Alexander Zorniger von Apollon Limassol im Interview: "Das war für viele weit mehr als ein Meistertitel"

Jochen Tittmar
29. Juni 202211:43
Nach dem Gewinn der Meisterschaft wird Alexander Zorniger von den Apollon-Fans gefeiert.
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Nach über zwei Jahren ohne Job heuerte Alexander Zorniger im Sommer 2021 bei Apollon Limassol an. Der 54-Jährige führte den Verein zum ersten Meistertitel seit 2006, wurde zu Zyperns Trainer des Jahres gewählt und spielt in der kommenden Saison erstmals in seiner Karriere eine Gruppenphase eines internationalen Wettbewerbs.

Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Zorniger über die Gründe für den Wechsel nach Zypern, sein ungewöhnliches Co-Trainerteam und zu kritische Analysen.

Der ehemalige Trainer von RB Leipzig und dem VfB Stuttgart erzählt zudem von der Meister-Party, seinem Kommando zum Trinken und erklärt, wie er seine Zukunft sieht.

Herr Zorniger, im Oktober 2020 sagten Sie im Interview mit SPOX und GOAL hinsichtlich Ihrer Zukunft als Trainer: "Mir geht es einzig und allein um die richtige Aufgabe." Wieso war Apollon Limassol anders als die zahlreichen Angebote, die Ihnen zwischenzeitlich vorlagen, die richtige Aufgabe?

Alexander Zorniger: Um dies zu beantworten, muss ich etwas ausholen und auch den Entwicklungsprozess ansprechen, den ich durchgemacht habe.

Legen Sie los!

Zorniger: Als ich 2016 nach Dänemark ging, war mein Fokus viel enger. Ich dachte, ich müsse in Deutschland bleiben und dort zeigen, dass ich es auch erfolgreicher kann als unmittelbar zuvor beim VfB. Diesen Blick habe ich irgendwann geweitet. Ich sprach kürzlich mit einem deutschen Trainer, der auch in Dänemark arbeitete. Der hat das meiste dort eher negativ wahrgenommen.

Bei Ihnen war es das genaue Gegenteil - Sie haben sich regelrecht in das Land verliebt und auch dort noch gewohnt, als Sie nicht mehr Trainer von Bröndby IF waren.

Zorniger: Genau. Wir Deutschen haben die Tendenz, im Ausland zu sagen: Jetzt machen wir es mal lieber so, wie es für uns Sinn ergibt, weil es so schließlich auch funktioniert! Es ist in meinen Augen wichtig, dass man sich im Ausland als das sieht, womit wir teilweise Probleme haben - nämlich als Ausländer. Als jemand, der Dinge dort aufzunehmen hat und dafür offen, vielleicht auch bereits ein bisschen darauf vorbereitet sein muss.

Das Trainerteam von Alexander Zorniger: Jurek Rohrberg (l.) und Beniamino Molinari (M.).

Apropos vorbereitet: Apollon soll ohnehin bereits zuvor bei Ihnen einmal angefragt haben.

Zorniger: Ja, das war im September 2019, ein halbes Jahr nach meinem Aus bei Bröndby. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass mein Fußball dort richtig hinpasst. Dazu war die Saison bereits im Gange und ich hätte keine Vorbereitungsphase gehabt. Das war für mich ein Ausschlusskriterium.

Hatten Sie den Eindruck, dass man bei Apollon genau wusste, welche Art von Fußball und welchen Charakter als Trainer man bekommt, wenn man Sie verpflichtet?

Zorniger: Ja. Als sich Apollon im Frühjahr 2021 wieder bei mir meldete, hatte ich auch Gespräche mit Vereinen in der MLS, in Deutschland, England, Belgien, Österreich oder der Niederlande geführt. Dabei stellte ich immer wieder fest: Die wussten gar nicht, welche Art Trainer sie eigentlich wollten. Jemand sagte mal zu mir, er möchte wie Jürgen Klopp spielen lassen, aber mit extrem viel Ballbesitz...

Wie hat Apollon Sie also genau für sich gewonnen?

