Der VfB Stuttgart geht nach dem Aufstieg in die Bundesliga mit einer spannenden und entwicklungsfähigen Mannschaft ins Rennen. Es bleiben aber auch extrem viele Rätsel und eine große Problemzone. Die Kaderanalyse des VfB Stuttgart.
TOR
- Personal: Gregor Kobel (Vertrag bis 2024), Fabian Bredlow (Vertrag bis 2022), Jens Grahl (Vertrag bis 2022)
- Fragezeichen: keine
- Kandidaten: keine
Situation: Den von Hoffenheim ausgeliehenen Gregor Kobel nach einer längeren Hängepartie fest zu verpflichten (Ablöse: 4 Mio.), war vielleicht die wichtigste Aufgabe für Sportdirektor Sven Mislintat in der laufenden Transferperiode.
Kobel hat keine total überragende, aber eine absolut gute Zweitliga-Saison ohne gravierende Patzer absolviert. Der Schweizer ist immer noch erst 22 Jahre alt, aber jetzt schon ein Keeper mit gutem Bundesliga-Niveau mit dem Potenzial für mehr.
Kobel könnte sich in Stuttgart in einer an Führungsstärke und Identifikation kränkelnden Mannschaft zu einem echten Eckpfeiler mausern. Auf dem Platz hat er bereits bewiesen, dass er ein Torhüter ist, der eine junge Mannschaft vor ihm dirigieren und führen kann.
Hinter der klaren Nummer eins namens Kobel hat der VfB mit dem Bundesliga-erprobten Bredlow einen soliden Backup, der wohl wieder im Pokal zum Einsatz kommen wird. VfB-Ultra Grahl (hat das alte Neckarstadion auf dem Arm tätowiert) ist ebenfalls weiter an Bord, auch wenn Stuttgart damit seinem großen Torwart-Talent Sebastian Hornung (19 Jahre alt) aktuell noch den Weg zu den Profis versperrt.
ABWEHR
- Personal: Waldemar Anton (Vertrag bis 2024), Marc Oliver Kempf (Vertrag bis 2022), Konstantinos Mavropanos (Vertrag bis 2021), Pascal Stenzel (Vertrag bis 2024), Maxime Awoudja (Vertrag bis 2022), Borna Sosa (Vertrag bis 2023), Antonis Aidonis (Vertrag bis 2023), Holger Badstuber (Vertrag bis 2021), Marcin Kaminski (Vertrag bis 2021), Luca Mack (Vertrag bis 2022)
- Fragezeichen: Badstuber
- Kandidaten: keine
Situation: Der VfB ist in der Abwehr vielversprechend aufgestellt, allerdings ist die Lage auch noch ziemlich verworren und undurchsichtig. Fangen wir mit dem einfachsten Teil an: Pascal Stenzel, der aus Freiburg ausgeliehen war und nun wie Kobel fest verpflichtet wurde (Ablöse: 1,3 Mio.), soll eines der Gesichter des neuen VfB werden. Der 24-Jährige ist im Team hoch angesehen, war in der vergangenen Saison bereits einer der Vize-Kapitäne und über weite Strecken der ersten Saisonphase vielleicht der beste Stuttgarter Spieler. Im Tim-Walter-System tauchte Stenzel dank seiner Vielseitigkeit praktisch überall auf dem Feld auf.
Im Laufe der Saison baute Stenzel merklich ab, was erneut zu einem Problem werden könnte. Denn einen nominellen Vertreter Stenzels auf der Rechtsverteidiger-Position sucht man im Kader nach wie vor vergeblich (auch wenn Massimo eine Option wäre) - und offenbar wird sich daran auch nichts ändern.
Borna Sosa: Der Stan Wawrinka des VfB Stuttgart
Nicht viel besser sieht es auf der linken Seite aus. Borna Sosa, der aus einer komplett von Verletzungen durchzogenen Saison kommt, ist und bleibt ein schlampiges Genie. Wer die butterweichen Flanken des Kroaten sieht, will ihn sofort heiraten. Ähnlich wie bei Stan Wawrinkas Rückhand im Tennis. Wer Sosa dann im Defensivverhalten beobachtet, will aber schnell wieder die Scheidung.
Nichtsdestotrotz bleibt Sosa einer der besten Fußballer im Kader. Das Vertrauen der Verantwortlichen scheint zumindest auch so groß, dass auf der linken Seite kein Neuzugang mehr eingeplant ist, obwohl als Alternative für Sosa nur der junge und extrem talentierte Clinton Mola bereitsteht, der aber eigentlich im defensiven Mittelfeld zuhause ist. Eine Rückkehr von Tim Leibold (letzte Saison 16 Vorlagen für den HSV) scheint vom Tisch.
