"Ich war Wengers riskanteste Wette"

Haruka Gruber
13. März 201322:07
Alberto Mendez (r.) lief einst im Trikot der Gunners aufgetty
Werbung

Vor 16 Jahren besuchte Arsenal-Coach Arsene Wenger ein bayerisches Fünftliga-Spiel und verpflichtete einen Nobody. Der Transfer ist einer der kuriosesten aller Zeiten. Die Geschichte des heute 38-jährigen Deutsch-Spaniers Alberto Mendez.

SPOX: Herr Mendez, das Spiel Ihres Ex-Vereins Arsenal bei den Bayern ist ein passender Anlass, um Ihre Geschichte zu erzählen. Ihr Wechsel im Sommer 1997 vom bayerischen Fünftligisten Feucht zu Arsenal gilt als einer der kuriosesten Transfers der Fußball-Geschichte. Nervt es Sie, immer auf Arsenal angesprochen zu werden?

Alberto Mendez: Nein, nein, viel nerviger fand ich es früher, dass wegen der Vergangenheit als Arsenal-Profi bei den nächsten Vereinen teils unrealistische Erwartungen geweckt wurden. Ohne mich mit ihm vergleichen zu wollen: Selbst ein Zinedine Zidane hätte in der 3. Liga nicht glänzen können, weil ihm die Mitspieler fehlen. Das wurde bei mir häufig verkannt. Das zu akzeptieren lernte ich jedoch relativ schnell. Die Fragen der Journalisten empfand ich hingegen nie als schlimm. Ich verstehe das Interesse ja, so eine Geschichte gibt es wirklich nur sehr selten.

SPOX: In der Tat: Sie waren 22 Jahre alt, wohnten bei Ihren Eltern, studierten BWL in Nürnberg und spielten beim 1. SC Feucht. Und plötzlich wurden Sie beim Spiel der Landesliga Bayern gegen den ESV Rangierbahnhof Nürnberg von Arsene Wenger persönlich gescoutet und für gut befunden. Stimmt es, dass Sie Wenger nicht erkannten, obwohl ansonsten nur 150 Zuschauer anwesend waren?

Mendez: Das stimmt, ich interessierte mich nicht besonders für den internationalen Fußball und wusste daher nicht, was für eine große Nummer Arsene Wenger war. Mich hatte es nur gestört, dass wegen seines Besuchs so ein Theater gemacht wurde. Ich war mir damals sicher, dass ich in meiner fränkischen Heimat bleiben will. Im Amateurfußball lief es sehr gut und ich verdiente für einen Studenten extrem viel, daher fragte ich mich, warum ich das alles aufgeben sollte.

SPOX: Sie sollen sogar das erste Arsenal-Angebot abgelehnt haben.

Mendez: Richtig, beim ersten Telefonat sagte ich nein, mich ließ das ziemlich kalt. Ich hatte damals einige Anfragen aus dem Profibereich, die mich nicht besonders lockten.

SPOX: Entsprechend wenig Bedeutung maßen Sie Wengers Besuch bei und spielten schlecht.

Mendez: Wir hatten den Aufstieg bereits lange davor gesichert, so dass der Trainer die Zügel locker ließ und wir die vier Wochen davor häufig feiern gingen. Wir hatten eine super Gemeinschaft und ließen es krachen. In die Zeit fiel unter anderem die Hochzeit eines Mitspielers. Zum Saisonende hin waren wir am Ende. Und dann herrschten zu allem Überfluss gegen Rangierbahnhof Nürnberg widrige Verhältnisse: Es war sehr heiß, wir spielten auf einem kleinen und harten Platz und der Ball hatte gefühlt zwei Bar. An so einem Tag denkt man sich irgendwann: "Okay, warum soll ich mich noch quälen, es geht um nichts mehr."

SPOX: Wenger sagte selbst, dass Sie enttäuscht hätten. Dennoch verpflichtete er Sie für eine Ablöse von einer Million Mark und gab Ihnen einen Sechsjahresvertrag. Was erkannte er in Ihnen?

Mendez: So richtig verstanden habe ich es damals auch nicht. Er sagte mir, dass er gute Ansätze gesehen hätte. Antritt, Beidfüßigkeit und vor allem Übersicht. Das wäre auffällig gewesen, obwohl ich so schlecht gespielt hatte.

