Am Donnerstagabend kann Borussia Dortmund im Finale gegen RB Leipzig (20.45 Uhr im LIVETICKER) zum fünften Mal in der Vereinsgeschichte den DFB-Pokal gewinnen. Einer der größten Erfolge des BVB war der Titelgewinn 1989. Stürmer Frank Mill machte damals ein grandioses Spiel und erinnert sich zurück.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht der heute 62-Jährige über seine Ringelsocken-Idee im Vorfeld des Endspiels und erklärt, warum er sich vor zwei Jahren über Doppeltorschütze Norbert Dickel aufgeregt hat.
Zudem äußert sich Mill zu den Vorgängen im Büro des legendären BVB-Zeugwarts Hartmut "Bomber" Wiegandt (hier geht's zum Interview), seiner verunglückten Dopingkontrolle und dem Rausch nach dem Pokalsieg.
Herr Mill, Sie haben 1989 mit dem DFB-Pokal den einzigen Vereinstitel Ihrer Karriere gewonnen, für Borussia Dortmund war es der erste nach 23 titellosen Jahren. Mit Borussia Mönchengladbach verloren Sie fünf Jahre zuvor das Endspiel im Elfmeterschießen gegen den FC Bayern. Wie würden Sie heute auf Ihre Karriere blicken, wenn der BVB nicht mit 4:1 gegen Werder Bremen gewonnen hätte?
Frank Mill: Schwer zu sagen. Ich war und bin sehr froh, dass wir gewonnen haben und ich wenigstens etwas vorweisen kann. Endlich hatte ich mal was in der Hand. Dass ich sagen kann, ich bin Pokalsieger und habe dabei noch ein ganz ordentliches Spiel gemacht, ist für mich mehr als in Ordnung.
Eine Gruppe von Spielern um Michael Zorc und Sie hatte ein enges Verhältnis zum damaligen BVB-Zeugwart Hartmut "Bomber" Wiegandt. Bei ihm setzten Sie sich vor dem Finale dafür ein, wie die Dortmunder Europapokalsieger von 1966 mit Ringelsocken zu spielen - was dann auch geschah. Wie kam Ihnen die Idee?
Mill: Ich hatte ein Buch über die Geschichte des BVB, das ich als Kind mehrfach gelesen habe. Auf den schwarzweißen Fotos sah ich die Truppe von 1966, die Ringelsocken sind mir seitdem in Erinnerung geblieben. Ich habe das dann nach dem gewonnenen Halbfinale im Spielerrat angesprochen. Nachdem es abgesegnet wurde, hat damals noch adidas das für uns recht flott hingekriegt. Wir trugen im Endspiel auch extra angefertigte Trikots und auch etwas längere Hosen. Wir waren damals schon Trendsetter! (lacht)
Ohnehin Wiegandt - bei ihm im Büro traf man sich vor und nach den Trainingseinheiten. Erzählen Sie!
Mill: Das war absoluter Standard, es kamen auch immer dieselben sechs bis acht gestandenen Spieler: Michael Zorc, Michael Lusch, Günter Kutowski, Norbert Dickel, Thomas Helmer, Michael Rummenigge oder Teddy de Beer. Wir sind vom Training in die Kabine gegangen, haben die Schuhe ausgezogen und sind ohne zu duschen in Bombers Kabuff durchgelaufen. Dort saßen wir eine halbe bis Dreiviertelstunde, haben Kaffee aus kleinen Plastikbechern getrunken, Zitronen- oder Schokoladenkuchen von Aldi gegessen, Aschenbecher auf den Tisch und dann wurde da herumgefrotzelt. Der Bomber hat großen Wert darauf gelegt, dass wir immer wieder kamen.
Lief das heimlich oder wusste jeder Bescheid, was dort getrieben wird?
Mill: Das wusste jeder. Da hat kein Trainer an der Tür geklopft und es war auch relativ selten, dass jüngere Spieler mitgekommen sind. Mit der Zeit bildete sich eben ein fester Kern. Die anderen sind frisch verheiratet nach Hause gefahren, was weiß ich.
Gab es in dieser Zeit niemanden, der mahnend den Finger hob und darauf hinwies, dass zum Beispiel das Rauchen für Leistungssportler nicht förderlich ist?
Mill: Nein. Das hätte sich auch niemand erlaubt, uns darauf hinzuweisen, dass wir da drin nicht rauchen dürfen. Es wäre ohnehin verpufft, weil es keinen interessiert hätte. Zumal auch nicht jeder der aufgezählten Spieler raucht.
Mill: "Mit einer Schachtel Kippen kam ich zwei Tage aus"
Wie viel haben Sie als Profi am Tag gequalmt?
Mill: Nicht so viel. Morgens im Auto bei der Hinfahrt zum Training habe ich eine geraucht, vielleicht auch mal zwei. Dann wieder bei Bomber im Büro und auf der Rückfahrt. Es hielt sich relativ in Grenzen. Mit einer Schachtel Kippen kam ich zwei Tage aus.
