Besuch beim Deutschen Fußballmuseum: Stehen bleiben, hier gibt es alles zu sehen!

Stefan Petri
13. September 201912:51
Herumgebaut um die Ausstellung und damit einzigartig: das deutsche Fußballmuseum.Deutsches Fußballmuseum
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Seit zweieinhalb Jahren bietet das Deutsche Fußballmuseum im Herzen Dortmunds alles, was das Fußballherz begehrt. Lohnt sich ein Besuch? SPOX-Redakteur Stefan Petri war vor Ort und hat sich umgeschaut.

"Ganz typisch fürs Museum ist die Tatsache, dass es komplett unterschätzt wird. Die Leute denken, sie gucken sich hier drei Schuhe und fünf Trikots an und das war's dann", verrät Ann Kathrin Weber, während sie durch das Deutsche Fußballmuseum führt.

Vor dem BVB-Heimspiel nochmal schnell in einer Stunde durch? Wie sagte doch Lukas Podolski: Vergiss es!

Ann Kathrin ist einer der Tourguides im Museum, deutlich zu erkennen an einem grünen Nationalmannschafts-Shirt. Einen Tag nach dem 1:1 der DFB-Elf in Düsseldorf gegen Spanien hat sie sich bereit erklärt, mich durch die fleisch- bzw. betongewordene Schatzkammer der deutschen Fußballgeschichte zu lotsen - wobei, die Schatzkammer, die gibt es in diesem modernen Gebäude direkt neben dem Dortmunder Hauptbahnhof ja wirklich. Kommt aber erst später.

Zuvor gibt es schließlich eine ganze Menge zu sehen. Nach einer Führung im Schnelldurchgang, die trotzdem fast eineinhalb Stunden dauert, verstehe ich, dass so mancher unterschätzen kann, was ihn - oder sie, schließlich beträgt der Frauenanteil unter den Besuchern rund 30 Prozent - erwartet. 1.600 Exponate, verteilt auf knapp 8.000 Quadratmeter Fläche, dazu kommen nicht wenige Quadratmeter Bildschirm. Mehrere Tage würde es dauern, sich wirklich alles anzuschauen, sagt Ann Kathrin: "Wir haben allein 26 Stunden Videomaterial ..."

Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll.Deutsches Fußballmuseum/Stefan Petri

Ob sie mittlerweile alles davon gesehen hat? Seit Juni 2015 ist sie dabei und kennt das Museum dementsprechend wie die nicht vorhandene Westentasche an ihrer Arbeitskleidung. Schließlich wurde erst im Oktober 2015 eröffnet.

Fußballmuseum: Inspiriert und finanziert durch die Heim-WM 2006

Warum dauerte es so lange, bis eine Republik voller Fußballtempel endlich einen der eigenen Vergangenheit gewidmeten Schrein ins Leben rief?

Die Idee gab es schon länger. Eine Sonderausstellung zum 100. Geburtstag des DFB mit genau einem Exponat pro Bestehungsjahr lockt im Jahr 2000 viermal so viele Zuschauer wie erwartet ins Oberhausener Gasometer - das Interesse war also da. Später kam das Sommermärchen 2006 und mit ihm die Verpflichtung, einen Teil der Einnahmen in ein gesamtgesellschaftliches Projekt zurückfließen zu lassen. Interesse plus Finanzierung gleich Museum.

Wieso Dortmund und nicht Berlin oder Frankfurt oder gar der Müncher Marienplatz? Dann wäre immerhin die Schale in Griffweite.

Es sei schnell klar gewesen, dass das Museum ins Ruhrgebiet kommen soll. Berlin hat schon zu viele Museen und im Pott sind immerhin fast ein Drittel der 26.000 Vereine unter dem DFB beheimatet. Dortmund bekommt den Zuschlag, weil die Location, der ehemalige Busbahnhof im Herzen der Stadt, am Ende nicht zu schlagen ist.

Eine Ausstellung wie ein Fußballspiel

Einen Vorteil hat die lange Entstehungsgeschichte, den man als Besucher wohl nicht auf den ersten Blick wahrnimmt: Das Gebäude "ist das einzige Haus in Europa, das um eine Ausstellung herumgebaut wurde", verrät Ann Kathrin. Zuerst kam die Konzeption der Ausstellung, erst dann die perfekt darauf abgestimmte Hülle.

