Olympisches Milchmännchen

Simon Ommer
30. März 201720:00
Kurt Angle wurde 1996 Olympiasiegergetty
Werbung
Werbung

Die WWE Hall of Fame bekommt bei WrestleMania 33 Zuwachs: Kurt Angle wird nach fast zwei Jahrzehnten im Wrestling-Zirkus in die Ruhmeshalle aufgenommen. Der 48-Jährige verdiente sich diese Ehre durch seine Leistungen als Entertainer im Ring, hat aber insgesamt viel mehr zu bieten: Olympisches Gold, ein gebrochener Hals und jede Menge Charisma zeichnen den US-Amerikaner aus. SPOX blickt auf eine unglaubliche Karriere und dunkle Stunden zurück.

Ein olympischer Goldmedaillengewinner in der WWE Hall of Fame? Um es mit einer Catchphrase von Kurt Angle zu sagen: "Oh, it's true!"

"Er war einer der begabtesten Athleten, die je in den Ring gestiegen sind, und es ist uns eine Ehre, ihn in der Hall of Fame zu begrüßen", schwärmte Paul Levesque, Fans besser bekannt als Triple H, als das neueste Mitglied angekündigt wurde.

Selten war eine Aussage passender als im Fall von Angle. Betrachtet man die letzten 20 Jahre, gibt es kaum einen Wrestler, der ähnlich viele Erfolge in der Vita stehen und das Business so geprägt hat.

Die Vorzeichen für eine erfolgreiche Laufbahn waren früh erkennbar, führten aber nicht zwangsläufig in die großen Hallen von RAW und SmackDown: Bereits in seiner Jugend entwickelte Angle eine alles umfassende Leidenschaft für Kampfsport, der damals aber noch recht wenig mit einer Show zu tun hatte, sondern vor allem eines war: harte Arbeit ohne viel Aufmerksamkeit.

Die ersten Erfolge des engagierten Youngsters aus Pennsylvania ließen nicht lange auf sich warten. Im Jahr 1987 gewann der damals 18-Jährige seinen dritten nationalen Juniorentitel im Freistilringen, nur wenige Monate später triumphierte er bei den Junioren-Weltmeisterschaften.

The Olympic Hero

Den Höhepunkt seiner Karriere auf der Matte erlebte Angle bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta. Mit 27 gewann er als Ringer die Goldmedaille im Schwergewicht - ein waschechter American Hero. Es war eine Leistung, die an sich schon beeindruckend genug war. Hinzu kam allerdings, dass Angle während des Turniers zwei Halswirbel gebrochen hatte - und trotzdem nicht aufsteckte.

Binnen weniger Wochen avancierte Angle durch seinen Willen und seine Leistungen zu einer Berühmtheit, dessen Ruhm in der Heimat neben all den Größen des Sports allerdings schnell wieder verblasste. Olympia eben. Rechnungen lassen sich in den Randsportarten nur bis zu einem gewissen Punkt bezahlen.

Kurz nach dem Gewinn der Goldmedaille widmete sich Angle deshalb erstmals seiner zweiten Leidenschaft - der Schauspielerei. The Olympic Hero, so sein Spitzname, hatte einige Werbeauftritte und trat in kleineren Rollen auf. Seine Ambitionen blieben jedoch ohne größeren Erfolg. Etwas musste sich ändern.

Auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld absolvierte er im Jahr 1999 ein Probetraining bei der WWF - der heutigen WWE - und unterschrieb anschließend einen Fünfjahresvertrag. Angle hatte die Verantwortlichen in Windeseile überzeugt, und das nicht nur aufgrund seines bekannten Namens und seiner Fähigkeiten auf der Matte.

Denn obwohl diese durch seine Zeit als Ringer auch heute noch nahezu unerreicht sind, war es die Entertainment-Seite, die Angle von vielen anderen Anwärtern abhob. Sein Debüt im November des gleichen Jahres gestaltete er gegen Shawn Stasiak bei den Survivor Series auf Anhieb erfolgreich, Angle blieb mehrere Wochen ungeschlagen, bis er beim Royal Rumble 2000 seine erste Niederlage kassierte.

