BVB-Leihgabe Leonardo Balerdi bei Olympique Marseille: Was ist der letzte Preis?

Jochen Tittmar
24. März 202111:15
Leonardo Balerdi wurde im Sommer 2020 vom BVB an Olympique Marseille verliehen.IMAGO / PanoramiC
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Borussia Dortmund ließ sich Leonardo Balerdi einst viel Geld kosten, doch beim BVB konnte sich der Innenverteidiger nicht durchsetzen. Seit Sommer spielt der 22-Jährige auf Leihbasis für Olympique Marseille. Balerdi erlebt in Frankreich eine ereignisreiche Zeit.

Von einem Leihgeschäft erhofft sich ein Fußballklub in der Regel, dass der temporär abgegebene Spieler beim aufnehmenden Verein oft zum Einsatz kommt und dadurch weitere Erfahrungen sammelt. Bei Leonardo Balerdi ist dies bislang ziemlich gut gelungen, zumindest das mit den Erfahrungen.

Die Saison 2020/21 hielt bislang einiges bereit für Olympique Marseille, diesem hoch emotionalen Klub aus der französischen Hafenstadt. Dorthin hatte Borussia Dortmund Innenverteidiger Balerdi im vergangenen Sommer verliehen. Im Januar 2019 war der 22-jährige Argentinier für stolze 15,5 Millionen Euro von den Boca Juniors aus Buenos Aires zum BVB gewechselt. In Dortmund erhielt Balerdi einen bis 2024 datierten Vertrag, aber kaum Spielzeit.

Seitdem wurschteln sich beide, also Marseille und Balerdi, irgendwie durch. Zunächst war Andre Villas-Boas voll des Lobes: "Er hat er alle Qualitäten. Er ist kraftvoll, er ist schnell und er ist technisch gut. Ich kenne ihn schon seit seiner Zeit bei den Boca Juniors. Er war letztes Jahr schon auf unserer Liste", sagte der Trainer nach Vollzug des Leihgeschäfts.

Doch begonnen hat die gemeinsame Zeit schlecht. Balerdi stand zwar am 2. Spieltag gegen Brest 90 Minuten auf dem Feld, musste aber wie bei seinem zweiten Einsatz zwei Wochen später gegen Saint-Etienne auf der ungewohnten Position als Linksverteidiger spielen. Dort konnte er seine Stärken im Zweikampf und am Ball nicht einbringen, Balerdi agierte vielmehr fehleranfällig und konzentrationsschwach.

BVB-Leihgabe Leonardo Balerdi: Tiefpunkt gegen Porto

Die folgenden fünf Pflichtspiele saß er durchgehend auf der Bank, nur um anschließend zwei seiner lange Zeit besten Leistungen abzurufen - als Innenverteidiger: Im Oktober schoss Balerdi am 8. Spieltag in Lorient seinen bislang einzigen Treffer für Marseille, es war zugleich das Tor des Tages. Kurz darauf in Strasbourg führte in den direkten Duellen kein Weg an ihm vorbei, was ihm wenige Tage später durch eine erneute Berufung in die argentinische Nationalmannschaft versüßt wurde.

Zu Konstanz verhalf das Balerdi jedoch nicht, vielmehr erreichte er Ende November den vorläufigen Tiefpunkt an einem auch für OM historischen Tag. Bei der Pleite gegen Porto in der Champions League verschuldete er beide Gegentreffer, vor dem Elfmetertor zum 0:2 sah Balerdi die Gelb-Rote Karte. Es war Marseilles 13. CL-Niederlage am Stück, das hatte zuvor noch kein anderes Team hingekriegt.

Villas-Boas ging hart mit seiner Mannschaft ins Gericht: "Um in der Champions League scheiße zu sein, muss man sich erst einmal für die Champions League qualifizieren. Das haben wir getan und wir sind scheiße."

Für Balerdi war der Zug Richtung Stammplatz erst einmal abgefahren, zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar musste er sechs Pflichtspiele in Serie zugucken. "Für Leo war das Spiel gegen Porto leider das Problem. Wir haben ihm in einem wichtigen Spiel eine Chance gegeben. Er hat sie verpasst, weil er einen schweren Fehler gemacht und teuer dafür bezahlt hat", sagte Villas-Boas damals.

Balerdi hat zu kämpfen, sobald das Spielniveau steigt

Auch wenn der Coach gleich mehrfach betonte, Balerdi werde einmal einer der besten Innenverteidiger der Welt, seine Konkurrenten Alvaro Gonzalez und Duje Caleta-Car waren schlicht zuverlässiger. Zwar deutete er immer wieder sein Potential an, doch es wurde offensichtlich, dass Balerdi zu kämpfen hat, sobald das Niveau steigt.

Jenes von OM dagegen sank immer mehr und als der Klub Ende Januar weiter Richtung Tabellenmittelfeld stürzte, kam es zu Geschehnissen, die eines Tages einen festen Platz in der an Skandalen nicht armen Vereinsgeschichte finden werden. Mehrere Hundert Ultras protestierten vor dem Trainingszentrum "La Commanderie" und verschafften sich zwischenzeitlich gewaltsam Zutritt, sie marodierten und es brannten Bäume.

Die verängstigten Spieler verkrochen sich in einem Gebäude und als sich Villas-Boas und Balerdi-Konkurrent Gonzalez den aufgebrachten Anhängern stellten, wurden sie attackiert und bestohlen. "Was in Washington passierte und was in Marseille passierte, folgt einer vergleichbaren Logik", sagte US-Unternehmer Frank McCourt, seit 2016 Klubeigentümer und ehemals Besitzer des MLB-Teams Los Angeles Dodgers, mit Blick auf den Sturm aufs Capitol.