Der BVB war beim Finale in der Sportschule des Berliner Fußballverbands untergebracht. Am Spieltag haben Sie für Ihren Mitspieler Murdo MacLeod die berühmte Radioansage in England nachgemacht: "Good morning, ladies and gentlemen, it's cup final day." Wie kam das bei Ihren Mitspielern an?
Mill: Es waren alle überrascht, weil das niemand kannte - ich zuvor auch nicht. Nachdem wir ins Achtelfinale eingezogen sind, hatte mir Murdo davon im Bus erzählt. Ich ging dann zum Hausmeister der Sportschule und hatte Glück, dass es ein Mikrofon und kleine Lautsprecher im Frühstücksraum gab. Der Hausmeister hatte mir alles richtig zusammengeschaltet, so dass ich mich verstecken und auf Murdo warten konnte. Der hat geguckt wie ein Auto, noch heute spricht er davon.
All dies half schließlich, dass Sie im Finale ein grandioses Spiel hinlegten. Sie bereiteten das 1:1 und 3:1 vor, das 2:1 schossen Sie selbst und klärten zudem noch einen Ball kurz vor der Linie. Hätten Sie in den Tagen danach gedacht, dass dieses Spiel vor allem mit Doppeltorschütze Norbert Dickel - dem "Helden von Berlin" - in Verbindung gebracht wird?
Mill: Nein. Was mich wirklich beeindruckt: In all den Jahren hat kein Pressevertreter davon gesprochen, dass das damals ja eigentlich alles ein bisschen anders war. Nach dem Motto: Der Dickel hat ja gar nicht allein gespielt. Doch nur in diesem Jahr spreche ich da schon das fünfte Mal darüber. Ich habe aber absolut kein Problem damit, dass er der "Held von Berlin" geworden ist, das ist für mich komplett in Ordnung.
Sie dagegen werden meist nur als heimlichen Star des Endspiels bezeichnet.
Mill: Ich habe in meiner Karriere noch ein paar andere ordentliche Spiele gemacht, aber dieses hier war wohl das allerbeste und fällt mir natürlich immer wieder ein. Ich habe mich auch nur einmal wirklich aufgeregt und dann zum ersten Mal etwas gesagt. Das war 2019 beim 30-jährigen Jubiläum des Pokalsiegs, als die damalige Mannschaft vor der Südtribüne gefeiert wurde. Als wir wieder abgezogen sind, ging Nobby nochmal zurück - und das fand ich doof. Wir haben doch alle gewonnen, warum geht er also allein vor die Fans?
Haben Sie das ihm gegenüber angesprochen?
Mill: Natürlich. 'Nobby, wir hier haben damals auch mitgespielt', habe ich gesagt. Die anderen fanden es ja auch komisch, doch nicht jeder ist so direkt wie ich. Als wir uns vor einem halben Jahr bei einem Sponsorentermin in der Kneipe von Kevin Großkreutz trafen, hat er mir nochmal gesagt, wie er das Ganze gesehen hat. Er fand es toll, dass ich ihm die Bälle aufgelegt habe und er durch dieses Spiel vieles in seinem Leben verändern konnte. Er meinte, er habe es diesem Spiel zu verdanken, dass er heute da ist, wo er ist. Das fand ich dann auch okay so und gut ist es.
BVB - Frank Mill und seine Leistungsdaten bei Borussia Dortmund
Wettbewerb | Spiele | Tore | Vorlagen |
Bundesliga | 187 | 47 | 14 |
DFB-Pokal | 17 | 6 | 3 |
UEFA Cup | 19 | 10 | 4 |
Europapokal der Pokalsieger | 4 | 1 | - |
Es hatte im Anschluss an das Spiel ein wenig gedauert, bis Sie mit dem Feiern beginnen konnten, da Sie zur Dopingkontrolle mussten und dort auch noch den vollen Becher bei der Abgabe umgekippt haben.
Mill: Das war grausam. Im Olympiastadion sind die Wege in den Katakomben unglaublich weit und da es keinen Dopingkontrollraum gab, wurden wir mit einem Kleinbus zwei Minuten in irgendeine trostlose Turnhalle gefahren. Zwei Bremer Spieler, Murdo und ich wurden ausgelost. Es lief zunächst alles geschmeidig. Dann wollte ich mir eine Kippe anstecken und habe den Becher in meiner Schnelligkeit mit dem Handrücken umgehauen. Die anderen waren nach fünf Minuten wieder weg und ich saß dann da allein herum, habe Unmengen Wasser getrunken und nach einer Dreiviertelstunde noch drei Tropfen herausgedrückt. Als ich zurück in der Kabine war, war die Feier schon in vollem Gange.
Auf dem Rückweg sind Ihnen ein paar Ihrer Kumpels aus Essen über den Weg gelaufen, die Sie dann mit in die Kabine nahmen. War das Zufall, dass Sie auf die getroffen sind?
Mill: Ja, plötzlich standen die da. 'Das sind Freunde von mir', habe ich zum Sicherheitsmann gesagt und dann waren die drin. Ich habe sie auf eine Bank gesetzt, jeder hat eine Flasche Bier in die Hand gedrückt bekommen und dann waren sie Teil des Ganzen.