Während außen die Alternativen rar gesät sind, droht Trainer Pellegrino Matarazzo innen ein Überangebot. Lässt man die jungen Antonis Aidonis (soll als nächsten Schritt in der 2. Mannschaft Verantwortung übernehmen), Luca Mack (könnte noch verliehen werden) und Maxime Awoudja (Achillessehnenriss) außen vor, bleiben fünf Innenverteidiger übrig.
imago images / Pressefoto BaumannWaldemar Anton: Potenzial zum Königstransfer
Den rechten Part in der Innenverteidigung können die beiden Neuzugänge Waldemar Anton (für 4 Mio. aus Hannover) und Konstantinos Mavropanos (ausgeliehen vom FC Arsenal) bekleiden. Beide sind spannende Fälle. Anton, der auch im Mittelfeld einsetzbar ist, könnte sich als Königstransfer herauskristallisieren, sollte der 24-Jährige sein immenses Potenzial in Stuttgart ausschöpfen können.
Die Karriere des ehemaligen U21-Nationalspielers ist nach einem überragenden Start in den vergangenen Jahren etwas ins Stocken geraten. Sonst wäre Anton, der neben seinen fußballerischen auch Leader-Fähigkeiten mitbringt, auch nicht in Stuttgart. Ob ihm die Luftveränderung guttut?
Mavropanos ersetzt Nathaniel Phillips (nach Leihe zurück nach Liverpool), ist aber stärker einzuschätzen. Der 22-jährige Grieche gehört in die Kategorie Tier, bringt körperlich enorm viel mit, ist hart im Zweikampf, kopfballstark und schnell. Schwächen sind bei Mavropanos, der in der vergangenen Saison in Nürnberg spielte, vor allem noch mit dem Ball auszumachen.
Auf der linken Innenverteidiger-Position sollte normalerweise Kapitän Marc Oliver Kempf die besten Karten haben. Aber erstens wird Kempf den Start in die Saison nach seiner schweren Schulterverletzung verpassen. Und zweitens war er in der vergangenen Saison zwischendurch plötzlich ohne ersichtlichen Grund komplett weg vom Fenster und saß nur noch auf der Bank. Ist ein fitter Kempf für Matarazzo gesetzt? Bleibt er überhaupt Kapitän? Man weiß es nicht.
Was passiert mit Holger Badstuber?
Durch die Kempf-Verletzung ist Marcin Kaminski in der Pole Position für einen Platz in der Startelf. Der Pole leistete sich zwar nach seiner Rückkehr nach schwerer Verletzung einige grausame Böcke, hat aber schon gezeigt, dass er ein guter Bundesliga-Verteidiger sein kann und sollte nach einer kompletten Vorbereitung auch in besserer Verfassung sein.
Anton, Mavropanos, Kaminski, Kempf - wer braucht da Holger Badstuber? Zumal es auch noch einen Atakan Karazor gibt, der gezeigt hat, dass die Quarterback-Rolle in der Dreierkette, die sich als klar beste Abwehrformation offenbarte, vielleicht seine beste Position ist.
Der VfB würde Badstuber deshalb wohl kaum Steine in den Weg legen, sollte er wechseln wollen. Will er aber offenbar nicht, wie der 31-Jährige in einem Gespräch mit dem ZDF-Sport-Instagram-Kanal kürzlich offenbarte: "Ich bleibe sicher beim VfB. Mein Vertrag läuft bis 30. Juni 2021. Das ist mir sehr wichtig: Ich bin ein Spieler, glaube ich, der Verträge abschließt, um sie einzuhalten."
Badstuber glaubt also, dass er ein Spieler ist, der Verträge einhält. Interessant. Aber setzt er sich auch ein ganzes Jahr lang auf die Tribüne, wenn der Verein ihm klarmacht, ohne ihn zu planen?
MITTELFELD
- Personal: Wataru Endo (Vertrag bis 2022), Clinton Mola (Vertrag bis 2024), Tanguy Coulibaly (Vertrag bis 2023), Gonzalo Castro (Vertrag bis 2021), Daniel Didavi (Vertrag bis 2021), Erik Thommy (Vertrag bis 2022), Atakan Karazor (Vertrag bis 2023), Darko Churlinov (Vertrag bis 2024), Philipp Förster (Vertrag bis 2023), Philipp Klement (Vertrag bis 2023), Orel Mangala (Vertrag bis 2023), Lilian Egloff (Vertrag bis 2023), Roberto Massimo (Vertrag bis 2023), Mateo Klimowicz (Vertrag bis 2024)
- Fragezeichen: keine
- Kandidaten: keine
Situation: Auch wenn manche VfB-Fans vielleicht von Kevin Stöger träumen, scheint es im Mittelfeld keine Neuzugänge mehr zu geben (O-Ton Mislintat: "Mit der Personalpolitik und dem Kader, wie er dasteht, bin ich sehr zufrieden.") Es gibt ja auch so schon genügend Rätsel zu lösen.
