Von Florian Goosmann aus Singapur
Wenn Darren Cahill spricht, sollte man zuhören. Von wenigen Tagen gab Cahill der New York Times ein Interview, er sprach hierin unter anderem über seine Ex-Schützlinge Lleyton Hewitt und Andre Agassi, übers Coaching allgemein, und er sprach über das Jahr 2017 mit Simona Halep, das beide im Frühjahr zwangsläufig zu einem Übergangsjahr ausgerufen hatten. Halep war zum Ende letzten Jahres verletzt, auch zu Beginn diesen Jahres, das so richtig erst in Miami losgehen sollte - dort, wo sich die Wege der beiden dann erst mal trennten.
"Die Tatsache, dass sie hier in Singapur als Nummer 1 anreist, spricht absolut für sie", bemerkte Cahill. "Sie hat nur ein Turnier gewonnen, das war ein großes, in Madrid, aber sie hat sich mehrfach in eine gute Ausgangsposition gebracht. Sie kam in Rom ins Finale, wo sie mit dem Knöchel weggeknickt ist, als sie 5:2 in Satz eins gegen Svitolina führte. Dann hat sie es ins French-Open-Endspiel geschafft. Und das war ein bitteres Match gegen Jelena Ostapenko. Sie hatte monatelang nachts Tränen in den Augen, wenn sie daran gedacht hat, wie nah sie dran war, wie gut sie gespielt hat, und ihr das Match durch die Finger gerutscht ist."
Cahill lobte weiter, wie Halep all die Tritte in den Bauch weggesteckt habe, und dann sprach er einen bedeutsamen Satz: "Es zeigt, dass sie eine bemerkenswerte innere Kraft besitzt - sie ist viel stärker als sie selbst von sich denkt."
Entspannt und instinktiv
Haleps Match gegen Caroline Garcia könnte man an diesen Worten aufhängen. In Durchgang eins hatte sie nach einer 3:2-Führung schnell das 3:4 hinnehmen müssen, als sie Cahill auf den Platz rief. "Ich muss instinktiv spielen", sagte sie ihm zwei Mal, und Cahill ließ sie gewähren.
Als Garcia beim 4:4 und 30:15 aufschlug, ließ Halep ihrer bemerkenswerten inneren Kraft und ihrem Instinkt freien Lauf. Garcia machte Tempo, aber Halep trommelte einfach mit, immer weiter und weiter, der durchweg zügige Ballwechsel dauerte ewig, und als Halep gerade ein bisschen die Oberhand übernommen hatte, antwortete Garcia mit einer kurzen Vorhand-Cross. Haleps logischer Schlag wäre es eigentlich gewesen, ebenfalls cross zu spielen, weil sie nach rechts und ins Feld hineinlaufen musste und den Ball nur noch im Fallen annehmen konnte - und anderenfalls Garcia eigentlich einen zu guten Winkel ins freie Feld offenbart hätte.
Aber Halep, das merkte man bei diesem Ballwechsel bis in die letzte Reihe, wollte diesen Punkt zu sehr - und spielte: instinktiv. Sie zirkelte eine perfekte Vorhand longline über die eigentlich zu hohe Seite des Netzes, zur Überraschung Garcias, die ihre Rückhand ins Netz setzte.
Es war der Ballwechsel des Satzes, und kurz später hatte Halep den ersten Durchgang gewonnen. Den Zahn zog sie der Französin, als sie in Satz zwei mit Break im Rücken sowohl beim 2:1 als auch 3:1 jeweils einen 0:40-Rückstand wettmachte. Kurz später stand das 6:4, 6:2 fest.
Das Thema Instinkt griff Halep auch im Anschluss an das Match auf. "Ich habe gemerkt, dass ich zu sehr daran gedacht habe, einen bestimmten Schlag zu spielen. Und dazu hatte ich nicht das Selbstvertrauen, ich wollte mich etwas entspannen, nicht zu viel denken, nach Instinkt spielen. Weil das meistens gut geht. Also habe ich relaxt und gespielt, wonach ich mich in der Sekunde gefühlt habe - und das war viel besser."
Wozniacki stark
Guten Instinkt wird Halep auch am Mittwoch gegen Caroline Wozniacki brauchen. Die Dänin ließ Elina Svitolina beim 6:2, 6:0 keine Chance und spielte im nur knapp eine Stunde andauernden Match fantastisches Tennis, profitierte allerdings auch von vielen Fehlern der Ukrainierin, die, wie sie selbst meinte, "den Platz teilweise um Meilen verpasst" hat.
Am Samstag noch hatte Wozniacki darüber gesprochen, endlich das Ende des Tunnels und sich schon halb im Strandurlaub zu sehen - in Singapur scheint sie jedoch noch die letzten Reserven zu mobilisieren. Es war ihr erster Sieg über Svitolina, sie hat somit nicht nur die meisten Matchsiege des Jahres gelandet (57, bei 20 Niederlagen), sondern auch die meisten gegen Top-Ten-Gegnerinnen (11 Stück, bei 4 Niederlagen).