SPOX: Wie kam es, dass ein 22-Jähriger aus Feucht davor keinem Bundesligisten auffiel?

Mendez: Damals war der deutsche Fußball in der Steinzeit. Keiner kümmerte sich um die Jugendausbildung und den Amateurfußball, die Bereiche wurden fast komplett ignoriert. Ich war in der Jugend beim 1. FC Nürnberg und wir spielten immer um die Deutsche Meisterschaft. Neben Frankfurt hatten wir den besten Jahrgang, noch vor den Bayern, Stuttgart oder Schalke. Nach oben schaffte es keiner - was andererseits keinen überraschte, weil das damals einfach gang und gäbe war. Es gab einen Christian Wück und einen Frank Dürr, die halbwegs Fuß fassten, sonst niemand.

SPOX: Wie schwappte dann Ihr Name nach England? Neben Arsenal interessierten sich Premier-League-Konkurrent Coventry City und der Zweitligist Wolverhampton. SPOX

Mendez: Ich kann es nur vermuten. Eine der wenigen Ausnahmen damals in Deutschland war Freiburg. Über meinen ehemaligen Jugendtrainer kam ein Kontakt zu Volker Finke zustande und ich wurde zum Probetraining eingeladen, wo ich voll einschlug. Freiburg wollte mich unbedingt und ich hätte mit einem Wechsel leben können. Ich mochte zwar im Nürnberger Raum bleiben, aber die Strecke zum gelegentlichen Pendeln wäre machbar gewesen. Allerdings stellte sich Feucht quer und ließ bei der Ablöse nicht mit sich reden, so dass Freiburg keine Chance hatte. Immerhin brachte diese Posse offenbar einen Stein ins Rollen.

SPOX: Allerdings klingt es unfassbar, dass ein deutscher Fünftliga-Spieler direkt zu Arsenal wechselt.

Mendez: Wenger wollte immer innovativ sein und er empfindet es bis heute reizvoller, Spieler mit Potenzial zu fördern statt fertige Stars zu kaufen. Und dabei erkannte er schnell, dass der deutsche Markt ergiebig ist. So sammelte er über sein gutes Netzwerk alle möglichen Infos. Später holte er zum Beispiel Stefan Malz und Amaury Bischoff. Wobei ich immer noch die riskanteste Wette war, die er je eingegangen ist. Alle anderen spielten wenigstens schon einmal auf Profiniveau.

Hier geht's weiter: "In Deutschland hatte es keine Sau interessiert"

SPOX: Was stellte Feucht mit dem unerwarteten Geldregen an? Die Ablöse von einer Million Mark für einen Fünftligisten dürfte ein Rekord gewesen sein.

Mendez: Die haben gefeiert, als ob sie den Jackpot geknackt hätten. Zwei Jahre später wurde dann gerichtlich durchgesetzt, dass sie 600.000 Mark abgeben müssen, weil meinen Jugendvereinen ein Anteil zustand. Den damaligen Verantwortlichen von Feucht ist das Lachen im Hals stecken geblieben.

SPOX: Bevor der Wechsel feststand, mussten Sie selbst jedoch noch überzeugt werden. Sie hatten Arsenal im ersten Telefonat eine Absage erteilt.

Mendez: Ich fühlte mich einfach geborgen in meiner Heimat. Ich bewegte mich in meinem Umfeld, in dem ich wie alle Schulfreunde anfing zu studieren und parallel mit dem Fußball sehr gutes Geld verdiente. Dazu sparte ich jeden Monat, weil ich bei meinen Eltern wohnen blieb. Es war rundum ein schönes Studentenleben. Daher hatte ich nicht vor, etwas daran zu ändern. Erst als mich Arsenal einlud, nach London zu kommen und mir das Klubgelände anzuschauen, wurde ich vom Gegenteil überzeugt. Als ich die Anlage sah, fragte ich nur, wo ich unterschreiben soll.

SPOX: Ihre erste Saison bei Arsenal verlief nicht überragend, aber zumindest respektabel. Sie schossen jeweils bei Ihrem ersten Einsatz im League Cup sowie in der Champions League ein Tor und kamen in drei Premier-League-Spielen zum Einsatz. Waren Sie zufrieden?