Zorniger: Dort war das ganz anders. Man wusste genau, was man mochte und auch, was man mit mir bekommen würde. Das zeigte sich in den Gesprächen und wurde auch davon untermauert, dass man nach einer gewissen Zeit ja noch einmal auf mich zukam und das Thema offensichtlich noch nicht abgehakt hatte. Dazu sportlich um Titel zu spielen, war für mich spannend. Ich habe in Leipzig und bei Bröndby festgestellt, dass das ganz gut zu mir passt.

Die Vollzugsmeldung hat gewiss einige überrascht. Inwiefern hatten Sie den Gedanken, dass ein Wechsel nach Zypern von der Öffentlichkeit möglicherweise kritisch beäugt wird?

Zorniger: Gar nicht. Ich habe alles in der Tiefe mit meiner Familie, meinem Berater und zwei meiner besten Kumpels durchgesprochen. Mir tat es gut, dass sie die Sache ziemlich nüchtern und uneitel gesehen haben. Dass es eventuell nicht so gut aussehen könnte, nach Zypern zu gehen, hat auch sie kein bisschen interessiert. Darum habe ich in der finalen Phase der Gespräche mit Apollon auch noch einem deutschen Klub abgesagt.

Alexander Zorniger: Seine Karriere als Trainer im Überblick

VereinZeitraum
1. FC Normannia Gmünd2004-2009
VfB Stuttgart (Co-Trainer)2009
SG Sonnenhof Großaspach2010-2012
RB Leipzig2012-2015
VfB Stuttgart2015
Bröndby IF2016-2019
Apollon Limassolseit 2021

Apollon verfolgt seit längerer Zeit so etwas wie ein Titel-Trauma: Der Verein scheiterte oftmals kurz vor dem Ziel, wurde einige Male nur Zweiter und schien es immer dann zu versemmeln, wenn es darauf ankam. Was erwartete man von Ihnen - tatsächlich den ersten Meistertitel seit 16 Jahren?

Zorniger: Ja, am Anfang schon. Das war auch nachvollziehbar. Man wurde im Vorjahr mit fünf Punkten Rückstand Zweiter und nahm gutes Geld für ein neues Trainerteam in die Hand. Da konnte man nicht sagen, dass Platz fünf auch okay sei. Das hat sich jedoch gewandelt, als wir loslegten und zwei Drittel des Kaders ausgetauscht haben. Wir hatten nicht das höchste Budget, nicht den höchsten Transferwert der Spieler, ein neues Trainerteam - es ergab keinen Sinn zu verkünden, man wolle nun Meister werden. Bei einer solchen Erwartungshaltung wäre jeder Rückschlag viel massiver gewesen.

Sie haben ein ungewöhnliches Co-Trainerteam zusammengestellt: Der künftige Schalker Beniamino Molinari war zuvor beim TSV Essingen und hatte noch nie auf Profiniveau gearbeitet, Jurek Rohrberg war einst Spieler in der Regionalliga, zuletzt aber einige Jahre Reporter bei Sky. Wieso diese Wahl?

Zorniger: Mit Beni habe ich noch in der 4. Liga in Bonlanden zusammengespielt, dazu war er mit mir sieben Jahre lang in Schwäbisch Gmünd. Ich kenne ihn gut und er meinte einmal im Spaß zu mir: Dann nimm' doch mich mit! Irgendwann dachte ich: Warum eigentlich nicht? Ich bin damals im A-Lizenz-Lehrgang doch auch irgendwie dem Markus Babbel aufgefallen und er hat mir später die Möglichkeit gegeben, in den Profibereich zu kommen.

Rohrberg bekleidete hingegen eine Position, die heute Performance Manager genannt wird.

