"Nur Sportschau gucken reicht ja nicht"

Jochen Tittmar
19. August 201511:01
Bastian Oczipka spielt seit Sommer 2012 für Eintracht Frankfurtimago
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Linksverteidiger Bastian Oczipka ist unumstrittener Stammspieler bei Eintracht Frankfurt - und hat eine nicht übliche Angewohnheit: In der Freizeit analysiert der 26-Jährige gemeinsam mit seinem ehemaligen Nachwuchstrainer Dirk Kunert seine Partien per Videotelefonat. Oczipka spricht im Interview über seinen lange gehegten Traum von Bayer Leverkusen, wundert sich über Marcell Jansens Karriereende und erklärt, weshalb ein Berater kein Freund eines Spielers sein sollte.

SPOX: Herr Oczipka, Sie arbeiten seit einiger Zeit mit Dirk Kunert, Ihrem ehemaligen Nachwuchstrainer aus Leverkusen zusammen. Kunert fungiert als sportlicher Leiter in der Agentur Ihres Beraters, mit ihm stehen Sie in engem Kontakt und analysieren Ihre Partien. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Bastian Oczipka: Das war im Prinzip Zufall. Wir haben den Kontakt nie verloren und sind dann während mehrerer Gespräche beiläufig zu dieser Entscheidung gekommen. Seit fast einem dreiviertel Jahr geht das jetzt.

SPOX: Eine Art Videoanalyse zu Ihren persönlichen Spielszenen?

Oczipka: Genau. Er bereitet individuell auf mich und meine Position zugeschnittene Einzelszenen per Videobild vor. Wir können das dann per Bildtelefon gemeinsam anschauen. Jeder hat Zugriff auf das Material und kann vor- und zurückspulen.

SPOX: Wie groß ist der Lerneffekt?

Oczipka: Ich kann das Spiel dadurch auf jeden Fall anders und besser reflektieren, als wenn ich es gar nicht machen würde. Die Veranschaulichung ist einfach besser, nur Sportschau gucken reicht ja nicht. (lacht) Als Außenstehender hat man eine völlig andere Wahrnehmung, als wenn man selbst aktiv in der Hektik des Spielgeschehens mitmischt. Kommt dann eine Spielsituation, über die man gesprochen hat, noch einmal vor, fällt einem das auf dem Feld dann auch gleich intensiver auf. Ein Lerneffekt ist meiner Ansicht nach in jedem Fall da.

SPOX: Wann finden diese Analysen in der Regel statt?

Oczipka: Wir machen das nicht zwingend nach jedem Spiel. Das wäre wohl zu viel des Guten. Man kann beispielsweise drei Partien vergehen lassen und dann über Auffälligkeiten in diesen Begegnungen sprechen. So kommt natürlich auch mehr Anschauungsmaterial zusammen. Insgesamt sind wir jeweils rund eine Viertelstunde damit beschäftigt.

SPOX: Weiß Ihr Coach Armin Veh darüber Bescheid, dass Sie private Einzelsitzungen machen?

Oczipka: Ich habe es ihm nicht explizit gesagt. Es gehört ja mittlerweile zur Funktion eines Beraters, über die Spiele des Klienten zu sprechen. Ich gebe aber natürlich vor, was der Trainer von mir innerhalb seiner Spielidee erwartet - also beispielsweise meine Grundposition oder das Verhalten bei Ballbesitz. Letzte Saison unter Thomas Schaaf sollte ich mich bei der Spielauslösung sehr tief in der eigenen Hälfte hinter den Innenverteidigern zeigen, unter Armin Veh soll ich nun sehr hoch im Feld stehen. Das ist der Ausgangspunkt. Wir sprechen dann aber weniger über taktische Dinge, sondern mehr um Themen wie das Timing beim Kopfballspiel oder die Verbesserung von Flanken.

SPOX: Wie eng ist denn grundsätzlich Ihr Kontakt zu Kunert oder auch Ihrem Berater Sven Kraft?

Oczipka: Wir tauschen uns nicht täglich, aber mehrmals die Woche aus. Es gibt immer Themen, die einen beschäftigen, über die man reden oder eine zweite Meinung einholen möchte. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Inwiefern muss der Berater denn auch so etwas wie ein guter Freund sein?

Oczipka: Man hat als Spieler mit einem Berater ja wegen des Berufs zu tun, er soll also von sich aus auch kritische Dinge aus einer gewisser Neutralität heraus ansprechen können. Ein guter Kumpel würde einem womöglich immer nur Mut zusprechen und Sachverhalte schönfärben. Ein Berater dagegen soll kein Freund sein und auch den Finger in die Wunde legen können - auch wenn ich mit Sven gerne einmal Essen gehe und über Themen außerhalb des Fußballs quatsche.

