Im Vorfeld der FIFA-Präsidentenwahl ging es am Dienstag vor und hinter den Kulissen weiter drunter und drüber. Der englische Fußballverband FA ging auf Konfrontationskurs zu Sepp Blatter. Franz Beckenbauer sieht die FIFA auf dem Weg in eine Krise.
Als die Schlammschlacht ausartete, zeigte sogar der krisenerprobte Joseph S. Blatter Anzeichen von Panik. Am Ende eines dramatischen Tages eröffnete der Präsident im Züricher Hallenstadion sichtlich gezeichnet den skandalumwitterten 61. FIFA-Kongress, der längst nur noch eine Farce ist.
"Wir leben in einer gestörten Welt. Es herrschen kein Respekt und kein Fair Play mehr. Die berühmte FIFA-Pyramide schwankt, sie ist in ihren Grundfesten erschüttert", sagte der Schweizer und fügte beschwörend hinzu: "Es ist Gefahr im Verzug." Es waren Worte, die Blatter getrost auf sich selbst hätte beziehen können.
Beckenbauer: "Auf dem Weg in eine Krise"
Auch Franz Beckenbauer sieht die FIFA als ehemaliges Mitglied der Exekutive schwer beschädigt. "Wir sind auf dem Weg in eine Krise. Niemand traut derzeit seinem Nachbarn. Das macht mich sehr traurig", sagte Beckenbauer. IOC-Präsident Jacques Rogge sah die Krise in seiner Rede auf dem Kongress indes als Chance.
"Auch wir hatten vor Salt Lake City mit diesen Problemen zu kämpfen. Die FIFA wird sich Untersuchungen und Widersprüchen stellen müssen. Ich bin mir aber sicher, dass die FIFA dadurch stärker als je zuvor werden kann", sagte Rogge.
Aufruf zur Revolution
Ein Aufruf zur Revolution, ein undurchsichtiges Kriminalstück und eine spektakuläre Rolle rückwärts hatten Stunden geprägt, die es in der Geschichte des Fußball-Weltverbandes noch nicht gegeben hatte. Vor der Präsidentenwahl am Mittwoch ging es vor und hinter den Kulissen drunter und drüber.
Der englische Fußball-Verband FA ging öffentlich auf Konfrontationskurs zu Blatter und forderte eine Verlegung der Wahl. Eine Pressekonferenz, auf der ein ehemaliger hochrangiger FIFA-Offizieller seine Beweise für eine Bestechung im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2022 an Katar vorlegen wollte, fiel nach eigenartigen Vorfällen zunächst aus.
Warner plötzlich pro Blatter
Jack Warner setzte dem Ganzen am späten Nachmittag die Krone auf. Der Präsident des CONCACAF (Fußball-Verband für Nord- und Mittelamerika/Karibik), der am Montag noch erklärt hatte, Blatter müsse "gestoppt werden", empfahl den Mitgliedern der Karibischen Fußball-Union CFU nun völlig überraschend, für den Schweizer zu stimmen.
"Bei unserem letzten Treffen haben wir vereinbart, als eine Union den Amtsinhaber Blatter bei seiner Mission, Präsident zu bleiben, zu unterstützen. Ich möchte Ihnen versichern, dass sich daran nichts geändert hat. Wir haben uns entschieden und müssen uns daran halten", schrieb Warner den CFU-Delegierten.
FA rebelliert gegen FIFA-Präsident
Die rebellische FA dagegen rief mit Unterstützung des schottischen Verbands zu einer wahren Revolution gegen den FIFA-Präsidenten auf. FA-Präsident David Bernstein bat in einem Statement um Unterstützung für zwei Initiativen seines Verbandes: Zuerst solle die Wahl verschoben und dem Prozess Glaubwürdigkeit verliehen werden, um einem "reformorientierten Kandidaten" die Gelegenheit zu einer Kandidatur zu geben.
