"Ich bin halt kein Ribery"

Jochen Tittmar
12. Februar 201416:15
Christian Tiffert hat 225 Spiele in der Bundesliga auf dem Buckel und schoss dabei 13 Toreimago
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Christian Tiffert ist seit bald 14 Jahren Profi-Fußballer und steht derzeit beim VfL Bochum unter Vertrag. Der 31-Jährige spricht im Interview über seine Ansichten zum Red-Bull-Engagement im Fußball, seinen teils abenteuerlichen Kurz-Aufenthalt bei den Seattle Sounders in den USA und das Besondere an Trainer Peter Neururer.

SPOX: Herr Tiffert, Sie sind als 18-Jähriger aus Ihrer Heimat im Osten der Republik zum VfB Stuttgart gewechselt. Sie haben über diese Zeit einmal gesagt, dass Sie damals als Talent "gelebt" hätten. War das ein Fehler?

Christian Tiffert: Das kommt immer auf die Deutung an. Andere dürfen das als Fehler auslegen, aber ich muss für mich selbst wissen, was Fehler sind und was nicht.

SPOX: Es gab damals viele Vorschusslorbeeren für Sie.

Tiffert: Grundsätzlich ist es so, dass wenn man als junger Profi erfolgreich ist und die Leute zu einem aufblicken, dann gerät man schnell in die Schublade, nicht mehr alles ernst zu nehmen und zu denken, man habe schon alles erreicht.

SPOX: Und das traf auf Sie zu?

Tiffert: Nein, das würde ich nicht behaupten. Ich war manchmal durchaus etwas länger unterwegs und habe das Nachtleben genossen. Dabei habe ich jedoch niemanden vor den Kopf gestoßen, war in keine Schlägerei verwickelt oder habe sonstige Dinge getan, die sich nicht gehören. Ich würde sagen, dass ich über den Tellerrand hinausgeschaut habe und mir das nicht geschadet hat. Meine Karriere ist so verlaufen, dass ich heute nachts ruhig schlafen kann und nicht darüber nachdenke, was ich vor zehn Jahre hätte besser machen können.

SPOX: Sie haben ja auch viel erlebt - zum Beispiel die "Jungen Wilden" beim VfB unter Felix Magath. War er damals wirklich so ein Schleifer?

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf sich mit Christian Tiffert im Bochumer Trainingslager in Spanienspox

Tiffert: Das schon, auch wenn ich es mit meinen 20 Jahren nicht unbedingt als schleifen empfunden habe. In diesem Alter fällt einem ja vieles leichter. Zu dieser Zeit haben junge Spieler die Dinge auch deutlich weniger hinterfragt und sich nicht über Trainingsmethoden beschwert. Wir haben einfach getan, was uns gesagt wurde und auch dann weitergemacht, wenn man nicht mehr konnte. Auch wenn es das härteste Training meiner Karriere war: Felix Magath ist der Trainer, der mich am meisten geprägt hat.

SPOX: Er wurde vor allem später immer wieder für seine Art der Menschenführung kritisiert. Wie haben Sie das damals empfunden?

Tiffert: Manche kommen damit klar, andere beschweren sich darüber. Ich habe mit ihm auch mal Diskussionen gehabt und konnte nicht immer alles nachvollziehen. Ich war aber schon immer in der Lage, Dinge annehmen zu können, die ich anfangs vielleicht anders gesehen habe. Wir sahen ja auch, dass es zu Erfolg führen kann, wenn man es schafft, seinen inneren Schweinehund häufiger als sonst zu überwinden.

SPOX: Nach sechs Jahren im Schwabenland wechselten Sie zu Red Bull Salzburg nach Österreich. Hand aufs Herz: Wie ausschlaggebend war dafür auch die gute finanzielle Perspektive?

Tiffert: Das spielte natürlich eine Rolle, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Ich wollte damals nach der langen Zeit in Stuttgart einfach aus der Schublade heraus, in der ich gesteckt habe.

SPOX: Erklären Sie!