Ein farbenfrohes Fest der Sinne: Das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund.Deutsches Fußballmuseum

Und so betreten die rund 250.000 Zuschauer im Jahr nicht nur eine Ausstellung, sondern gleichzeitig ein klassisches Fußballspiel: Warm-Up im Foyer, dann der "Spielertunnel", eine Treppe an einem Fußball-Wimmelbild vorbei, die nach oben in die erste Halbzeit führt. Diese widmet sich der Nationalmannschaft, die zweite Hälfte deckt den Vereinsfußball ab.

Unterbrochen wird das Ganze natürlich von einer klassischen Pause, statt Standpauke gibt es allerdings ein paar Minuten 3D-Kino über den WM-Titel 2014. Moderiert unter anderem von Manuel Neuer, Toni Kroos und Thomas Müller, auswendig gelernt und vorgetragen mit dem schaurig-schönen Charme einer Grundschulaufführung.

Was ist eigentlich das Gegenteil von "Weitergehen, hier gibt es nichts zu sehen"? Zu sehen gibt es in Dortmund alles und noch mehr, da reichen auch 90 Minuten mit großzügig bemessener Nachspielzeit nicht. Drei bis dreieinhalb Stunden sind die meisten Besucher da, Rückspiel also inklusive.

Der original Endspielball von 1954. Deutsches Fußballmuseum/Stefan Petri

Fußballmuseum: Orginal-Ausstellungsstücke und magische Momente

Empfangen wird man vom Original-Endspielball von 1954 aus dem Nachlass Sepp Herbergers, und schon weiß man, dass hier nicht gekleckert, sondern geklotzt wird. Die Mütze von Helmut Schön ist da, neben dem Trikot von Gerd Müller 1974 und dem Elfmeterpunkt des Stadio Olimpico von 1990, später von Musikproduzent Frank Farian ersteigert und in Acryl gegossen. Oliver Bierhoffs Schuhe von 1996 sehen schon wieder verdammt alt aus, und Doris Fitschen hat drei Teile eines ominösen Kaffeeservice zur Verfügung gestellt. Da war doch was.

Zwischendurch wird es immer wieder interaktiv. Ein Fußballquiz gehört genauso zur Ausstattung wie eine Kommentatorenkabine und ein Schiri-Bereich, bei dem man selbst auf Foul entscheiden muss. Wer will, kann sich das legendäre Faber-Trikot des VfL Bochum überstreifen und ein Foto machen.

Plötzlich wird es dunkel. Zeit für einen "Magic Moment": An großen Videowänden werden alle 15 Minuten magische Momente der Nationalmannschaftsgeschichte abgespielt, alles bleibt stehen und guckt, erinnert sich, sieht zum ersten Mal - ein Gemeinschaftserlebnis, das explizit gewünscht ist. Stadionatmosphäre im Museum.

Diesmal ist es die WM in Brasilien, Deutschland gegen Algerien: "Özil ... Jaaaaaaa! Mesut Özil macht das Tor!"

Später gibt es im Bundesliga-Bereich übrigens das Tor von Jay-Jay Okocha zu sehen, gegen einen gewissen Titanen. "Da, muss ich sagen, hat Kahn bei mir an Ansehen gewonnen, als er hier war und das gesehen hat", schmunzelt Ann Kathrin. "Er konnte auch selbst ein bisschen über sich lachen. Er sagte, dass er damit ja Geschichte geschrieben hat, insofern ..."

Ausstellungsstücke im Fußballmuseum: Auch Götzes Schuh ist da

Die letzten Weltmeisterschaften scheinen fast vollständig an den Dortmunder Bahnhof verfrachtet worden zu sein. Ein originalgetreuer Nachbau der Hotelbar im Campo Bahia? Joachim Löws blauer Strenesse-Pullover? Taktikvarianten von Hansi Flick, der Zettel mit dem stolpernden Müller inklusive? Check, check und nochmals check. Natürlich gibt es auch jede Menge Trikots, Medaillen und Fußballschuhe, und auch den Finalschuh von Mario Götze. Ungebürstet vom Zeugwart einkassiert. Allerdings ist es "nur" der rechte, den linken hatte Götze für zwei Millionen Euro versteigern lassen.

