Im schlimmsten Fall das, was die Einheimischen selbst in dem legendären Satz zusammengefasst haben: "Four seasons in a day." Also: Vier Jahreszeiten an einem Tag.
Ganz so extrem launisch war das Wetter in der ersten Woche der Australian Open 2018 bisher noch nicht, aber ein krasser Umschwung war dann schon zu beobachten - von gemäßigter, eher frühherbstlicher Witterung zum Start bis hin zur Grand-Slam-Gluthitze am Donnerstag. "Beim Turnier in Melbourne hast du mindestens immer zwei Gegner. Den, der dir auf dem Platz gegenübersteht. Und das Wetter", sagt der ehemalige Turnierchampion und heutige TV-Experte Boris Becker. Das gilt natürlich und eigentlich auch für den Globetrotter und Grand-Slam-Rekordhalter Roger Federer, aber der verdiente Tennis-Held genießt eben auch gewisse unabstreitbare Privilegien. Und über Privilegien klagt in der Regel nur der, der sie nicht hat.
Dubai-Experte Federer kennt die Hitze
Kurzum: Federer war am vierten Wettbewerbstag auf der richtigen Seite des Spielplans, sprich: er arbeitete in der einigermaßen erträglichen Abendluft auf dem Centre Court, in der "nur" noch 33 Grad warmen Rod-Laver-Arena. Wo die lieben Kollegen heftig schwitzten und rackerten in der Höllenhitze des Tages, bei bis zu 40 Grad im Schatten, nahm der Maestro seine Hürde gegen den Deutschen Jan-Lennard Struff mit deutlich weniger Energieverlust. 6:4, 6:4 und 7:6 gewann Federer im Duell mit dem aggressiven 1,96-Meter-Riesen aus Ostwestfalen, es war ein oft umkämpfter Fight, bei dem sich der 36-jährige Großmeister einmal mehr als Problemlöser in den entscheidenden Situationen hervor tat. "Ich bin natürlich froh, nicht am Tag gespielt zu haben. Das war schon eine Tortur", sagte Federer, "andererseits weiß jeder von uns, wie es hier zugehen kann. Man bereitet sich halt darauf vor." Er selbst, Federer, in seiner zweiten Heimat am Golf, in Dubai.
Federer, dem in puncto Athletik und Fitness kaum einer aus der Karawane der Tennisnomaden vormachen kann, trifft nach den zwei gewonnenen Abendvorstellungen nun auf einen guten alten Bekannten - der gleichzeitig auch einer seiner Lieblingsgegner ist. Es handelt sich dabei um Richard Gasquet, den geschmeidigen, durchaus eleganten Franzosen, der vor sieben Jahren zum letzten Mal gegen Federer gewonnen hat. Aber fast immer ging Gasquet als Verlierer vom Platz, wenn er Federer begegnete, 2:16 lautet die schmachvolle Kopf-zu-Kopf-Bilanz. "Und trotzdem: Vor Richard muss man immer gewarnt sein. Er ist ein großartiger Spieler", sagt Federer, "außerdem gehört er zur aussterbenden Spezies der einhändigen Rückhandspieler, das macht die Matches immer außergewöhnlich." Die letzte Grand-Slam-Partie gegen den 31-jährigen, auf Platz 31 der Weltrangliste stehenden Gallier gewann Federer 2015 beim US Open sicher in drei Sätzen, im letzten Jahr schlug er Gasquet auch klar, im Viertelfinale des Masters in Shanghai.
Viele hatten vor diesem Turniertag geglaubt, das Reizduell zwischen Novak Djokovic und Gael Monfils werde für die Abendsession angesetzt. Dann aber ergab der offizielle Spielplan den Auftritt Federers unter den Flutlichtstrahlern. "Es gibt sicher Dutzende von Spielern, die abends spielen wollen. Auch ich natürlich", sagte Federer, als er dazu gefragt wurde, "aber ich bin nicht der, der schließlich die Entscheidung macht." Es könne aber sein, so ergänzte Federer augenzwinkernd, "dass es mehr zählt, wenn ich frage."