Tiffert: Die letzte Saison beim VfB war meine beste, weil ich meine konstantesten Leistungen abgerufen habe. Ich merkte jedoch, dass ich auch für vieles verantwortlich gemacht wurde, weil ich eben gewissermaßen schon zum Inventar gehörte. Das hat mir nicht mehr gefallen, deshalb brauchte ich eine Veränderung. Mir kam es entgegen, dass mich Giovanni Trapattoni, den ich ja bereits aus Stuttgart kannte, mit nach Salzburg nehmen wollte. Ich habe natürlich auch überlegt, ob mich die österreichische Liga reizt. Das Projekt hat mich letztlich überzeugt, wir hatten eine sehr gute Mannschaft und sind Meister geworden. Und der Transfer wurde mit einem guten Gehalt versüßt, das gebe ich zu.

SPOX: Mit RB Leipzig hat in Deutschland ein Red-Bull-Verein die Chance, in die 2. Liga aufzusteigen. Die dortige Entwicklung wird nicht nur mit Wohlwollen beäugt. Wie bewerten Sie dieses Engagement?

Tiffert: Ich finde Red Bull vollkommen in Ordnung. Ich sehe da keine Probleme für den Fußball. Im Gegenteil, man sollte das immer auch aus Sicht des jeweiligen Standortes betrachten. Die Stadt lechzt nach professionellem Fußball. Warten Sie einmal ab, wenn der Klub nächstes Jahr in der 2. Liga spielt: Die werden einen richtig hohen Zuschauerschnitt haben. Für Red Bull war das in strategischer Hinsicht genau die richtige Ecke in Deutschland, um ein solches Engagement zu starten.

SPOX: Was entgegnen Sie den Fußball-Romantikern, die sich daran stoßen, dass der Verein künstlich aufgebaut wird?

Tiffert: Natürlich ist es immer schöner, wenn ein Verein auf viele Jahre Tradition zurückblicken kann, finanziell solide dasteht und im Stadion Bilder altgedienter Klublegenden hängen. So etwas ist für einen Fußballer und Fan sicherlich attraktiver als ein Verein, der durch Geld entstanden ist und erst seit kurzem auf der Bildfläche auftaucht. In meinen Augen spricht aber nichts dagegen, diese neuere Entwicklung gehört eben auch zum Fußball. Es steht ja jedem Fußballer oder Fan frei, ob er sich RB Leipzig anschließt oder Borussia Dortmund.

SPOX: Über die Station MSV Duisburg sind Sie zur Saison 2010/2011 beim 1. FC Kaiserslautern gelandet und bereiteten dort 17 Tore vor, die meisten in der gesamten Bundesliga. War das damals der beste Tiffert aller Zeiten?

Tiffert: Eindeutig, beim FCK war ich in dieser Spielzeit wie im Rausch. Dort ist es ja doch etwas schwieriger als beim FC Bayern, bester Vorlagengeber zu werden. Damals hat einfach alles gepasst, was passen muss: Ich habe mich sehr wohlgefühlt, war gut in Form, die Mannschaft war stark und der Verein klasse. Diese Zeiten sind aber vorbei.

SPOX: Wieso haben Sie es nicht geschafft, Ihre damalige Leistung zu konservieren?

Tiffert: Ich bin halt kein Ribery, der das jede Saison hinkriegt. Ich kann mich da ganz realistisch einschätzen, denke ich (lacht). So ist es als Fußballer eben: Der eine kann solche Leistungen über einen längeren Zeitraum bestätigen, der andere kann es nicht.

SPOX: Der FCK wurde zunächst sensationeller Siebter, stieg im Folgejahr dann aber sang- und klanglos ab. Wieso konnte die Abwärtsspirale nicht aufgehalten werden?

Tiffert: Das Problem des siebten Platzes war, dass sich viele wichtige Spieler aus unserem Team in den Vordergrund gespielt haben und anschließend weggekauft wurden. Daher blieb nichts anderes übrig, als das eingenommene Geld wieder zu investieren und darauf zu hoffen, dass man den Qualitätsverlust auffängt. Das ist dem Verein leider nicht gelungen. So lässt sich das erklären. Der FCK war ja auch nicht der erste Klub, der einen solchen Aderlass nicht kompensieren konnte.

SPOX: Im Anschluss sind Sie kurz vor Ihrem 30. Geburtstag zu den Seattle Sounders in die USA gewechselt. Die meisten europäischen Spieler tun eigentlich das, um Ihre Karriere ausklingen zu lassen.

