Er war Lackierer und wäre statt auf dem Fußballplatz fast im Versicherungsbüro seines Vaters gelandet. Borussia Mönchengladbachs Andre Hahn spricht über seine Achterbahn-Karriere, Sitzstreiks im Büro des Geschäftsführers, die Selbstironie Max Eberls und ein Haifischbecken voller Spielerberater.
SPOX: Herr Hahn, ich fahre einen alten VW-Bus, der dringend eine neue Lackierung und bessere Versicherungskonditionen gebrauchen könnte. Wie froh sind Sie, dass Sie mir da aktuell nicht weiterhelfen können?
Andre Hahn: Auch wenn ich Ihnen gerne geholfen hätte, bin ich natürlich sehr froh, dass ich da momentan der falsche Ansprechpartner bin und wir stattdessen dieses Interview hier führen können. Es ist toll, die Dinge erleben zu dürfen, die gerade und in den letzten drei bis vier Jahren in meinem Leben passieren.
SPOX: Danach sah es nicht immer aus. Ihr erster Versuch, Profi zu werden, scheiterte. Wieso ging es damals beim HSV nicht weiter für Sie?
Hahn: Das kam auch für mich überraschend. Während der gesamten Zeit hieß es immer, dass mein Vertrag verlängert wird und man weiter mit mir plant. Am Ende der Saison suchte der HSV dann allerdings einen neuen Sportdirektor, weshalb die Unterschrift immer weiter nach hinten geschoben wurde. Schlussendlich wurde mir dann mitgeteilt, dass überhaupt keine Kontrakte verlängert würden und ich keine Zukunft mehr in Hamburg hätte.
SPOX: Die fanden Sie dann beim FC Oberneuland. Empfanden Sie die vierte Liga nicht als Rückschritt?
Hahn: Natürlich war ich nicht glücklich damit, in die vierte Liga zu wechseln, aber ich hatte auch kaum Alternativen. Durch die späte Absage des HSV waren die Kader der oberen Klubs bereits voll besetzt. In Oberneuland konnte ich zumindest weiter Fußball spielen und war in der Nähe meiner Familie.
SPOX: Wie sieht das Leben eines jungen Fußballers in der vierten Liga aus?
Hahn: Es fing ganz gut an. Die Mannschaft und der Trainer waren super, auch das Umfeld war viel entspannter als in Hamburg. Ich habe damals in einer WG mit drei weiteren Mitspielern von Oberneuland gelebt. Das Problem war das Finanzielle.
SPOX: Inwiefern?
Hahn: Die Gehaltszahlungen kamen nur sehr unregelmäßig, meistens wurde sogar nur ein Teil dessen überwiesen, was einem vertraglich zustand. Wir durften zwar umsonst in dem Haus wohnen, weil es dem Vereinsbesitzer gehörte, aber wir mussten ja trotzdem auch Essen und Getränke kaufen, Versicherungen bezahlen und tanken. Teilweise haben wir uns mit sechs Spielern in ein Auto gequetscht, um zum Training fahren zu können. Wenn man jeden Tag nach Hause kommt, in sein Portemonnaie guckt und da schon wieder nichts drin ist, macht man sich schon Gedanken, zumal man ja auch nicht ewig seine Eltern anpumpen möchte.
SPOX: Wie schwer fällt es da, sich trotzdem professionell zu verhalten?
Hahn: Sehr schwer! Wir haben immer wieder in der Mannschaft diskutiert, was wir machen können, damit endlich mal Geld kommt. Wir haben überlegt, ob wir streiken und gar nicht mehr trainieren oder spielen sollen. So hätte auch die Öffentlichkeit mitbekommen, was im Verein schief lief. Es gab auch die Überlegung, ins Büro des Geschäftsführers zu gehen und einen Sitzstreik abzuhalten, damit sich etwas tut. Wir haben uns damals aber entschieden, uns trotzdem professionell zu verhalten und weiter zu machen. Immerhin haben wir auch für uns gespielt, um uns zu verbessern, um weiterzukommen.
SPOX: Sie zogen damals die Reißleine und kündigten, obwohl es keinen Kontakt zu anderen Vereinen gab. Hatten Sie das Kapitel Fußball abgeschlossen?
Hahn: Nein, das nicht. Ich habe auch weiterhin daran geglaubt, Fußballprofi werden zu können. Allerdings muss man auch realistisch sein. Ich war damals schon über 20 und wollte mich nicht mehr weiter von Verein zu Verein schlängeln, nur um dort dann das Minimum zu verdienen. Ich wollte mir etwas aufbauen und in meinem Leben etwas erreichen, um einen vernünftigen Lebensstandard zu haben. Nur Tiefkühlpizzen und Nudeln kam für mich nicht mehr in Frage.
SPOX: Eine Möglichkeit bot Ihnen Ihr Vater...
