NFL, Week 1 - Erinnerung der Woche: Es ist erst Week 1!
Über ein halbes Jahr haben wir auf die neue NFL-Saison gewartet. Ganz natürlich, dass sich die Vorfreude nach Draft, Free Agency und Training Camp auch in den meisten Fällen in Optimismus verwandelt hat: Das wird unser Jahr!
Ganz natürlich auch, dass gerade bei den bisherigen 15 Verlierern der Haussegen schief hängt: "Unser Quarterback ist komplett unfähig!" "Der Head Coach hat von Tuten und Blasen keine Ahnung!" "Die Saison können wir abschreiben - welche Spieler sind eigentlich im Draft 2025 zu haben?"
Deshalb sei an dieser Stelle an ein paar Ergebnisse aus Week 1 des letzten Jahres erinnert:
- Kansas City verlor den Season Opener daheim mit 20:21 gegen Detroit - und gewann am Ende den Super Bowl
- Houston war auswärts bei den Ravens chancenlos (9:25) - und schaffte es mit Rookie-QB C.J. Stroud in die Playoffs
- Pittsburgh machte daheim gegen die Niners keinen Stich (7:30), war aber dennoch ein Playoff-Team
- Trotz des Achillessehnenrisses von Aaron Rodgers verloren die Bills das Monday Night Game mit 16:22 in Overtime bei den Jets - und warfen in den Playoffs später fast die Chiefs raus
Ihr seht: Es gibt noch Hoffnung. Gut, es gab auch sehr aussagekräftige Ergebnisse wie das 0:40 der Giants daheim gegen die Cowboys, das 10:24 der Panthers in Atlanta oder das 3:24 der Bengals in Cleveland. Dennoch gilt: Welche Ergebnisse vom Wochenende wirklich wegweisend für den Saisonverlauf waren, wissen wir erst in ein paar Wochen.
NFL, Week 1 - Glückspilz der Woche: Caleb Williams
"It's better to be lucky than good", sagt der Amerikaner. Ganz frei übersetzt: "Glück ist wichtiger als Können." Am besten kommt natürlich beides zusammen - womit wir bei Caleb Williams und den Chicago Bears wären. Der Quarterback stellte auf dem College für USC sein Können unter Beweis und wurde deshalb an erster Stelle von den Bears gedraftet. Die hatten das Glück, den Top-Pick aus einem früheren Trade von den hilflosen Carolina Panthers zu bekommen - und so hatte Williams das Glück, bei einem 7-10-Team zu landen statt ganz unten im NFL-Keller. Weil die Bears in der Offseason dann auch noch fleißig aufrüsteten, trauten viele dem Team auf Anhieb den Sprung in die Playoffs zu.
Wie lief nun das mit Spannung erwartete NFL-Debüt von Williams? "Durchwachsen" wäre eine gnädige Beschreibung. 14/29 für 93 Yards Passing, durch zwei Sacks schenkte er davon 29 Yards wieder her. Auch sonst lief offensiv nichts, so kam Chicago am Ende auf miserable 148 Yards Raumgewinn, so wenige wie seit drei Jahren nicht mehr. Nach menschlichem Ermessen hätte das niemals für den Sieg reichen dürfen - den ersten eines QB-Top-Picks in seinem Debüt seit 2002 übrigens.
Aber weil die Titans um QB Will Levis ebenfalls nicht besonders gut sind und die Bears-Defense mitsamt den Special Teams aufdrehte, erzielten die Bears nach 0:17-Rückstand 24 Punkte in Serie und stehen jetzt bei 1-0. Ohne Offensiv-Touchdown. "Unwahrscheinlich" ist gar kein Ausdruck für dieses Ergebnis.
"Die Statistiken sind mir egal", wehrte Williams anschließend ab. Man muss ihm zugutehalten, dass er sich im Gegensatz zu Levis auf der Gegenseite keinen Ballverlust leistete. Dafür gab es natürlich auch Lob von Head Coach Matt Eberflus. Tua Tagovailoa hatte in seinem ersten NFL-Start 2020 übrigens auch genau 93 Yards - und hat sich bei den Dolphins bekanntlich zum soliden Quarterback gemausert.
Mein Fazit fällt dennoch ein wenig anders aus. Erst der Draft, jetzt dieser Sieg: Caleb Williams ist einfach ein Glückskind. Vorsicht, Texans: Ihr seid im Sunday Night Game in Week 2 als Nächstes dran!
NFL, Week 1 - Play der Woche: Anthony Richardson
9/19 für 212 Yards ist keine überragende Statline, aber in seinem ersten Spiel nach langer Verletzungspause zeigte Anthony Richardson direkt sein ganzes Können. Schaut Euch diesen Pass an!
