Bo Svensson vom 1. FSV Mainz 05 im Interview: "Mein Eindruck von Deutschland war nicht gerade rosig"

Jochen Tittmar
19. November 202108:58
Bo Svensson ist seit Anfang 2021 Cheftrainer beim 1. FSV Mainz 05.getty
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Seit Jahresbeginn ist Bo Svensson zurück beim 1. FSV Mainz 05. Der dänische Cheftrainer hat den Verein in der Vorsaison sensationell aus dem Tabellenkeller geführt und spielt auch aktuell mit den Nullfünfern eine gute Rolle in der Bundesliga.

Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Svensson über seine harte Anfangszeit als Spieler in Deutschland und die Erfahrung unter Thomas Tuchel in Mainz.

Der 42-Jährige erzählt zudem von seinem Literaturstudium und erklärt, wie er anders als gedacht doch Trainer wurde.

Herr Svensson, nach drei gewonnenen Meisterschaften und einem Pokalsieg mit dem FC Kopenhagen wechselten Sie mit 26 erstmals ins Ausland und gingen im Januar 2006 zu Borussia Mönchengladbach. Warum?

Bo Svensson: Mein Vertrag lief aus und ich wollte ihn nicht verlängern, weil ich mit Mitte 20 und nach sieben Jahren im Verein der Meinung war, dass dies nun der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel ins Ausland ist. Es wäre wohl auch schwer für mich geworden, in eine große Liga zu wechseln, ohne ablösefrei zu sein. Es gab mehrere Angebote aus Deutschland - unter anderem von Borussia Mönchengladbach. Gladbach ist ein großer Verein und ich hatte ein gutes Gefühl nach den Gesprächen mit den Verantwortlichen.

Wie war's denn anfangs mit der Sprache?

Svensson: Ich hatte in der Schule zwar Deutschunterricht, aber das hieß nicht, dass ich es gut sprechen konnte. In Gladbach hatten wir eine eher internationale Truppe, in der wir uns vor allem auf Englisch verständigt haben. Deutsch habe ich erst später in Mainz gelernt.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Bo Svensson am Mainzer Bruchweg.spox

Die Zeit bei den Fohlen stand unter keinem guten Stern, der Verein kam nicht zur Ruhe. Sie spielten damals auch einige Zeit unter Jupp Heynckes. Wie erinnern Sie sich an ihn?

Svensson: Als er kam, gab es schon einige Probleme innerhalb des Klubs. Es lief einfach nicht rund. Ich erinnere mich an Jupp Heynckes als einen sehr guten Menschen, der aber nicht das Spielermaterial zur Verfügung hatte, um seine Idee von Fußball umsetzen zu können. Schließlich hat er den Verein unter unglücklichen Umständen verlassen.

Gladbach stieg dann unter dem vorherigen Co-Trainer Jos Luhukay 2007 ab. Genauso wie Mainz 05, Ihr nächster Klub. Wann genau stand der Wechsel fest?

Svensson: Erst nach dem Abstieg mit Gladbach. Ich habe zunächst überlegt, wieder zurück nach Dänemark zu gehen. Ich war Vater von zwei kleinen Kindern und mein Eindruck von Deutschland war nicht gerade rosig. Mir lagen auch Angebote aus der Heimat vor, aber eben auch eines aus Mainz. Ich habe dann lange mit Jürgen Klopp telefoniert und bin in meinem Urlaub nach Mainz gefahren. Nach dem persönlichen Gespräch mit ihm war ich mir sicher, dass ich es hier versuchen möchte.

Welchen Eindruck machten Christian Heidel und Klopp anfangs auf Sie?

Svensson: Jeweils einen sehr positiven. Mit Christian Heidel ging es eher um vertragliche Themen. Jürgen Klopp hatte eine klare Idee und ich das Gefühl, dass das auch von der Persönlichkeit gut zu mir passt. Das war der Grund, warum ich hier nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie eine Zukunft gesehen habe.

Wegen Problemen mit der Achillessehne standen Sie in Ihrer ersten Saison nur sechsmal in der Startelf. Mainz verpasste zum zweiten Mal tragisch als Vierter den Wiederaufstieg. Wie bewerteten Sie das Jahr für sich?