Hahn: Genau. Mein Vater ist mein engster Vertrauter und Berater. Er hat mich immer unterstützt und mich ermutigt, weiter Gas zu geben und nicht aufzugeben. Falls wir aber wirklich keinen neuen Verein für mich gefunden hätten, hätte ich in seiner Versicherungsagentur anfangen können. Das war aber nur eine Option für den Worst Case, der Gott sei Dank nicht eintrat. Nach meiner Kündigung hatte ich einen sehr guten Lauf, wodurch die TuS Koblenz auf mich aufmerksam wurde.
SPOX: Über Koblenz und Offenbach ging es dann nach Augsburg, wo Ihnen endgültig der Durchbruch gelang. Wann haben Sie zum ersten Mal vom Interesse Borussia Mönchengladbachs gehört?
Hahn: Ich lag ganz gemütlich auf der Couch, als der Anruf kam. Dazu muss man sagen, dass Gladbach schon vor diesem Telefonat sehr interessant für mich war. Wenn ich mit meiner Freundin oder meiner Familie früher Spiele von Mönchengladbach gesehen habe, haben wir schon immer gesagt, meine Art Fußball zu spielen, passt sehr gut zur Borussia. Umso schöner, dass sich der VfL gemeldet hat und wir uns dann so schnell und unkompliziert einig geworden sind.
SPOX: Wie hat Max Eberl es denn geschafft, Sie von Gladbach zu überzeugen, was sind seine Trümpfe in solchen Gesprächen?
Hahn: Max Eberl ist einfach ein super Typ. Er ist offen, hilfsbereit und hat eine sehr lockere, freundschaftliche Art. Man kann jederzeit über alles mit ihm sprechen und hat dabei das Gefühl, man spreche mit einem Kumpel, nicht mit einem Vorgesetzten. Das macht ihn aus und damit kann er gerade bei jungen Spielern super punkten. Er macht Witze und nimmt sich auch immer wieder selber auf die Schippe. Dazu kommt die Entwicklung des Vereins. In Mönchengladbach wird seit vielen Jahren konstant gut gearbeitet, die Mannschaft wurde Schritt für Schritt verbessert. Ein weiterer Aspekt ist Lucien Favre, der wirklich jeden Spieler weiterbringen kann.
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SPOX: Ihr Berater war immer Ihr Vater. Vor den Verhandlungen im vergangenen Sommer begaben Sie sich aber zusätzlich in die Hände von Volker Struth beziehungsweise der Spielerberatung Sportstotal. Wie kam es zu diesem Wechsel?
Hahn: Es ist kein Wechsel, mein Vater ist und bleibt mein Berater. Wir haben uns nur jemanden dazu geholt, der mehr vom Geschäft versteht und uns besser reinführen kann. Erster Ansprechpartner vor allen wichtigen Entscheidungen ist weiterhin mein Vater. Wir sprechen immer über alles, egal ob es um mich geht, andere Spieler oder neue Optionen. Seine Meinung ist mir sehr wichtig, auch wenn er mir nie in irgendetwas reinreden würde. Er sagt immer: 'Überleg es dir, schlaf zwei Nächte drüber und sag mir dann deine Entscheidung. Erst dann sage ich, wie ich entschieden hätte.' Danach setzen wir uns hin, schreiben beide auf einen Zettel, für welche Variante wir uns entschieden haben und drehen gleichzeitig um. Witziger Weise stand bisher immer das Gleiche auf unseren Zetteln.
SPOX: Hatten Sie die Befürchtung, ohne Erfahrung in diesem Geschäft "über den Tisch gezogen" zu werden?
Hahn: Wir hatten keine Angst davor, über den Tisch gezogen zu werden, allerdings hat man ohne Vergleichswerte auch überhaupt keine Idee, was möglich ist und was nicht. Die Mitarbeiter von Sportstotal können perfekt abschätzen, wie es bei welchem Verein aussieht, welche Spieler kommen und welche gehen. Selbstverständlich hätte ich den Wechsel auch nur mit meinem Vater als Berater angehen können. Dazu muss man aber sagen, dass man als Spieler ohne festen Berater in einem riesigen Haifischbecken schwimmt. Jeden Tag bekommt man mehrere Anrufe von Beratern, die einem helfen und alles Mögliche für einen unternehmen wollen. Ein weiterer Faktor ist die Zeit. Mein Vater hat neben seiner Versicherungsagentur einen alten Hof, den er in Schuss hält. Da bedeuten die dauernden Reisen und Gespräche schon einen Stress, den ich ihm dauerhaft nicht antun wollte.
SPOX: Ein Grund, weshalb Gladbach Sie unbedingt wollte, ist Ihre Polyvalenz. Inzwischen liegt Ihre primäre Position allerdings nicht mehr auf den Außen, sondern im Sturm. Können Sie Ihre Stärken dort besser zur Geltung bringen?