Tiffert: Ich wollte nicht erst mit 36 dorthin wechseln. Es geht mir auch als aktiver Fußballer darum, den persönlichen Horizont zu erweitern. Man bekommt in seiner Karriere vielleicht einmal die Möglichkeit zu diesem Schritt. Ich hatte Zeit, mir dort alles anzuschauen und musste mich nicht aus einer Hektik heraus entscheiden. Da auch die Familie den Daumen gehoben hat, habe ich das Angebot angenommen. Uns hat es gefallen, das war schon cool dort. Ich bin aber kein USA-Freak und würde dorthin auch nicht auswandern wollen. Aber ich möchte diese Erfahrung nicht missen.

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Christian Tiffert im Steckbrief

SPOX: Haben Sie sich selbst aktiv um den Wechsel bemüht?

Tiffert: Es gab zwischen den USA und Europa einen Mittelsmann, der eine bestimmte Kartei von Spielern anlegt, die in Frage kommen. Diese Liste wird in Amerika bei den Vereinen herumgereicht. Ich stand damals drauf und Seattle hat Interesse an mir signalisiert.

SPOX: Sie unterschrieben einen Vertrag über drei Jahre und waren einer von drei Spielern, die über Tarif bezahlt wurden. Als der Verein wenig später den Ex-Wolfsburger Obafemi Martins verpflichten wollte, mussten Sie Ihren Vertrag auflösen.

Tiffert: Dort laufen eben viele Dinge anders. Wenn man nach Amerika wechselt, sollte man damit bereits im Vorfeld rechnen. Mir war also klar, dass es in dieser Hinsicht schnell gehen kann. Der Martins-Transfer war in meinen Augen allerdings unnötig, da in der Saison zuvor das beste Jahr der Vereinsgeschichte gespielt wurde und Seattle nur knapp am Playoff-Finale gescheitert ist. Die Vereinsoberen, die ja Hollywood-Produzenten oder Chefs von Computerfirmen sind, haben dann auch aus wirtschaftlicher Sicht eben entschieden, doch wieder vieles umzuwerfen. Ich war deshalb nicht sauer, ich fand es einfach nur unnötig.

SPOX: Richtig überrascht waren Sie von diesem Vorgang also gar nicht? SPOX

Tiffert: Nein, es kann im Fall der Fälle jeden treffen. Sie wollten Martins unbedingt verpflichten und benötigten einen Platz für ihn. Daraufhin hat man sich für denjenigen entschieden, der am kürzesten im Verein war - und das war nun mal ich. Die Folgesaison war aber deutlich weniger erfolgreich und Martins sehr häufig verletzt.

SPOX: Stimmt es, dass Sie die Meldung erst aus dem Internet erfahren haben?

Tiffert: Das stimmt, aber man muss zunächst einmal wissen, dass man den Spieler, der gehen soll - also in dem Fall mich - vor dem Start des ersten Saisonspiels innerhalb einer gewissen Frist ausbezahlen muss. Das ist zwingend, sonst funktioniert das Ganze nicht. Ich war mir aber nicht mehr sicher, ob diese Regel weiterhin Bestand hat, weil man dazu viele unterschiedlichen Dinge gehört hat. Der Verein hat meinen Abgang dann vor dem Spiel im Fernsehen verkündet.

SPOX: Und Sie saßen zu diesem Zeitpunkt zu Hause vor dem PC?

Tiffert: Nein, ich stand nicht im Kader und war deshalb mit meiner Familie unterwegs. Ich wollte mir auf dem Handy die Aufstellung für das Spiel ansehen und habe dabei erfahren, dass man mich verkaufen wird. Mir wurde die Entscheidung im Vorfeld nicht mitgeteilt, mich hat kein Offizieller des Vereins angerufen.

SPOX: Wie reagiert man denn dann auf eine solche Situation?

Tiffert: Ich bin einen Kaffee trinken gegangen (lacht). Nun ja, ich brach jetzt nicht in Tränen aus. Es war ja schon irgendwo klar, dass es in diese Richtung ging. Völlig aus dem Nichts kam es jedenfalls nicht. Natürlich könnte man über die Art und Weise diskutieren, die war auch nicht in Ordnung. Doch jeder, der zum Kicken nach Amerika geht weiß, dass man dort nicht das Profifußballgeschäft aus Deutschland wiederfindet. SPOX

SPOX: Es dürfte sich Ihnen dort auch eine komplett andere Welt geöffnet haben, was das alltägliche Leben angeht. Was waren die größten Umstellungen für Sie?

