Für Sebastian Vettel wurde sein letzter F1-Grand-Prix noch einmal sentimental. Zu seinem Abschied aus der Königsklasse des Motorsports wurde der 35-Jährige mit Huldigungen von Wegbegleitern, Fans, aber auch ehemaliger Rivalen überhäuft. Dass Vettel sich einer derartigen Beliebtheit erfreut, ist nach einem Blick auf seine Karriere keine Überraschung, sondern vielmehr die logische Konsequenz. Eine Würdigung.
Die Formel 1 hat in den vergangenen Jahren viele Größen ihres Sports in den Ruhestand verabschiedet. Kimi Räikkönen, Jenson Button, Nico Rosberg, Fernando Alonso (zwischenzeitlich), Rubens Barrichello oder Felipe Massa - sie alle haben große Karrieren, zahlreiche Siege oder gar Weltmeistertitel vorzuweisen. Dennoch kann keiner von ihnen behauptet, einen Abschied wie Sebastian Vettel genossen zu haben.
Alle 20 Fahrer des 22-Grids trafen sich am Donnerstagabend in einem Edel-Restaurant in Abu Dhabi, um einen ihrer Größten gebührend auf dem Weg zu seinem letzten Formel-1-Rennen zu begleiten. Stahlende Gesichter bei den Gruppenfotos und ausgelassene Stimmung bei den zahlreichen Videoclips zeugen von einem gelungenen Abend.
Zwei Tage später versammelte Vettel dann beim "Run with Seb" rund 200 Personen aus dem Formel-1-Fahrerlager um Fahrer, Teammitglieder, Verantwortliche und Medienschaffende, um mit ihm eine Runde auf dem Yas Marina Circuit zu laufen. Er habe "alle zusammentrommeln" wollen, um etwas "gemeinsam" zu machen, sagte er später bei Sky.
Wie kaum ein anderer Fahrer in der Vergangenheit wurde Vettel von Kollegen respektiert und geschätzt. Eine ähnlich euphorische und wertschätzende, gleichzeitig aber auch traurige Stimmungslage hinsichtlich der Endgültigkeit des Karriereendes gab es nur bei einer anderen Legende des Sports, vielleicht sogar der größten aller Zeiten: Vettels Freund und Mentor Michael Schumacher.
imago imagesFormel 1: Sebastian Vettel erfährt Respekt von Konkurrenten
In seinen 16 Jahren in der Königsklasse des Motorsports hat es Vettel mit seiner Aufrichtigkeit geschafft, viele Menschen in seinen Bann zu ziehen. Selbst solche - und da schließe ich mich auch persönlich mit ein - die ihm anfangs noch skeptisch gegenüberstanden und mit seiner Art wenig anzufangen wussten. Aus Kritikern und erbitterten Rivalen wurden Fans und teilweise sogar Freunde.
Mit Fernando Alonso etwa lieferte er sich 2010 und 2012 hitzige Kämpfe um die WM. Knapper Sieger jeweils: Vettel - was beim stolzen Spanier Alonso einige Bitterkeit hinterließ. Beim Großen Preis von Abu Dhabi aber trug Alonso aus Respekt einen Helm im klassischen Vettel-Design mit schwarz-rot-goldenen Längsstreifen und der Botschaft "Danke Seb". Für das Rennen wurde sogar ein Nichtangriffspakt vereinbart. "Ich werde auf ihn am Start und auf der ersten Runde aufpassen", kündigte Alonso an. Und daran hielt sich der Spanier auch.
Dem mittlerweile siebenmaligen Weltmeister Lewis Hamilton fuhr Vettel 2017 in Baku ebenfalls in einem hitzigen Titelduell nach einer emotionalen Fehleinschätzung seitlich ins Auto. Hamilton forderte den Deutschen danach dazu auf, die Angelegenheit "wie Männer" zu klären. Heute sagt der Brite: "Unsere Freundschaft ist dadurch besser geworden."
Und so können viele Wegbegleiter und Fans ihre ganz persönliche Geschichte zum Heppenheimer erzählen. Bei mir ist es der Wandel von einem oft verbissen und unsympathisch wirkenden Vettel während seiner Hochzeit bei Red Bull zu jemandem, der über den Tellerrand hinausschaut, sich für viele wichtige Themen abseits der Formel 1 einsetzt und mit seiner lockeren und ungezwungenen Art zu begeistern weiß.
