Er wurde in einer Tiefgarage als Bayern-Keeper entdeckt, hielt sich beim Kicken mit Rentnern fit und gründete das Möbelimperium DEDON. Bobby Dekeyser erzählt seine irre Geschichte. Ein Gespräch über den Fußball als Entertainment-Branche, Schnapsideen mit bunten Skiern - und warum das Leben zu kurz für den Mainstream ist.
SPOX: Herr Dekeyser, wenn man Ihren Namen googelt, stößt man auf Interviews und Geschichten in der Süddeutschen, der Zeit, Manager-Magazinen oder der Gala - aber nicht in Sportmedien. Wissen Sie, wann Sie das letzte Mal mit einem reinen Sportmedium gesprochen haben?
Bobby Dekeyser: Gute Frage! Ich glaube, das war das Bayern-Magazin, die haben mal angerufen und wollten wissen, was die alten Spieler so machen. Aber ansonsten bin ich aus der Szene wohl raus.
SPOX: Finden Sie es schade, dass Ihre Fußballer-Vergangenheit so sehr in den Hintergrund gerückt ist?
Dekeyser: Das stört mich nicht. Ich definiere mich ja nicht darüber, einmal Bayern-Torwart gewesen zu sein, sondern als Mensch, der auch noch andere interessante Dinge zu bieten hat.
SPOX: Ihre Laufbahn ist trotzdem fast hollywoodreif. Angefangen damit, dass Sie mit 15 Jahren im Englischunterricht aufstanden und verkündeten, alles hinzuwerfen, um Fußballprofi zu werden.
Dekeyser: (lacht) Wie so vieles im Leben, war das nicht geplant. Das ging ziemlich spontan. Zumal es eigentlich so anfing, dass Fußball überhaupt nicht mein Ding war. Ich war Leichtathlet, Boxer, eher der Straßenkämpfertyp. Zum Fußball kam ich, weil ich Mädchen kennenlernen wollte. Das war der einzige Grund, warum mich das überhaupt interessiert hatte. Also habe ich in Parks gekickt, ohne Verein. Mit 14 Jahren habe ich dann, zusammen übrigens mit Bruno Labbadia, den Pepsi-Cola-Cup gewonnen und wurde eine Woche zu Franz Beckenbauer und Pele nach New York eingeladen.
SPOX: Und plötzlich war Fußball nicht mehr so uninteressant?
Dekeyser: Da kam es mir erst, welchen Stellenwert der Fußball hat. Mein erster Klub war Wormatia Worms, wo ich gemerkt habe, dass das Fußballspielen echt eine Zukunft sein kann, wenn ich mich voll reinhänge. Die Schule hat mich eh gestört und mir nicht reingepasst, ich war sowieso nie sehr gut. Und im Fußball ging's flott weiter, fast schon zu flott. Zwei Jahre später hat mich Kaiserslautern aus der Jugend von Worms herausgekauft, ich wurde zur Nationalmannschaft eingeladen und war sehr schnell sehr weit oben. Der große Dämpfer war, dass ich dann nach Belgien zur Armee musste und da für zehn Monate bei einem Zweitligisten geparkt wurde. Nach einem Streit mit dem etwas eigenwilligen Trainer wurde ich freigestellt. Ich musste mich sechs Monate in Parks in Brüssel fit halten und habe da mit irgendwelchen Rentnern gespielt. (lacht)
SPOX: Es sollte eine legendäre Nacht in einer Tiefgarage folgen.
