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Top 5: Die wichtigsten Erkenntnisse aus der Wildcard Round in der NFL

SPOX-Redakteur Adrian Franke blickt zurück auf die Wildcard-Runde.
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4. Miami Dolphins: Die Tua-Frage hängt jetzt über allem

Als historischer Underdog - noch nie war ein Team als 14-Punkte-Außenseiter in ein Wildcard-Spiel gegangen -, mit dem dritten Quarterback auf dem Platz durfte es einen nicht wirklich überraschen, dass Miami Buffalo im dritten Duell dieser Saison mit weitem Abstand am wenigsten entgegenzusetzen hatte.

So jedenfalls schien es früh in dieser Partie. Als die Bills marschierten, und Miami dem wenig entgegenzusetzen hatte.

Neben den Ausfällen lag das auch daran, dass sich die verfügbaren Stars früh im Spiel Fehler leisteten. Der Drop von Jaylen Waddle gleich zu Beginn verhinderte ein explosives Play beim ersten Drive, Tyreek Hill hatte einen Drop im ersten Viertel, Terron Armstead einen Flase Start und Tre'Davious White schlug Waddle am Catch Point, was ein weiteres Big Play verhinderte.

Manchmal kann es so simpel sein, und die Geschichte dieses Spiels schien schon geschrieben: Wenn man der klare Außenseiter ist, wenn man einen Rookie-Third-String-Quarterback mit durchschleppen muss, dann braucht man ein nahezu fehlerfreies Spiel, und ein Spiel, in dem die Stars den Rest mit tragen. Bekommt man das nicht, kann es auch schnell einseitig werden. Als die Dolphins ihr erstes First Down erarbeiteten, stand es bereits 14:0 für die Bills. Nach dem Field Goal zum 17:0 hatten die Bills elf First Downs (Miami: 1), 186 Total Yards (19) und 7,4 Yards pro Play (1,7).

Doch das war längst nicht die gesamte Story dieser Partie, die buchstäblich kein Ende zu finden schien. Es ist den Dolphins hoch anzurechnen, dass sie sich defensiv im Laufe des Spiels anpassten, und die Fehler, die sich Buffalos Offense leistete, bestraften. Dass sie in dieses Spiel zurückkamen und zwischenzeitlich sogar führten, spricht ganz klar für dieses Team, für das Coaching.

Die Interception von Skylar Thompson tief in der eigenen Hälfte war ein Wendepunkt, umso bitterer, da Thompson zuvor im Rahmen seiner Möglichkeiten ordentlich gespielt hatte und mehrfach von seinen Mitspielern im Stich gelassen worden war. Doch selbst nach dieser Interception blieb Miami in Schlagdistanz, während Buffalo offensiv so gar keinen Rhythmus fand. Aus Bills-Sicht gab es hier mehrere alarmierende Takeaways, angefangen damit, dass die Offense sich nicht selbst so sabotieren darf, indem sie auf Shot nach Shot geht, statt zumindest ein wenig auch für den eigenen Rhythmus zu tun. Miami nutzte das zu seinem Vorteil.

Wie gut war Tua Tagovailoa dieses Jahr wirklich?

Dieses Spiel unterstich die Qualitäten von Mike McDaniel, aber auch die Qualitäten einiger der jungen Dolphins-Verteidiger, allen voran Jaelan Phillips und Christian Wilkins. Es unterstrich, dass Miami durchaus einiges an Qualität in diesem Team hat.

Doch mit diesem Wissen im Hinterkopf umso mehr gingen zumindest bei mir die Gedanken nach der Partie in eine übergreifende Richtung: Was muss passieren, damit Miami nächstes Jahr auf diesem Level, in den hart umkämpften AFC-Playoffs, nicht nur mithalten, sondern vielleicht sogar einen Run hinlegen kann? Ist dieses Szenario überhaupt noch erreichbar?

Wie nah dran wären sie dieses Jahr schon an einem Run gewesen, hätte Tua Tagovailoa gespielt? Eine Frage, die nach diesem unerwartet knappen Spiel gegen die Bills umso mehr diskutiert werden wird.

Tua Tagovailoas Saison-Stats

Statistik

Regular-Season-Platzierung

Quarterback Rating

Platz 3

Passer Rating

Platz 1

Expected Points Added pro Play

Platz 2

Deep Passing Completion Percentage

Platz 1

Deep Passing Yards pro Pass

Platz 1

Yards pro Pass

Platz 1*

Durchschnittliche Target-Tiefe

Platz 1*

*unter Quarterbacks mit mindestens 375 Dropbacks in der Regular Season

All diese hier aufgeführten Statistiken haben ihre eigenen Macken und Schwachstellen, all diese Statistiken sind im Kontext der Offense zu betrachten. Gerade Expected Points Added pro Play, eine Statistik, die ich grundsätzlich sehr gerne verwende, ist für mich ganz eindeutig in erster Linie eine Stat, die die Offense, und nicht primär den Quarterback beschreibt.

Aber natürlich lässt es einen schon aufhorchen, wenn ein Quarterback über eine Saison in so vielen Kategorien ganz weit oben zu finden ist. Es verrät uns etwas über die Qualität des Designs und der Playmaker in der Offense - beides war in Miami unbestreitbar hoch. Aber es verrät uns auch etwas zumindest darüber, wie gut der Quarterback seine Aufgabe erfüllt hat. Auch wenn man daran eben nicht ablesen kann, wie anspruchsvoll eben jene Aufgabe des Quarterbacks innerhalb einer spezifischen Offense war.