Denn der einzige Fixpunkt im Mittelfeld heißt Wataru Endo. Nachdem der Japaner nach seinem Wechsel von St. Truiden nach Stuttgart lange überhaupt keine Rolle spielte und Ex-Coach Walter quasi dazu genötigt werden musste, ihn zu bringen, ist er inzwischen kaum mehr wegzudenken. Endo war der große Gewinner der Aufstiegssaison. Dass Stuttgart die Kaufoption für ihn zog, war nie eine Frage, zumal die Ablöse (1,7 Mio.) angesichts Endos Bedeutung fast schon lächerlich erscheint.
imago images / PoolfotoVfB-Mittelfeld: Das Rätsel Daniel Didavi
Endo ist unumstritten, aber wer sind die weiteren Schlüsselspieler im Mittelfeld? Von der Qualität und vom eigenen Anspruch müsste es vor allem Orel Mangala sein, aber der Belgier blieb in der vergangenen Saison zu oft hinter den Erwartungen zurück. Mangala muss eine Schippe drauflegen, so viel ist klar. Tut er das, muss er spielen.
Gleiches gilt eigentlich auch für Daniel Didavi. Allerdings ist es wie so oft in der Karriere des so veranlagten Zehners - aufgrund seiner Verletzungsanfälligkeit ist nur ganz schwer mit ihm zu planen. Nach seinem dämlichen Platzverweis in Kiel tauchte Didavi in der letzten Saisonphase angeschlagen komplett ab und ward nicht mehr gesehen. In Topform wäre Didavi nach wie vor auch in der Bundesliga potenziell ein Unterschiedsspieler.
Eine Alternative zu Didavi wäre nominell vor allem Philipp Klement, aber auch er gehört in die Kategorie Rätsel. Mit hohen Erwartungen nach seiner 16-Tore-Saison aus Paderborn gekommen, lief es für Klement über weite Strecken der Saison furchtbar, ehe ganz am Ende nochmal ein ganz zartes Pflänzchen entstand und Klement sich auch dank seiner Stärke als Standardschütze in der ersten Elf etwas festspielte. Es ist durchaus möglich, dass Klement explodiert, wenn einmal der Knopf aufgeht und er an Selbstvertrauen gewinnt. Es kann aber auch wieder in die andere Richtung gehen.
Supertalent Lilian Egloff: Der VfB hat keine Entschuldigung mehr
Während Philipp Förster bislang in keiner Weise angedeutet hat, Bundesliga-Format zu besitzen, wird es spannend zu beobachten sein, welche Rolle Erik Thommy beim VfB spielen kann. Thommy ist nach beendeter Leihe aus Düsseldorf zu den Schwaben zurückgekehrt und gehörte in der Abstiegssaison bei der Fortuna zu den Stärksten. Nochmal 6 Tore und 5 Assists würde der VfB mit Kusshand nehmen.
Ein besonderes Augenmerkt liegt außerdem auf Lilian Egloff. Das Supertalent wird in wenigen Wochen 18 Jahre alt und der VfB betont gebetsmühlenartig, wieder verstärkt auf den eigenen Nachwuchs setzen zu wollen. Es gibt keine Entschuldigung mehr. Egloff muss in der neuen Saison regelmäßig zum Einsatz kommen (mindestens mal von der Bank), alles andere ist niemandem zu verkaufen. Das Gute für den VfB ist, dass er neben Egloff mit Mateo Klimowicz, Darko Churlinov und Roberto Massimo weitere Youngster im Kader hat, die alle eine Rolle spielen könnten. Insbesondere Klimowicz.
Im defensiver ausgerichteten Mittelfeld heißen die restlichen Kandidaten Gonzalo Castro, der sich irgendwo zwischen "mit seiner Erfahrung doch noch wichtig" und "den kannst du gar nicht mehr gebrauchen" bewegt, Clinton Mola, sollte dieser nicht hinten links gebraucht werden und Atakan Karazor, sollte dieser nicht als mittleres Glied der Dreierkette fungieren. Gerade der spielintelligente Karazor, der am Anfang zu hoch gelobt wurde, um dann zu sehr abgeschrieben zu werden, hat das Zeug, in den nächsten Jahren ein ganz wichtiger Spieler für den VfB zu werden.
