"Nicht der wahre Stan"

Stan Wawrinka n
© getty

Es war die größte Überraschung an Tag 1: Das Aus von French-Open-Finalist Stan Wawrinka gegen Newcomer Daniil Medvedev hatte jedoch mehrere Gründe.

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Bis zum allerletzten Tag hatte er in Paris um den Titel gekämpft. Stundenlang rieb sich Stan Wawrinka unterm Eiffelturm in den zähen Rutschpartien auf Sand auf, bevor er schließlich in Rafael Nadal im Finalmatch seinen Meister fand.

Viel hatte sich Wawrinka auch für Wimbledon vorgenommen, für jenes Grand Slam-Turnier, dessen Sieggeheimnisse er für sich noch nicht hatte auflösen können. Er hatte sogar mit dem Amerikaner Paul Annacone als Berater sein Team erweitert, er wollte sich nicht nachsagen lassen, nicht alles versucht zu haben.

Doch als nun am ersten Abend der Ausscheidungsspiele an der Church Road die große Bilanz gezogen wurde, da war Wawrinka, ausgerechnet er, der große Verlierer: Mit versteinertem Gesicht marschierte der Romand nach einer einerseits schwarz auf weiß überraschenden, andererseits nicht völlig sensationellen 4:6, 6:3, 4:6, 1:6-Niederlage gegen den 21-jährigen Russen Daniil Medvedev vom Centre Court. Es war ein Moment, in dem es so aussah, als bliebe Wawrinkas sehnlicher Wunsch, auch einmal das berühmteste aller Tennisturniere zu gewinnen, für immer unerfüllt.

Mischung aus vielen Faktoren

Woran lag es, dass Wawrinka abermals unzeitig die Koffer packen musste? Am eigenen hohen Anspruch? Am Erwartungsdruck der Fans, der Tennisszene, die von einem dreimaligen Grand Slam-Sieger inzwischen stets bei den Topwettbewerben auch Topleistungen erwartet? Spielte auch Wawrinkas Knieverletzung eine gewisse Rolle, immerhin wurde der Weltranglisten-Dritte auch während des Spiels deswegen mehrfach behandelt? Es war vermutlich, wie so oft im Sport, eine Mischung aus vielen Faktoren, eine Verkettung von schwierigen Umständen, die Wawrinka erst taumeln und dann stürzen ließ.

Und, nicht zu vergessen: Er traf auch auf einen Gegner, von dem man noch hören wird im Welttennis.

Medvedev, in dieser Woche erstmals unter den Top 50 der Weltrangliste notiert, ist ein unorthodoxer Gegner, der auch anderen in Wimbledon Schwierigkeiten bereiten kann. Er wirkt immer etwas ungelenk, staksig, aber er verfügt über eine gute Technik und zudem die Unbeschwertheit der Jugend. Jedenfalls zeigte er in den brenzligen Situationen besonders der Sätze drei und vier kaum Nerven.

"Ich spielte einfach drauflos. Ich dachte gar nicht über das nach, was passierte", sagte Medvedev später, nachdem er den Centre Court-Rasen im Siegesrausch noch mit einem Kuss bedacht hatte. Es war, bemerkenswert genug, sein allererstes Spiel im Hauptfeld von Wimbledon - und auch das erste Grand Slam-Match auf einem Topcourt.

McEnroe sah nicht den wahren Stan

Alles hängt mit allem zusammen. Auch das ließ sich an diesem Tag getrost feststellen. Denn noch im letzten Jahr war Medwedew in der Wimbledon-Qualifikation an einem gewissen Marcus Willis gescheitert, dem Sunnyboy mit einem Weltranglisten-Platz jenseits der 700, der später bei einem denkwürdigen Rendezvous mit Roger Federer auf dem Centre Court aufschlug. Nun stand Medwedew im Hauptfeld, und er besiegte den Mann, der eigentlich nur zu gerne in Wimbledon einmal, wenigstens einmal aus dem Schatten von Roger Federer herausgetreten wäre.

Doch dafür reichten offenbar weder Wawrinkas psychische wie physische Kräfte aus, er wirkte eigentlich bei diesem Auftritt nie wie einer, der von sich und seiner Mission überzeugt war. "Man sieht ihm an, dass er am liebsten gar nicht auf diesem Platz stehen möchte", gab TV-Plaudertasche John McEnroe am Mikrofon der BBC zu Protokoll, "das ist nicht der wahre Stan. Nicht der Mann, der Grand Slam-Turniere gewinnen will. Und die auch gewinnt ab und zu."

Faktisch vorentscheidend für Wawrinkas Niederlage war das unkonzentrierte Aufschlagspiel beim 4:5-Rückstand im dritten Satz. Wawrinka hatte schon Spielbälle zum 5:5, doch binnen kürzester Frist waren dann Break und Satzverlust perfekt. Der vierte Satz war dann eine meist einseitige Angelegenheit zugunsten Medvedevs, der schon im bisherigen Verlauf der Rasensaison überzeugt hatte. Ganz anders als Wawrinka, der diesen Saisonabschnitt nun ohne einen einzigen Sieg beendete.

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