NFL, Week 1 - Verlierer der Woche: Cincinnati Bengals
Wie oben erwähnt, verloren die Bengals auch den Auftakt in die letzte Saison, überhaupt ist das Team seit Jahren ein Spätstarter (1-5 unter Head Coach Zac Taylor). Dennoch war es besorgniserregend, wie man sich von den aufmüpfigen Patriots herumschubsen ließ. Nach dem Durchhänger 2023 hatten nicht wenige Cincy wieder als Super-Bowl-Kandidaten auf der Rechnung, gerade mit einem fitten Joe Burrow. Doch der Quarterback machte nicht den Eindruck, als hätte er seine Handgelenksverletzung vollständig überwunden. 21/29 Pässe für gerade mal 164 Yards, darunter nur sechs Pässe, die mindestens zehn Yards in der Luft waren.
"Sie haben [die tiefen Pässe] weggenommen", erklärte der 27-Jährige anschließend. "Das haben sie gut gemacht, waren gut auf uns eingestellt." Es half sicher nicht, dass Top-Receiver Ja'Marr Chase wegen Vertragsstreitigkeiten fast die komplette Vorbereitung verpasst hatte und mit Tee Higgins die Nummer zwei mit einer Oberschenkelverletzung fehlte. Dazu kamen zwei Turnover und 170 Rushing Yards von den Pats. Running Back Joe Mixon (159 Rushing Yards für die Texans) wurde ebenfalls schmerzlich vermisst.
Trotzdem kann man sich in Cincy den laut Buchmachern größten Upset in einer Week 1 seit 2018 nicht schönreden. Kommenden Sonntag geht es auswärts gegen die Kansas City Chiefs, eine Bilanz von 0-2 würde ordentlich Druck auf dem Kessel bedeuten. Vor allem Burrow muss jetzt zeigen, dass er das Team allen Schwierigkeiten zum Trotz auf die Schulter nehmen kann, ähnlich wie es ein Josh Allen in Buffalo tut. Beide werden in der QB-Rankings direkt hinter Patrick Mahomes geführt, Allens Argumente waren zuletzt aber deutlich besser.
NFL, Week 1 - Erkenntnisse: Wo sind die Passing Quarterbacks hin?
Vor dem Monday Night Game gab es in 15 Spielen von Week 1 gerade mal zwei Quarterbacks, die die Marke von 300 Passing Yards knackten: Tua Tagovailoa bei den Dolphins (338) und Matthew Stafford mit den Rams (317).
Umgekehrt spielten folgende QBs (nahezu) durch und blieben unter 200 Yards Raumgewinn durch die Luft: Justin Fields (Steelers), Kirk Cousins (Falcons), Kyler Murray (Cardinals), Will Levis (Titans), Caleb Williams (Bears), Jacoby Brissett (Patriots), Joe Burrow (Bengals), Trevor Lawrence (Jaguars), Bryce Young (Panthers), Daniel Jones (Giants), Justin Herbert (Chargers), Bo Nix (Broncos), Geno Smith (Seahawks), Dak Prescott (Cowboys), Deshaun Watson (Browns), Jayden Daniels (Commanders).
Macht 16 Quarterbacks, also über 50 Prozent. Was ist da los? Im Schnitt sind es bisher 202,6 Yards pro Team. Weniger gab es an einem Spieltag zuletzt 2007.
Wie gesagt, es ist Week 1, also Vorsicht mit vorschnellen Urteilen. Was man auf jeden Fall sagen kann: Die Zahl der Passing Yards hat schon in den letzten Jahren abgenommen. Von 2011 bis 2021 waren es nur einmal weniger als 228 Yards pro Team und Spiel, 2022 und 2023 nur noch jeweils knapp über 218 Yards - 25 weniger als im Rekordjahr 2015. Warum? Teams verteidigen die tiefen Pässe besser, Starting-QBs werden im Schnitt immer jünger und zudem auch immer athletischer: Je mehr sie laufen, desto weniger passen sie.
Die Frage ist ... ist das QB-Play aktuell auch einfach nicht besonders gut? Und das, obwohl die Regeln immer wieder pro Offense angepasst werden. Zur Erinnerung: Der Rekord für die meisten Passing Yards von Peyton Manning stammt aus der Saison 2013 (5.477 Yards). Obwohl es mittlerweile ein Saisonspiel mehr gibt, scheint diese Zahl sicherer denn je. Dabei hat sich das Gehalt der Quarterbacks astronomisch entwickelt: 2018 knackte Matt Ryan erstmals die 30 Millionen Dollar Jahresgehalt, im kommenden Jahr kassiert Dak Prescott bereits das Doppelte.
Es lohnt sich zumindest, diese Entwicklung im Auge zu behalten. Denn auch die Liga wird ganz genau hinschauen ...