Anschließend ging es zum Bankett im "Schweizer Hof", wo die Mannschaft dann auch übernachtete. Als Sie später weitergezogen sind, landeten Sie auf einer griechischen Hochzeit. Wie kam's?
Mill: Wir sind zu Fuß losgegangen, weil wir eigentlich nur noch in eine Kneipe wollten. Der Bomber, Kutowski, ein Bremer Spieler und zwei meiner Kumpels sind mitgekommen, die anderen drei waren schon so besoffen... Ganz in der Nähe standen dann draußen vor einem griechischen Lokal zwei Fernseher, es lief die Wiederholung des Spiels im Aktuellen Sportstudio auf 3sat. Wir sind kurz stehengeblieben und wurden von ein paar offensichtlich fußballinteressierten Griechen erkannt. Die meinten überschwänglich: Auf geht's, kommt rein, lasst uns einen Ouzo trinken. Das haben wir natürlich gemacht, nach einer Stunde waren wir aber wieder weg.
Wie ging's dann weiter?
Mill: Es war schon spät und ich wollte meinen Vater finden, von dem es hieß, er sei mit drei anderen Vätern in der Kneipe "Holst am Zoo". Also bin ich mit dem Taxi dorthin und da saß er an der Theke, hat die Leute unterhalten und sein Deckel war rund. Um halb sieben gingen wir schließlich zurück ins Hotel, da war es schon hell.
Mill: "Mein Vater und ich waren Oberkante-Unterlippe"
War das Ihr größter Rausch als Fußballer oder war der 1990 noch größer, als Sie mit der deutschen Nationalmannschaft in Italien Weltmeister geworden sind?
Mill: Ich habe schon gut getrunken, aber du wirst ja nachts irgendwann wieder nüchtern und dann schmeckt's dir auch nicht mehr. Mein Vater und ich waren Oberkante-Unterlippe, wie man so schön sagt. (lacht) Die WM war auch nicht schlecht, aber das war nicht so etwas Persönliches wie das Pokalfinale, das ich auch mit geprägt habe. In Italien war ich zwar dabei und habe auch jede Feier mitgemacht. Ich weiß noch, wie Olaf Thon in Rom schon den Kopf auf dem Tisch liegen hatte und die Sonne aufging. Ich habe aber schon immer gesagt, dass ich mich nicht Weltmeister nenne, weil ich dort ja auch nicht gespielt habe. Ich bin kein Weltmeister, ich bin Pokalsieger!
Welche Auswirkungen hatte Ihr Zustand in Berlin auf den Folgetag, an dem noch eine riesige Feier in Dortmund anstand?
Mill: Ich habe zwei Stunden geschlafen, dann gab's schon wieder Frühstück. Vor allem der Rückflug war fürchterlich. Man durfte damals nur in 3000 Metern Höhe durch den Kanal über die DDR fliegen und wir hatten eine kleine Maschine für rund 30 Leute. Da hat es nur gewackelt, es gab ständig Luftlöcher, eine einzige Katastrophe. Ich war gut bedient, als wir ankamen.
Doch es hat noch dafür gereicht, dass Sie auf dem Rollfeld des Flughafens Holzwickede eine BVB-Fahne aus dem Cockpit hielten und schwenkten. War das auch Ihre Idee?
Mill: Ja, das war spontan und ich hatte mich von dem Kotz-Flug wieder erholt. (lacht) Ich glaube, die Fahne gehörte der Crew. Es war im Flieger alles mit solch kleinen schwarz-gelben Papierfähnchen nett angerichtet. Damals durfte man noch ins Cockpit rein, die Tür war ohnehin offen. Ich habe die Stewardess gefragt, wie wir das hinkriegen könnten. Die haben dann einfach die Luke für mich aufgemacht.#
Die Feier nach der Ankunft in Dortmund war episch, es waren Hunderttausende Menschen auf der Straße. Wie erinnern Sie sich?
Mill: Wir haben allein drei Stunden vom Flughafen bis zum Borsigplatz gebraucht, weil wir in irgendeinem Bollerwagen gefahren sind. Ab und zu haben wir uns einen Spaß gemacht und Leute nach oben gezogen. Zwei, drei Mal auch ein paar nette Damen, die mit ihren Freunden am Straßenrand standen. Die blieben dann halt zurück. Die Feier war natürlich sensationell, das ging bis 20, 21 Uhr. Ich weiß noch, wie wir dann zu unserem Auto unter der alten Tribüne am Stadion gingen und meine Frau nach Hause gefahren ist. Die beiden anschließenden Tage war ich richtig kaputt.
Heute wird nicht mehr Kaffee getrunken rund ums Training oder geraucht, das diesjährige Pokalfinale findet an einem Donnerstag statt - wie empfinden Sie den heutigen Profifußball?
Mill: Als extrem schnelllebig. Ich finde es sehr schade, dass die Spieler überhaupt keine Zeit mehr haben, ihre Eindrücke zu verarbeiten. Sie können die Freuden eines Fußballerlebens gar nicht genießen, wenn alle drei Tage ein Spiel ansteht.
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