SPOX: Wie sehr tauscht man sich denn im Kollegenkreis über das Thema Berater aus?

Oczipka: Das wird eher verschwiegen. Natürlich kann es vorkommen, dass man mit Mitspielern, zu denen man einen besonders engen Draht hat, auch einmal darüber spricht. Ansonsten ist das aber unüblich, vielleicht ist das ein zu ernstes Thema für die Kabine. (lacht)

SPOX: Ein Berater ist heutzutage auch verantwortlich für Themen wie Vermögensverwaltung oder PR und Vermarktung. Wie kompliziert ist es gerade für junge Spieler, in all diesen Fragen eine ausgewogene Entscheidung zu treffen?

Oczipka: Es wird sicherlich immer schwieriger, das Richtige für einen herauszufiltern - zumal der Markt an Beratern sehr groß ist. Man wird häufig angesprochen und muss dann in jungen Jahren entscheiden, wer das gesamte Paket am besten abdeckt. Das kann auch gefährlich sein, da man sich in diesem Alter noch nicht wirklich viele Gedanken darüber macht oder ein Gefühl dafür entwickeln kann. Es ist es ja mit dem Aushandeln von Verträgen nicht getan. Pressearbeit, Sponsorentermine, Social Media - da hängen unheimlich viele Sachen mit dran, die vor zehn Jahren noch gar nicht existent waren.

SPOX: Ganz wenige Spieler haben gar keinen Berater, ein gewisser Prozentsatz wird von Familienmitgliedern beraten - doch in beiden Fällen fehlt oftmals das betriebswirtschaftliche Knowhow, wenn es zu Verhandlungen kommt. Warum können Sie sich Ihre Eltern nicht als Ihre Berater vorstellen? SPOX

Oczipka: Um Gottes Willen! (lacht) Über meine ersten Verträge haben tatsächlich noch meine Eltern geschaut. So ein Profivertragswerk mit mehrseitigen Paragraphen und Klauseln ist aber dermaßen komplex, dass man sich da eigentlich zwingend professionelle Hilfe holen muss. Und wie gesagt, ein Berater hat im Alltag eines Profis noch so viele andere Themen zu bearbeiten, dass man das durchaus aus der Familie auslagern sollte. Sonst ist es nicht zu schaffen, den vielfältigen Anforderungen gerecht zu werden.

SPOX: Ein großes Problem für viele Fußballprofis ist die Zeit nach der Karriere. Einige gehen pleite, andere sind auf diesen Lebensabschnitt kaum vorbereitet. Was tun Sie, um sich für diese Zeit vernünftig aufzustellen?

Oczipka: Es sollte einem schon während der Karriere bewusst sein, dass alles ein Ende hat und man sich für die Zeit danach ordnen sollte. Der fatale Denkfehler ist häufig, dass alles einfach so weitergehen werde und man sich über die Jahre daran gewöhnt hat, im finanziellen Bereich einen steten Zufluss zu haben. Ich werde bald anfangen, in aller Ruhe nebenbei Fußball- oder Sportmanagement zu studieren. Mal sehen, ob das als aktiver Profi auch hinhaut, die Schulzeit liegt ja schon einige Jahre zurück.

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SPOX: Ist es deshalb so schwierig, sich während der Karriere auf die Zeit danach vorzubereiten, weil die glänzende Fußball-Welt eben so verlockend ist und die Sicht auf das wahre Leben verfälscht?

Oczipka: Ja, das glaube ich schon. Deshalb ist es in meinen Augen wichtig, einen Ratgeber an seiner Seite zu wissen, der einem durchaus in vielen Dingen hilft, sie erklärt und abwiegt - aber dir die Gedanken über die finale Entscheidung nicht abnimmt. Ein Berater soll Optionen schaffen, aus denen der Spieler dann selbständig auswählt. Da muss man auch einmal eine Lanze für die Beraterbranche brechen, denn die allermeisten tun genau dies und verhalten sich damit vollkommen kompetent.

SPOX: Inwiefern können Sie denn einen Spieler wie Marcell Jansen verstehen, der mit 29 seine Karriere beendet hat und zugab, dass ihm die ganze Fußball-Maschinerie schon immer sehr suspekt war?

Oczipka: Wenn das seine Sicht ist und er hinter der Entscheidung steht, ist das natürlich legitim. Für mich wäre es jedoch absolut gar nichts. Ich würde in drei Jahren niemals meine Karriere beenden wollen. Marcell Jansen war zudem auch noch topfit, er hätte sicherlich problemlos noch ein paar Jahre spielen können. Ich glaube, dass er sich in sechs bis zwölf Monaten bestimmt selbst noch einmal darüber wundert, weshalb er nicht weiter gespielt hat. Fußballprofi zu sein ist schließlich für viele immer noch der Traumjob schlechthin.