NFL, Week 1 - Touchdown der Woche: DeeJay Dallas
Der 25 Jahre alte Running Back der Arizona Cardinals stürmte gegen Buffalo im Schlussviertel in die Geschichtsbücher: Er wurde der erste Spieler, der einen neuen "Dynamic Kickoff" zum Touchdown zurücktrug. 96 Yards, mit einem beherzten Sprung rettete er sich gerade noch in die Endzone. "An der 10 dachte ich: Oh Mann, ich weiß nicht. Fast hätten sie mich noch gekriegt", erzählte er später - und zeigte sich erfreut über die neue Regelung: "Es ist fast wie eine 'Cover 0' [Defense ohne tiefe Safetys). Wenn man an der ersten Verteidigungslinie vorbei ist, hast du nur noch den Kicker gegen dich."
Ob der neue Kickoff ein Erfolg wird, muss sich noch zeigen. Dallas' Touchdown wurde weniger durch ein kreatives Konzept seines Special Teams begünstigt, vielmehr waren die Tacklings der Bills einfach desolat. Die Liga wird aber erst einmal glücklich sein, dass es überhaupt Returns gab und nicht jeder Kickoff stumpf in die Endzone geballert wurde.
NFL, Week 1 - Verlierer der Woche: Deshaun Watson
Ja, es ist erst Week 1, ich weiß. Nach diesem Auftritt von Deshaun Watson beim 17:33 gegen die Dallas Cowboys muss man dennoch tief durchpusten. Die Browns hatten in der Offseason alles getan, um es dem 28-Jährigen so leicht wie möglich zu machen: Der neue Offensive Coordinator sollte die Offense auf ihn zuschneiden, mit Jerry Jeudy kam obendrein ein neuer Wide Receiver. Nach zwei durchseuchten Jahren wollte man endlich den "wahren Watson" sehen. Den, der in seiner Zeit in Houston mindestens ein Top-10-Quarterback war, vielleicht sogar mehr.
Aber dieser Watson ist immer noch verschollen. 24/45 für 169 Yards, ein Touchdown und zwei Interceptions sagen die Statistiken, aber die fielen dank der langen Garbage Time noch freundlich aus. 2/11 bei Pässen, die mindestens 10 Yards in der Luft waren. 0/4 gegen Druck, 0/4 gegen den Blitz. Tiefe Pässe? Nada. 7/15 für 36 Yards in der ersten Hälfte. Sechs Sacks insgesamt. Es gab so einige schlechte Auftritte in dieser Woche, aber Watson war ganz vorn dabei.
Nun werden die Browns in den kommenden Wochen auf deutlich angenehmere Gegner treffen als auf Dallas und den zukünftigen Defensive Player of the Year Micah Parsons, der am Sonntag groß aufspielte: Die nächsten Gegner sind die Jags, Giants, Raiders und Commanders - die kann man auch mit einem schwachen Watson schlagen. Nicht umsonst gewann dieses Team 2023 trotz fünf eingesetzter Quarterbacks elf Spiele. Aber Watson - und vor allem dessen Fünfjahresvertrag - hängt dem Team wie ein Mühlstein um den Hals.
230 Millionen Dollar ist der schwer, und voll garantiert. Bekommt Watson es im Laufe dieser Saison erneut nicht gebacken, muss Cleveland eigentlich einen Schnitt machen. Aber selbst in Zeiten, in denen die Denver Broncos 85 Millionen Dollar an "Dead Money" schlucken, um Russell Wilson loszuwerden, hat Watsons Vertrag noch einmal eine andere Dimension. Da dessen Vertrag in der Offseason angepasst wurde, um noch mehr Geld in die Zukunft zu schieben und sich so Platz unter dem Salary Cap zu schaffen, würden die Browns auf einem Cap Hit von fast 173 Millionen Dollar (!!!!) sitzenbleiben, sollten sie ihn Anfang 2025 entlassen. 2025 und 2026 wären es jeweils knapp 73 Mio., die an Gehalt für das Team fehlen würden. Die zwei Jahre könnte man also direkt in den Wind schießen.
Es hilft also nichts. Genauso gut kann man weiter versuchen, Watson irgendwie wieder in die Spur zu bringen.
NFL, Week 1 - Ausrutscher der Woche: Der Rasen der International Games
Roger Goodell kann aufatmen, der Ausflug der NFL nach Brasilien ist geglückt. Die Zuschauer in Sao Paulo sahen ein unterhaltsames Spiel zwischen den Philadelphia Eagles und Green Bay Packers (34:29). Unschöne Szenen wie im Vorfeld befürchtet gab es nicht, das Sicherheitskonzept funktionierte.
