Arda Turan erfüllt sich mit der Unterschrift beim FC Barcelona einen Traum, für den er vor kurzem noch belächelt wurde. In seiner Heimat ist er schon jetzt Volksheld, in Katalonien erwartet man viel. Eine Geschichte über wirre Klauseln, verschachtelte Politik - und dickes Fleisch.
Ahmet Cakar ist in der Türkei eine Legende. Eine Ikone, auf seine ganz eigene Art und Weise.
Vor zwanzig Jahren, im April 1995 war das, da stand er noch im Münchner Olympiastadion auf dem Rasen und leitete das Halbfinale der Champions League. Bayern gegen Ajax. Der beste Referee, den es in der Türkei jemals gab, da ist man sich am Bosporus einig.
Heute, zwanzig Jahre, viele Kilos und zahllose graue Haare später, sitzt Cakar im Anzug in den großen Fernsehstudios des Landes. Und flucht. Und tobt. Und hört gar nicht mehr auf zu granteln. Seine Schimpftiraden auf alles und jeden im türkischen Fußball haben längst mehr als Kultstatus erreicht.
Ob er nicht Angst habe, sich so viele Feinde zu machen, wurde er 2004 gefragt. "Das schlimmste, was sie tun können, ist mich umbringen", hat Cakar gesagt. "Wer sich traut, der soll ruhig kommen. Aber so einfach ist es nicht. Mein Fleisch ist dick." Ein paar Tage später wurde er in Istanbul auf offener Straße am helllichten Tag fünf Mal in den Bauch geschossen. Cakar überlebte. So einfach ist es eben nicht.
Auch zu Arda Turan hatte Cakar eine Meinung. Als erste vage Gerüchte durch die Gazetten geisterten, dass der FC Barcelona womöglich interessiert sein könnte, holte Cakar einmal tief Luft und krawallte los. Dieser Arda, der würde bei Barca kein Land sehen. Nicht einmal mittrainieren könnte der bei der großen Blaugrana. Einen Platz auf der Tribüne gäbe es. Höchstens.
Anruf vom Präsidenten
Am 7. Juli 2015 musste sich Ahmet Cakar öffentlich entschuldigen. Die grantelnde Institution, dem normalerweise so herzlich egal ist, was der Rest der Welt über ihn denkt, musste zurückrudern. Sorry sagen nach einem wahren Volksaufstand gegen das, was er über Turan abgelassen hatte. Denn der hatte gerade einen Vertrag beim FC Barcelona unterschrieben. Und sich mit 28 in seiner Heimat unsterblich gemacht.
Die Reaktionen in der Türkei als Hype zu betiteln, wäre eine unverschämte Untertreibung. Breaking News flimmerten über die Bildschirme aller TV-Sender, Präsident Recep Erdogan gratulierte dem neuen Volkshelden persönlich und alles, was Rang und Namen hat, gab ein öffentliches Statement ab. Ehemalige Trainer meldeten sich. Sie hätten Arda zuerst entdeckt. Ehemalige Mitspieler ebenfalls. Sie hätten ihm erst die entscheidenden Tipps gegeben.
Und jetzt spielt Arda bei Barcelona. Dabei war es doch schon Erfolgsgeschichte genug, dass er es aus bescheidenen Verhältnissen aus dem Arbeiterviertel Bayrampasa überhaupt zu seinem Herzensklub Galatasaray geschafft hatte. Dass sie ihn dort schon wegschicken wollten, sein Talent lange nicht erkannten - und er trotzdem Kapitän wurde. Mit 21.
Doch während Turan vermeintlich ganz oben angekommen war, schlingerte sein Team von einer durchwachsenen Saison in die nächste. 2009 wurde Galatasaray Fünfter, im Jahr darauf Dritter, dann Achter. Zu wenig für die stolzen Löwen, bei denen sich Turan plötzlich im Zentrum der Kritik wiederfand. Die eigenen Fans pfiffen ihn aus, ihn, den Gala-Fan aus tiefstem Herzen. Der Wechsel nach Spanien 2011? Mehr Flucht als Streben nach Erfolg.