Zorniger: Ich habe das Buch von Roger Schmidt und seinem Assistenten Jörn Wolf gelesen. Als ich mich mit Roger unterhielt, sprach er sehr positiv über die Position des wie auch immer gearteten Performance Managers. Für mich sollte er eine Organisationsposition einnehmen. Ich hatte dann sehr gute Gespräche mit Jurek. Mir ging es nicht darum, ihn fachlich abzuchecken, sondern ich wollte spüren, dass er mit mir diese Aufgabe angehen möchte. Man merkt schon, dass grundsätzlich viele an diese interessanten und gut bezahlten Jobs im Fußball heranwollen. Doch bei einer solchen Entscheidung sind wiederum einige nicht bereit, auch wirklich etwas dafür zu investieren.

Ihr Start in Limassol verlief alles andere als glücklich: In der Vorbereitung wurde kein einziges Spiel gewonnen und man scheiterte in der 2. Runde zur Conference-League-Qualifikation an MSK Zilina. Wie erging es Ihnen da?

Zorniger: Ich merkte schnell, dass in Zypern Ergebnisse zu jeder Zeit über allem stehen, auch in der Vorbereitung. Nach Zilina war direkt viel Getöse da: Warum braucht es einen deutschen Trainer, wenn man so schlecht aussieht? Mir wurde auch klar, dass das internationale Geschäft für kleinere Klubs mit einem Etat von acht oder zehn Millionen Euro eine sehr hohe Wertigkeit hat. Man verdient dort direkt ab der ersten Runde Geld, das ist in Deutschland anders. Unser Aus war daher schon eine Art Albtraum, danach herrschte ein wenig Weltuntergangsstimmung.

Wie reagierte die Vereinsführung?

Zorniger: Sie wollte Antworten, auch wenn man mir zuvor versicherte, dass auch Rom nicht an einem Tag erbaut worden sei. Darauf bin ich auch nach der Saison noch einmal zurückgekommen. Es hieß, man dachte durchaus, dass alles Zeit bräuchte - aber man dachte halt nicht, dass man ausscheiden würde. Es ist in Zypern sehr wichtig, wie man nach außen wahrgenommen wird. Jeder Vereinsverantwortliche steht unter Druck, in Zypern ist das noch einmal etwas potenziert. Ich kann daher nicht verhehlen, dass bei mir in dieser Anfangsphase auch mal der Gedanke auftauchte, ob das denn wirklich die richtige Aufgabe sei, als die ich sie angesehen hatte.

Wie sind Sie damit klargekommen, dass die äußere Wahrnehmung dort so wichtig erscheint?

Zorniger: Das betraf Themen innerhalb des Fußballs, die aber nicht mit einem wesentlichen Baustein meiner Philosophie verbunden waren. In dem Maße war mir das nicht bekannt und ich reagierte darauf auch zunächst mit Argwohn. Als ich merkte, dass dies zu Diskussionen führte und auch sofort ein Leistungsabfall spürbar wurde, versuchte ich, eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Auch aufgrund der in Stuttgart und Dänemark gewonnenen Erkenntnis, dass man sich nicht zu viele Baustellen gleichzeitig öffnen sollte.

Die zypriotischen Journalisten haben Apollon nach dem Aus gegen Zilina in einem Ranking der Meisterschaftsfavoriten vor dem Ligastart auf Platz fünf gesetzt. Wie groß war Ihre Zuversicht, dass sie sich täuschen?

Zorniger: Das machte es uns leichter, weil es uns mehr Zeit verschafft hat. Mir wurde in den Vorbereitungsspielen klar: Wenn wir es schaffen, die Truppe für die Spielweise zu begeistern und sie davon zu überzeugen, dann werden wir nur aufgrund der Intensität der Spielweise weit vorne landen.

Sind Sie anfangs anders als vorher vorgegangen, um bei Apollon Ihren Fußball zu implementieren?

Zorniger: Nein, das lief wie auf all meinen Stationen. Ich lege sehr viel Wert auf Trainingsarbeit und Videoschulungen. Wir haben das Trainingszentrum mit Postern gepflastert, auf denen inhaltliche Botschaften standen, um sie permanent zu vermitteln und zu verinnerlichen. Im Training arbeitet man dann mit extrem vielen Provokationsregeln, damit die Spieler die Schwerpunkte erkennen. Mit der Zeit verringert man manche Dinge vielleicht auch etwas und intensiviert Themen, die bereits gut greifen. Wir haben beispielsweise irgendwann das Gegenpressing etwas mehr in den Vordergrund gestellt und sind beim Pressing etwas flexibler vorgegangen.

