Von Jörg Allmeroth aus New York City
Als diese erstaunliche Saison 2017 begann, am anderen Ende der Welt in Australien, da standen große Fragezeichen hinter ihren Namen. Hinter Roger Federer, dem verehrten Maestro, der aus einer sechsmonatigen Verletzungspause heraus an seinem schwierigen Comeback bastelte. Und hinter Rafael Nadal, dem Mann, der in den späteren Jahren seiner Karriere immer wieder von Verletzungen gebremst worden war - und dem man die ganz großen Titel kaum noch zutraute.
Erstaunliche Zeitreise
Aus Fragezeichen wurden dann aber Ausrufezeichen, ganz schnell sogar bei Federer, dem der denkwürdigste Coup seiner überragenden Karriere in Melbourne gelang - Grand-Slam-Titel 18 wie aus dem Nichts. Mittlerweile hat er sogar schon 19 Majors gewonnen, in Wimbledon rauschte er wie ein Expresszug durch die Konkurrenz, war im Theater der Träume nicht zu stoppen. Nadal, der ewige Rivale und Freund, war zwischendrin dick in den Schlagzeilen, er beherrschte die Sandplatzsaison wie in alten Glanzzeiten, und er holte sich "La Decima", den sage und schreibe zehnten French-Open-Titel im Pariser Sand.
Es wirkte alles wie eine Zeitreise, zurück in jene Epoche, in der Federer und Nadal sich die Tenniswelt fein säuberlich untereinander aufgeteilt hatten, runde zehn Jahre ist das her. Aber man fragte sich aber auch schlicht und einfach: Wie ist es möglich, dass sich die beiden älteren Herren noch einmal aufschwingen können zu Grand-Slam-Ruhm und einem alten, neuen Kampf um die Spitze der Weltrangliste?
Denn darum geht es ja auch bei den seit Montag laufenden US Open in New York, beim traditionell letzten und zugleich schillerndsten Major-Wettbewerb der Spielzeit. Um Platz eins in der Bestenliste, den Nadal derzeit schon wieder einnimmt, durchaus verblüffend. Und den ihm Federer, der bisher erfolgreichste Spieler der Saison, streitig machen kann und will, möglicherweise in einem Halbfinal-Showdown gegeneinander.
Federer will auf den Gipfel
"Natürlich will ich die Chance jetzt auch nutzen", sagt Federer, "Platz eins zu erreichen, hätte sogar größeren Charme als der nächste Grand-Slam-Titel." Wundern darf einen diese Priorität nicht bei Federer, der Mann ist schon immer geschichtsbewusst gewesen - und schaffte er den Coup, den Gipfelsprung, dann wäre er ja tatsächlich der älteste Spieler, der je Platz 1 belegt und auch zurückerobert hätte. 36 Jahre jung ist Federer, Anfang August feierte er Geburtstag, am 8.8., der achtmalige Wimbledongewinner.
Man muss Federers und Nadals Zweikampf um die Führung im Herrentennis, jetzt im Jahr 2017, in einem größeren Maßstab betrachten. Denn dieses Duell spielt sich auch vor dem Hintergrund einer veränderten Lage auf dem Arbeitsmarkt des Wanderzirkus ab. Seit vier, fünf Jahren ist die Belastung im Tourbetrieb noch einmal spürbar angewachsen, die Matches sind physisch anspruchsvoller geworden, jedes einzelne bei jedem Turnier, und sie sind auch länger geworden.
Drei Stunden Spieldauer selbst bei Best-of-Three-Modus sind keine Seltenheit mehr, es ist ein alles in allem ziemlich zermürbendes Geschäft geworden. Dass die Besten der Besten am meisten gefordert sind, ist eine logische Tatasache, sie spielen fast immer in der Endphase der Wettbewerbe mit - doch die 70 bis beinahe 90 Spiele, die sie auflisten in einer Saison heutzutage, bedeuten etwas anderes als noch vor einem Jahrzehnt. "Die Spiele sind im Schnitt einfach umkämpfter als je zuvor", sagt der Schwede Mats Wilander, "das spüren die Stars in den Knochen."
Schattenseite Verletztenmisere
Nicht jeder kann und soll sich Auszeiten erlauben wie der verdiente Meisterspieler Federer, der seine Einsätze schon seit Jahren dosierte und damit Verletzungen vorbeugen wollte. Die Stars sind die Schmuckstücke im Schaufenster der ATP, die besten Marketinginstrumente, sie haben deshalb auch strenge Verpflichtungen zum Antritt bei den Turnieren. Aber die Schattenseite hat sich in diesem Jahr eindringlich gezeigt - eine Verletztenmisere gerade im Spitzenbereich des Herrentennis. Die beiden Spieler, die als Nummer 1 und Nummer 2 in die Saison starteten, Andy Murray und Novak Djokovic, plagten sich mit Ermüdungserscheinungen und körperlichen Malaisen herum.
Djokovic beendete seine Saison längst wegen seiner Ellbogenverletzung, Murray, von Hüftschmerzen gepeinigt, sagte auf den letzten Drücker nun auch in New York ab. Weitere große Namen fehlen, Titelverteidiger Stan Wawrinka aus der Schweiz, der Japaner Kei Nishikori und der Kanadier Milos Raonic. Nicht zu vergessen: Schon in Wimbledon hatte eine wahre Aufgabeorgie angeschlagener Profis die Szene erschüttert, viele Spieler waren nach Wimbledon nur gekommen, um sich das üppige Preisgeld abzuholen. Und nicht, weil sie körperlich in der Lage gewesen wären, das Turnier seriös zu bestreiten.
Das alles schmälert die Leistung von Federer genau so wenig wie die von Nadal. Aber der Weg zurück in die engste Weltspitze, in die Achttausender-Regionen ihres Sports, wurde begünstigt durch diese neue, noch komplexere, noch strapaziösere Arbeitswelt. Auch Federer zwickte es zuletzt schon wieder im Rücken, trotz aller Pausen, trotz aller Auszeiten. "Ich bin froh, dass ich wieder normal gehen kann", sagte er vor dem Turnierstart nun in New York. Ob es nun aber auch auch auf Platz 1 gehen kann für ihn, das ist eine andere Frage.