"Arda ist unser ganzer Stolz"
Doch der Erfolg kam - und wie. Bei den Rojiblancos wurde Turan zum Leistungsträger und Anführer, gewann die Meisterschaft, den Pokal und die Europa League. Und durfte seinem Berater tränenblind in die Arme fallen, als er vier Jahre nach der Ankunft in Iberien seine Unterschrift unter einen Vertrag bei Barcelona setzte.
"Arda ist unser ganzer Stolz", sagte Bayrampasas Bezirks-Bürgermeister Atila Aydiner. Eine Straße werden sie nach ihm benennen, dem berühmtesten Sohn des Viertels. Als der Wechsel bekannt wurde, legten viele im Arbeiterviertel ihre Tätigkeit nieder, gingen auf die Straße und feierten.
Und Turan selbst? Dem ist der Hype um seine Person schon fast peinlich. Bodenständig ist er, und witzig. Kraft schöpft er aus dem Rückhalt seiner Familie, statt großspurigen Sprüchen bedankte er sich beim Volk. Eines der ersten Dinge, die er bei seiner Vorstellung in Katalonien sagte, war: "Ich möchte mich zuerst bei Simeone sowie Atletico bedanken, dass ich jetzt bei Barcelona spielen darf."
Enrique bekommt den Wunschspieler
Vielleicht würde "mancher darüber lachen", hatte er noch in Diensten Galas gesagt, "aber ich träume davon, einmal in Barcelona zu spielen". Jetzt ist der Rechtsaußen angekommen. Beim besten Klub der Welt, wie Turan sagt. Als ausdrücklicher Wunschspieler des großen Triple-Trainers Luis Enrique.
Der hält große Stücke auf den Türken, bezeichnete ihn als "Schlüssel für unser Team". Pfeilschnell sei er, schwer vom Ball zu trennen und in der Defensive bemerkenswert. Als Alternative für Superstar Neymar und Konkurrent für Ivan Rakitic auf der Halbposition soll Turan kommen. "Er bringt alles mit, was wir brauchen." Auch sein großes Idol Andres Iniesta spricht von "spektakulären" Qualitäten, schickte ihm nach dem Transfer sogar eine persönliche Nachricht.
Bis es diese Qualitäten auf dem Platz des Camp Nou zu bestaunen gibt, wird es allerdings bis Januar dauern. Dann läuft die Transfersperre der Katalanen ab. "Es wird sicherlich etwas schwer", sagt Turan über die unfreiwillige Wartezeit bis zu seinem Debüt, die er mit Training verbringen wird. Nicht mit einer Leihe. Das sei "weder angedacht, noch werden wir darüber nachdenken", sagt Enrique. "Ich will ihn bis Januar bei uns haben."
Mehr Schachzug im Wahlkampf?
Nicht vergessen werden darf allerdings die politische Seite des Transfers. Die Verpflichtung des nach Torhüter Rüstü Recber zweiten türkischen Profis in der Geschichte von Barca war ein Transfer für die Kaderbreite - und vor allen Dingen ein kluger Schachzug im Wahlkampf von Präsident Josep Bartomeu.
Der Geschäftsmann wurde als Präsident der Katalanen wiedergewählt. Weil er das Wahlversprechen seines Hauptkonkurrenten Joan Laporta - die Verpflichtung von Paul Pogba im Sommer 2016 - mit dem Turan-Transfer hinfällig machte. Und weil er dem in Fankreisen hoch angesehenen Coach seinen Wunschspieler ermöglichte.
Solange die Wahl noch nicht über die Bühne gegangen war, hatte Turan deshalb eine skurrile Klausel in seinem Vertrag. 34 Millionen kostete der Kapitän der türkischen Nationalmannschaft, sieben Millionen können an Bonus-Zahlungen noch dazu kommen. Bis zur Wahl gab es allerdings ein Rückgaberecht, dass die Katalanen zehn Prozent des Kaufpreises gekostet hätte, wenn ein anderer Präsident andere Pläne gehabt hätte.
Es sei dahingestellt, wie gut oder schlecht die Wiederwahl Bartomeus für den Verein an sich ist. Fest steht, dass sie Turans Kindheitstraum, wie er selbst sagt, erst möglich gemacht hat. Jetzt heißt es nur noch warten. Warten bis zum ersten Einsatz im rotblauen Trikot. Und darauf, was Ahmet Cakar dazu sagt.
Arda Turan im Steckbrief