Der Nike Magista: Mit seinem linken Pendant erzielte Mario Götze das Tor zum WM-Titel 2014.Deutsches Fußballmuseum/Stefan Petri

Das Haus ist nach dem IKEA-Prinzip aufgebaut: Einfach weitergehen und man kommt überall vorbei. Verlaufen kann man sich also nicht. Verlieren in der deutschen Fußballgeschichte schon. 17 Minuten Originalkommentar vom Finale 1954 in Dauerschleife - die nehm' ich noch mit!

17 erhalte Minuten aus dem Endspiel 1954 laufen in Dauerschleife, kommentiert von Herbert Zimmermann.Deutsches Fußballmuseum/Stefan Petri

Monitore mit WM-Spielen in voller Länge, der eine oder andere soll dabei auch schon eingeschlafen sein. Eine Kabine mit allen WM-Songs und den passenden Videos dazu. Okay, dabei schläft niemand ein.

Deutsches Fußballmuseum: Auch die Spieler spenden Erinnerungsstücke

Wie kommt man an derartige Ausstellungsstücke? An Loddars Telefonrechnung von 1990 über stolze 500 Mark, die Zimmerkollege Brehme nicht mit ihm teilen wollte. Oder an Christoph Metzelders WM-Tagebuch von 2006. Der habe sich damals an Bundestrainer Klinsmann gewandt, erzählt Ann Kathrin: "Pass auf, ich habe so einen Riesendruck und weiß nicht, wie ich damit klarkommen soll." Klinsmanns Rat: "Versuch es mit Tagebuch schreiben."

Das meiste läuft über den DFB-eigenen Archivar, das Museum kann Interesse anmelden. Exponate wie der Ball eines Eröffnungsspiels oder das Trikot des ersten Torschützen werden vorher abgesprochen.

Natürlich kommt auch der Bomber nicht zu kurz.Deutsches Fußballmuseum/Stefan Petri

Anderes läuft über den direkten Kontakt. Einfach mal Poldi anrufen wegen der Plakette seines Abschiedsspiels: "Jo, kein Problem." Hummels verschenkte seine Siegermedaille 2014 ("Dann weiß ich, wo sie ist"), Kroos gab im Gegenzug sein Lorbeerblatt. Und natürlich meldet sich auch mal der eine oder andere Privatmann, weil Opas Seemannskiste auf dem Dachboden einen echten Kracher beherbergte. "Ungefähr zehn Mails pro Tag", sagt Ann Kathrin, aber nur ein Prozent davon werde überhaupt gesichtet.

Ein kontroverses Kultobjekt findet sich ebenfalls in Dortmund - und zwar in einer Urne: Krake Paul, jenes fehlerlose Orakel der WM 2010, wurde nach seinem Tod eingeäschert und ging an eine Privatperson. Die stellte die Urne dem Museum zur Verfügung, was einen Aufschrei der Tierschützer zur Folge hatte. Wollten sie, dass man Paul ganz normal begräbt, frage ich Ann Kathrin ein bisschen ungläubig. "Wahrscheinlich ..."

Nationalmannschaft und Vereinsfußball: Zwei Halbzeiten im Museum

Wenn die Bundesliga hier im Vergleich zur Nationalmannschaft zu kurz kommen sollte: Im Museum tut sie es nicht. Stadionkultur, Kutten, Bosman-Urteil, kultige Clips mit Maskottchen, Siegestänzen und Wutreden, die man sich auf einem drehenden 360-Grad-Podest anschauen kann. Der Bolzplatz. Fußball als Religion. Die Schiedsrichter. Eine Elf jedes Jahrzehnts.

Pokale natürlich auch, von der ersten Bundesliga-Trophäe Viktoria über die Meisterschale bis hin zu einem Champions-League-Pokal in Originalgröße: "Darauf sind wir besonders stolz. Den haben normalerweise nur Sieger, aber die UEFA hat für uns eine Ausnahme gemacht."

