Alexander Zverev hat in Wien alles richtig gemacht. Er hat trotz Müdigkeit, trotz einer Magen-Darm-Erkrankung um jeden Ball gekämpft, hat seinem Unmut mit sich selbst ab und zu Ausdruck verliehen. Wie man das als ehrgeiziger Tennisprofi halt macht. Und er hat sich bei seinem Abgang beim Wiener Publikum bedankt.
Eine höfliche Geste, im Kontext des Freitagabends sogar eine große Geste. Dass Zverev unmittelbar danach auch seine Presse-Verpflichtungen professionell hinter sich gebracht hat, spricht ebenfalls für die Einstellung des 20-Jährigen.
Natürlich bleibt es Fans, die eine Eintrittskarte käuflich erworben haben, unbenommen, ihre Sympathien wohin auch immer zu verteilen. Eine dermaßen einseitige Stimmungslage hatte es zuletzt aber, abgesehen von den Davis-Cup-Partien, wohl bei den US Open in New York gegeben - als Dominic Thiem auf dem Grandstand Juan Martin del Potro gegenüberstand. Damals allerdings waren die Tribünen mit argentinischen Fans gespickt. Eher unwahrscheinlich, dass die Franzosen in der Stadthalle ähnlich in der Überzahl waren. Auch wenn Jo-Wilfried Tsonga natürlich jede Sympathiebekundung verdient, egal, von welcher Seite.
Aber, ganz ehrlich, dasselbe gilt auch für Alexander Zverev. Zumindest aber sollte die Etikette des Tennissports eingehalten werden. Genau dies bemerkte im Übrigen auch Turnier-Direktor Herwig Straka in seiner Abschluss-Pressekonferenz. Die Leidenschaft, mit der Zverev seinem Beruf nachgeht, ist vorbildlich. Alleine die Art und Weise, wie der gebürtige Hamburger in seinem zweiten Match gegen Gilles Simon einen Satzball abgewehrt hat, ist das Eintrittsgeld wert gewesen. Dass in manchen Situationen der Schläger fliegt - so what? Hand hoch, wer unter den Hobbyspielern nicht auch manchmal einen Materialtest anstrengt.
Erhöhter Druck
Zverev wird seit mindestens fünf Jahren erzählt, dass er eines Tages die Tenniswelt regieren wird. Wahrscheinlich schon länger. Und Alexander Zverev hat mit 20 Jahren geliefert, wozu die Sportskameraden Monfils, Tsonga, Gasquet, Raonic und Nishikori in ihren Karrieren zusammen genommen nicht imstande waren, nämlich zwei Titel bei 1000er-Turnieren. Und so ganz nebenbei bald Platz drei in der Weltrangliste, auf dem Zverev das Jahr voraussichtlich abschließen wird. Die Mahnung erfahrener Journalisten, man solle Zverev nicht zu sehr hypen, greifen nicht. Denn die Ergebnisse sind schon da. Die besten Ergebnisse seit der Becker-Stich-Ära.
Am Samstag ist in Österreich die wichtigste Jahreszeit angebrochen, in Sölden wurde die Skisaison eröffnet. Im ORF war ein Interview mit einer jungen Damen namens Stephanie Brunner zu sehen, die als größte Hoffnung der Österreicher galt (und das Rennen als sehr gute Vierte abschloss). Brunner sprach von der erhöhten Aufmerksamkeit, die ihr zuteil werde und dem damit verbundenen Druck. Das mag Frau Brunner subjektiv so empfinden, objektiv ruht die Last der sportlichen Verantwortung auf anderen Skifahrern, namentlich Anna Veith und Marcel Hirscher, beide derzeit rekonvalezent.
Wie groß aber muss dann erst der Druck auf Alexander Zverev sein, subjektiv und objektiv? Wo er doch im Zweifel immer an einem dreifachen Wimbledon-Sieger gemessen wird? Dass dieser Druck noch zu eher erstaunlichen Ergebnissen wie den Niederlagen wie etwa in Paris gegen Fernando Verdasco oder in New York gegen Borna Coric führt - geschenkt. Die Erfolge bei Grand-Slam-Turnieren werden kommen. Hoffentlich auch bald der Respekt des Publikums.