Ex-BVB-Kapitän Christian Wörns im Interview über Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen

Jochen TittmarAdrian Fink
06. Dezember 201710:13
Christian Wörns hat bei Borussia Dortmund gespieltgetty
Werbung
Werbung

Christian Wörns absolvierte in seiner Karriere für Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen insgesamt fast 500 Bundesligaspiele. Nachdem der heute 45-Jährige 2008 seine Karriere beendete, landete er als Trainer über die Zwischenstationen Bochum, Schalke 04 und der SpVgg Unterhaching bei der zweiten Mannschaft des FC Augsburg. Ein Gespräch über die Rivalität zwischen dem BVB und S04, ein missglücktes Auslandsabenteuer und das Duo Lattek/Sammer.

SPOX: Herr Wörns, nach Ihrem Karriereende 2008 beim BVB haben Sie noch bis Mitte 2014 in Dortmund gewohnt und dort Ihre Trainerlaufbahn begonnen. Wieso hat es Sie mittlerweile nach München verschlagen?

Christian Wörns: Die Berufswahl Trainer war bewusst, also muss ich flexibel sein. (lacht) Wir hatten schon immer eine Affinität zu München. Unser großer Sohn war zu dieser Zeit fast mit seinem Abitur fertig. Deshalb war es ein guter Zeitpunkt, um umzuziehen. Ich habe dann dank meiner Kontakte kurz nach dem Umzug eine Stelle als Trainer bei der U16 der SpVgg Unterhaching angetreten.

SPOX: Los ging es für Sie als Trainer 2009, als Sie die C-Jugend des Hombrucher SV in Dortmund übernahmen. Anschließend ging es Anfang 2012 zur U15 des VfL Bochum und ab der Saison 2013/2014 trainierten Sie die U17 des FC Schalke 04. Wie kam das alles zustande?

Wörns: Mein Sohn hat damals in der C-Jugend in Hombruch gespielt, deshalb hat es sich gut angeboten, seine Mannschaft als Trainer zu übernehmen. Ich habe nie einen Karriereplan verfolgt, meine verschiedenen Trainerstationen haben sich aus unterschiedlichen Situationen ergeben.

SPOX: Als langjähriger Dortmunder plötzlich auf Schalke - wie fühlte sich das an?

Wörns: Wenn man sich selbst normal verhält, gibt es keine Probleme. Ich wurde von den Mitarbeitern sehr freundlich aufgenommen. Auch mit den eingefleischten Fans habe ich mich gut verstanden. Das hätten wohl selbst die Schalker nicht gedacht. (lacht)

SPOX: In Unterhaching waren Sie nicht nur Co-Trainer von Christian Ziege, sondern auch Chefcoach der U16. Nach einer Saison ging es Anfang 2016 dann zum FC Augsburg. Dort trainieren Sie mit der U23 Ihre erste Seniorenmannschaft. Wie unterscheidet sich denn mittlerweile der Trainer Wörns vom ehemaligen Spieler Wörns?

Wörns: Das Leben als Spieler ist einfacher. Als Trainer trägt man über alle Spieler Verantwortung, der Umgangston kann auch mal etwas rauer sein. Man eckt häufiger an, will aber natürlich nur die Spieler voranbringen. Ich bin sehr froh, dass ich im U-Bereich angefangen habe.

SPOX: Obwohl Sie als Spieler über 500 Profipflichtspiele absolviert und zahlreiche Titel gewonnen haben, fliegen Sie als Trainer noch etwas unter dem Radar. Ist Ihnen das ganz recht so?

Wörns: Mein Image ist mir egal, darauf habe ich nie geachtet. Als Spieler habe ich gelernt, dass man sich keinen konkreten Karriereplan zurechtlegen sollte. Ansonsten wird man zu verbissen. Ich habe den Einstieg im Jugendbereich bewusst gewählt, um Erfahrungen als Cheftrainer zu sammeln. Ich würde mich nie selbst in den Vordergrund spielen, fest steht jedoch, dass ich weiter als Trainer arbeiten möchte.

SPOX: In Augsburg war Manuel Baum, der aktuelle Chefcoach der Profis, als Leiter des Nachwuchsleistungszentrums Ihr Chef. Stand es zur Debatte, dass Sie sein Co-Trainer werden?

Wörns: Nein. Es war immer klar, dass Alexander Frankenberger als Co-Trainer fungieren wird. Ich bin mir grundsätzlich nicht zu fein für eine Arbeit als Co-Trainer, aktuell gefällt mir die Rolle als Cheftrainer der U23 aber sehr.

