Er war 16 Jahre lang Präsident des Automobilweltverbands und ist einer der ganzen großen Namen der Formel 1: Max Mosley. Vor dem Japan-GP (alle Sessions im LIVE-TICKER) spricht der 75-Jährige im exklusiven Omnisport-Interview über die Gefahren der Königsklasse, die vergebliche Einführung einer Kostenobergrenze, die Hightech-Motoren, VW, den großartigen Sinn für Humor von Bernie Ecclestone und seine Ideen, um für mehr Spannung zu sorgen.
Frage: Herr Mosley, Sie haben den Automobilweltverband von 1993 bis 2009 als Präsident angeführt und in diesem Jahr ihre Autobiographie "Formula One and Beyond" veröffentlicht. In Ihre Zeit als FIA-Präsident fielen die Todesfälle von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna. Sie haben anschließend die Sicherheitsvorkehrungen verbessert. Dennoch starb Jules Bianchi vor einem Jahr beim Japan-GP.
Mosley: Jeder hat von ihm in den höchsten Tönen gesprochen. Der Unfall war extrem unglücklich und danach wurden dumme Dinge gesagt. Einige sagten, es dürfe keinen Traktor auf der Strecke geben. Man kann das andere Auto aber nicht da stehenlassen und man kann es manchmal nur mit einem Traktor bergen. Leider hat Bianchi sein Tempo nicht stark genug gedrosselt. Das ist auch ein Versäumnis der FIA. Von Beginn an sollten Fahrer lernen, dass Gelbe Flaggen Gefahr, geschwenkte Gelbe Flaggen 'Fahrt langsam' und doppelt geschwenkte 'Fahrt langsam und seid bereit unmittelbar zu stoppen' bedeuten. In den kleineren Kategorien werden diese Regeln nicht streng umgesetzt. Meiner Meinung nach müssten die Marshalls die Rennleitung informieren, wenn sie glauben, dass ein Fahrer die Flaggen nicht beachtet hat. Es würde sicher Fehlbeurteilungen wie beim Fußball geben, aber lieber ein paar unfaire Strafen als Todesfälle oder schwere Unfälle.
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Frage: Die in den letzten zwei Jahrzehnten gebauten Strecken erhöhen bei einigen Fahrern durch die weiten Auslaufzonen die Bereitschaft zum Risiko. Suzuka gehört als klassischer Kurs nicht dazu. Dort gibt es etwa noch Kiesbetten. Hätte die Sicherheit nach dem Unfall weiter verbessert werden müssen?
Mosley: Es ist sehr schwer, die richtige Balance zu finden. Manche sagen, es wäre schon zu sicher. Sie sagen es solange, bis etwas passiert. Wenn jemand stirbt, ist das für ihn kein Problem. Er ist tot. Aber für Familie, Freunde und jeden um ihn herum ist es schrecklich. Der Tod darf kein Bestandteil des Sports sein. Es geht bei der Verbesserung der Sicherheit immer darum, die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls zu reduzieren.
Frage: Glauben Sie, dass die Fahrer in der Saison 2015 mit einer anderen Einstellung nach Suzuka zurückgekehrt sind?
Mosley: Das bezweifle ich stark. Rennfahrer reden manchmal ein bisschen über Sicherheit, prinzipiell ist es aber so: Wenn Sie einem Rennfahrer zwei Autos geben - das eine sehr sicher und das andere sehr gefährlich, dabei aber zwei Sekunden pro Runde schneller - dann wird jeder Rennfahrer das gefährliche Auto fahren wollen. Sie denken nicht an Sicherheit. Wenn sie daran denken, ist es Zeit fürs Karriereende. Deswegen muss der Dachverband sagen: 'Nein. Nicht das gefährliche Auto.'
Frage: Der einzige, vom Auto ungeschützte Körperteil eines Formel-1-Fahrers ist noch immer der Kopf. Zuletzt starb Justin Wilson in der IndyCar-Serie, weil ihn Trümmer am Helm trafen. Sind geschlossene Cockpits die Lösung?
Mosley: Es gibt Unfälle, die durch geschlossene Cockpits wohl verhindert worden wären: Die Feder, die Felipe Massa traf. Das Rad, das John Surtees traf. Aber der Bianchi-Unfall wäre dadurch nicht anders ausgegangen. Da wirkten zu große Kräfte. Diesen Aufprall hätte nichts gestoppt. Die FIA hat schon zu meiner Zeit die Sicherheit kontinuierlich erforscht. Das ist ein fortlaufender Prozess. Die Ingenieure und Konstrukteure schauen sich die Details sorgfältig an und tauschen Argumente aus. Deshalb ist bis jetzt nichts passiert, ein Schnellschuss wäre primitiv und würde nicht wirken. Ein gutes Beispiel dafür: Die Einführung der neuen Schutzhelme hat fünf Jahre gedauert. Wenn Massa keinen getragen hätte, wäre er mit Sicherheit stärker verletzt worden.
Frage: Eines Ihrer zentralen Projekte als Präsident, die Einführung einer Kostenobergrenze, ist bis heute nicht realisiert. Derzeit steht mit Lotus mal wieder ein Team vor der Insolvenz. Warum ist der Sport bis heute nicht wirtschaftlich gesund?