Hand aufs Herz: Wie offen war man innerhalb des Klubs letztlich in der Praxis für Ihre Herangehensweise, gerade nach der holprigen Vorbereitung - fiel es Ihnen leicht, eine Leistungsatmosphäre zu kreieren?

Zorniger: Es war ein ständiger Prozess. Wir hatten keine Leistungsatmosphäre, in der man sich im Sinne der Sache auch richtig die Meinung geigen konnte und zum Schluss einen Strich darunter macht. Ich hatte daher damit zu kämpfen, dass gemeinsam abgesprochene Entscheidungen, von denen man auch überzeugt war, nach ein paar Wochen erneut zu Diskussionen führten. Wir mussten einige Male nachjustieren und adaptieren, um eine einheitliche Vorgehensweise klarzumachen und die Dinge so durchzuziehen, wie sie teils zuvor bereits besprochen waren.

Die anfänglichen Zweifel waren nach vier Siegen zum Saisonauftakt in der Liga schnell vergessen. Ihre Mannschaft hat sich als Tabellenführer früh ein gutes Polster auf die Konkurrenz erspielt. Wie gelang der Umschwung?

Zorniger: Wir haben an ein paar Schrauben gedreht, die sich im Nachhinein als die richtigen erwiesen. Eineinhalb Wochen vor dem ersten Ligaspiel stellten wir das System auf ein 4-4-2 um. Damit verloren wir ein Testspiel gegen APOEL zwar mit 0:2, aber wir hatten ihnen richtige Probleme bereitet. Das war für mich das wichtigste Spiel, weil wir dort den Glauben geschaffen haben, dass es funktionieren kann, wenn wir alles einheitlich durchziehen. Wenn diese Partie jemand gesehen hätte, der sich mit Trainerphilosophien auskennt, hätte er gesagt: Diese Mannschaft wird von Alex Zorniger trainiert.

Wie würden Sie denn das Niveau der Liga beschreiben?

Zorniger: Wir hätten mit Apollon an einigen Spieltagen vielen deutschen Erstligisten Probleme gemacht. Insgesamt ist das Niveau der ersten drei, vier Mannschaften sicherlich mit den Top-6 der 2. deutschen Liga vergleichbar.

Der zypriotische Fußball ist ein extrem emotionales Gebilde, die Gefühlslage bewegt sich oft von Spiel zu Spiel zwischen den Extremen. Wie haben Sie das beobachtet?

Zorniger: Es herrscht in der Tat ein extremes Schwarz-Weiß-Denken, das den eigenen Job natürlich schwierig zu nivellieren macht. Wenn das Pendel Richtung weiß ausschlägt, gibt dir das eine brutale Kraft. Bei den Fans ist der Stellenwert des Teams durch den guten Start unheimlich gestiegen. Die wollten sehen, dass Gas gegeben wird und honorierten es, mit der Spielweise etwas zu haben, was so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal war. Auch die Medien haben ab dem ersten Spiel geschrieben, dass das eine ganz andere Mannschaft als im Vorjahr ist, mit einer völlig neuen Mentalität und großem Kampfgeist.

Was geschah, wenn das Pendel Richtung schwarz ausschlug?

Zorniger: Dann zieht es dir extrem Energie. Ich fand es manchmal wirklich unfassbar, wie nach von uns erzielten Toren auf einmal wieder alle physisch unterwegs waren und wir keinen Ball mehr verloren haben. Wenn wir aber ein Tor kassierten, musste man sich erst einmal taktisch ein paar Dinge einfallen lassen, damit die Mannschaft in der nächsten Viertelstunde stabiler agiert. Das war sehr auffallend und ist auch tatsächlich bei allen zypriotischen Mannschaften so.