Dekeyser: Wie es der Zufall so will, habe ich zu der Zeit einen befreundeten Spieler in einem Hotel in Frankfurt besucht. Im gleichen Hotel war Jean-Marie Pfaff als Gast, der damals Bayern-Torwart war und nach einer Verletzung sein Reha-Programm gemacht hat. Ich wollte ihn unbedingt kennenlernen. Ich habe dann vorgeschlagen, in den Keller zu gehen, habe dort mit einem Stein ein imaginäres Tor an die Wand gemalt - und einen Ball hatte ich sowieso immer im Auto. Ich wollte ihm unbedingt zeigen, dass ich etwas kann. Da haben wir uns eine Stunde lang die Bälle um die Ohren geschossen. Heute wäre so etwas ja unmöglich, aber drei Wochen später bekam ich einen Anruf von Jean-Marie. Raimond Aumann habe sich das Kreuzband gerissen, die Bayern würden einen zweiten Torwart suchen und er habe Uli Hoeneß vorgeschlagen, mich einzuladen, weil er mich noch aus der Tiefgarage in Frankfurt kannte. Anscheinend habe ich dann in München so einen guten Eindruck hinterlassen, dass ich einen Zwei-Jahres-Vertrag bekam. Diese Geschichte lässt sich, glaube ich, wirklich nicht wiederholen. (lacht)
SPOX: Quasi arbeitslos aus einem Brüsseler Park in den Kader des FC Bayern.
Dekeyser: Es war fantastisch, aber es war zu schnell! Ich war im Kopf nicht reif dafür, aus der Garage, aus dem Nichts so aufzusteigen. Ich konnte zwar gut mithalten im Training, ich wollte aber spielen. Die Rolle als zweiter Mann anzunehmen war schwierig, weil ich nie durch Spielpraxis Selbstvertrauen aufbauen konnte. Das war für den Kopf eine Nummer zu groß.
SPOX: Wie sind Sie damit umgegangen?
Dekeyser: Ich bin nach Nürnberg gewechselt, wo ich als Stammtorhüter eingekauft wurde. Aber Andi Köpke war eine Nummer besser als ich. Er entwickelte sich damals zum Nationaltorwart, das war der Wahnsinn. Ich bin zurück nach Belgien und schließlich bei 1860 gelandet, dann kam meine schwere Verletzung.
SPOX: Mit Brüchen im Gesicht lagen Sie nach einem Zusammenprall wochenlang im Krankenhaus. Währenddessen verpflichteten die Löwen einen Ersatz. Sie erfuhren davon aus der Zeitung.
Dekeyser: Das war eigentlich noch schlimmer als die Verletzung selbst. Diese war böse, aber dagegen gab's Morphium. Es war nicht sicher, ob ich ein Auge verliere, aber ich war so ehrgeizig. Doch die Ignoranz des Vereins, sofort einen neuen Keeper zu holen, und die Tatsache, dass mich nie jemand aus der Führungsetage besucht und gefragt hat, wie es mir geht, haben mich schon tief getroffen. In dem Moment hatte ich mit dem Fußball abgeschlossen. Ich wollte keine Kuh sein, die man sofort aussortiert, weil sie gerade keine Milch gibt. Die Zeit hat mich auch geprägt, ich habe gelernt, mir treu zu bleiben und meine eigenen Entscheidungen zu treffen.
SPOX: Sie schworen dem Fußball ab. Trotzdem sollten Ihre, laut eigener Aussage, besten Spiele, die Sie je machten, noch kommen. Wie kam es dazu?
Dekeyser: Mein Ersatzmann verletzte sich am Finger und fiel vier Monate später aus. Also haben mich die Sechziger angebettelt, ob ich nicht noch einmal spielen würde. Ich habe dann mit 26 meine letzten und tatsächlich besten Partien gemacht, habe aber schnell gemerkt: Ich bin kein Fußballer mehr. Zumal die Idee mit meiner Firma schon recht präsent war.
SPOX: Da war also ein Fußballer im besten Alter, der sich sagt: "Rattanmöbel sind eher mein Ding"?