BVB-Leihgabe Leonardo Balerdi: Seine Statistiken bei Olympique Marseille 2020/21

WettbewerbSpieleToreVorlagenSpielminuten
Ligue 1131-1003
Coupe de France1--90
Champions League3--250

Leonardo Balerdi unter Neu-Trainer Sampaoli gesetzt

Für Villas-Boas war all dies zu viel. Nachdem der Verein aus finanziellen Gründen Mittelfeldspieler Morgan Sanson und dafür Olivier Ntcham von Celtic Glasgow auslieh - "ein Spieler, den ich abgelehnt hatte", so Villas-Boas - warf der 43-Jährige hin. "Ich will nichts von OM, ich will kein Geld, ich will einfach nur weg", ließ er ausrichten. Schon im Sommer war ein Verbleib des Trainers mehr als ungewiss, Villas-Boas war auf die Vereinsführung nach dem Abgang von Sportdirektor Andoni Zubizarreta im Mai 2020 nicht mehr gut zu sprechen.

Marseille machte Tabula rasa auf allen Ebenen: Der bei den Fans verhasste Vorstandsvorsitzende Jacques-Henri Eyraud zog sich in den Aufsichtsrat zurück und wurde durch den erst 34-jährigen Pablo Longoria ersetzt, der nun auch das Amt des Präsidenten ausfüllt. Longoria wurde im August 2020 Zubizarretas Nachfolger und weist eine interessante Vita auf: Der Spanier arbeitete zuvor als Scout für Newcastle, Huelva, Sassuolo, Atalanta und Juventus, ehe er dem FC Valencia als Sportdirektor zur Rückkehr in die Champions League verhalf.

Die für Balerdi wichtigste all dieser Veränderungen war jene auf der Trainerposition: Sein Landsmann Jorge Sampaoli übernahm Anfang März, erhöhte die Trainingsintensität und landete direkt zwei Heimsiege. Zwar folgte am Wochenende eine Niederlage in Nizza, wo Balerdi zwar ein Tor verschuldete, doch zusammen mit Bayern-Leihgabe Michael Cuisance avancierte er zu den bisherigen Gewinnern unter dem neuen Coach.

Der Grund: Sampaoli lässt eine Dreierkette spielen, in der er Balerdi als zentralen Innenverteidiger einsetzt. Nimmt man das letzte Spiel unter Interimscoach Nasser Larguet hinzu, stand Balerdi in den vier vergangenen Partien jeweils 90 Minuten auf dem Platz. Allein im März erreichte er somit die Hälfte der Anzahl seiner vorherigen Startelfeinsätze in der Ligue 1 (von acht auf nun zwölf).

BVB möchte 14 Millionen Euro für Balerdi haben

Und wie schon so viele Beobachter des 22-Jährigen immer wieder betonten: Balerdi benötigt vor allem Vertrauen und regelmäßige Einsatzzeit, um besser zu werden und seine Fähigkeiten aufs Feld zu bringen. Am 29. Spieltag, beim 3:1-Sieg gegen Brest, stand er zum dritten Mal nach seinen erwähnten Auftritten gegen Lorient und Strasbourg in der Elf des Spieltags der Sporttageszeitung L'Equipe. Balerdi war an der Entstehung des späten 2:1 beteiligt, kam auf drei abgefangene Bälle und acht Balleroberungen.

Marseille ist mit zehn Punkten aus elf Spielen zwar die drittschlechteste Mannschaft der Rückrunde, hat aber dennoch nur drei Punkte Rückstand auf Platz fünf, der zur Europa Conference League berechtigt. Der Zug für Europa-League-Rang vier ist dagegen schon abgefahren und 14 Zähler entfernt. Es werden für Marseille daher nun acht Endspiele, bis die Saison am 23. Mai mit einer Auswärtspartie beim FC Metz endet.

Das gilt gleichermaßen für Balerdi, der wie es aussieht in diesen Begegnungen weiterhin Sampaolis Rückendeckung erhalten und zum Stammpersonal gehören wird. Allerdings hat Balerdi ungeachtet seiner kommenden Leistungen ein Problem: Wie im Fall von Cuisance kann sich OM die 14 Millionen Euro schwere Kaufoption sehr wahrscheinlich nicht leisten.

Beim BVB kam Leonardo Balerdi nur auf acht Pflichtspiele.imago images / Witters

Was erreicht Marseille in den Verhandlungen mit Dortmund?

Fest steht: Der Klub wird im Sommer einen personellen Umbruch vollziehen, zahlreiche Verträge laufen am Saisonende aus. Auch Balerdis Konkurrenten, allen voran Caleta-Car, stehen teils vor einem Abgang. Sollte Sampaoli weiter auf die Dortmunder Leihgabe setzen wollen, muss daher wohl eine neue Einigung mit dem BVB erzielt werden - zumal auch der FC Sevilla laut L'Equipe ein Auge auf Balerdi geworfen hat.

Helfen könnte OM das in der Branche bekannte Verhandlungsgeschick des neuen Strippenziehers Longoria. Mit einem allzu großen Verlust wird Dortmund, wo Balerdi nach insgesamt acht Pflichtspielen keine Zukunft mehr besitzt, jedoch nicht aus der Sache herausgehen wollen. Balerdis Schicksal im Süden Frankreichs dürfte also am letzten Preis hängen, den der BVB macht.

Wie angespannt die Finanzlage des Klubs ist, hat bereits Villas-Boas auf einer Pressekonferenz treffend zusammengefasst: "Wenn Marseille Geld hätte, würdet ihr Guardiola und seinen Ballbesitzfußball bekommen. Leider reicht es aber nur zu Andre Villas-Boas und seinen Taktiken."