Achraf Hakimi von Borussia Dortmund gehört zweifelsfrei zu den Shootingstars der aktuellen Bundesligasaison. Zuletzt leistete sich der Marokkaner im Dress des BVB jedoch einige Schnitzer - weil Hakimi überspielt ist und ihm deshalb die Balance zwischen Offensive und Defensive entglitt.
Immerhin, auf Unkenntlichkeit legte Achraf Hakimi keinen Wert. Mahmoud Dahoud aber beispielsweise schon. Als der Mittelfeldspieler von Borussia Dortmund nach der 0:3-Schlappe in der Champions League bei Tottenham Hotspur die Katakomben des Wembley-Stadions verließ, hatte Dahoud die Kapuze seines Pullovers derart fest über seinem Kopf zusammengezogen, dass kaum auszumachen war, wer sich darunter verbarg.
Hakimi aber ging aufrechten Ganges mit seinem Kulturbeutel unter dem Arm Richtung Bus, doch auch ihm war es daran gelegen, schnellstmöglich zu verschwinden. Das konnte man verstehen, denn in den 90 Minuten zuvor hatte der 20-Jährige reichlich Lehrgeld bezahlen müssen.
Sein Gegenspieler Jan Vertonghen avancierte zum Mann des Spiels und es war Hakimi, der den Führungstreffer der Spurs mit einem leichtsinnigen Ballverlust begünstigte. "Ein Gegentor eine Minute nach Beginn der zweiten Halbzeit ist ein Geschenk. Wir dürfen da nicht probieren, den Ball zu spielen, sondern müssen ihn lang nach vorne bringen, weil der Gegner schon im Anlauf ist, um zu pressen", sagte Trainer Lucien Favre später zu der Szene, die letztlich den Auslöser für den Niedergang des BVB darstellte.
"Müssen im Defensivverhalten mit ihm arbeiten"
Die Unausgegorenheit, die noch in Hakimis Spiel steckt, veranschaulichte jedoch vielmehr die Situation, die unmittelbar vor dem 0:2 geschah: Obwohl Dortmund noch nicht in Ballbesitz war, rannte der Marokkaner auf der ballfernen Seite in die Tiefe. Es gewann jedoch Tottenham den Ball, schaltete schnell um und flankte auf Torschütze Vertonghen. Hakimi reagierte zwar, aber konnte nicht mehr stören, weil der Weg zurück aufgrund seiner vorschnellen Positionierung zu groß geriet.
Das "Problem" dabei: Hakimi agierte in der Jugend vermehrt als Offensivspieler, und es war zuvorderst diesen Anlagen zu verdanken, dass er zu einem der Shootingstars der Bundesliga aufstieg. "Das steckt tief in mir drin", sagte er in der Winterpause der WAZ. "Auch wenn ich jetzt Außenverteidiger bin, habe ich immer noch einen großen Drang nach vorne."
Diesen zu zügeln und konstant eine richtige Balance in seinen Bewegungen auf dem Spielfeld zu finden, ist die große Aufgabe, der sich Hakimi zu stellen hat. "Wir müssen gerade im Defensivverhalten mit ihm arbeiten", bemerkte auch Lizenzspielerleiter Sebastian Kehl in London.
Hakimi ist schlicht überspielt
Dies ist dem 2018 zum besten Nachwuchsspieler Afrikas gekürten Hakimi auch bewusst: "Wir trainieren Tag für Tag die typischen Aktionen, die man als Verteidiger hat. Und wir sehen uns sehr viele Videos von Spielsituationen an", sagt er über die Zusammenarbeit mit Favre.
Dass der zweitschnellste Spieler der Bundesliga derzeit jedoch so fehlerhaft agiert - auch im Pokal gegen Bremen und beim 3:3 gegen Hoffenheim leistete sich Hakimi kapitale Schnitzer - hat auch mit einem anderen Fakt zu tun: Hakimi ist schlicht überspielt.
Seit seinem Debüt am 5. Bundesligaspieltag fehlte Hakimi nur bei der Niederlage in Düsseldorf und spielte bis auf sieben Minuten in Mainz alle Partien durch. In der Königsklasse durfte er im Heimspiel gegen Brügge 80 Minuten lang pausieren, im Pokal riss er dagegen die 120 Minuten gegen Union und Bremen ab.
Hakimi-Rotation: Favre sind die Hände gebunden
"Obligatorisch" nannte es Favre kürzlich, immer wieder zu rotieren. Dies tut der Coach meist auch gnadenlos, wie der überraschende Bankplatz für den formstarken Raphael Guerreiro gegen Tottenham bewies. Nur bei Hakimi sind ihm die Hände gebunden, weil dieser auf beiden Außenverteidigerpositionen einsetzbar ist und wegen der Verletzungssorgen im Abwehrbereich zuletzt von einer Seite auf die andere geschoben werden musste.
In der aktuellen Phase jedoch scheint es für Hakimi zu viel des Guten zu sein. Die hohen Belastungen sind für ihn noch ungewohnt und da verwundert es nicht, dass sein Offensivdrang zuletzt abebbte, die Konzentration schwand und die Leistungen zu wünschen übrig ließen. Würde sich Hakimi in Kürze wie die im Herbst stark beanspruchten Manuel Akanji und Dan-Axel Zagadou verletzen - Favre wäre der Erste, den dies nicht überraschen würde.
Doch es ist letztlich auch genau ein solcher "negativer" Lernprozess, den das auf zwei Spielzeiten angelegte Leihgeschäft mit Hakimi auch beinhalten muss. Wäre er in dieser Hinsicht schon einen Schritt weiter, hätte ihn Real Madrid wahrscheinlich nicht beim BVB zwischengeparkt.
Achraf Hakimi: Die Leistungsdaten beim BVB 2018/19
Wettbewerb | Einsätze | Tore | Vorlagen | Minuten |
Bundesliga | 16 | 2 | 4 | 1433 |
Champions League | 5 | 0 | 3 | 370 |
DFB-Pokal | 2 | 1 | 0 | 240 |
Dass es schwierig wird, Hakimi langfristig an die Borussia zu binden, das haben Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Kehl bereits klar gemacht - "weil Real Madrid ja auch seine Entwicklung verfolgt".
Unabhängig von der Personalie Hakimi würde Dortmund gut daran tun, den Generationenwechsel auf den Außenverteidigerpositionen einzuleiten. Es braucht dort auf beiden Flügeln qualitativ hochwertige, langfristige Lösungen, um den 33-jährigen Lukasz Piszczek stärker zu entlasten und auf die offenbar immer mehr schwindende Perspektive von Marcel Schmelzer (31) unter Favre zu reagieren.
Kandidaten aus der Vergangenheit wie Jeremy Toljan, Erik Durm oder Felix Passlack waren dazu nicht in der Lage.