Dekeyser: Meine Kindheit war etwas chaotisch, meine Eltern geschieden und ich immer irgendwo anders in der Welt. Grenzen gab es gefühlt nie. Der Sport mit seinen festen Regeln und Abläufen war da fast so etwas wie eine Therapie für mich, ein Weg, mich selbst zu erziehen. Dennoch habe ich schon immer gespürt, dass ich gerne etwas anderes machen würde. Die Idee mit DEDON hatte ich zusammen mit meinem Schwager. Unser erstes Produkt waren handbemalte Ski. Also absoluter Schwachsinn. (lacht) Es war ein brutaler Reinfall. Wir haben tausend Paar Skier gekauft, achtzig bemalt und verkauft - und fünfzig kamen zur Reklamation zurück. Danach kam glücklicherweise die Idee mit den Rattanmöbeln für draußen. Da war von Anfang an ein Bild, eine klare Idee da. Und nach einem langen Weg mit vielen Schulden kam der Durchbruch.
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SPOX: Hatten Sie je Zweifel, den gutbezahlten Fußballerjob einfach so aufgegeben zu haben?
Dekeyser: Jahre danach habe ich mir gedacht, wie verrückt ich gewesen bin. Ich hatte so viele Angebote, habe aber alle ausgeschlagen - trotz Familie und zwei Kindern.
SPOX: Dennoch fiel es Ihnen nicht schwer, dieses Leben aufzugeben. Auch, weil Sie mit Ihrer generellen Einstellung oder dem Wunsch nach Familie und Kindern ohnehin eher die Antithese zum Fußballerklischee waren?
Dekeyser: Ich war immer etwas atypisch. Ich war vom Typ her nie ein Fußballer, eher ein Freiheitskämpfer. Egal, in welchem Bereich: Ich bin für eine Atmosphäre des Miteinanders, im Fußball war ich ein Einzelkämpfer. Ich war auch nie sehr talentiert, sondern habe einfach extrem viel trainiert. Ich hatte immer das Gefühl, ich müsse doppelt so hart arbeiten wie alle anderen. Immer hochkonzentriert, um meine Leistungen zu halten. Ich war tatsächlich so ein bisschen in meiner eigenen Welt, jedoch eher aus Angst und Respekt, das nicht schaffen zu können.
SPOX: Jetzt sind Sie Unternehmer, Firmen-Leiter, Geschäftsmann, ständig in tausend Sachen eingespannt und haben dennoch gesagt, Sie seien "freiheitsliebend am Rande des Komplexes". Ist das jetzt die umgekehrte Antithese?
Dekeyser: Das hat nicht nur etwas mit Freiheit zu tun. Ich wollte mir immer treu bleiben, bei dem, was ich tue. Mich nicht einnehmen lassen von äußeren Meinungen. Das habe ich im Fußball gelernt: Man ist nie so gut, wie man gemacht wird, aber auch nie so schlecht. Man muss seine eigenen Parameter finden und seine eigenen Ziele definieren. Mit meinem Unternehmen kam nach und nach der riesige Erfolg, ich war in der ganzen Welt unterwegs, um das Unternehmen zu repräsentieren. Doch ich wollte immer anders leben, mit der Familie auf dem Bauernhof. Ich versuche, mein Leben auch regelmäßig von außen zu betrachten: Was fühle ich wirklich? Mache ich das, was ich will? Was sind meine Prioritäten? Das ist wahnsinnig anstrengend, aber auch wahnsinnig sinnvoll.
SPOX: Zusammenfassend: Der Mainstream war noch nie das Ihrige.
Dekeyser: Dafür ist das Leben zu kurz! (lacht)
SPOX: Ist dieses Anderssein, das Ausbrechen, das Schwimmen gegen den Strom eine vergessene Kunst?
Dekeyser: Ja, und zwar in allen Bereichen. Auch und vor allem bei jungen Leuten. Ob es die Musik ist, die Kleidung, die Zukunftsvorstellungen - alles ist zu einem gewissen Grad konform. Jeder will individuell sein, jeder will aber auch dazu gehören. Das Für-sich-sein ist aber nicht nur konsumieren, sondern vor allem kreieren, also mit Arbeit verbunden. Bei sich zu bleiben ist auch ein Kampf gegen das System.
SPOX: Ein Kampf, der auch im Fußball vielen guttun würde?