SPOX: Sie haben 1989 beim SV Waldhof Mannheim im Alter von 17 Jahren Ihr erstes Profispiel absolviert. Was würden Sie sich heute aus dieser Zeit zurückwünschen?

Wörns: Bei der Jugend würde ich gerne die Uhr zurückdrehen. Wir hatten früher deutlich mehr Freizeit. Natürlich sind die heutigen Jugendspieler im fußballerischen Umgang sehr reif. Sie sollten aber eigene Erfahrungen sammeln und vielleicht auch mal für einen Fehler geradestehen. Die Belastung mit Training, Punktspielen, Auswahlmannschaften und Hallenturnieren ist schon enorm - und nebenbei sollen sie noch die Schule hinbekommen.

Erlebe die Bundesliga-Highlights auf DAZN. Hol Dir jetzt Deinen Gratismonat!

SPOX: 1991 wechselten Sie aus Mannheim zu Bayer Leverkusen und erlebten dort unter anderem mit Dragoslav Stepanovic und Christoph Daum zwei besondere Trainer. Wie anders war Stepanovic?

Wörns: Reiner Calmund hat einmal gesagt: "Mit Stepi kommt der Zirkusmief in den Verein." Das ist ihm mit seinen Sprüchen und unkonventionelle Maßnahmen gelungen. Im Winter hat er einmal über den gesamten Ascheplatz ein riesiges Zelt spannen lassen. Es gab damals keine Rasenheizung und dann haben wir halt im Zelt trainiert. So war es wenigstens warm.

SPOX: Wie haben Sie Daum erlebt?

Wörns: In taktischer Hinsicht war er seiner Zeit voraus. Er hatte komplett neue Ansätze und sich gegen das damalige Motto "Masse macht Klasse" entschieden. Daum konnte die Spieler unheimlich motivieren. Mir persönlich waren echte Inhalte immer wichtiger als abgedrehter Hokuspokus. Ich wurde einmal gefragt, was ich tun würde, sollten Einbrecher meine Frau bedrohen und dies dann auf den Fußball projizieren - das war mir immer suspekt. Grundsätzlich fand ich es schade, dass Daum aufgrund seiner Geschichte keine größere Chance mehr in Deutschland erhalten hat.

SPOX: Als Daum Bayer-Trainer war, entschlossen Sie sich 1998 zu einem Wechsel ins Ausland und gingen ablösefrei zu Paris Saint-Germain. Wieso Paris?

Wörns: Ich war Mitte 20 und wollte nach sieben Jahren in Leverkusen hinaus in die große Welt. Ich hätte mir damals sogar vorstellen können, nie wieder in der Bundesliga zu spielen. Im Nachhinein muss ich aber sagen: Paris kam viel zu früh.

SPOX: Inwiefern?

Wörns: Ich hatte nach der Weltmeisterschaft 1998 Anfragen von verschiedenen europäischen Spitzenvereinen. Doch da hatten wir bereits ein Haus in Paris gefunden und schon einen Französisch-Crashkurs absolviert. Dann wurden in Paris noch vor dem Saisonstart der Trainer und der Präsident ausgetauscht, die mich verpflichtet hatten.

SPOX: Dass Sie PSG dann nach nur einer Saison wieder den Rücken kehrten, war nach dieser Auftaktepisode dann schnell klar?

Wörns: Ja, das war der denkbar schlechteste Start in dieses Abenteuer. Im Verein herrschte die ganze Saison über großes Chaos. Ich habe in diesem einen Jahr vier Trainer und drei Präsidenten erlebt.

SPOX: Also schnell wieder zurück nach Deutschland?

Wörns: Es gab mehrere Angebote, aber ich kann nicht sicher sagen, welche davon konkret waren. Man wusste nicht immer, 'wen man da genau am Apparat hatte'. Als sich dann der BVB persönlich gemeldet hat, hatte ich von Beginn an ein gutes Gefühl.

SPOX: Das hat Sie nicht getäuscht: In Dortmund erlebten Sie die längste und erfolgreichste Zeit Ihrer Karriere. Allerdings gingen Sie auch durch die schweren Zeiten, in Ihrer ersten Saison 1999/2000 stieg die Borussia beinahe ab. Fühlten Sie sich da zum Start nach der schwierigen Zeit in Paris wie im falschen Film?

Wörns: Ich hätte den Verein natürlich auch einfach verlassen können, aber das kam für mich nie in Frage. Da muss man durch. Ich hatte auch einen langfristigen Vertrag und bin auf die 30 zugegangen. Da sind Angebote rar gesät. (lacht) Außerdem habe ich in dieser Phase auch nicht nur gute Spiele abgeliefert. Unser Problem damals war, dass kein Spieler an seine Leistungsgrenze kam. Daraus hat sich eine Eigendynamik entwickelt, die kaum mehr aufzuhalten war.