Nach zwei sieglosen Spielen und dem Aus im Pokal ging Apollon mit sieben Punkten Vorsprung vor den Verfolgern in die zehn Partien andauernde Meisterrunde. Man verlor zwar nur einmal, aber es wurden schließlich neun Ligaspiele in Folge, die man nicht gewinnen konnte. Der scheinbar sichere Meistertitel hing am seidenen Faden. Was waren die Gründe für diese fast drei Monate andauernde Durststrecke?

Zorniger: Als wir in die Meisterrunde gingen, hat man deutlich gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Es sind immer mehr Stimmen aufgekommen, die den Verein und das Umfeld mit der Vergangenheit konfrontiert haben. Nach dem Motto: Das gab es alles schon so oft und so oft haben sie es dann doch wieder vergeigt. Es ging auf einmal nur noch um ein Endziel und was dem entgegen sprechen konnte. Man hatte nun etwas zu verlieren.

Fünf Spieltage vor Schluss verlor Apollon vor heimischem Publikum gegen Pafos, so dass der ärgste Verfolger APOEL bis auf einen Punkt herankam. Es sah also so aus, als würden die aufkommenden Stimmen Recht behalten.

Zorniger: Die Pleite gegen Pafos war ein gefühlter Genickbruch und ließ den Rest-Glauben verschwinden, weil viele sich bestätigt sahen, dass man es also doch wieder vermasselt. Als wir Meister wurden, habe ich auf der Pressekonferenz gesagt: Schöne Grüße an die zwei Apollon-Fans, die uns nach dem Spiel in Pafos den Mittelfinger gezeigt haben - habt Spaß auf der Party!

Nach dem Gewinn der Meisterschaft wird Alexander Zorniger von den Apollon-Fans gefeiert.

Mit welchen Maßnahmen haben Sie versucht, das Ruder wieder herumzureißen?

Zorniger: Wir haben ein sehr analytisches Gespräch mit dem Präsidenten und dem Sportdirektor geführt. Aber klar: In jeder Liga der Welt wird es nach neun sieglosen Spielen auch Nachfragen geben. Ich bin dankbar, dass die Verantwortlichen mit uns gemeinsam nach einer Lösung gesucht und uns gestärkt haben. Dieser kommunikative Weg war entscheidend. Dann folgte die Oster-Pause, die wir für ein dreitägiges Trainingslager nutzten. Wir haben anschließend für die finalen drei Spiele auf Dreierkette umgestellt, weil wir gerade in der Defensive aus verschiedenen Gründen das Personal oft wechseln mussten. Dazu sind wir weggegangen von einem eher entwicklungsbezogenen Training und in einen Wettbewerbsmodus gewechselt. Wir hatten dann fast nur noch Übungen, die ergebnisbezogen waren. Der größte Verdienst von uns allen war aber, dass wir eine gewisse Ruhe behalten, Einigkeit demonstriert und einfach weitergemacht haben.

Wie kamen diese Maßnahmen bei der Mannschaft hat? So etwas kann ja schnell auch als Aktionismus missdeutet werden.

Zorniger: Das Team hat gut nachvollziehen können, was wir tun wollen. Die Maßnahmen halfen, einen Großteil der Zweifel verschwinden zu lassen. Ich stellte in dieser Phase auch fest, dass die Mannschaft bisweilen das Gefühl hatte, ich sei in der Analyse schlicht zu fordernd und zu kritisch. Drei Wochen vor Saisonschluss ging es mir dann aber nicht darum, Recht zu haben, sondern ich wollte, dass unser Fußball wieder funktioniert. Wir haben daher auch die gemeinsame Analyse nach dem Spiel weggelassen und sie in eher kleinen Gruppen oder einzeln gemacht. Mir war wichtig, dass es weniger emotional zugeht und niemand den Eindruck hat, er werde nicht richtig bewertet.

In unserem Interview 2020 haben Sie gesagt, dass Sie durch Ihre Familie gelassener und weniger verbissen geworden sind, auch im Umgang mit Ihren Spielern. War dies so ein Fall?