Mosley: Sowas kann man nicht einführen, ohne einige Teams zu verärgern. So war es schon immer. Bis 2002 gab es reine Qualifying-Autos. Sie wurden am Samstag mit einem Motor gefahren, der nur 50 Kilometer hielt, weil er kaum Kühlung hatte. Nach einer schnellen Runde wurden die Autos über Nacht komplett umgebaut. Ich habe den Teams im Januar 2003 gesagt, dass wir die Autos nach dem Qualifying unter Parc-Fermé-Regeln stellen und sie bis zum Start nicht herauslassen. Sie konnten also weiter ein Qualifying-Auto bauen, wären damit im Rennen aber wohl nicht so gut gewesen. (lacht) Einige Teams waren darüber stinksauer. McLaren und Williams haben ein Schiedsgericht einberufen: Es wäre abscheulich, was ich gemacht habe, Fahrer würden sterben, weil die Autos nicht richtig vorbereitet wären. Am Ende haben wir einen Kompromiss gefunden und die Qualifying-Autos abgeschafft. In der Saison danach kamen zum ersten Mal seit den 60ern bei einem Rennen alle Autos ins Ziel.
Frage: Das heißt, die Teams dürfen nicht an der Regelgebung beteiligt sein? Das ist immerhin der aktuelle Stand.
Mosley: Wenn man den Sport ordentlich führen will, dann kann man sie nicht immer zufriedenstellen. Es gab bei der Kostenobergrenze zwei Möglichkeiten. Die erste war, eine einfache Kostendeckelung einzuführen: 'Ihr dürft nicht mehr als X ausgeben' und das hätte alles einbezogen, auch die Fahrer und das Motorhome. Das hätte funktioniert. Wir hatten zwei absolute Topleute der Wirtschaftsprüfer von Deloitte dabei, die alles gecheckt haben. Die andere Möglichkeit wäre gewesen, willigen Teams größere technische Freiheiten einzuräumen und es so zu arrangieren, dass sie mit sehr wenig Geld konkurrenzfähig gewesen wären. Das haben die großen Teams gehasst. Eines sagte, es wäre schrecklich, wenn plötzlich Marussia gewinnen würde. Für sie wäre es vielleicht schrecklich, aber für die Öffentlichkeit wäre es faszinierend. Für das Interesse am Sport wäre es die Antwort schlechthin. Die einzige Möglichkeit, das umzusetzen, wäre gewesen, dass ich nach dem Jahr 2009 noch ein Jahr weitergemacht hätte. Ich musste mich aber in England um andere Dinge kümmern.
Frage: Derzeit treiben die Zahlungen für die Antriebseinheiten die Kosten der kleinen Rennställe in die Höhe. Die Strategiegruppe der Formel soll sich darauf geeinigt haben, dass Kundenteams künftig pro Saison 12 Millionen Euro bezahlen. Ist das der richtige Weg?
Mosley: Zunächst möchte ich festhalten, dass die Hightech-Motoren gut für die Formel 1 sind. Selbst wenn die Fans es nicht mögen, zahlen die großen Unternehmen dafür. Sie haben Programme der unternehmerischen Gesellschaftsverantwortung und müssen etwas nützliches tun. Diese Forschung ist nützlich. Das Problem ist, dass die Hersteller für die Motoren verlangen dürfen, was sie wollen. Das führt zu der absurden Situation, dass die für die Straßentechnologie relevante Forschung zum Teil durch die Formel 1 bezahlt wird. Die Regel hätte lauten müssen, dass ein Hersteller von Formel-1-Antrieben jedes Team beliefern muss, das daran interessiert ist, und zwar für einen ziemlich niedrigen Betrag von 3 bis 5 Millionen Euro. Wenn dann keiner einsteigen will, wird ein kommerzieller Motorenhersteller wie Cosworth oder Mecachrome beauftragt. Tatsächlich wären die Hersteller wohl trotzdem eingestiegen.
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Frage: Renault denkt als einer der vier aktuellen Hersteller derzeit darüber nach, sich aus der Formel 1 zu verabschieden.
Mosley: Das fundamentale Problem der Hersteller ist, dass sie alle gewinnen müssen und nur einer gewinnen kann. Sie kommen und gehen deshalb, wie es ihnen passt. Keinen unabhängigen Motorenhersteller zu haben, ist gefährlich. Außer Fiat mit Ferrari sind die Hersteller teils fünf oder sechs Mal in die Formel 1 eingestiegen, seit die Weltmeisterschaft mit der Saison 1950 startete. Ich hätte Cosworth und Mecachrome gebeten, die Regularien für die Hybridantriebe zu schreiben, sodass sie diese für einen bestimmten Betrag entwickeln können. Ich war aber auch immer Pessimist. Als ich früher sagte, dass die Formel 1 zu teuer würde und wir die Kosten senken müssten, sagte Bernie, dass sich immer ein Milliardär finden würde, der ein Team unterhält. Damit hatte er Recht. Vielleicht täusche ich mich auch hier.