ANGRIFF
- Personal: Sasa Kalajdzic (Vertrag bis 2023), Silas Wamangituka (Vertrag bis 2024), Nicolas Gonzalez (Vertrag bis 2023), Hamadi Al Ghaddioui (Vertrag bis 2021)
- Fragezeichen: Gonzalez
- Kandidaten: Peter Olayinka (Slavia Prag), Folarin Balogun (FC Arsenal), Mohamed Sankoh (Stoke City/U18)
Situation: Wer zur Hölle soll beim VfB die Tore schießen? Die Frage hat die Stuttgarter in der Aufstiegssaison schon beschäftigt und in der Bundesliga könnte sich die Lage noch verschärfen. Al Ghaddioui war für die Zweitliga-Saison ein solider Transfer, aber mehr als einen passablen Joker wird er in der Bundesliga nicht abgeben können.
Silas Wamangituka, mit seinen Fünffach-Übersteigern bislang auf dem Flügel unterwegs, könnte auch vorne drin spielen. Vielleicht wäre das sogar ein sehr spannendes Experiment, das Matarazzo wagen sollte. Zumal der 20-jährige Kongolose Richtung Sechzehner zielstrebiger wird in seinen Aktionen. Der VfB muss in jedem Fall hoffen, dass Wamangituka den nächsten Entwicklungsschritt macht und zu einer absoluten Waffe wird. Dass sich dem VfB in der Bundesliga mehr Räume bieten sollten, kommt vor allem Wamangituka entgegen.
imago images / Pressefoto BaumannSchlüsselrolle für Sasa Kaladjzic
Eine Schlüsselrolle wird wohl Sasa Kalajdzic zukommen. Der 23-jährige Österreicher, der nach schwerer Knieverletzung zum Ende der vergangenen Spielzeit sein VfB-Debüt feierte, geht in seine erste "richtige" Saison in Stuttgart und scheint mehr oder weniger gesetzt. Kalajdzics Potenzial ist unbestritten, aber kann er auch der Knipser sein, den der VfB braucht? Eigentlich hat Kalajdzic seine Stärken trotz seiner Größe vor allem im spielerischen Bereich und kann auch auf der Zehn spielen.
Und dann ist da noch Nicolas Gonzalez. Mit der Betonung auf noch. "Fakt ist: Ein Angebot ist nicht da. Fakt ist aber auch: Wir müssen nicht verkaufen. Ich mache mir bei ihm auch keine Sorgen. Sollte Nico am 6. Oktober noch hier sein, wird er weiter alles geben", sagte Mislintat beim Trainingsauftakt über den "absoluten Qualitätsspieler".
Auch wenn eine offizielle Anfrage noch fehlt: Der Wechselwunsch von Gonzalez ist eindeutig und der VfB wäre bereit, den Argentinier ziehen zu lassen, sollte ein Verein (u.a. sollen Dortmund, Inter, Milan, Napoli und Leeds interessiert sein) eine stattliche Ablöse zahlen. Ob es die gewünschten 20 Millionen Euro werden, ist fraglich, aber klar zweistellig wird es wohl mindestens sein müssen.
Selbst wenn Gonzalez doch nochmal bleiben sollte, ist keineswegs sicher, dass er die Probleme im Sturm lösen kann. Der 22-Jährige war zwar mit 14 Toren der beste VfB-Schütze in der 2. Liga und auch er kann als Sturmspitze agieren, seine beste Position ist aber die des Wing Backs auf der linken Seite.
Nicolas Gonzalez: Ersatz aus Prag?
Sollte der VfB Gonzalez verkaufen, hätte man zum einen das vermeintliche finanzielle Problem gelöst, dass man nach eigenen Angaben nur fünf Millionen für Neuverpflichtungen zur Verfügung hatte, aber alleine für Anton und Kobel bereits acht Millionen ausgegeben hat. Und zum anderen wäre dann wohl auch ein bisschen Geld übrig, um Ersatz zu finden.
Im Gespräch war zuletzt Peter Olayinka von Slavia Prag, ein schneller, wendiger Linksfuß, der in der vergangenen Saison Champions-League-Luft schnuppern durfte. Der 24-jährige Nigerianer wäre ein ähnlicher Typ wie Gonzalez. Kolportiert wird außerdem ein Interesse am 19-jährigen Arsenal-Talent Folarin Balogun, der in der abgelaufenen Saison für die zweite Mannschaft der Gunners zehn Tore schoss.
Sollte ein seit Wochen diskutierter Transfer vom niederländischen Top-Talent Mohamed Sankoh (16 Jahre, Stoke City) trotz namhafter Konkurrenz klappen, wäre das vor allem ein Ausrufezeichen in Richtung Zukunft.