Die "Schatzkammer" des Fußballmuseums: Vier WM-Pokale im Original

Aber selbst dieses Edelmetall verblasst hinter der "Schatzkammer". Nach dem Halbzeitvideo steigt man eine Treppe hinab und steht im Halbdunkel, zusammen mit vier Weltmeister- und drei Europameistertrophäen. Alles Originale, lediglich der Jules Rimet ist eine Kopie, weil das Original von Brasilien 1988 verschlampt wurde. Materieller Wert: insgesamt 320.000 Euro. Ideeller Wert: unbezahlbar. Wer da nicht zum Kind wird, hat den Fußball nicht geliebt.

Die Deutsches Fußballmuseum/Stefan Petri

Dann geht es zurück auf die Treppe, die perfekte Plattform für ein paar Schnappschüsse. Natürlich ohne andere Besucher drauf, also muss ich warten, genau wie der Mann neben mir, der irgendwann seine Frau da unten zur Seite schickt. Wir grinsen uns an.

Nicht immer sind alle Pokale vor Ort. DFB, UEFA, FIFA und die Premiumpartner dürfen unter bestimmten Voraussetzungen ausleihen, beim Rest der Ausstellung wird fast jede Woche ein bisschen rotiert. Es tut sich also immer etwas.

Deutsches Fußballmuseum: Sogar Horst Eckel kommt in Dortmund vorbei

Manchmal sieht man sogar nicht nur Stutzen und Stollenschuhe, sondern auch ihre früheren Träger, erzählt Ann Kathrin. Horst Eckel war bei der Eröffnung als Stargast dabei und kommt ein paarmal im Jahr mit seiner Familie zu Besuch. Häufig gibt es Legendenführungen mit Spielern aus dem Ruhrgebiet, zum Beispiel Lars Ricken, Klaus Fischer oder Olaf Thon. Stefan Kießling hat den Geburtstag seines Sohnes im Museum gefeiert - auch das ist möglich -, auch Christoph Metzelder oder Jens Lehmann sieht man hin und wieder.

Man will Freunden oder Verwandten ja auch mal zeigen, was aus dem privaten Fundus hier ausgestellt wird. Die "Ehrfurcht" sei bei anderen Zuschauern dann schon da, "aber man geht hier relativ unbehelligt durch." Vielleicht ein paar Autogramme, mehr nicht.

WM-Kader 2018: Bekanntgabe auf dem Bolzplatz

Die Nachspielzeit bildet ein Kleinfeld, auf dem sich die Besucher in bester Bolzplatzmanier organisieren und ein bisschen kicken dürfen. Alternativ hält der Platz als Aufenthaltsraum für Kinder her, denen der Besuch etwas zu lang geworden ist. Aber auch Erwachsene treten gegen den Ball, und es geht richtig zur Sache, von Knochenbrüchen bis zu Kreuzbandrissen war schon alles dabei. Glücklicherweise sind ausgebildete Ersthelfer vor Ort.

Das Kleinfeld am Rande der Ausstellung: Wichtig ist schließlich auf'm Platz.Deutsches Fußballmuseum/Stefan Petri

Dieses Kleinfeld wird am 15. Mai abgebaut und zur Pressekonferenz umfunktioniert. Dann gibt Jogi Löw seinen vorläufigen WM-Kader im Fußballmuseum bekannt. Überragen wird ihn ein paar Meter weiter der WM-Bus von 2014, der ebenfalls einen Ehrenplatz innehat. Mit dem aber niemand rechnete: "2014 war der Bau fast abgeschlossen, dann musste wegen dem Titel noch einmal umstrukturiert werden. Es wurden extra Schwenktüren eingebaut, um den Bus ins Gebäude zu bekommen." Jetzt darf jeder Mal auf dem Fensterplatz von Miro Klose oder Per Mertesacker sitzen.

Eine freie Fläche für 2018 ist mir nicht aufgefallen, als ich schließlich wieder ins Freie trete. Aber das eine oder andere lauschige Plätzchen würde man schon finden für den fünften Stern, und wenn dafür der Dachboden ausgebaut oder weitere Schwenktüren eingesetzt werden müssen.

Mal ehrlich: Es gäbe Schlimmeres.