Seit 2016 trainiert Claus-Dieter Wollitz wieder Energie Cottbus. Im Vorjahr stieg der von allen nur "Pele" genannte Wollitz mit Energie am letzten Spieltag aus der 3. Liga ab.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Wollitz vor dem Pokalspiel gegen den FC Bayern München (20.45 Uhr im LIVETICKER) über seine "typische" Emotionalität, einen per Handy gefilmten Wutausbruch, die Aufstiegsregelung in der Regionalliga und das schlechte Image von Energie Cottbus.
Herr Wollitz, dass Sie ein emotionaler Trainer sind, ist landläufig bekannt. Wie sehr nervt es Sie denn, dass man beim Namen Wollitz immer an einen cholerischen Typen und Wutausbrüche denkt?
Claus-Dieter Wollitz: Das nervt mich schon, weil es einfach schade ist, wenn ich nur auf meine Emotionalität reduziert werde. Ändern kann ich es allerdings ohnehin nicht, so dass ich mich damit arrangieren und leben muss. Ich wundere mich dann nur immer, wieso ich dennoch so lange bei meinen Vereinen arbeite.
Ist es wirklich so, dass man das nicht mehr ändern kann?
Wollitz: Natürlich. Wenn du in Deutschland in eine Schublade gepackt wirst, dann kommst du da so schnell nicht wieder heraus. Ich bin aber nicht nur ein krakeelender Trainer, sondern vor allem einer mit Herz und Liebe für seine Spieler, die Angestellten und den Klub. Wahrscheinlich müsste man komplett von der Fußball-Bildfläche verschwinden, um dieser Schublade zu entfliehen.
SPOXWorauf führen Sie Ihre Emotionalität zurück?
Wollitz: Jeder hat gottseidank ein anderes Naturell. Im Fußball gehe ich nun mal auf, das ist meine Liebe. Wer mich als Trainer in den 90 Minuten erlebt, der könnte sich schon denken: Was zum Teufel ist denn bei dem Wollitz los? Während eines Spiels lebe ich eben meine Emotionen aus - manchmal mehr, manchmal weniger. Ich würde mir auch wünschen, dass ich früher in der einen oder anderen Situation meine Emotionen anders herübergebracht hätte, denn im Endeffekt hatte davon nur ich den Schaden. Gerade nach den Spielen oder beim Training bin ich allerdings sehr analytisch und gewissenhaft.
Was glauben Sie, wieso standen Sie noch nie in der ersten Bundesliga an der Seitenlinie?
Wollitz: Entweder bin ich zu emotional oder es reicht nicht.
Gab es Anfragen?
Wollitz: Nicht direkt. Nur von einem Verein, der aus der Bundesliga abgestiegen und in der darauffolgenden Saison wieder aufgestiegen ist. Ob das auch mit mir geklappt hätte, weiß ich nicht. Ansonsten waren immer relativ viele Zweitligisten dabei.
Wieso haben Sie diesen Verein nicht übernommen?
Wollitz: Wenn ein Klub zwei mögliche Trainer-Kandidaten auf Augenhöhe sieht, spielt sicherlich meine Emotionalität eine ausschlaggebende Rolle. Man müsste sich mit mir inhaltlich befassen, um die Emotionalität anders zu sehen und besser einordnen zu können.
2013 mussten Sie beim VfL Osnabrück gehen, weil Sie Ihren Rücktritt öffentlich bekannt gaben, bevor es der Verein tat. Kurz danach tauchte bei YouTube ein Handy-Video auf, das Sie in Jeans und roter Jacke vor dem Stadiontor an der Bremer Brücke zeigt. Dort hatten Sie hochemotional mit wartenden Fans diskutiert. Wie bewerten Sie diese Sache im Nachhinein?
Wollitz: Ich habe mich den Fans gestellt und wurde eiskalt hereingelegt. Ich sage eben meine Meinung, wenn man mich danach fragt. Ich finde, dass niemand das Recht hat, mich ohne meine Erlaubnis zu filmen und das dann auf YouTube zu stellen. Leider habe ich keine Chance, dagegen vorzugehen. Heute würde ich sagen, ab diesem Zeitpunkt war meine Karriere eigentlich erledigt.
Was denken Sie denn über Trainer, die am Spielfeldrand total ruhig sind?
Wollitz: Nichts. Da heißt es ja dann auch, dass die mehr aus sich herausgehen könnten. Es gibt in der heutigen Zeit keine Wahrheit mehr. Die einzige Wahrheit, die zählt, ist, dass man am Wochenende gewinnen muss. Dann ist es nämlich auch vollkommen egal, ob du verschlossen bist oder einen Wutausbruch hattest.
