Legenden wie Chris Evert, Billie Jean King oder Martina Navratilova hatte sie in den letzten Jahren schon kraftvoll überrundet. Nun, bei den Australian Open 2017, gelang ihr aber einer der denkwürdigsten Coups ihrer schillernden Karriere: Knapp 20 Jahre nach ihrem Debüt im Tennis-Wanderzirkus setzte sich Serena Williams mit ihrem 23. Grand-Slam-Erfolg an die Spitze der Bestenliste in der modernen Ära ihres Sports. "Dieser Zahl, diesem Sieg bin ich lange hinterhergerannt", sagte die 35-jährige Amerikanerin, die in Melbourne einmal mehr im sogenannten "Sister Act" ihre 36 Jahre alte Schwester Venus besiegte - mit 6:4 und 6:4 in nur 82 Minuten.
Die jüngere Schwester aus der kapriziösen Williams-Familiendynastie verdrängte mit der geglückten Titelmission Steffi Graf auf Platz zwei der ewigen Titelbilanzen bei den vier Grand-Slam-Turnieren - neben Melbourne gehen noch die French Open, Wimbledon und die US Open in diese Zeugniswertung ein. Auch diese Konsequenz hatte der Sieg von "Little Sister" Serena: 19 Wochen nach ihrem Sturz von Platz eins der Weltrangliste bei den US Open der Vorsaison eroberte sich die wuchtige Athletin die Gipfelposition wieder von Angelique Kerber zurück, also von jener Spielerin, gegen die sie das Australian-Open-Endspiel 2016 überraschend, sogar sensationell verloren hatte. Kerber gratulierte am Samstag beiden Williams-Schwestern mit den Worten, sie seien "wahre Champions".
Richard Williams' Prophezeiung erfüllt sich
Mit dem historischen Moment von Melbourne, dem dicken Eintrag in die Geschichtsbücher, erfüllte sich auch eine frühe Prophezeiung des Vaters der beiden außerordentlichen Tennis-Schwestern, von Richard Williams. Der ehemalige Nacht- und Parkplatzwächter, der die Ausbildung seiner Töchter in den ersten Jahren als Tennis-Autodidakt begleitet hatte, sagte voraus, die großgewachsene, ältere Tochter Venus werde zunächst für Aufsehen im weltweiten Tour-Betrieb sorgen - die jüngere Tochter Serena aber sei diejenige, "die noch mehr Talent hat und noch mehr Siege holen wird."
Es war allerdings eine steinige Wegstrecke für seine jüngere Tennis-Tochter, für die der Profisport in den letzten beiden Jahrzehnten nicht immer ihr ganzes Himmelreich war. Viele Jahre ihrer Karriere waren von Lethargie und Schlendrian geprägt, nach den schnellen Erfolgen noch im Teenagerinnen-Alter wirkte sie ausgebrannt im immer anspruchsvoller gewordenen Tennisgeschäft. Andere Hobbys und Interessen wurden wichtiger, etwa das Modedesign oder der Einstieg in die Filmindustrie. Ausgerechnet in einem Moment, da sie ihre Liebe zum Tennis wiederentdeckt hatte und den Sport "als Hauptsache meines Lebens" bezeichnete, war ihre Karriere so gefährdet wie nie: Das war 2011, als sie mit einer Lungenembolie in ein Krankenhaus von Los Angeles eingeliefert wurde und, wie sie später sagte, "dem Tod ganz nahe war".
Serena: "Ich habe noch mehr Titel in mir drin"
Rund ein Jahr musste sie damals pausieren, doch dann setzte sie zu einer Titeljagd und zu einem Karriere-Endspurt an, der selbst ihre treuesten Fans überraschen musste: Zwölf ihrer nun 23 Grand-Slam-Erfolge holte sie nach dem Comeback, rückte jenseits ihres 30. Geburtstages näher und näher an die größten Stars der Tennisgeschichte heran - und überholte sie nun (fast) alle. Nur noch die Australierin Margaret Court-Smith, die sowohl in der Amateur- wie Profizeit des Tennis aktiv war, hat jetzt einen Grand-Slam-Einzeltitel mehr als Serena, nämlich 24. "Meine Reise ist noch nicht zu Ende", sagte die 35-Jährige am Samstag in Melbourne, "ich habe noch mehr Titel in mir drin." Noch scheint die wunderliche Williams-Geschichte nicht zu Ende, diese Saga zweier Schwestern, die Daddy Richard einst, auch ganz PR-Stratege, "meine Cinderellas aus dem Ghetto" genannt hatte.
Die Australian Open im Überblick