Clemens Fritz kann man getrost als Legende des SV Werder Bremen bezeichnen: Der heutige Leiter des Lizenzbereichs und der Scouting-Abteilung spielte elf Jahre beim SVW und wurde nach seinem Karriereende 2017 zum achten Ehrenspielführer des Vereins ernannt.
Im Interview mit SPOX und GOAL spricht Fritz ausführlich über den Verlauf seiner Karriere und erinnert sich dabei an ein Essen mit Bruno Labbadia, seinen Fast-Wechsel zu 1860 München und vier Operationen in Folge.
Der 41-Jährige erzählt zudem von Tricks von Ronaldinho, der "Schulzeit" mit Didier Drogba und seinem Schokoladen-Konsum.
Herr Fritz, Ihre Mutter hat früher Kunstradfahren betrieben, Ihr Vater war Volleyballspieler in der 3. Liga. Er hätte es gern gesehen, wenn ihm sein Sohn nachfolgt. Ab wann musste er einsehen, dass dieser Wunsch unerfüllt bleibt?
Clemens Fritz: Wenn wir im Urlaub auf Rügen waren, habe ich beim Beachvolleyball mit meinem Vater und seinen Kumpels schon mitgemacht. Doch die Liebe zum Fußball war von Beginn an größer. Es war nie so, dass mich mein Vater Richtung Volleyball gedrängt hat. Wir hatten einen Bolzplatz quasi neben unserem Haus, da habe ich mit den Nachbarjungs meine Kindheit verbracht. Letztlich hat sich ein Klassenkamerad von mir bei Rot-Weiß Erfurt angemeldet. Das wollte ich dann auch.
Damals waren Sie sieben Jahre alt. Sie verbrachten Ihre gesamte Schulzeit auf einem Sportgymnasium in Erfurt. Wie sah dort Ihr Alltag aus?
Fritz: Er war komplett strukturiert. An zwei Wochentagen hatten wir vormittags in Kooperation mit dem Verein Fußballtraining. Ich weiß es noch ganz genau: Morgens erst zwei Unterrichtsstunden, die gingen immer bis 9.05 Uhr, dann sind wir nebenan zum Stadion gegangen und hatten meistens Techniktraining. Anschließend ging's wieder zur Schule, kurz Mittagessen und um 15.20 Uhr war Schluss. Danach stand normales Mannschaftstraining an, bei dem auch alle mitgemacht haben, die nicht aufs Sportgymnasium gingen. Dazu kam noch zweimal die Woche Schulsport mit der Klasse.
1997 sind Sie mit 16 zum VfB Leipzig gewechselt und zwei Jahre später wieder zurück nach Erfurt - weil beide Vereine zu den jeweiligen Zeitpunkten in finanziellen Schwierigkeiten steckten. Was war da genau los?
Fritz: Erfurt stand sogar vor der Insolvenz. Es war nicht einmal klar, ob es den Verein weiter geben wird. Deshalb musste ich eine Entscheidung treffen. Leipzig hat damals in der 2. Liga gespielt und sich sehr um mich bemüht. Dort ist man später ebenfalls in finanzielle Schieflage geraten. Dann hatte ich wieder dasselbe Problem. Damals stand ich übrigens auch das erste Mal mit Werder in Kontakt. Doch Erfurt ging es mittlerweile wieder deutlich besser und es war ohnehin stets mein Traum, dort bei der ersten Mannschaft zu spielen.
spoxDamals kamen Sie noch im Angriff zum Einsatz. Nachdem Sie in der Regionalligasaison 2000/2001 zehn Tore für Erfurt erzielten, gingen Sie zu Zweitligaaufsteiger Karlsruher SC. Ihr Freund Marco Engelhardt, der mit Ihnen auf dem Sportgymnasium war, ging mit. Wie war es für Sie, die Heimat zu verlassen?
Fritz: Nicht einfach. Mein Berater hat aber gesagt, wenn ich im Fußball weiterkommen will, muss ich jetzt langsam mal den nächsten Schritt machen. Von daher wurde ich so ein bisschen aus Erfurt herausgeschoben, sonst wäre ich wahrscheinlich heute noch dort. (lacht) Es war ein sehr glücklicher Umstand und hat uns beiden enorm geholfen, dass der KSC nicht nur mich, sondern auch Marco haben wollte.
In Karlsruhe wurden Sie auf Anhieb Stammspieler und spielten im Sturm neben Bruno Labbadia.
Fritz: Ich erinnere mich noch gut, dass Marco und ich relativ spät zum Trainingslager in Bad Wörishofen gestoßen sind. Auf einmal saß ich neben Bruno Labbadia beim Essen. Ich habe die ersten Tage kaum ein Wort rausbekommen. Bruno hat dann das Eis gebrochen, weil er merkte, wie zögerlich und zurückhaltend ich war. Auch Torsten Kracht, der aus Leipzig kam und zuvor schon in der Bundesliga spielte, wurde eine wichtige Bezugsperson. Bei ihm haben wir viele Champions-League-Abende verbracht, er hat dann immer für uns gekocht.