SPOX: Was denken Sie über Spieler, die in der Blüte ihres Schaffens sogar bis in die 2. englische Liga zu wenig ambitionierten Vereinen wechseln, weil sie dort unverhältnismäßig viel verdienen können?

Oczipka: Verständnis habe ich dafür, aber auch das kann ich mir für mich überhaupt nicht vorstellen. Was soll ich beispielsweise in Russland oder China spielen, nur um dort das große Geld einzusacken? Es gibt ja auch genügend Beispiele an Spielern, die aus Deutschland gewechselt sind und jetzt besser verdienen, sportlich aber kaum mehr ein Bein auf den Boden bekommen. Bei uns dagegen kommen europaweit die meisten Zuschauer in die Stadien, die Fankultur lebt, das fußballerische Niveau ist sehr hoch. Frankfurt ist für mich die beste Lösung.

SPOX: Sie sind als Linksverteidiger und Stammspieler in der Bundesliga per se eine begehrte Personalie. Wieso sind Sie aber der Typ, der dort weitermacht, wo er sich etwas aufgebaut hat, anstatt den Verlockungen des Geschäfts zu verfallen? SPOX

Oczipka: Viele Spieler werden einmal in ihrer Karriere wohl die Chance haben, an einem bestimmten Ort viel Geld verdienen zu können. Natürlich würde es auch sicherlich viel Spaß machen, beispielsweise einmal in England zu spielen. Mir ist es in dieser Phase meiner Karriere aber am wichtigsten, mich als Spieler weiter zu entwickeln und einfach besser zu werden. Das ist in meinen Augen in einem Umfeld, das ich nun schon gut kenne und in dem ich mir auch etwas aufgebaut habe, am ehesten möglich. Man will ja auch als Mensch glücklich sein - und Geld allein macht nicht glücklich.

SPOX: Sie haben neun Jahre in der Nachwuchsabteilung von Bayer Leverkusen gespielt und sind dann nach Rostock und zu St. Pauli ausgeliehen worden. In Frankfurt sind Sie nun zum gestandenen Bundesligaspieler gereift und gehen dort in Ihre vierte Saison. Haben Sie bei der Eintracht zum ersten Mal in Ihre Karriere das Gefühl, eine echte sportliche Heimat gefunden zu haben?

Oczipka: Eindeutig. Ich bin mit 19 Jahren hunderte Kilometer entfernt von Familie und Freunden nach Rostock gegangen. Das hat mir zwar enorm geholfen, um als Person selbständig und reifer zu werden. Dennoch kam damals und später bei St. Pauli nicht dieses Gefühl auf, das mich jetzt bei der Eintracht begleitet. Frankfurt ist Heimat, ich habe viele Freunde abseits des Fußballs hier gewonnen und zudem einen kurzen Weg nach Hause ins Rheinland.

SPOX: Wie sehr haben Sie gerade während Ihrer Leihen nach Leverkusen geschielt, um dort den Sprung in die erste Mannschaft zu schaffen?

Oczipka: Leverkusen war lange Zeit mein großer Traum. Das halte ich aber auch für vollkommen normal, schließlich war das als 10-Jähriger mein erster richtiger Verein und ich war jahrelang dort. Die Hoffnung, bei Bayer den Durchbruch zu schaffen, hatte ich währenddessen immer. Mir sind damals nach meiner Rückkehr ein Knöchelbruch und das schwierige Jahr unter Robin Dutt dazwischen gekommen, um mich wirklich etablieren zu können. Im Nachhinein sehe ich das jetzt natürlich entspannter, da ich ohne diese Begebenheiten wohl nicht in Frankfurt gelandet wäre.

SPOX: Dort waren Sie auch schon einmal als Kandidat für die deutsche Nationalmannschaft im Gespräch. Auf der Linksverteidigerposition herrscht ja ohnehin ein struktureller Mangel. Was macht denn ein Jonas Hector besser als Sie?

Oczipka: Fiese Frage. (lacht) Will ich nicht beantworten. Aber: Dass er nominiert wurde, ist jetzt auch keine riesige Überraschung. Er ist ein guter und junger Spieler, der eine ordentliche erste Bundesligasaison gespielt hat.

SPOX: Glauben Sie noch an eine Einladung oder ist der Zug abgefahren?

Oczipka: Der Zug ist generell niemals abgefahren. Es ist nicht so, dass ich der Einladung zur Nationalmannschaft verbissen hinterher renne. Man will als Spieler ja konstant gute Partien abliefern, damit ist man schon enorm beschäftigt. Das war vor einem Jahr auch mein Manko, das gebe ich gerne zu. Wenn einem das über einen längeren Zeitraum aber gelingen sollte, kommt der Rest von alleine - unter anderem und möglicherweise auch die Nationalelf.

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