Mendez: Nicht wirklich. Natürlich war das nicht schlecht und viele Fußballer hätten gerne mit mir getauscht, um auf höchsten europäischen Niveau spielen zu können. Darauf bin ich stolz. Trotzdem bleibt im Gedächtnis das Wissen haften, dass ich mehr hätte leisten können. Ich war bereits 22 Jahre alt und hatte vorher noch nie unter erstklassigen Bedingungen trainiert. Der generelle Lebenswandel war nicht dem eines Profis angemessen. So benötigte ich die ersten sechs Monate zur Eingewöhnung - und als dann Verletzungen hinzukamen und im Sommer darauf Granaten wie Freddy Ljungberg und Nwankwo Kanu verpflichtet wurden, dachte ich mir nur: "Verdammt, warum habe ich nicht schneller gelernt?"

SPOX: Was hätten Sie denn schneller lernen können?

Mendez: Ich lebte anfangs so weiter, als ob ich immer noch der Student wäre. Wenn meine Schwester zu Besuch war, liefen wir stundenlang durch London und erkundeten die Stadt. Wenn im Fernsehen nachts ein guter Film kam, schaute ich ihn fertig. Wenn ich Lust auf Pizza hatte, bestellte ich das einfach. So verlor ich ungewollt immer mehr an Substanz. Vielleicht wäre alles anders gelaufen, wenn damals jemand wie Tony Adams da gewesen wäre, der einen unter die Fittiche nimmt. Mir fehlte damals die Führung.

SPOX: Nach eineinhalb Jahren wurden Sie von Arsenal für eine Halbsaison zum AEK Athen ausgeliehen.

Mendez: Ich spielte gut und war Stammspieler. Das Problem: In Deutschland hatte es keine Sau interessiert.

SPOX: Es ging 1999 weiter nach Unterhaching, dem damaligen Bundesligisten. Trainer Lorenz-Günther Köstner bemängelte, dass Sie talentiert, aber auch zu weich seien, um es zu schaffen. Fehlte Ihnen die Härte für den großen Durchbruch?

Mendez: Ich war schon nett und beliebt in der Mannschaft. Daraus konstruierte Herr Köstner eine Ausrede, um erklären zu können, warum ich nie in die Startelf aufgestellt wurde. Ich glaube, dass es ihm immer gegen den Strich ging, dass ich mit Spaß an die Sache ranging und nicht wie von ihm gewünscht immer mit verbissener Miene das Training absolvierte. Dabei verstand es damals keiner, warum er mich wenn überhaupt nur einwechselte. Vom Können hätte ich zu den Leistungsträgern zählen müssen.

SPOX: Danach verlieren sich etwas Ihre Spuren. Sie wechselten nach Spanien in die zweite Liga zu Ferrol und Terrassa, bevor Sie 2004 nach Deutschland zurückkehrten, wo Sie bei unterklassigeren Teams unter Vertrag standen: Erneut Feucht, dann Bayreuth, Darmstadt, Sandhausen, Weiden. Was lief falsch?

Mendez: Es ging einiges schief. Ich erlitt immer wieder kleine, nervige Verletzungen und hatte parallel Pech bei der Klubwahl. Feucht, Bayreuth und Weiden bekamen massive Finanzprobleme und meldeten Insolvenz an. Als bei Weiden die Lichter ausgingen, entschloss ich mich, mich richtig um meine Verletzungen zu kümmern und die Karriere zu beenden.

SPOX: Stattdessen begannen Sie ein neues Kapitel: Sie trainieren seit 2011 mit Erfolg den aktuellen Fünftligisten FC Amberg.

Mendez: Angedacht war es, dass ich als Spielertrainer anfange. Jedoch stellte sich schnell heraus, dass die Qualität im Kader hoch ist und es Schwachsinn gewesen wäre, mich als 36-Jährigen aufzustellen und einem 21-Jährigen den Platz wegzunehmen. Ich hatte es früher nie in Erwägung gezogen, als Trainer zu arbeiten, aber es macht mir großen Spaß. Ich merke, wie sehr ich von meinem Werdegang als Fußballer profitiere und mich in die verschiedenen Lagen hineinversetzen kann. Ich kenne von der Champions League bis zur 5. Liga alle Facetten des Fußballs.

Alles zum FC Arsenal