Der vermeintliche Rückschlag auf dem Weg nach oben konnte dem Selbstvertrauen des US-Amerikaners allerdings nichts anhaben. Stattdessen sollte Angle das Jahr in bester Erinnerung behalten, wurde er von Vince McMahon doch als Goldjunge dementsprechend gepusht. Mit Stone Cold Steve Austin und The Rock hatte man zwar schon veritable Stars, aber es fehlte das "Babyface"-Gegenstück: Der gute Junge, Schwiegermutters Liebling. Der nebenher noch ein ganz neues Klientel an die TV-Geräte locken und dem Business auch "Credibility" verpassen konnte.

Intensität, Intelligenz, Integrität

So wurde Kurt Angle zum ersten Olympiasieger, der den WWE-Titel um seine Hüften schnallen konnte. Er gewann das King Of The Ring, später bezwang er im Kampf um den Gürtel The Rock.

In seinen Kämpfen verkörpert er stets seine drei Grundsätze "Intensität, Intelligenz und Integrität". Die Kombination aus Disziplin und Zuversicht sicherten ihm auch hinter den Kulissen eine große Anerkennung, die sich im Booking widerspiegelte: Immer wieder wurde Angle für seine harte Arbeit und Entschlossenheit belohnt. Die Ackerei und die vielen Auftritte fern der Heimat waren ihm aus seiner sportlichen Laufbahn ja zur Genüge vertraut.

Und bei allen technischen Fähigkeiten: Es war harte Arbeit, die den Goldjungen erwartete: Als er zur WWE kam, stand er zunächst im Schatten der Großen und musste sich vom "Milchbubi", der mitunter mit zu seiner Einlaufmusik passenden "You suck"-Rufen der Zuschauer zum Ring begleitet wurde, zum angesehenen Publikumsliebling hochkämpfen.

Nach all den Jahren im Business enthält die Erfolgsstory des Olympiasiegers heute fast schon unzählig viele Kapitel. Den WWE-Titel gewann er gleich viermal, die World Heavyweight Championship einmal, mit Chris Benoit wurde er Tag-Team-Champion. Über seine Zeit in der WWE sollte er später sagen: "Klar, der Sieger steht vorher fest. Aber die Fans wissen nicht, wer es ist - das macht diesen Sport so faszinierend."

Den Fans ganz besonders im Gedächtnis bleiben, sollte dabei eine ganz bestimmte Fehde.

Angles Storyline mit Stone Cold im Jahr 2001 bestimmte eine lange Zeit das Geschehen der WWE. Größere Gegensätze waren kaum möglich, als mit dem Bier kippenden, Mittelfinger zeigenden Austin. Letzterer verweigerte irgendwann jegliche Kämpfe gegen seinen Kontrahenten und versenkte dessen Medaillen gar im Detroit River.

Die Fehde fand ihren kuriosen Höhepunkt, als Austin im Ring eine Ansprache hielt und von Angle abrupt unterbrochen wurde. Der steuerte mit einem waschechten Milchwagen auf den Ring zu und fing an, Austin und weitere Akteure mit Milchtüten zu bewerfen. Anschließend holte er einen Schlauch hervor und schoss literweise Milch in den Ring - eine perfekte Reaktion auf eine ähnliche Bierdusche Austins zwei Jahre zuvor, in der Angle sein eigenes Image als Milchbubi gekonnt auf die Schippe nahm.

Blickt man auf die letzte Dekade, gibt es wohl kaum eine Fehde, die die Fans auf mehreren Ebenen unterhalten konnte. Dass Angle allerdings auch die andere Gangart drauf hatte, bewies er beim King of The Ring im Jahr 2001. Dabei schleuderte er den wagemutigen Shane McMahon durch gleich mehrere Glasscheiben, die zuvor nicht wie geplant durch Imitate ersetzt worden waren.