Tiffert: Das Essen, der viele Verkehr und der Regen. Manchmal hat es drei, vier Tage am Stück geregnet. Es ist einfach ein vollkommen anderes Leben dort, man kann unbesorgt sein eigenes Ding durchziehen. Ich war beispielsweise einmal drei Stunden vor einem Spiel noch mit meinen Kindern unterwegs. Da fragt aber niemand: Was machst du auf dem Spielplatz? Weil man auch nicht erkannt wird (lacht).

SPOX: Wie verhält es sich mit dem Druck seitens des Verein oder der Fans?

Tiffert: In den USA gibt es keinen Druck. Wir hatten zwar im Schnitt 40.000 Zuschauer, aber die Menschen fiebern nicht so extrem mit. Niemand hat dort seit 30 Jahren eine Dauerkarte und würde sein letztes Hemd für den Verein geben. Man kann als Spieler nach der Partie unbehelligt aus dem Stadion laufen. Die Zuschauer gehen mit ihren Kindern friedlich ins Stadion, essen Popcorn oder Hotdogs und fahren auch nach einer Heimniederlage entspannt nach Hause. Fußball wird dort als Event verstanden, es hat etwas von einem Kinobesuch.

SPOX: An welche Anekdote erinnern Sie sich am liebsten?

Tiffert: Vorweg: Die ganz krassen Böcke sind mir nicht unterlaufen. Ich habe mir also nicht wegen Sprachproblemen ein Ei gelegt oder wurde von der Polizei angehalten. Wir haben aber einmal um 13 Uhr in Dallas gespielt. Es waren keine Zuschauer im Stadion, weil es einfach viel zu heiß war. Man konnte wegen der extremen Temperaturen nicht einmal das Hotel verlassen. Es war total schwer, normal zu atmen, ich bin fast durchgedreht. Das Spiel endete 1:1 und es gab insgesamt genau diese beiden Torszenen (lacht).

SPOX: Worin können sich die Deutschen eine Scheibe von den Amerikanern abschneiden, was das Sportliche angeht?

Tiffert: Es ist schon sehr bemerkenswert, wie die dortigen Begebenheiten ohne zu murren hingenommen werden. Die Reisen sind extrem. Wir waren einmal 15 Stunden in der Holzklasse unterwegs und mussten nach der Landung noch ziemlich lange an der Passkontrolle warten. Da hat kein Mensch gemotzt. Viele Fußballer verdienen dort relativ wenig Geld, da bleibt nach der Karriere garantiert nichts mehr übrig. Trotzdem fahren sie jeden Tag mit Freude zum Training und sind auch nicht neidisch, wenn ein Mitspieler mit einem dicken Auto neben ihrer eigenen Klapperkiste parkt.

SPOX: Keine drei Monate nach Ihrem Aus in Seattle heuerten Sie beim VfL Bochum an. Trainer Peter Neururer kannten Sie bereits aus der gemeinsamen Zeit in Duisburg. Worin unterscheidet er sich am meisten von den Trainer, die sie bislang kennen gelernt haben? SPOX

Tiffert: Er verkörpert auch aufgrund seiner langjährigen Erfahrung eine gute Mischung zwischen Ehrgeiz und Lockerheit. Die fehlt vielleicht manchen jüngeren Trainern, die dann zu verbissen und zu akribisch an Dinge herangehen. Wir hatten in Bochum in der Hinrunde eine Phase, in der es schlechter lief. Der Trainer stand aber da wie eine Eins, konnte die Situation realistisch einschätzen und hat uns den Glauben an bessere Zeiten vermittelt. Und mit dem gehen wir nun auch in die Rückrunde.

SPOX: Neururer kommt seit jeher auch als Trainer rüber, mit dem man ein Bierchen trinken gehen könnte. Ist das auch Ihre Wahrnehmung?

Tiffert: Nein. Ich glaube, das würde ich mit keinem Trainer machen. Wir haben ein harmonisches Verhältnis und können auch abseits des Platzes ein Wort wechseln. Das ist sehr angenehm, aber deshalb muss ich mit ihm kein Bierchen trinken gehen. Peter Neururer ist kein Kumpeltyp, dafür ist er viel zu ehrgeizig.

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