Von Jörg Allmeroth aus New York City
Es war nicht der spektakuläre Abend eines bemerkenswerten Außenseiters, etwa von Philipp Kohlschreiber. Er machte nur das bittere Dutzend Niederlagen gegen seinen liebenswerten Spielverderber Roger Federer voll, in der Spätvorstellung unter den Flutlichtstrahlern im Arthur-Ashe-Stadion.
Aber auch Federer war nicht der Mann dieses Tages, dieser Nacht im Big Apple, nicht mal er, der Mann, der bei diesen US Open 2017 seinen tatsächlich 20. Grand-Slam-Titel holen kann und will - und der Kumpel Kohlschreiber mit nüchterner Routine und Effizienz 6:4, 6:2 und 7:5 abfertigte und sich auch nicht von einer Verspannung im verlängerten Rückenbereich davon abbringen ließ. Kurz nach dem Ende des zweiten Satzes eilte er deswegen mal in die Umkleidekabine, wurde schnell behandelt, war schnell wieder fit.
Federer wie Kohlschreiber, aber auch alle anderen Wettkämpfer der US Open standen am achten Turniertag im Schatten eines Meisterwerks von Beharrungskraft, Willensstärke und Trotzigkeit, das einer ablieferte, dessen Stern vor rund acht Jahren hier in New York aufgegangen war.
"Delpos" wunderliche Aufholjagd
Und der seit jenem Grand-Slam-Coup von einer bitteren Verletzungsserie, immer neuen Enttäuschungen und Rückschlägen niedergeworfen wurde, die es fast als kleines Wunder erscheinen lässt, dass er überhaupt noch in diesem herausfordernden Wanderzirkus unterwegs ist. Juan Martin del Potro, der argentinische Hüne, der Turm von Tandil, ist dieser Unverzagte, fast ein Sisyphos des Tennis, einer, der immer wieder neu anfängt, auch wenn sein Körper ihn aufs immer Neue im Stich lässt.
An diesem 4. September 2017, in den frühen Abendstunden, brachte er sich jedenfalls wieder als herausragender Matchplayer ins Gespräch, als einer, dem auf der Höhe seiner Kunst kaum Grenzen gesetzt sind. Auch nicht die, eine unmöglich scheinende Aufholjagd zu inszenieren, noch dazu gegen einen der starken Jungen der Branche, gegen den Österreicher Dominic Thiem. 1:6, 2:6, sowie 2:5 und 0:30 im vierten Satz lag del Potro gegen Thiem zurück, es hatte zwischenzeitlich schon gewirkt, als müsse er wegen einer Erkältung sogar wieder mal ein Match aufgeben - doch da geschah das Wunderliche, Unerklärliche.
Del Potro, der Kämpfer mit dem Spitznamen "El Palito", die Bohnenstange, kam zurück in das Duell, in aufgeladener Atmosphäre wie bei einem Davis-Cup-Match in Buenos Aires, vor Tausenden argentinischen Fans, holte er Punkt um Punkt, Spiel für Spiel, Satz für Satz auf. Bis er schließlich den Grandstand noch als 1:6, 2:6, 6:1, 7:6, 6:4-Triumphator verließ, im vielleicht emotionalsten Spiel überhaupt seit jenem Pokalerfolg hier im Big Apple.
Hände zum Himmel
"Das ist ein Match für die Ewigkeit. Unfassbar", sagte der oft Leidgeplagte, der auf dem Court vor Rührung niedergesunken war und die Arme später im Dankgebet zum Himmel reckte. Sogar zwei Matchbälle wehrte er ab in diesem sensationellen Thriller, einfach so mit zwei Assen.
Und nun? Die Dramaturgie bei diesem so seltsamen Grand-Slam-Turnier macht es möglich, dass sich die Endspielgegner von damals, del Potro und Federer, am Mittwoch wiedersehen - garantiert in einer weiteren Late-Night-Show im größten Tennisstadion der Welt. "Ich freue mich aufs Wiedersehen", sagte Federer, "es ist schön, dass er wieder so stark unterwegs ist."
Nur schade, dass sich Federer und der Argentinier vergleichweise früh begegnen jetzt, schon im Viertelfinale. Und dass Federer oder del Potro anschließend im Halbfinale vermutlich auf den Matador Nadal treffen werden, im nächsten großen Showdown - während sich in der unteren Hälfte die Außenseiter versammeln und einen Nobody ins Endspielrennen schicken werden. Es wird einer sein, soviel ist klar, der noch nie in einem Major-Finale gestanden hat.