Frage: Interesse an einem neuen Engagement besteht auch. Immerhin startet Gene Haas ab der Saison 2016 mit einem eigenen Team.
Mosley: Für die Formel 1 ist es gut, dass ein Amerikaner einsteigt. Das gab es in der Vergangenheit etwa mit Penske. Doch das war keine erfolgreiche Geschichte. Die Amerikaner haben aus meiner Sicht die Tendenz, das technische Level der Formel 1 zu unterschätzen. Es unterscheidet sich immens von dem Rennsport, den sie bei sich haben. Sie werden wohl zu kämpfen haben und es schwierig finden, aber es ist möglich, dass sie sich anpassen.
Frage: Zuletzt erzeugte der VW-Konzern nicht nur mit dem Abgasskandal, sondern auch mit Gerüchten um einen Einstieg in die Formel 1 für Schlagzeilen. Glauben Sie, dass Audi bald in der Formel 1 fährt?
Mosley: So wie ich es sehe, gibt es nach den Veränderungen im Management zwei bis drei Menschen an der Spitze von Volkswagen, die dazu tendieren, in die Formel 1 einzusteigen. Ich hege aber den Verdacht, dass die Vorfälle in Amerika ein Gamechanger sind. Sie sind gravierend. Die Firma hat bewusst die Software der Diesel-Motoren so beeinflusst, damit sie bei Tests ein anderes Programm abspielt. Es gab vor einigen Jahren einen ähnlichen Vorfall. Die Firma hatte einen Schalter unter der Motorhaube. Wenn sie gehoben wurde, schaltete das Motorsteuergerät in den Testmodus um. Volkswagen war zwar raffinierter, aber das Management ist jetzt in großen Schwierigkeiten. Das bringt die Pläne für den Formel-1-Einstieg in Gefahr. Ich wäre überrascht, wenn sie jetzt noch einsteigen würden.
Frage: Ihr alter Wegbegleiter Bernie Ecclestone sagte einst, Sie hätten einen "verdammt guten Premierminister" abgegeben. Wie war Ihre Beziehung?
Mosley: Als er 1971 das Brabham-Team erworben hat, machte es Klick. Dinge, die ich gut kann, bekommt Bernie vielleicht nicht so gut hin. Und Dinge, die er gut kann, mache ich bestimmt nicht gut. Er ist brillant in einigen Geschäftsfeldern. Wir haben sehr gut zusammengearbeitet, wobei der uns zusammenhaltende Klebstoff die Witze waren - vor allem nachdem ich FIA-Präsident wurde. Es kam zu Konflikten, weil ich die Interessen der FIA gegenüber seinen kommerziellen Interessen verteidigt habe. Wenn es stark regnete, musste er etwa sagen, dass wir starten sollen, weil sonst seine Satelliten-Verbindung ausgelaufen wäre. Der Sicherheitsmann aber sagte, dass es zu gefährlich wäre. In solchen Situationen muss der Sport Vorrang haben. Es gab viele kleine Dinge, aber am Ende haben wir alle Probleme gelöst, weil wir persönlich gut miteinander ausgekommen sind. Bernie hat einen großartigen Sinn für Humor.
Frage: Ecclestone erregt immer wieder Aufmerksamkeit, wenn er den Traditionsländern der Formel 1 droht, ihnen ihren Grand Prix wegzunehmen. Im Gegensatz zu den Verhandlungen in Italien scheint Ecclestone in Deutschland nicht zu Zugeständnissen bereit gewesen zu sein. Wie erklären Sie sich das?
Mosley: Ich kann nur spekulieren, weil ich den Kontakt verloren habe. Ich glaube, Bernie hat erkannt, dass es einige essenzielle Grundbestandteile in der Formel 1 gibt. Wenn er aber für die Anteilseigner und die Teams, die einen Großteil des Geldes bekommen, einen guten Deal abschließen kann, muss er bereit sein, Abschied davon zu nehmen. Es ist nicht gut, immer davon zu reden, wenn man es nicht ab und an macht. Das könnte der Grund für den Ausfall in diesem Jahr gewesen sein. Wir haben Frankreich schon verloren, dieses Jahr hatten wir keinen Deutschland-GP, England und Italien sind in Gefahr. Bernie weiß, dass es ein Limit gibt. Aber er spielt seine Karten ziemlich gut aus.
Frage: Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Macht, die Formel 1 optimal aufzustellen, um das Interesse der Zuschauer wieder zu steigern. Was würden Sie ändern?
Mosley: Ich würde den kleinen Teams unter strenger Budgetbegrenzung größere technische Freiheit einräumen. Für die Regularien würde ich Experten hinzuziehen, die wie Ross Brawn nichts mehr mit dem Geschäft zu tun haben, und sie so aufstellen, dass die kleinen Teams gewinnen können. Die großen Teams wären empört. Die Antwort wäre aber einfach: Sie können ebenfalls unter dem Low-Budget-Reglement starten. Es steht jedem frei. Die großen Teams können mit geringen Kosten fahren, umgekehrt trifft das nicht zu. Sie haben nicht das Geld. Das würde es für die Öffentlichkeit interessant machen.
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