Wie Homer Simpson im Atomkraftwerk

Alexander Maack
20. Juni 201618:49
Homer Simpson in der Formel 1? Lewis Hamilton ließ in Baku eine Parallele erkennengetty
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SPOX-Redakteur Alexander Maack bewertet nach jedem Grand Prix die fahrerischen Leistungen der Formel-1-Piloten und stellt sein persönliches Driver-Ranking auf. Teil 8 der Saison 2016: Der "Große Preis von Europa" im asiatischen Azerbaidschan, genauer Baku. Dabei: Lewis Hamilton wandelt auf Homers Spuren, Nico Rosberg regiert dank Sergio Perez' Patzer. Felipe Nasr überzeugt erstmals in diesem Jahr und Kimi Räikkönen zeigt, dass er's noch kann.

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Platz 1, Nico Rosberg: Zweiter Grand Slam in Rosbergs Formel-1-Laufbahn nach dem Russland-GP 2016! Noch Fragen? Rosberg fuhr auf die Pole-Position, er behielt die Führung nach dem Start, er gab sie nicht mal beim Boxenstopp ab und kurz vor der Zieldurchfahrt haute er noch mal eben die schnellste Rennrunde aller Piloten raus. Was er noch besser machen könnte?

Er hätte schneller fahren müssen. Unverständlich? Rosberg war der langsamere Mercedes-Pilot. Im Qualifying hatte er im ersten Sektor Probleme. Hamilton war auf Pole-Kurs. Doch das kann man auch zum Vorteil des Deutschen auslegen: Er hatte seinen Mercedes unter Kontrolle, blieb auf der Strecke und zerlegte ihn nicht in der Mauer.

Für die Szene des Wochenendes sorgte Rosberg schon am Freitag: Als sein Mercedes stehen blieb, entschied er sich nicht etwa griesgrämig zur Box zurückzueilen, er stellte sich für eine spontane Fotosessions mit den aserbaidschanischen Marshals zur Verfügung und schaute sich das Ende des 2. Trainings in bester Fernando-Alonso-Manier im Camping-Stuhl mit Dosenhalter an.

Platz 2, Sergio Perez: Force Indias Mexikaner hätte die Bestnote verdient. Ein überragendes Qualifying mit der Fahrt auf Position 2, ein starkes Rennen mit dem siebten Besuch auf dem F1-Podium in seiner Karriere. Mehr hat kein Mexikaner geschafft. Pedro Rodriguez, mit dem Perez in Baku gleichzog, gewann allerdings den Südafrika-GP 1967 und den Belgien-GP 1970.

Wie schon in Monaco bemerkt: Immer, wenn der Force India läuft, zeigt Perez eine Glanzleistung, während Nico Hülkenberg sich kostbare Fehler leistet. Doch in Aserbaidschan machte auch Perez Fehler. Er hätte auf Platz 2 durchs Ziel fahren können, hätte er den Force India nicht im 3. Freien Training unnötigerweise zerlegt, damit das Getriebe beschädigt, einen Wechsel des Teils erzwungen und dafür eine Strafversetzung um fünf Plätze kassiert. Für diese Dummheit bekommt der Mexikaner von mir Abzüge, die ihn im Driver-Ranking hinter den Deutschen zurückwerfen.

Platz 3, Sebastian Vettel: Daniel Ricciardo und Sergio Perez hielten im Qualifying mit dem vierfachen Weltmeister mit. Eine Enttäuschung? Sicher. Nur ist sie nicht Vettel anzulasten: Er hatte die üblichen drei Zehntel Vorsprung auf seinen Teamkollegen Kimi Räikkönen, er war der schnellere Ferrari-Pilot im Rennen.

Vettel sicherte sich den Platz vor Räikkönen und Perez auch, weil er Ferraris Strategie dieses Mal in Frage stellte. Der Heppenheimer widersetzte sich dem Ratschlag, Red Bulls Undercut durch einen ebenso frühen Boxenstopp abzuwehren. "Letztendlich treffe ich die Entscheidungen, denn ich lenke das Auto", sagte Vettel. Er hatte Recht: Die Reifen erholten sich, er fuhr schnellere Zeiten auf den Supersofts als es Ricciardo nach dem Wechsel tat.