Zudem regte er die Einrichtung eines externen Kontrollorgans an, wie es auch DFB-Präsident Theo Zwanziger gefordert hatte. Bernstein sprach von einer "sehr schädlichen Zeit für den Ruf der FIFA und somit für den ganzen Fußball".
Sponsoren mit Sorgen
Blatter aber will das Ruder nicht aus der Hand geben, seine Worte klingen allerdings zunehmend abstrus. "Wenn jetzt sogar schon die Natur eine Revolte anstrengt, dann ist es auch normal, dass die Menschen eine Revolte anstrengen. Die Welt durchlebt unruhige Zeiten. Aber ich bin weiter überzeugt, dass der Fußball eine verbindende Rolle spielen kann", sagte er.
Die Verhältnisse bei der FIFA sehen längst auch deren Großsponsoren mit Sorge. "Die immer wiederkehrenden Vorwürfe sind weder gut für das Ansehen des Fußballs noch für die FIFA selbst", sagte Oliver Brüggen, Sprecher des deutschen Sportartikelherstellers adidas.
Deutlicher wurde Coca-Cola. Das Unternehmen forderte die FIFA auf, alle Bestechungsvorwürfe schnellstmöglich und vollständig aufzuklären. "Die Anschuldigungen sind erschütternd und schlecht für den Sport", sagte Sprecher Petro Kacur. Auch die Fluggesellschaft Emirates und die Kreditkarten-Organisation VISA schlossen sich der Kritik an.
Pressekonferenz fiel aus
Die Konkretisierung der Vorwürfe ließ aber auf sich warten. Die für Dienstagnachmittag angekündigte Pressekonferenz, auf der ein früherer, deutschsprachiger FIFA-Offizieller seine Bestechungsvorwürfe mit Dokumenten untermauern wollte, kam zunächst nicht zustande.
Angeblich hatte das Züricher Nobelhotel The Dolder Grand, in dem die Veranstaltung stattfinden sollte, kurzfristig die Bereitstellung eines Saales verweigert. Zugleich war eine offenbar gefälschte E-Mail im Umlauf, in der ein hoher Beamter der Schweizer Justiz eine Absage der angeblichen Enthüllungs-Pressekonferenz forderte und für den Fall der Zuwiderhandlung rechtliche Schritte androhte.
Dokumente, die Bestechung belegen
Folco Galli, Sprecher des Schweizer Bundesamtes für Justiz, bezeichnete die E-Mail an die Emissäre des ehemaligen FIFA-Offiziellen als "nicht authentisch". Vielmehr habe Ernst Gnägi, Leiter des Dienstes für Internationales Strafrecht, sein Haus in seiner Antwort für nicht zuständig erklärt und an die Schweizer Ermittlungsbehörden verwiesen.
Galli bestätigte zugleich, dass beim Bundesamt für Justiz zuvor eine E-Mail eingegangen war, in der gewissermaßen um Amtshilfe gebeten wurde. Der Absender behauptete, er besitze Dokumente, die die Bestechung im Zusammenhang mit der Vergabe der WM 2022 belegen könnten, und bitte um Zusammenarbeit.
Streitpunkt Katar 2022
Der namentlich bislang nicht bekannte ehemalige FIFA-Offizielle wiederum wollte am Dienstag die Namen von vier FIFA-Exekutivmitgliedern nennen, die beschuldigt werden, für die umstrittene Vergabe der WM 2022 an Katar insgesamt 20 Millionen Dollar Bestechungsgeld kassiert zu haben.
Es sollten Dokumente und Bankkonten veröffentlicht werden, die die Geldflüsse beweisen. Blatter wäscht seine Hände in Unschuld und sagte, alles sei "normal" gelaufen.
In einem Untersuchungsbericht, den der englische Anwalt James Dingemans für den nationalen Verband FA angefertigt hatte, wird der Name Nicolas Leoz genannt. Das Exko-Mitglied aus Paraguay soll für seine Unterstützung der Bewerbung Englands um die WM 2018 gefordert haben, dass der traditionsreiche englische Pokal (FA Cup) nach ihm benannt wird.