Svensson: Es war nicht einfach. Ich hatte permanent mit meiner Achillessehne zu kämpfen, ohne dass es eine richtige Diagnose gab und habe nicht viel gespielt. Wir haben lange versucht, die Probleme mit anderen Mitteln als mit einer Operation zu bekämpfen. Das hat aber nicht funktioniert. Ich habe sehr viel Zeit verloren, bis dann ein Arzt festgestellt hat, dass ich einen Teilriss der Achillessehne habe. Da hilft eine Behandlung mit Spritzen eher weniger.

Die erste Station von Bo Svensson in Deutschland war Borussia Mönchengladbach.imago images

Es folgte die OP und eine lange Pause. Wie nah waren Sie zwischenzeitlich an einem vorzeitigen Karriereende?

Svensson: Es ist normal, dass man ins Grübeln kommt, wenn man lange nicht weiß, woher die Schmerzen kommen. Dazu kam noch der sehr lange Rehaprozess, in dem es immer mal wieder auf und ab ging - klar, dass man da auch mal zweifelt. Es hat etwa zehn Monate gedauert, bis ich wieder spielfähig war, aber das grundsätzliche Gefühl, dass es nicht mehr geht, hatte ich eigentlich nie. Ich konnte dann zum Saisonende 2009 noch bei ein paar wichtigen Spielen auf dem Platz stehen, wie beim Auswärtssieg in Fürth oder dem Heimsieg gegen Oberhausen, der dann den Aufstieg bedeutete.

So kamen Sie in Ihrer zweiten Mainzer Saison immerhin noch auf zwölf Pflichtspiele. Nach einer Pokalpleite in Lübeck trennte sich der Verein dann überraschend von Jörn Andersen und es übernahm mit Thomas Tuchel der bisherige A-Jugend-Coach. Wie skeptisch waren Sie?

Svensson: Es war schon ungewöhnlich, den Aufstiegstrainer so kurz vor Saisonstart zu entlassen. Wenn es überhaupt Skepsis gab, war diese innerhalb weniger Tage verflogen, da jeder von uns sehr schnell merkte, dass Thomas Tuchel ein absoluter Fachmann und eine echte Führungsperson ist. Es war schnell klar, dass er in allen Bereichen einen komplett anderen Ansatz verfolgt: beim Training, der Taktik, der Menschenführung. Das kannte ich so noch nicht. Es war sehr interessant und das ist es auch die nächsten fünf Jahre geblieben.

Tuchel fordert sehr viel und kann sehr hart und direkt zu seinen Spielern sein. Das ist nicht jedermanns Sache. Wie war's bei Ihnen?

Svensson: Natürlich gibt es auch mal Konflikte, wenn man so lange miteinander arbeitet. Er hat mich auch mal auf die Bank gesetzt oder mir auch mal einen richtigen Einlauf verpasst und dann hatte man eben kurz mal eine Auseinandersetzung, aber das war nicht schlimm. Mir hat das als Person und Fußballer sehr viel gegeben und gutgetan. Ich habe mich unter ihm in allen Bereichen verbessert und vor allem das Spiel besser verstanden. Ich konnte es viel schneller lesen und die Dinge auf dem Platz besser antizipieren. Trotz meiner nicht gerade hohen Geschwindigkeit habe ich zum Beispiel gelernt, hoch zu stehen und mutig nach vorne zu verteidigen.

Unter Tuchel avancierten Sie zur Stammkraft, mussten zwischenzeitlich wegen eines Kreuzbandrisses pausieren und kamen bis zu Ihrem Karriereende 2014 auf 122 Pflichtspiele für Mainz. Wenn Ihnen damals jemand gesagt hätte, dass Sie direkt im Anschluss und bis heute als Trainer arbeiten werden, was hätten Sie entgegnet?

Svensson: Das hätte ich wahrscheinlich nicht geglaubt. Während meiner gesamten Spielerkarriere habe ich nie gedacht, dass ich in der Fußballbranche bleibe. Gerade gegen Ende der aktiven Zeit hat mir der ganze Profi-Alltag nicht mehr so viel Freude bereitet: das Schnelllebige, das Leben im Hamsterrad, Woche für Woche die gleichen Abläufe zu haben, man hat kein Wochenende, muss immer zur Verfügung stehen, alles wird nur danach bewertet, was in den letzten 90 Minuten passiert ist. Das hat mir einfach nicht mehr so viel Spaß gemacht. Daher dachte ich, ich werde anschließend etwas komplett anderes machen, um mal wieder etwas Neues zu erleben.

Und was sagen Sie heute?