Hahn: Mein größter Vorteil ist, dass ich da vorne überall stehen kann. Ich kann auf beiden Flügeln spielen, im Sturmzentrum oder als hängende Spitze. Wo ich meine Fähigkeiten besser entfalten kann, ist schwer zu sagen. Ich bin ein robuster Spieler, bin kopfballstark und kann mit meiner Schnelligkeit in die Tiefe gehen. Ich spiele dort, wo der Trainer mir das Vertrauen schenkt.
SPOX: Sie sind sogar einer der schnellsten Spieler der Liga. Verlieren Sie im Training auch schon mal ein Laufduell?
Hahn: Natürlich. Oft reicht es, wenn man einen Tick später reagiert als sein Gegenspieler. Dann kommt man nicht mehr vorbei, egal wie schnell man tatsächlich ist.
SPOX: Einer meiner Kollegen hat einmal gesagt: Der Hahn ist wie eine Dampfwalze - egal, ob der die Linie entlang sprintet, ins Kopfballduell geht oder abzieht - bei dem gibt es nur ganz oder gar nicht. Was halten Sie von dem Vergleich?
Hahn: Das ist gar nicht schlecht ausgedrückt. Mein Spiel besteht aus viel Herz, viel Leidenschaft. Ich komme über Kraft, Kampf, Physis, versuche immer voll reinzugehen und durchzuziehen. Wer zurückzieht, verliert, habe ich im Laufe meiner Karriere gelernt. Insofern kann man tatsächlich sagen, dass ich ein bisschen wie eine Dampfwalze bin.
SPOX: Kommen wir zur aktuellen Saison. Der Start ist mit drei Niederlagen denkbar schlecht verlaufen. Wie ist die Stimmung in der Mannschaft?
Hahn: Man darf das alles nicht überbewerten. Wir haben drei Spiele verloren. Darunter waren zwei Auswärtsspiele gegen gute Mannschaften und eine sehr unglückliche Niederlage gegen Mainz. Wir wissen um die Qualität in unserem Team und machen uns jetzt nicht verrückt. Wenn wir endlich das erste Erfolgserlebnis haben, geht es auch wieder bergauf.
SPOX: Welche Spieler gehen in der aktuellen Situation voran?
Hahn: Das kann man gar nicht so festmachen, viele Spieler zeigen sich und wenden sich an die Mannschaft. Martin Stranzl ist zum Beispiel trotz seiner Verletzung immer dabei und versucht, die jungen Spieler, denen eine solche Situation noch sehr nahe geht, aufzurichten.
SPOX: Dazu gehören auch Marvin Schulz und Andreas Christensen, die nach dem 0:4 in Dortmund im Fokus standen. Wie schwer war es, die beiden nach dem Spiel wieder aufzubauen?
Hahn: Wir haben da vor mehr als 80.000 Fans gegen eine der besten Mannschaften Deutschlands gespielt - das darf man nicht vergessen. In Dortmund zu verlieren, ist keine Schande. Deshalb hat niemand den Jungs einen Vorwurf gemacht. Ich freue mich sogar, dass sie sich mit ihren tollen Leistungen in der Vorbereitung für solche Einsätze empfohlen haben. Wir waren alle mal jung und wissen, wie wichtig Unterstützung in solchen Situationen ist.
SPOX: In Nico Schulz ist seit wenigen Wochen ein weiterer junger Spieler im Verein. Wie hat er sich in Gladbach eingefügt?
Hahn: Es ist nie einfach, so spät zu einer Mannschaft zu stoßen. Die Vorbereitung und das Trainingslager sind bereits vorbei, die Mannschaft hat sich gefunden. Nico hat sich aber wirklich gut eingefügt und trainiert unheimlich fleißig. Er wird sicher noch ein, zwei Wochen brauchen, bis er endgültig angekommen ist, aber er verfügt über Qualitäten, die uns in dieser langen Saison noch enorm weiterhelfen werden.
SPOX: Dazu gehört auch die Champions League, dort wartet eine Hammergruppe. Haben Sie die Auslosung mit Ihren Mannschaftskammeraden zusammen geguckt?
Hahn: Einige von den Jungs haben zusammen geschaut, ich war aus persönlichen Gründen bei der Familie meiner Freundin und habe dort die Auslosung verfolgt. Als die Gruppe feststand, musste ich schon etwas grinsen, genau so etwas wünscht man sich doch: sich mit den Großen zu messen.
SPOX: Sehen wir Gladbach auch im Achtelfinale?
Hahn: Es ist noch viel zu früh, um irgendwelche Prognosen abzugeben. Jetzt freuen wir uns erstmal wahnsinnig auf die Spiele. Vor allem die Partien im Borussia-Park werden Feiertage, denen die ganze Stadt entgegenfiebert. Aber eins ist auch sicher: Wir wollen die Großen ärgern und können versprechen, dass wir keine Punktelieferanten sind.
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