermute auch, dass Pete Carroll kein Interesse daran hat, mit einem Rookie-Quarterback neu zu starten. Der Franchise Tag für Quarterbacks ist hoch dotiert, er könnte sich für Smith dennoch wie eine "Enttäuschung" nach einer unerwartet herausragenden Saison anfühlen. Andernfalls wäre der Tag eine sehr gute Option.

Ein Mittelweg in Form eines Vertrags über rund drei Jahre, der sich irgendwo um Platz acht bis zehn im Quarterback-Ranking einsortiert, könnte die Lösung sein, die für alle Beteiligten funktioniert.