Was bei mir mit Blick auf Tua und diese Frage am meisten hängengeblieben ist, sind zwei Punkte: Einerseits, dass er das System gut umgesetzt hat, ohne dabei eine konstante zusätzliche Dimension zu kreieren. Und andererseits, dass sein schneller Release mit der Antizipation - und dem Vertrauen ins Scheme - es den Dolphins ermöglichte, blitzartig nach dem Snap vertikal zu attackieren.

Hier sind Nuancen wichtig: Tuas Qualitäten waren ein Treiber der Offense, aber sie waren nicht der maßgebliche Grund für den Erfolg.

Als dann die Gegner besser wurden und die defensiven Game Plans präziser auf die Dolphins-Offense eingestellt waren, wurde deutlich, dass Tua nicht derjenige ist, der Lösungen findet oder gar kreiert - und gleichzeitig verhinderte die zweite bestätigte, und vielleicht sogar dritte, Gehirnerschütterung des Quarterbacks in dieser Saison, dass mehr Datenpunkte entstehen konnten, wenn es eben maßgeblich darum geht, Lösungen zu finden.

Waren die Dolphins zu aggressiv?

Damit hängen jetzt zwei Themen wie dunkle Wolken während der Hurrikansaison über Miami.

Das erste Thema kann niemand hier beantworten, oder auch nur vernünftig spekulieren: Wann kommt der Punkt, an dem Tua Tagovailoa wegen zu vieler Kopfverletzungen seine Karriere beendet? Denkt er vielleicht sogar jetzt schon genau darüber nach? Und wie beeinflussen diese nunmehr sehr präsenten Fragen die weitere Planung der Dolphins?

Die andere Frage lässt sich da deutlich besser diskutieren: Die Dolphins sind All-In in dieses Fenster gegangen. Haben sie sich hier verkalkuliert?

Jaylen Waddle hat, durch den Trade-Up, zwei First-Round-Picks gekostet. Hill hat unter anderem einen Erst-, einen Zweit- und zwei Viertrunden-Picks gekostet. Und dann legte Miami im Laufe dieser Saison nochmals nach, mit dem Trade für Pass-Rusher Bradley Chubb, welcher den übrigen Erstrunden-Pick der Dolphins im kommenden Draft kostete.

In der Folge hat Miami im kommenden Draft keine Picks in den Runden eins, vier und fünf, immerhin aber durch den DeVante-Parker-Trade den Drittrunden-Picks der Patriots - nachdem sie bereits keine Picks in den Runden eins, zwei, fünf und sechs im vergangenen Draft hatten.

Die Dolphins sind sehr bewusst All-In in dieses Fenster gegangen, und Stand jetzt muss man zu dem Schluss kommen, dass die Dolphins hier ein Fenster aggressiv gespielt haben, für das sie mutmaßlich nicht den Quarterback haben. Das gibt ihnen ein gutes Team - das hat man am Sonntag in Buffalo eindrucksvoll gesehen -, aber geht auch mehr?

Miami: Wie weit kann es mit Tua gehen?

Tua Tagovailoa hat sich als guter Game Manager präsentiert, aber auch nicht mehr. Und man kann mit einem Game Manager weit kommen; die 49ers unter Mike McDaniels' langjährigem Mentor Kyle Shanahan haben das über die letzten Jahre mehrfach gezeigt. Dafür aber braucht es einen sehr kompletten Kader, und selbst mit den prominenten Neuzugängen der jüngsten Vergangenheit haben die Dolphins diesen Kader noch nicht.

Baustellen in der Offensive Line, der Secondary, auf Linebacker - das ist schon sehr viel, um All-In zu gehen. Man könnte es auch anders argumentieren: Man muss sich schon sehr sicher bei seinem Quarterback sein, um in dieser Situation All-In zu gehen. Waren die Dolphins das? Sind sie das heute noch?

Hier steckt eine interessante Diskussion darüber drin, wie sicher man sich bei seinem Quarterback sein sollte, ehe man im Roster Building so aggressiv aufs Gaspedal drückt. Und ich will hier keineswegs ausschließen, dass Tagovailoa diesen nächsten Schritt macht, aber aktuell erinnert mich der Versuch, um Tua ein Titelfenster zu öffnen, eher an den Versuch der Bears, um Mitch Trubisky ein solches Fenster zu öffnen.

Davon ausgehend, dass es um Tagovailoa und seine Kopfverletzungen entsprechende Klarheit gibt, bin ich gespannt, inwieweit Miami den eingeschlagenen Weg jetzt weiter verfolgt.

Sind sie der Meinung, dass es jetzt kein Zurück mehr gibt, und dass zumindest für das restliche Fenster von Tuas Rookie-Vertrag alles auf diese eine Karte gesetzt werden sollte? Mit dann womöglich gravierendem Rebuild in zwei Jahren?

Oder versucht man, auch mal wieder hier und da Ressourcen zu sammeln - um etwa auch auf dem Quarterback-Markt flexibel zu bleiben?