Platz 4, Valtteri Bottas: Williams braucht dringend Kühlakkus. Vor den heißen Sommermonaten offenbarte der Renner aus Groves mal wieder sein Problem: Sobald das Thermometer klettert, frisst er die Pirelli auf. Bottas bekam das Übersteuern seines Autos im Gegensatz zu seinem Teamkollegen immerhin halbwegs in den Griff. Felipe Massa musste einmal mehr die Box ansteuern und verspielte so die bessere Ausgangslage.

Der Brasilianer fiel von Startplatz 5 auf Rang 10 zurück, sein finnischer Partner verbesserte sich um zwei Positionen auf Rang 6. Trotzdem werden sich bei Williams sämtliche Beteiligten ärgern. Wenn Force India aufs Podest fährt, wenn Manor Q2 schaffen kann, dann muss Williams mehr erreichen, als gerade so in die Top 6 zu kommen.

Platz 5, Felipe Nasr: Der Brasilianer war in dieser Saison der heißeste Kandidat auf einen der letzten Plätze im Driver-Ranking. Er fuhr einfach pomadig. Saubers Entscheidung, die Ingenieurmannschaft umzubauen, scheint sich für ihn bezahlt zu machen.

Nasr stellte den C35 in Q2, er profitierte dabei von Jenson Buttons Fehler. In der ersten Runde nutzte er den Kontakt zwischen Esteban Gutierrez und Hülkenberg und arbeitete sich weiter nach vorn. Anschließend spielte er den Schattenmann von Button. Das war so nicht zu erwarten. Endlich deutete Nasr mal wieder an, warum seine brasilianischen Sponsoren so viel Geld in ihn investieren.

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Platz 6, Kimi Räikkönen: Mit höheren Temperaturen war der Iceman in der Lage, mehr aus seinem Ferrari rauszuholen als bei der unterirdischen Vorstellung vor einer Woche. Drei Zehntel fehlten im Qualifying, Standard. Nach dem frühen Reifenwechsel musste Räikkönen am Sonntag extrem auf die Reifen aufpassen. Das schaffte er. Zudem bewies der 36 Jahre alte Routinier seine Teamplayer-Qualitäten als er den schnelleren Vettel im zweiten Stint vorbei ließ.

Allerdings muss es einen kleinen Abzug für die Fünf-Sekunden-Strafe geben, die der Finne sich selbst einbrockte. Räikkönen überfuhr bei der Boxeneinfahrt die weiße Linie. Zwar gab er im Nachhinein an, das habe ihm keinen Zeitvorteil gebracht. Das ändert aber nichts daran, dass er dadurch Platz 3 abhaken musste. Was Räikkönen noch verbessern muss: seine Pace auf den Supersofts zu Beginn des Rennens. Die war schwach. Fünf Sekunden nahm Vettel seinem Teamkollegen ab, bis der an die Box fuhr. Zu viel.

Platz 7, Daniil Kvyat: Erholt sich der Russe nach seiner Strafversetzung zu Toro Rosso? Nachdem ihn Carlos Sainz jr. im Toro-Rosso-internen Duell beim Qualifying in Kanada noch mit einer famosen Aufholjagd in den Schatten gestellt hatte, drehte der Russe den Spieß in Baku entschieden um.

Die Eingewöhnungsphase scheint abgeschlossen. Die Zusammenarbeit mit den Ingenieuren passte in Aserbaidschan. Kvyat fühlte sich wohl im Auto und holte Startplatz 6 raus - obwohl Baku Pferdestärken fordert wie kaum eine andere Strecke und im Toro Rosso ein Vorjahresferrari steckt. Dass beide Fahrer mit Aufhängungsschäden ihre Autos abstellen mussten, dürfte dem Team aus Faenza zu denken geben.

Platz 8, Fernando Alonso: Banzai! Der selbsternannte Formel-1-Samurai startete das Rennen mit einem Hochrisikomanöver auf der Außenbahn: Er torpedierte sich an Lewis Hamilton vorbei, wurde dann aber von Max Verstappen aufgehalten und musste sich hinter dem Weltmeister wieder einordnen. Und sonst? Bestätigte Alonso einmal mehr, dass er der schnellere McLaren-Fahrer ist. Bis zu seinem Ausfall fuhr er direkt vor Jenson Button. Im Qualifying schaffte er es über Q1 hinaus.

Platz 9, Romain Grosjean: Die Geraden und die Wärme halfen Haas, ihr Auto wieder auf Betriebstemperatur zu bekommen. Der VF16 lief wesentlich besser als zuletzt, Grosjean fand sein Vertrauen auf der Bremse wieder und nutzte es direkt.