Wenn da nicht der seifige Untergrund gewesen wäre, der die Spieler immer wieder wegrutschen ließ. "Monatelang" hatte der Eagles-Platzwart nach Aussage des Teams mit der NFL zusammengearbeitet, um die bestmöglichen Bedingungen in der Corinthians Arena zu schaffen. Ohne Erfolg. "Ihr habt es ja gesehen, man konnte kaum Fuß fassen", sagte Eagles-QB Jalen Hurts. "Auf diesem Feld war es auf jeden Fall schwer." Gleich mehrere Spieler wechselten im Spielverlauf ihre Schuhe, zudem stellten beide Teams von Mann- auf Zonenverteidigung um: Es war einfach nicht möglich, den direkten Gegenspieler zu verfolgen.
Immerhin: Die Knieverletzung von Packers-QB Jordan Love - es soll sich um das Innenband handeln, das Team hofft angeblich auf eine Pause von drei bis vier Wochen - kann man dem Feld nicht zuschreiben. Trotzdem ist es nicht das erste Mal, dass der Rasen bei International Games auf große Kritik stößt. Nachdem die Spieler 2022 in München heftige Kritik übten, installierte die NFL für die beiden Spiele eigens einen Hybridrasen. Pass Rusher Von Miller wiederum beschrieb den Kunstrasen im Stadion der Tottenham Hotspurs als "einen der schlechtesten in meinen 13 Profijahren". Es kam zu Verletzungen, die Spieler wünschten sich den Naturrasen zurück.
Es ist gleich in doppelter Hinsicht unverständlich: Warum schafft das Milliarden-Business NFL es nicht, für einen anständigen Rasen zu sorgen - und warum kann niemand den Superstars anständige Stollenschuhe besorgen? So erfolgreich die International Games auch sind: Bei den NFL-Profis gehen sie mittlerweile konform mit einem erhöhten Verletzungsrisiko - und das kann niemand wollen.
Andererseits: Wenn man sich anschaut, dass die Jets und Giants im Metlife Stadium seit Jahren auf einem bei den Spielern absolut verhassten Turf unterwegs sind und dennoch absolut nichts unternommen wird, ist der NFL die Gesundheit der Spieler - Überraschung! - vielleicht doch nicht so wichtig.
NFL, Week 1 - Weitere Gewinner
Jerod Mayo und Jim Harbaugh: Zwei neue Head Coaches, die einen erfolgreichen Auftakt hinlegten, mit No-Nonsense-Football, einem Fokus auf das Running Game und vor allem ohne Turnover. Dabei war Mayo - er tritt bei den Patriots die Nachfolge von Bill Belichick an - sicherlich beeindruckender, aber auch Harbaugh wird mit dem Auftakt seiner Chargers zufrieden sein.
QB-Veteranen: Sam Darnold tat sich mit den Vikings an den schwachen Giants gütlich (19/24, 2 TDs, INT), Derek Carr spielte mit seinen Saints die Panthers her (19/23, 3 TDs). Und dann war da noch Baker Mayfield mit den Buccaneers (24/30, 4 TDs). Fazit: Es muss nicht immer ein 21-Jähriger frisch vom College sein.
Jason Sanders: Der 28-Jährige schoss mit ablaufender Uhr das Field Goal zum Sieg seiner Dolphins über die Jaguars. Dabei ließ er sich aus 52 Yards auch nicht von einem kurz zuvor verschossenen Versuch aus 42 Yards aus der Ruhe bringen.
NFL, Week 1 - Weitere Verlierer
Overtime-Regel: Sie hat ihr nächstes Opfer gefordert. Weil die Rams den Münzwurf verloren, kam ihre Offense in der Verlängerung gar nicht mehr an den Ball, weil Detroit einen Touchdown vorlegte. In den Playoffs hätten sie kontern dürfen, in der Regular Season nicht. So ein Blödsinn!
Bryce Young: Der Quarterback der Carolina Panthers spielte gegen die Saints mal wieder ganz schwach. Als Fortschritt kann man eigentlich nur betrachten, dass in der ersten Halbzeit sein erster Pass eine Interception war, in der zweiten Hälfte aber erst sein zweiter ...
Brandon Aubrey: Der Kicker der Dallas Cowboys hatte gegen die Browns gerade ein Field Goal aus 66 Yards verwandelt und damit den NFL-Rekord von Justin Tucker eingestellt - nur um dann festzustellen, dass die Uhr schon abgelaufen war. Alles für die Katz!
Bo Nix: Der Broncos-Rookie war in der Preseason gefeiert worden und gewann den Job als Starter in Denver. Willkommen in der Wirklichkeit! 42 Pässe für im Schnitt 3,3 Yards Raumgewinn - einer der schlechtesten Werte der letzten 50 Jahre.