Dekeyser: Absolut. Man steht einfach unter riesigem Druck in dieser künstlichen Blase. Man ist ein Teil der Entertainment-Branche, ein Teil einer Parallelwelt. Es ist leicht, sich dabei fangen zu lassen, weil alles einfach scheint. Man ist bekannt, man bekommt Komplimente, man hat finanziell alle Möglichkeiten. Heute noch viel mehr als früher. Es ist eine große Herausforderung, die die Spieler oft überfordert. Niemand will oder darf in diesem System Fehler machen, deshalb ist auch alles so glatt gebügelt, ohne Ecken und Kanten.
SPOX: Würde Bobby Dekeyser denn im heutigen Fußball noch funktionieren?
Dekeyser: Ich könnte zumindest nicht in diesem System mitschwimmen. Ich bin jemand, der irgendwann seine Meinung sagen und seinen eigenen Weg gehen muss. Deswegen war ich schon damals nicht wirklich kompatibel für den Mannschaftssport. Wobei ich glaube, dass einige Aspekte mittlerweile besser geworden sind. Ich habe das Gefühl, dass viele Trainer nicht mehr so hierarchisch denken, sondern Spielkunst, Erfolg und Unterhaltung für die Zuschauer priorisieren. Das war früher nicht so. Bei den Bayern gab es da die Alten und die Jungen. An Erstere kam man nicht heran, egal wie gut man war. Wenn ich so darüber nachdenke, hätte es mir - vom Anspruch an das Große und Ganze her - heute wohl sogar besser gefallen. (lacht)
SPOX: Wenn man sich das alles so anhört, stellt sich einem die Frage: Interessiert Sie Fußball heute überhaupt noch?
Dekeyser: Weniger. Man muss ja auch beim Zuschauen einen gewissen Rhythmus haben, das ist bei meinen ganzen Reisen nicht möglich. Was mir in meiner Zeit in Amerika aufgefallen ist: Man muss den Menschen im Stadion viel mehr bieten. Nehmen Sie doch nur einmal den Superbowl. Da ist der Sport fast schon sekundär bei dem ganzen Trubel drum herum. Zwanzig Events in einem Event - aber der Football ist das Medium dafür. Wenn ich in Europa in einem Stadion sitze, denke ich mir: "Ist ganz okay, aber ich will mehr geboten bekommen." Mehr Rahmenprogramm, keine Unentschieden, solche Dinge.
SPOX: Vermissen Sie dennoch was aus Ihrer Zeit im Fußball?
Dekeyser: Klar! Der sportliche Ehrgeiz, rauszugehen ins Stadion und alle pfeifen dich aus, das ist wahnsinnig spannend. Der Rhythmus des Wettkampfes, der fehlt mir schon irgendwo.
SPOX: Würden Sie dennoch sagen, dass die Verletzung, die Sie zum frühzeitigen Aufhören gebracht hat, im Nachhinein betrachtet sogar "gut" war, weil Sie dadurch zu Ihrem Glück gezwungen wurden?
Dekeyser: Alles in meinem Leben war so gesehen "gut" und hat mich weitergebracht, bis auf den Tod meiner Frau, den habe ich nie verstanden. Aber ich habe alles immer umgewandelt in Energie. Man darf sich kurz bemitleiden, aber im Endeffekt haben mir solche Sachen immer Kraft und eine Jetzt-erst-recht-Mentalität gegeben. Ich habe mich mit dem Gedanken, dass dies und jenes keinen Sinn machen könnte, nie lange aufgehalten. Ich habe noch nie mit Dingen gehadert, auch heute nicht. Das kommt mitunter auch vom Fußball. Vor allem als Torwart: Egal, ob man den Ball durch die Beine bekommt und es 1:0 für den Gegner steht - man muss immer mit dem Gedanken weitermachen, das Spiel noch gewinnen zu können. Diese Disziplin, seine Ängste beiseite zu schieben und nach vorne zu schauen, die habe ich auch aus dem Sport.
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