"Er sagte mir immer wieder, ich solle ihn durch die Glaswand werfen, als sie nicht brach. Ich sagte nein und er fing an zu fluchen", erinnerte sich Angle später. Warum er es doch tat - und beide anschließend im Krankenhaus landeten? "Es war Shanes großer Moment. Ich wusste, ich würde weitere haben, er nicht." Kurt Angle, der perfekte Company Man.

Wechsel zu TNA

Aber in der WWE gab es für ihn nicht nur goldene Momente. Der Sport forderte seinen Tribut, immer wieder wurde er von Verletzungen zurückgeworfen. Besonders der Nacken bereitete Angle Probleme. Während einer Verletzungspause übernahm er unter anderem in einer Storyline die Rolle des General Managers von SmackDown - und überzeugte auch in dieser Disziplin.

Auch nach seiner Rückkehr in den Ring kämpfte Angle mit den Folgen der Nackenverletzung. Er absolvierte zwar noch einige Kämpfe für SmackDown und RAW, musste sich jedoch jeden Abend mit Schmerzmitteln behelfen. Im August 2006 verkündete die WWE schließlich, dass Angle aus seinem laufenden Vertrag entlassen worden sei. Zuerst ging man von einer einseitigen Trennung aus, später gab Angle jedoch bekannt, dass er aufgrund seiner Verletzungen freiwillig zurücktrat.

Dieser Schritt bedeutete jedoch noch nicht das Karriereende. Er unterschrieb bei TNA (Total Nonstop Action) Wrestling und startete dort quasi eine zweite Karriere, wurde in zehn Jahren sechsmal World Heavyweight Champion und sicherte sich den Tag-Team-Titel sowie die Division Championship.

Angle profitierte besonders von dem deutlich weniger strapaziösen Zeitplan der Promotion, in der er im Jahr 2013 zum Mitglied der Hall Of Fame ernannt wurde. Verletzungen konnte er so zwar besser auskurieren, Probleme hatte er trotzdem. Im Januar 2016 war dann auch bei TNA endültig Schluss.

Die Schattenseite

Abseits der Kameras trank Angle übrigens keine Milch. Stattdessen spielte eine Alkohol- und Drogensucht, die vor allem durch Schmerzmittel befeuert wurde, eine Hauptrolle.

"Wenn man Olympiasieger ist, hat man eine gewisse Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Als ich zur WWE kam, hatte ich immer noch dieselbe Einstellung. Doch als ich dann abhängig wurde, war mir plötzlich alles egal. Mir war es egal, ob ich ein Vorbild war. Ich wollte einfach nur Drogen nehmen", sprach Angle offen über seine Sucht, an der er zwischenzeitlich zu zerbrechen drohte.

In diesen Kampf war er nicht unvorbelastet gegangen: Sein Vater starb als Alkoholiker, seine Schwester nach einer Überdosis Heroin. Der Bruder ermordete seine Schwägerin im Rausch. Angle selbst machte mehrfach Schlagzeilen durch Verhaftungen wegen betrunkenen Fahrens.

Rückkehr zur WWE?

Mittlerweile hat er seine Abhängigkeit bekämpft, seine Frau und Kinder waren dabei die größte Motivation. Sogar eine eigene App hat er entwickelt, die Abhängige im Kampf gegen die Sucht unterstützen soll.

Angle hat sich zurückgekämpft - nicht zum ersten Mal. Als Lohn und auch als Anerkennung für all die Opfer im Ring wartet nun das wohl letzte Wrestling-Highlight auf ihn zu: Er wird in die Hall Of Fame aufgenommen - und nur drei Tage später soll es bei WrestleMania 33 im Citrus Bowl in Orlando einen Kurzauftritt geben.

Zuletzt gab es sogar Spekulationen um eine aktive Rückkehr. Doch Angle stellte schnell klar, dass dies wohl ein Traum vieler Fans bleiben wird. "Ich bin nicht der Typ, der in Ruhestand geht und dann doch zurückkehrt. So war es beim Ringen als ich Olympiasieger wurde, so wird es auch beim Wrestling sein. Wenn ich weg bin, dann bin ich weg", verkündete er unlängst.

Und wir prosten ihm zum Abschied zu. Natürlich mit Milch.

Alle WWE-Champions in der Übersicht