Zorniger: Ja. Ich bin nun in der Lage, die Möglichkeit einer solchen Veränderung zu sehen. In der Vergangenheit hätte ich vielleicht gesagt: Eine kritische Analyse müssen die Spieler wegstecken können und damit habe ich auch ganz klar Recht - also wird das genauso beibehalten! Es war aber nicht wichtig, Recht zu haben, sondern eine Lösung zu finden, die uns wieder auf die Siegerstraße bringt. Das zeigt mir, dass ich mit bestimmten Situationen längst lösungsorientiert und nicht so sehr gerechtigkeitsorientiert wie früher umgehe.

Das erste Spiel mit der Dreierkette endete 1:1, APOEL hätte daraufhin die Tabellenführung übernehmen können - gewann aber auch nicht. Die Sieglos-Serie endete schließlich drei Spieltage vor Schluss, ausgerechnet mit einem 3:2-Sieg gegen den Tabellenzweiten aus der Hauptstadt Nikosia. Wieso klappte es in diesem so wichtigen Spiel?

Zorniger: Weil wir einfach unglaublich effektiv waren und mit jeder Faser unseres Körpers leidenschaftlich gekämpft haben. Auch wenn ich anschließend beruhigen und sagen musste, dass bei nun vier Punkten Vorsprung und noch zwei Spielen ein weiterer Schritt zu gehen ist, fühlte sich das auch für mich direkt nach dem Sieg so an, als sei es die Entscheidung.

Eine Woche später wurde der Titel im Limassoler Stadtderby gegen Aris und damit im heimischen Stadion durch ein 4:1 perfekt gemacht. Nehmen Sie uns mit!

Zorniger: Unmittelbar nach Schlusspfiff wurden die Stadiontore geöffnet und das Spielfeld von Fans überflutet. Ich habe nach eineinhalb Stunden gerade einmal drei Spieler beglückwünschen können, weil ich sie in den Menschenmassen nicht mehr gefunden habe. Man hat mich auf Schultern durchs Stadion getragen. Ich dachte im Vorfeld, ich hätte bereits einen guten Eindruck davon, was passieren könnte. Doch da merkte ich im Detail, was diese Meisterschaft für alle bedeutet und dass das für mich vorab gar nicht vorstellbar sein konnte. Ich sah ganz viele, die Rotz und Wasser geheult haben.

Nach zehn Jahren ohne Titel gewann Bröndby IF unter Alexander Zorniger 2018 den dänischen Pokal.imago images

Wohl auch deshalb, weil der vermeintliche Fluch, es nicht schaffen zu können, gebrochen wurde?

Zorniger: Klar. Das war für alle weit mehr als ein Meistertitel, das zuvor so häufige Scheitern hatte dermaßen viel blockiert. Es wird dem Verein künftig sehr guttun, dass nicht mehr das Gefühl vorherrscht, unbedingt Meister werden zu müssen.

Die Feierlichkeiten fanden kaum ein Ende und zogen sich über Tage. Was stand auf dem Programm?

Zorniger: Am selben Abend sind wir mit dem Bus um den Kreisverkehr gefahren, an dem alle großen sportlichen Siege in Limassol gefeiert werden. Als wir ankamen, hat man vor lauter Rauchschwaden nichts mehr gesehen. Die Spieler sind auf den Bus gestiegen und so eskaliert, dass am Ende ein 40.000-Euro-Schaden entstanden war - aber das war unserem Präsidenten völlig egal. (lacht) Danach ging es in einen Club, da wurde bis weit in den Morgen weitergefeiert. Ich hatte drei Tage frei gegeben und den Spielern gesagt, sie sollen sich richtig wegschütten. Dem wurde auch ausführlich nachgekommen. Wir haben eine gemeinsame Chat-Gruppe, in der die Jungs mitteilen sollten, wenn irgendwo eine Party war - und da gab's dann tatsächlich jeden Morgen, Mittag und Abend etwas. Als wir uns mittwochs wieder trafen, konnten ein paar immer noch nicht sprechen.