Svensson: Alles sehr ähnlich zu damals. (lacht)

Bedauern Sie es, dass Sie nie mal wirklich komplett raus aus dem Geschäft waren?

Svensson: Nein. Ich bin ja ein selbständiger Mensch und trage die Verantwortung für meine Entscheidungen. Als ich zu diesem Weg Ja gesagt habe, war mir natürlich klar, was an positiven wie negativen Dingen mit allen Konsequenzen auf mich zukommen würde. Natürlich ist es nicht schön, meine Kinder am Wochenende nur selten sehen zu können oder dass die Medien einen nach drei Siegen sofort in den Himmel schießen, nur um einen nach drei Niederlagen wieder ganz unten einzuordnen. Man kann es sich im Fußball aber nicht so basteln, dass einem alles passt. Ich bin diesbezüglich auch klarer geworden mit dem Alter.

Ist die Sache mit den Medien in Ihren Augen mittlerweile extremer geworden?

Svensson: Nein, im Grunde nicht. Es gibt aber heute mehr Medien und einen verstärkten Konkurrenzkampf unter ihnen. Das Tempo ist noch höher geworden, weil man sich offenbar gegenseitig überbieten muss. Es gibt ja nur noch Katastrophe oder Riesenerfolg. Alles dazwischen wird nicht geklickt oder gelesen.

Bo Svensson während seiner Zeit als Trainer des FC Liefering.imago images

Wie gehen Sie es heute als Trainer damit um, dass Ihre Arbeit vor allem durch das Ergebnis am Wochenende bewertet wird und der Rest quasi unsichtbar ist?

Svensson: Der Einblick der Öffentlichkeit ist meist nur ein sehr minimaler Ausschnitt des Gesamtbilds. Wie soll sie das also anders bewerten? Die Grundlage für sie ist jeweils das Spiel plus ein paar Interviews. Dass der Job sehr viel komplexer und vielfältiger ist, kommt medial deutlich zu kurz. Das ist einfach so. Für mich ist es gerade das Schöne an diesem Beruf, dass ich eigentlich nie genau sagen kann, was mich erwartet, wenn ich täglich zur Arbeit fahre.

Was Sie nach Ihrem Karriereende erwartet, war Ihnen lange Zeit auch nicht ganz klar. Es hieß, Sie wollten eigentlich zurück nach Dänemark. Wie passierte es, dass dies doch nicht eintrat?

Svensson: Ich war mir zunächst nicht sicher, ob ich weiter im Fußball-Geschäft arbeiten möchte, habe überlegt, noch eine Weile zu spielen oder etwas ganz anderes zu machen. Ich war einfach noch unentschlossen. Mitten in diese Phase hinein entschied Mainz dann, Kasper Hjulmand als neuen Trainer zu verpflichten. Da Christian Heidel mit mir zuvor schon darüber sprach, ob ich nicht Trainer werden möchte und ich dazu Kaspers Co-Trainer gut kannte, haben wir uns zusammengesetzt und miteinander gesprochen. Im Verlauf der Gespräche wurde mir klar, dass es eigentlich ganz interessant wäre, es zumindest einmal auszuprobieren und hineinzuschnuppern, wie das Trainer-Leben so ist. Zumal der Einstieg auf diese Weise leichter ist, als wenn ich erst drei Jahre nach dem Karriereende gesagt hätte: Ach, ich werde jetzt doch mal Trainer.

Stimmt es, dass Sie vor Ihrer Zeit als Profi ein Literaturstudium begonnen hatten?

Svensson: Ja, allerdings nur ein Jahr lang. Das hat mir viel Spaß gemacht, aber ich erhielt dann einen Profivertrag und habe die Bücher wieder weggelegt. (lacht) Ich habe als Teenager sehr viel gelesen, von Biographien bis hin zu den großen Autoren, das fand ich immer interessant. Heute lese ich nicht mehr in dem Umfang. Ich bin ziemlich früh Vater geworden und mit mittlerweile drei Kindern kann man am Abend auch ohne Buch ganz gut entspannen.

Nachdem Sie unter Hjulmand schnell in den Trainerstab integriert wurden, trainierten Sie schon eine Saison später die Mainzer U16 und übernahmen ein halbes Jahr danach die U17. Was trug dazu bei, dass Sie dieser Job auf einmal so faszinierte?