Und bei einer Niederlage ist dann alles falsch gewesen?
Wollitz: Ganz genau. Dann ist das Emotionale oder Ruhige an einem zu viel oder man hat schlicht falsch gewechselt. Es wird nur noch alles an Sieg oder Niederlage festgemacht. Dass der Gegner auch einfach mal besser war, wird nie als Diskussionsgrundlage genommen. Das ist jetzt nicht brandneu, aber durch das Internet ist die Kritik deutlich vielseitiger geworden. Früher hätten viele doch gar nicht mitbekommen, was ich gesagt habe. (lacht)
Nach der Zeit zwischen 2009 und 2011 trainieren Sie seit 2016 nun zum zweiten Mal Energie Cottbus. In der letzten Saison sind Sie mit dem Klub in die Regionalliga abgestiegen. Warum sind Sie geblieben?
Wollitz: Weil ich die Verantwortung für die sportlichen Resultate trage und der Verein mich behalten wollte. Man darf nicht vergessen: Noch nie ist ein Klub aus der 3. Liga mit so vielen Punkten wie wir abgestiegen. Natürlich arbeite ich lieber höherklassig, das geht ja auch jedem Spieler oder Mitarbeiter so. Die Menschen hier haben es einfach verdient, dass ich nicht davonlaufe.
Die Aufstiegsregelung in der Regionalliga wird seit langem von vielen Klubs kritisiert. Würde Cottbus in der kommenden Saison Meister in der Regionalliga Nordost, müsste man in die Relegation. Sind Sie der Meinung, dass alle Meister in die 3. Liga aufsteigen sollten?
Wollitz: Natürlich. Ich habe mich vor ein paar Jahren auch vehement dafür eingesetzt, damit die Gerechtigkeit im Fußball siegt. Nun gibt es den Kompromiss, dass nur noch zwei Mannschaften in die Relegation müssen - durch diesen Entschluss sind wir im Vorjahr als Vierletzter abgestiegen. Das akzeptiere ich aber. Wenn am Ende aber einer der Meister in der Relegation verliert, dann hat in meinen Augen weiterhin vor allem der Sport verloren. Es wäre alles so einfach: Fünf steigen ab und fünf steigen auf.
Diese Meinung haben viele, doch außer der leichten Veränderung der Regelung ist nichts passiert.
Wollitz: Ich bin aber auch einer der Wenigen, die das öffentlich äußern. Dazu bin ich langsam aber nicht mehr bereit. Viele stimmen mir hinter verschlossener Tür zu, trauen sich das aber nicht öffentlich zu äußern. Und diese Leute regen sich darüber noch viel mehr auf als ich. Wieso soll ich also immer beinahe allein Alarm machen?
Warum denken Sie geschieht in dieser Hinsicht nicht das, was sich die Mehrheit der Klubs wünscht? Wie sieht denn der optimale Plan für die Aufstiegsregelung aus?
Wollitz: Der DFB ist einfach nicht bereit dazu, denn dann müsste man etwas bei den Landespokalen und am DFB-Pokal ändern. Wieso stockt man die 3. Liga beispielsweise nicht einfach auf 22 Teams auf? Auf internationaler Ebene wird dagegen bei allem und jedem zugestimmt, man denke nur an die Weltmeisterschaft mit 48 Mannschaften. Dadurch bekommt man ja auch mehr Geld. Müsste man aber etwas abgeben, dann geht das natürlich nicht. Und so wird eben die Kluft zwischen Groß und Klein immer größer.
Nach Saisonende 2017/2018 spendeten die 18 Zweitligisten den beiden Absteigern Braunschweig und Kaiserslautern jeweils 600.000 Euro, um den "wirtschaftlich schwer verkraftbaren Gang in die 3. Liga" abzufedern. Wie kam das bei Ihnen an?
Wollitz: Das war aus meiner und der Sicht der anderen Drittligisten sehr ungerecht. Ich habe mich sehr gewundert, wieso der Absteiger belohnt wird und der Aufsteiger dagegen nichts bekommt. Diese 1,2 Millionen Euro hätten auf die Ab- und Aufsteiger aufgeteilt werden müssen. Das wäre echte Solidarität gewesen. Für mich ist das moralisch alles schwer zu verstehen.
Kommen wir mal zu Ihrer originären Aufgabe als Trainer. Was halten Sie denn von Begriffen wie der abkippenden Sechs oder der falschen Neun?