SPOX: Damals übernahm Bernd Krauss von Michael Skibbe, holte in elf Partien aber keinen einzigen Sieg und wurde im Schlussspurt vom Duo Udo Lattek und Matthias Sammer abgelöst. Was dachten Sie, als diese beiden vor Ihnen standen?

Wörns: Dieses Duo hat super funktioniert. Lattek hat die Aufregung in den Medien abgefangen und intern die Ansprachen gehalten. Sammer arbeitete sehr akribisch und hat viel Wert auf Athletik gelegt. Er hat davon profitiert, dass er selbst als Spieler viele Titel gewonnen hat. Dadurch hatte er eine natürliche Autorität und hat die Spieler verstanden. Ich gehe noch immer regelmäßig mit Matthias essen, seine Meinung ist mir wichtig.

SPOX: Nach der Meisterschaft 2002 unter Sammer ging es mit dem BVB rapide bergab. Wie haben Sie drei Jahre später die Fast-Insolvenz erlebt?

Wörns: Ich habe mich nur um das Sportliche gekümmert, auf den Rest hatten wir ohnehin keinen Einfluss. Von den Fans gab es zu dieser Zeit mehrfach Anfeindungen, aber das durfte man nicht an sich heranlassen. Da wir uns damals nicht für die Champions League qualifiziert hatten, griffen eben die üblichen Mechanismen. Wir hatten viel Kapital im Kader, es mussten Spieler verkauft werden. Diejenigen, die blieben, mussten auf 20 Prozent des Gehalts verzichten. So begann der Sparkurs des Vereins. Niemand verzichtet gerne auf Geld, aber zum Wohle des Vereins haben wir Spieler das natürlich gemacht.

SPOX: In dieser Zeit fand auch die Heim-WM 2006 statt. Obwohl Ihre Leistungen bei der schwächelnden Borussia stark waren, entschied sich Bundestrainer Jürgen Klinsmann gegen Sie - und Sie haben sich öffentlich vehement darüber beschwert.

Wörns: Die Geschichte liegt mittlerweile über ein Jahrzehnt in der Vergangenheit. Es wurde von allen Beteiligten alles zum dem Thema gesagt.

SPOX: Rund um die damalige Diskussion haben Sie nach einer Partie in Stuttgart ein Interview am Spielfeldrand gegeben. Wissen Sie, dass dies bis heute einer der bevorzugten Treffer bei Google ist, wenn man dort Ihren Namen eingibt?

Wörns: Ja. (lacht) Ich habe mich damals selbst gelobt und jetzt verfolgt mich das bis heute. Als ich auf Schalke die U17 trainierte, haben mir die Jungs eine Rapversion des Videos in der Kabine gezeigt. Mittlerweile schmunzle ich darüber.

SPOX: In Dortmund ging es dann weiter unter Thomas Doll, der den BVB 2007 vor dem Abstieg bewahrte. Anschließend belegte er mit der Borussia den schlechtesten Platz der letzten 20 Jahre und die Defensive war die schlechteste der Liga. Sie wurden zusammen mit Robert Kovac als "Opa-Abwehr" verspottet.

Wörns: Meiner Meinung nach waren wir keine Opa-Abwehr. In einer solchen Situation sitzen immer alle im selben Boot.

SPOX: 2008 war für Sie dann Schluss mit dem aktiven Fußball, vom BVB haben Sie kein neues Vertragsangebot mehr erhalten. Ab wann wussten Sie darüber Bescheid?

Wörns: Schon relativ früh, denn mein Vertrag hätte sich aufgrund einer Klausel nach 25 Spielen automatisch verlängert. Im Winter habe ich dann in Abstimmungen mit den Verantwortlichen die Klausel streichen lassen. Deshalb war ab da klar, dass es im Sommer vorbei ist.

SPOX: Sie selbst hätten aber am liebsten noch ein Jahr drangehängt.

Wörns: Ja. Mit 36 Jahren stehen die Vereine nur nicht mehr Schlange. Es gab noch die eine oder andere Anfrage aus der zweiten Liga oder als erfahrener Spieler in einer U23 zu spielen, aber das hat sich aus den verschiedensten Gründen nicht mehr konkretisiert. Auch die USA wäre theoretisch super gewesen. Mein Karriereende war komisch, denn ich konnte schlecht loslassen und hätte mir einen langsameren Ausstieg gewünscht. Leider kann man sich das nicht immer aussuchen.

Christian Wörns im Steckbrief