Svensson: Es war für mich enorm spannend zu sehen, was ich jungen Menschen individuell beibringen konnte und was man als Gruppe zu leisten imstande ist. Ich habe gespürt, was es mir als Mensch und Führungsperson alles gegeben hat, diese Situationen erlebt zu haben und eine Vielzahl an Entscheidungen treffen zu müssen. Dadurch habe ich viel über mich selbst gelernt. Es war mehr für mich als nur die Liebe zum Fußball. Diese Interaktionen mit einer Gruppe waren und sind immer noch der Grundstein, warum ich den Trainerjob genieße. Als Spieler hätte ich nicht gedacht, dass es diesen Effekt auf mich haben würde.

Weil man als Spieler den Trainerberuf auch unterschätzt?

Svensson: Ja, ich glaube schon. Vielleicht ist es sogar besser so. (lacht) Als Spieler hat man keine Vorstellung vom Arbeitsumfang eines Trainers. Die inhaltliche Arbeit auf dem Platz ist ja nur ein kleiner Bruchteil dessen, was alles zu tun ist.

2017 wurden Sie schließlich U19-Coach, ehe Sie zwei Spielzeiten später den FSV nach vier Jahren als Jugendtrainer in Richtung Österreich verließen und zum Salzburger Farmteam FC Liefering gingen. Was hatte sich nach zwölf Jahren in Mainz denn konkret abgenutzt?

Svensson: Ich habe in mir drin gespürt, dass der Punkt erreicht war, an dem ich den nächsten Reiz gebraucht habe. Die Arbeit soll ja keine Routine werden. Ich hatte bei der U19 eine sehr gute Zeit, aber dann das Gefühl, dass ich mich in einem dritten Jahr nicht mehr im erforderlichen Maße weiterentwickeln würde, um weiterhin der bestmögliche Trainer zu sein.

War es dann Ihr erklärtes Ziel, erstmals eine Senioren-Mannschaft zu übernehmen?

Svensson: Nein. Einen Karriereplan gibt es bei mir ohnehin nicht. Mir war nur klar, dass ich bei der U19 nicht mehr weitermachen wollte. Es gibt dann in Mainz noch zwei Jobs, die nach der U19 kommen. Das ging so ein bisschen hin und her, ich hatte aber auch ein paar externe Angebote vorliegen. Liefering empfand ich als total interessantes Projekt und nach sehr guten Gesprächen war mir schnell klar, dass das sehr gut zu mir passen würde - auch wenn es für meine Familiensituation nicht optimal war.

Ihre Familie lebte in Ihren eineinhalb Jahren in Liefering weiterhin in Mainz.

Svensson: Ich habe meine Familie nur einen Tag pro Woche gesehen - zuvor hatte ich sie immer um mich. Ich habe dann viel Zeit im Auto verbracht und bin hin- und hergefahren. Dort hat man auch die Zeit, um darüber nachzudenken: Habe ich wirklich drei Kinder in die Welt gesetzt, um nur 24 Stunden pro Woche mit ihnen zu verbringen? Es gab bestimmt mal Tage, an denen ich mich fragte, ob sich das alles auch lohnt. Es war aber kein grundlegender Gedanke oder das Gefühl in mir, deshalb in Liefering vorzeitig aufzugeben. Ich musste als Mensch einfach Lösungen finden. Genau das bringt einen auch weiter.

Bo Svensson während seiner Zeit als Spieler des FC Kopenhagen.imago images

Wie schwierig war es für Sie als Trainer an einem neuen und gänzlich unbekannten Ort, um sich zurechtzufinden?

Svensson: Es hat gedauert, aber es war genau die Herausforderung, die ich auch als Mensch gebraucht habe. Ich hatte keinen Bonus, weil ich Bo Svensson heiße und ehemaliger Spieler war. Ich hatte mit anderen Menschen zu tun, musste mich neu sortieren und mir alles erst einmal erarbeiten. Es hat nicht alles auf Anhieb funktioniert. Dazu kam die Distanz zur Familie. Doch all diese Herausforderungen, die sich eben nicht nur auf das Erlernen einer neuen Idee von Fußball beschränkten, waren im größeren Gesamtbild gesehen sehr gut und wichtig für mich.

Bald sind Sie wieder ein Jahr zurück in Mainz und mit der Familie vereint. Ist die Stadt mittlerweile Ihre Heimat geworden?

Svensson: Es gibt für mich nur eine Heimat und das ist Dänemark. Dort bin ich aufgewachsen, dort sind alle anderen Familienmitglieder und meine engsten Freunde. Für mich ist klar, dass ich eines Tages wieder dort leben werde.