Nach der Meisterschaft in der Regionalliga Nordost mit RB Leipzig 2012/13 und dem Gewinn des dänischen Pokals 2018 war dies Ihr dritter Titel. Wie sehr haben Sie sich für sich persönlich gefreut?

Zorniger: Ich habe noch nie einen Titel an der externen Wertigkeit festgemacht. Ob ich nun Meister in Zypern geworden oder damals mit Normannia Gmünd aus der 6. Liga aufgestiegen bin, dieses Denken habe ich nicht in mir. Dafür liebe ich diesen Sport einfach zu sehr. Mir geht es bei Titeln nicht darum, ob sie von 80.000 oder 300 gefeiert werden.

Um was geht es Ihnen?

Zorniger: Es zusammen mit einem Verein, einem Team, einem Staff über ein Jahr zu schaffen, alles so fokussiert und weg vom eigenen Ego zu halten, damit man gemeinsam etwas erreicht. Aber klar, ich habe in der Woche nach dem Titelgewinn extrem viel besser geschlafen als zuvor. (lacht) Mir war bewusst, dass das die am meisten entspannte und sorgenfreie Zeit wird. Ich sage immer: Die ersten fünf Minuten unmittelbar nach einem Sieg sind die einzigen, in denen man sich als Trainer total wohlfühlt. Danach macht man sich schon wieder Gedanken um die Zukunft.

Sie haben in Limassol nun Legenden-Status erreicht. Haben Sie einmal daran gedacht, nach diesem Triumph aufzuhören, weil er nur schwer zu toppen sein wird?

Zorniger: Ich gebe zu, dass dieser Gedanke für einen kurzen Moment nicht gänzlich abwegig für mich war. Doch schwerer wiegen andere Faktoren wie die, die mich dorthin gebracht haben: meine Familie. Ich habe zwei kleine Kinder, die sich in einem internationalen Kindergarten und mit den Temperaturen total wohlfühlen. Es ist unglaublich, wie viel sie für ihre Entwicklung bereits auf- und mitgenommen haben. Meine Frau wollte auch schon immer einmal in einem Land voller Sonne und Leichtigkeit leben. Dazu spiele ich sportlich zum ersten Mal in meiner Karriere sicher eine Gruppenphase eines internationalen Wettbewerbs. Ich will einfach das, was wir geschafft haben, erneut bestätigen.

Wie sehr hat Sie dieses Jahr persönlich weitergebracht?

Zorniger: Ich habe gemerkt, wie viel mehr ich doch bereit bin, von eigentlich Verinnerlichtem im Interesse des gemeinsamen Erfolgs aufzugeben. Und dass es egal ist, welche Work-Life-Balance ich haben könnte - die Verbindung zwischen meinem Job und meinem Lebensumfeld ist einfach immer da. Das ist schlicht kein Beruf, bei dem man sagen kann: Es läuft zwar sportlich nicht, aber ich genieße es trotzdem, im Meer baden und schön essen zu gehen.

Wie sieht es in Sachen Angebote aus, wird man als zypriotischer Meister häufiger kontaktiert als im Wartestand in Kopenhagen?

Zorniger: Es gibt unterschiedliche Anfragen aus zahlreichen Ländern. Auch aus welchen, die besser bezahlt sind, aber noch weiter südlich liegen. Ein Titelgewinn hebt dich schon auf eine andere Stufe. Das ist auch normal.

In fünf Jahren werden Sie 60 Jahre alt sein. Wo sehen Sie Ihren künftigen Lebensmittelpunkt?

Zorniger: Das wissen wir noch nicht. Deutschland ist nach wie vor Heimat und ein Land, in dem wir unsere Kinder vielleicht aufwachsen sehen könnten. Andererseits haben wir eine etwas andere Einstellung zu Deutschland bekommen. Man stellt schon fest, dass dem Land dieses Miteinander und eine gewisse Lockerheit im Umgang mit anderen abgeht. Wir werden daher schauen müssen, in welche Richtung sich Deutschland und wir entwickeln.