Wollitz: Das hat sich halt so entwickelt. Wenn ich mit meinen Spielern kommuniziere, rede ich auch anders als früher. Wenn ich in die Kabine komme, höre ich zum Beispiel: "Ey, Alter! Was geht?" Und wenn ein Spieler eine Chance vergibt, heißt es heute: "Ey, Alter! Was ist los mit dir?" Das ist einfach eine andere Zeit. Man muss sich anpassen und versuchen, Augenhöhe herzustellen.
Inwiefern hat sich in Ihren Augen auch das Spiel verändert?
Wollitz: Es wird viel mehr 'gespiegelt', wie es heute heißt. Man passt sich mehr dem Gegner an. Ein Julian Nagelsmann zum Beispiel wechselt im Spiel vier Mal das System. Das fällt in der Bundesliga immer mehr auf, weil es dort auch zahlreiche Kameras gibt. Wenn ich das in der Regionalliga mache, kriegt das kein Mensch mit. (lacht)
Welche Meinung haben Sie von Spielerberatern?
Wollitz: Mir vergessen zu viele Berater, dass die Entwicklung eines Spielers auch Rückschritte beinhalten kann. Viele wollen keine Dellen in der Entwicklung ihres Spielers akzeptieren, weil sie ihn am liebsten schnellstmöglich zu einem größeren Verein bringen möchten. Grundsätzlich gesehen sind Berater aber natürlich wichtig, denn ohne ihre Kontakte bekommt man in der heutigen Fußballwelt keinen Job mehr. Es gibt aber auch genügend Fälle, in denen Berater die falschen Vereine für ihre Spieler auswählen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Wollitz: Sebastian Rudy. Das ist ein fantastischer Fußballer, doch er passte mit seinem Spielerprofil einfach nicht zu Schalke 04. Dieser Verein muss doch Leidenschaft, Aggressivität und Emotion verkörpern.
Worauf legen Sie bei einer Neuverpflichtung mehr wert: auf die spielerische Klasse oder den Charakter?
Wollitz: Im Idealfall bringt der Spieler beides mit. Spielerische Klasse ist natürlich super, aber wichtiger sind für mich die Mentalität und der Charakter. Besitzt man diese beiden Eigenschaften, dann hat man auch eine richtige Einstellung und ist somit teamfähig.
Lassen Sie uns zum Schluss über den Ruf von Energie Cottbus sprechen. Aufgrund diverser Entwicklungen in den vergangenen Jahren hat sich das deutschlandweite Bild stark verändert. Viele verbinden den Klub mit rechtsradikalen Fans.
Wollitz: Das stimmt, viele denken leider so und pauschalisieren. Aufgrund von absolut verurteilenswerten Aktionen einiger weniger Leute wird die ganze Stadt häufig als braun bezeichnet. Der Klub, die Stadt und viele Menschen hier stellen sich dagegen und versuchen einiges, um dieses Image loszuwerden, doch diesen Stempel wird man wahrscheinlich nicht mehr los. Energie Cottbus ist kein Nazi-Klub. Ich möchte auch nichts mit Nazis zu tun haben.
Inwiefern nehmen Sie denn eine sich radikalisierende Cottbuser Fanszene wahr?
Wollitz: Das bekomme ich nicht mit. Ich höre immer wieder, dass Fans radikal seien oder andere Fans im Block nicht jubeln dürfen. Sollte das der Fall sein, dann ist für mich die Politik gefragt, denn ein Verein bekommt so etwas nicht allein gelöst. Ich lehne solche Tendenzen ganz klar ab, ich kann dafür aber nicht zuständig sein. Meine Aufgaben sind die sportlichen Themen.
Da wäre zum Beispiel das Duell mit dem FC Bayern München in der 1. Runde des DFB-Pokals. Was dachten Sie, als das Los Bayern gezogen wurde?
Wollitz: Für den Klub und die Region schön, für mich als Trainer schlecht.
Weshalb?
Wollitz: Weil ich nicht gerne in ein Spiel gehe, bei dem ich weiß, dass ich chancenlos sein werde. Die Chancen stehen für uns null zu hundert. Was soll da auch groß für uns möglich sein? Wann ist Bayern München denn das letzte Mal in der ersten Runde ausgeschieden? In diesem Spiel können wir nur an Erfahrung gewinnen. Natürlich würde ich mich nicht dagegen wehren, wenn es anders käme. Das könnte ich jetzt schon sagen: Es wäre der schönste Moment meiner Karriere.