Alexander Merkel wagte schon mit 16 Jahren einen Wechsel nach Italien, um in der Serie A seinen Durchbruch als Profi zu schaffen. Über den AC Milan und Udinese Calcio landete er nun beim FC Watford. Wie das Leben als Fußballprofi in England ist, erklärt der 21-Jährige regelmäßig in seiner eigenen SPOX-Kolumne. Vor dem Saisonendspurt spricht Merkel über seine Eingewöhnungszeit in England, deutsche Nachbarn und seinen berühmten Ehrenpräsidenten.
Hi there, hello from England!
ihr merkt schon an der Begrüßung: sehr italienisch klingt das nicht. Wäre auch nicht passend. Ich bin schließlich zu Jahresbeginn beim FC Watford gelandet. Watford ist eine Stadt in Hertfordshire, am Rand Londons. Falls ihr das mitbekommen habt, und es für euch überraschend kam: willkommen im Club :-). Für mich war es auch eine Überraschung.
Letzten Endes bin ich aber aus Überzeugung hierhergekommen und sehr froh über die Entscheidung. Der Grund ist einfach: Ich will spielen. Und das konnte ich bei Udinese nicht. Ich habe ja in meiner letzten Kolumne schon geschrieben, dass mein Trainer nicht gerade im Verdacht stand, einen Alex-Merkel-Fanclub zu gründen.
Warum er nicht auf mich gesetzt hat? Ich weiß es nicht. Mir ist jedenfalls nicht bekannt, etwas verbrochen zu haben. Und als ich das letzte Mal für Udinese auf dem Platz stand, lief es eigentlich gut. Ich denke, ich habe ein sehr ordentliches Spiel gemacht, die Zeitungen waren voll des Lobes über meine Leistung - und ich war anschließend dennoch weg vom Fenster und habe kein Spiel mehr gemacht. Monatelang.
Interesse aus der Bundesliga
Und das ist hier nun anders. Es gab zwar auch Interesse und Angebote aus der Bundesliga, aber letztendlich war es ganz einfach die naheliegende und beste Idee, zu Watford zu gehen. Denn von Vereinsseite war nach wie vor Wertschätzung da und man wollte mich nicht so ganz gehen lassen.
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Und da Udine und die Hornets zwei eng kooperierende Vereine sind (Giampaolo Pozzo ist der Besitzer beider Clubs), war eine Ausleihe die beste Lösung für alle Beteiligten. Und, wie gesagt: Es ist wirklich toll hier! Der englische Fußball ist sowieso super. Und die zweite Liga ist für mich auch keine Strafe, wie manche vielleicht meinen - ganz im Gegenteil. Zum einen will ich unbedingt spielen und bin einfach nur froh, dass ich das wieder kann.
Es ist ein überragendes Gefühl, nach einem Spiel wieder völlig erschöpft nach Hause zu kommen und todmüde ins Bett zu fallen. Ein Gefühl, das ich viel zu lange nicht mehr hatte. Zum anderen ist die Championship alles andere als eine "typische" zweite Liga. Das Niveau ist überraschend hoch. Mein Trainer Giuseppe Sannino spricht sogar von der fünftstärksten Liga Europas.
Starauflauf in Liga zwei
Hier tummeln sich nicht nur legendäre Clubs wie Nottingham Forest oder Sheffield Wednesday sondern auch jede Menge bekannte Spieler. Beispiele gefällig? Joey Barton, Niko Kranjcar, Shaun Wright-Phillips (Queens Park Rangers), Shaun Maloney (Wigan Athletic), Paul Robinson (Blackburn Rovers), Danny Williams, Pawel Pogrebnyak (FC Reading), Shay Given, Jonathan Woodgate (FC Middlesbrough), El-Hadji Diouf (Leeds United), Peter Lövenkrands (Birmingham City) und Manuel Almunia bei uns. Für sie ist es ebenfalls kein Makel, nur "zweitklassig" zu spielen. Weil die Championship eben einen hervorragenden Ruf hat - auch unter Profis.
Apropos guter Ruf. Den scheint mein neues Zuhause auch zu haben. Ich habe in London, im Stadtteil Hampstead eine Wohnung - und herausgefunden, dass ich da in prominenter Gesellschaft bin. Die drei deutschen Arsenal-Jungs leben auch hier.
Getroffen habe ich zwar noch keinen von ihnen, aber Lukas Podolskis Auto steht in der Nachbarschaft. "K - LP" steht auf dem deutschen Nummernschild - das kann ja nur einer sein. Was mich aber wundert: Es ist ein alter grüner Fiesta ;-). Spaß beiseite. Es ist wirklich verwunderlich, dass mir noch keiner begegnet ist, zumal das Arsenal- und das Watford-Trainingsgelände aneinander grenzen.
Wohlfühlzone London
Downtown London jemanden zufällig zu treffen ist dagegen quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Was für eine riesige Wahnsinnsstadt. Ich fühle mich mega-wohl hier. Und als Fußballer kannst Du völlig unerkannt bleiben, das gilt selbst für viele Spieler aus der Premier League. Das ist total angenehm, wenn man einfach als ganz normaler Mensch angesehen wird - keine Sonderbehandlung und keine Sonderbeobachtung. Aber das sind natürlich nur schöne Begleiterscheinungen.
In erster Linie freue ich mich, wieder regelmäßig auf dem Platz zu stehen. Und so langsam kommen auch wieder das Selbstvertrauen und die Sicherheit zurück. Jedenfalls will ich hier bis zum Sommer Vollgas geben, mit Watford so weit wie möglich vorne landen - und dann sehen wir weiter.
In den bisherigen sechs Wochen hier habe ich diesen Club jedenfalls schon sehr schätzen gelernt. Trainer, Team, Fans, Vereinsmitarbeiter - alle sind wirklich schwer in Ordnung. Nur einem bin ich leider noch nicht begegnet: Elton John. Der war zwar 25 Jahre Präsident meines Vereins, ist heute auch noch Ehrenpräsident, kommt aber wohl nicht mehr oft zu den Spielen. Wenn ich ihn oder die Queen trotzdem mal treffen sollte, werde ich euch davon berichten ;-)
Euer Alex
Alexander Merkel, geboren am 22. Februar 1992 in Pervomayskiy (Kasachstan), ist eines der größten Mittelfeldtalente Deutschlands. Er wurde in der Jugend des VfB Stuttgart ausgebildet, bevor er 2008 in die Jugend des AC Milan wechselte. Bei den Mailändern debütierte er in der Saison 2010/2011 in der Serie A. Insgesamt wurde er in Milans-Meistersaison sechs Mal eingesetzt, bevor Milan im Sommer 2011 50 Prozent seiner Transferrechte an den FC Genua abgab und er dorthin wechselte. Von seinem Stammverein Udinese Calcio wurde er inzwischen zum FC Watford ausgeliehen. Merkel durchlief seit der U 15 alle deutschen Junioren-Auswahlen.
Alexander Merkel im Steckbrief