Dass es ein langer Weg zu diesem mittlerweile in Bewunderung mündenden Verhältnis war, welches ich und viele andere zu Vettel haben, hatte auch seine Gründe. Man denke zurück an die verweigerte Muli-21-Teamorder gegenüber Red Bull zu Ungunsten Mark Webbers, sein Theater nach der gegen ihn verhängten Strafe in Kanada 2019 oder das bereits thematisierte Duell in Baku 2017. Vettel war hier und da nicht der einfachste Fahrer. Ein Typ mit Charakter, der aber auch aneckt.
Hinzu kam eine nicht enden wollende Dominanzphase ab 2010, die in einem absolut ungefährdeten und rekordbrechenden Titelgewinn 2013 gipfelte. Andauernder Erfolg bringt viele Kritiker und Hater mit sich. Aufgrund der lauten Forderung nach einem Wechsel an der Spitze wurde für 2014 schließlich die Turbo-Ära eingeläutet, die dem Siegeszug des Deutschen ein Ende bereiten sollte.
gettyFormel 1: Sebastian Vettel spricht wichtige Themen an
Erst als der Erfolg in seinem letzten RB-Jahr und nach seinem Wechsel zu Ferrari dann tatsächlich ausblieb und sich auch der Schritt zu Aston Martin aus sportlicher Sicht nicht als Glücksgriff erwies, wurde Vettel für viele Fans und Weggefährten zugänglicher. Er selbst schien sich nicht mehr zu ernst zu nehmen, wirkte deutlich weniger verbissen und entwickelte sich immer mehr zu einer Art moralischem Gewissen der Formel 1.
Offen sprach der Heppenheimer Missstände und Unzulänglichkeiten der Rennserie bezüglich der globalen Klimakrise an und war ein wichtiger und angenehmer Gegenpol in einer oft nur an Profit interessierten Branche. Leidenschaftlich sammelte er an Rennwochenenden Müll ein, baute Hotels für Bienen und setzte sich für Minderheiten ein.
Dass das nicht immer mit seinem F1-Engagement einherging, ist selbstredend. Ohne jegliche Hemmungen expandierte die Königsklasse in den vergangenen Jahren mit Grands Prix in Saudi-Arabien und Katar in den arabischen Markt - dorthin wo Menschenrechte und menschengemachter Klimawandel maximal an zweiter Stelle stehen. Dass Vettel genau dort in die Kerbe schlug und vor öffentlicher Kritik an den F1-Bossen nicht zurückschreckte, sollte dann auch die letzten Kritiker verstummen lassen.
Er selbst ist mit sich auf jeden Fall im Reinen, auch wenn er in den letzten Jahren nicht mehr an die Erfolge seiner Prime anklopfen konnte. Die Entscheidung zum Rücktritt sei beginnend mit dem Corona-Stillstand 2020 und seiner Ferrari-Ausbootung langsam gereift. Das Adrenalin werde ihm fehlen, "das macht mich traurig", sagte er zwar, doch er unterstrich vor allem die positiven Aspekte. Er habe "sicherlich viele Möglichkeiten", der Vater von drei Kindern freut sich aber "auf das Nichts. Ich will mehr über mich selbst lernen, mich überraschen lassen, Zeit mit der Familie verbringen."
Ob wir ihn nochmals auf einer Großen Bühne sehen, steht noch in den Sternen. Hamilton ist sich beispielsweise sicher, dass der Heppenheimer "wiederkommen wird". Vettel meinte, dass Rallye fahren "eine große Herausforderung, ganz anders als die Formel 1" sei. Völlig unabhängig davon muss man Vettel aber für eine große Karriere beglückwünschen und sich für seinen Beitrag in diesem Sport bedanken. Danke Seb!
Sebastian Vettel im Steckbrief
Name | Sebastian Vettel |
Geburtsdatum | 3. Juli 1987 |
Alter | 35 Jahre |
Nationalität | Deutsch |
Größe | 1,75 Meter |
Aktuelles Team | Aston Martin |
Vorherige Teams | BMW Sauber, Toro Rosso, Red Bull, Ferrari |
Erster GP-Start | USA-GP 2007 |
GP-Starts | 299 |
WM-Punkte | 3098 |
Siege | 53 |
Podestplätze | 122 |