Grosjean verpasste die Top 10 am Samstag um ein Zehntel und nahm Esteban Gutierrez dabei eine halbe Sekunde ab. Am Sonntag hielt der Franzose Hülkenberg hinter sich, nur musste er unverschuldet einen zusätzlichen Stopp einlegen. Irgendetwas hatte seine Kühlung verstopft.

Platz 10, Daniel Ricciardo: Der Australier ist wohl der Liebling des Driver-Ranking. Ricciardo liefert kontinuierlich seine Leistung ab, er ist ein herausragender Qualifyer. Trotzdem kam er in Baku nicht komplett an seine gewohnte Performance heran. Ricciardo hatte mit dem Red Bull im Rennen Probleme. Das Team hatte das Monza-Kit ans Auto geschraubt. Kaum Abtrieb auf der Hinterachse sollte den Topspeed-Nachteil auf der Geraden ausgleichen.

Der Plan funktionierte zwar halbwegs, es bedeutete aber, dass Ricciardo wie Teamkollege Max Verstappen auf der übrigen Strecke extrem auf die Hinterreifen aufpassen musste. Das wirkte sich nachteilig aus: Red Bull musste mit beiden Autos zweimal an die Box, erst mit dem Medium ging es im letzten Stint ordentlich voran. Da war das Rennen schon gelaufen.

Härtefall, Lewis Hamilton: Der Weltmeister war in Aserbaidschan der schnellste Mann. Die vielen engen Kurveneinfahrten kommen seinem Können auf der Bremse entgegen. Nur: Purer Speed macht einen nicht zum Champion. Ein Formel-1-Fahrer braucht seit jeher mehr. Neben der Schnelligkeit braucht er Erfahrung, Instinkt und muss die Technik im Griff haben. All das bekam Hamilton in Baku nicht hin. Er überzog im Qualifying maßlos. Verbremser, Bremsplatte, Ausritte und schließlich der Kontakt mit der Mauer.

Dann das Rennen und die Probleme mit Mercedes' Motorensteuerung: Rosberg fand mit dem richtigen Gefühl und etwas Glück binnen einer halben Runde die richtige Einstellung, Hamilton brauchte 15 Runden dafür. Der Brite verlor so Zeit. Er sprach von einer Sekunde pro Runde, seine Ingenieure von zwei Zehnteln. Die zweite Berechnung entspricht der Realität eher. Hamilton wirkte wie Homer Simpson bei der Bedienung des Atomkraftwerks, als er vorschlug, wahllos alle Einstellungen am Lenkrad zu ändern.

Es kommt vor, dass ein Fahrer etwas länger braucht, um den richtigen Modus zu finden. Wer sich allerdings noch unter der Woche selbstbewusst rühmt, er bräuchte die technischen Leitfäden im Gegensatz zu seinem Teamkollegen nicht und die Simulatoren der gesamten Formel 1 seien wie Playstations, der muss liefern. Hamiltons Instinkt hat ihm nicht weitergeholfen. Der Weltmeister muss mit ein wenig Spott leben. Rosbergs Vorbereitung scheint professioneller.

Randbemerkung, Europa-GP: Falls sich jemand fragt, warum er hier nirgends die Formulierung "Europa-GP" liest: Aserbaidschan liegt in Vorderasien, das ändert auch die Namensgebung des Formel-1-Managements nicht. Dass die Königsklasse hier ein Rennen fährt, ist dagegen vollkommen richtig: Die Region Baku ist die Heimat der Erdölförderung und damit sehr wohl Motorsportrelevant. Zur Einordnung: Hitler-Deutschland versuchte nach dem Steckenbleiben im Russland-Feldzug mit dem Fall Blau irgendwie noch nach Baku vorzudringen.

Zu viel Geschichte, zu viel Politik für ein Driver-Ranking. Hermann Tilke hat seine Kritiker Lügen gestraft und eine spektakuläre Strecke in die Straßen am Kaspischen Meer gezeichnet. Auf der haben sich sämtliche Fahrer am Sonntag ein Sternchen verdient: Nach dem G2-Chaos am Samstag, als die Hälfte des Feldes ausfiel, und dem GP2-Chaos am Sonntag, als Honda-Förderfahrer Nobuharu Matsushita mit fragwürdigen Restarts für Kollisionen und eine Rennsperre sorgte, war auch beim Hauptevent Durcheinander zu erwarten. Das blieb aus. Weil die F1-Piloten ihre Erfahrung ausspielten.

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