Nach zwei Jahren beim KSC wechselten Sie 2003 zu Bayer Leverkusen in die Bundesliga. Wie kam das zustande?
Fritz: Auch der KSC steckte damals in finanziellen Schwierigkeiten, so dass man für einen Wechsel von mir offen war. Ich hätte eigentlich gerne noch ein weiteres Jahr in der zweiten Liga gespielt, da ich Schritt für Schritt machen wollte. Leverkusen hatte großes Interesse und wollte mich gerne holen. Die hatten damals eine sehr starke Truppe. Da habe ich mich schon gefragt, ob ich da zum Einsatz kommen werde.
Die Frage scheinen Sie letztlich für sich beantwortet zu haben.
Fritz: Der Plan war, dass ich nach Leverkusen gehe und direkt innerhalb der Bundesliga für ein Jahr zu Arminia Bielefeld ausgeliehen werde. Ich wollte allerdings weiter unbedingt in Karlsruhe bleiben. Ich weiß noch, wie Reiner Calmund damals bei der WM 2002 in Südkorea war, ich in Karlsruhe und wir im Austausch waren. Irgendwann hat man sich so geeinigt, dass Bayer mich gekauft hat, der KSC das nötige Geld erhielt und ich noch ein Jahr per Leihe dortbleiben durfte.
imago imagesIn Leverkusen war Klaus Augenthaler Ihr Trainer. Wie erinnern Sie sich an ihn?
Fritz: Wir haben in meinem ersten Training in Zweierteams ein bisschen Technik gemacht und ein paar Flanken geschlagen. Damals war Confed Cup, wir waren vielleicht zehn Spieler. Er kam dann zu mir und sagte: 'Clemens, du machst mit mir.' Ich fand seine Schusstechnik sehr beeindruckend. Nach dem Training hat er sich oft noch einen Torhüter geschnappt und die Dinger nur so in den Giebel gezimmert. Das war schon Wahnsinn. Auch in diesem Alter war er noch ein sehr feiner, sauberer Fußballer.
Wie lief's denn dann für Sie im Zweierteam mit Augenthaler?
Fritz: Ich war total nervös und habe keine guten Bälle geschlagen. Ich weiß auch nicht, aber Leverkusen stand im Jahr zuvor noch im Champions-League-Finale. Ich fühlte mich noch so wie der Junge aus der 2. Liga. Ich hatte im ersten halben Jahr auch eine schwierige Zeit mit wenigen Einsatzminuten und wollte mich gerne verleihen lassen, damit ich mehr Spielpraxis erhalte.
Wieso hat das nicht geklappt?
Fritz: Hertha BSC und 1860 München wollten mich ausleihen, mit den Löwen war ich eigentlich schon einig. Da aber zwischen den Vereinen noch nicht alles fix war, flog ich erst einmal mit dem Team noch ins Trainingslager nach Marbella. Dort meinte Klaus Augenthaler, ich soll Gas geben und den Respekt vor meinen Mitspielern ablegen - denn den hatte ich durchaus. Ich habe daraufhin eine gute Vorbereitung gespielt, war im Kopf aber schon bei 1860. Rainer Calmund hat mich dann aber doch eher in Leverkusen gesehen, so dass die Leihe nicht zustande kam.
Ihr Debüt in der Startelf ließ anschließend auch nicht mehr lange auf sich warten.
Fritz: Das stimmt, aber zunächst war ich völlig perplex. Wir spielten in Freiburg, hatten Verletzungsprobleme und ein paar Jungs aus der zweiten Mannschaft dabei. Von denen wurden dann auf einmal zwei eingewechselt - und ich blieb auf der Bank. Da habe ich gedacht: Was machen die denn mit mir? Aber: Vor dem dritten Spiel der Rückrunde in Hannover kam Klaus Augenthaler beim Mittagessen am Buffet zu mir und fragte, ob ich bereit sei. Da ließ er mich dann erstmals rechts hinten ran. Ich habe ordentlich gespielt. Danach hat er mir mehr Vertrauen geschenkt und ich kam regelmäßiger zum Einsatz.
imago imagesNur neun Monate nach Ihrem Bundesligadebüt brachen Sie sich am 24. Juli 2004 in einem Vorbereitungsspiel gegen Rot-Weiß Essen das linke Wadenbein. Die Sache verkomplizierte sich letztlich derart, dass Sie vier Mal operiert werden mussten. Was war genau passiert?
Fritz: Unser Mannschaftsarzt hat mich operiert und danach gleich gesagt, dass eine weitere OP folgen muss. Zehn Tage später lag ich schon wieder unter dem Messer. Nach zweieinhalb Monaten Reha, ich war bereits am Laufen, war mein Fuß immer dick geschwollen. Ich sollte mich daher für eine Woche bei Klaus Eder in Donaustauf behandeln lassen. Daraus wurden schließlich vier Monate.
Sie sind vor der dritten Operation zu Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt nach München gefahren. Wie sah dessen Prognose aus?
Fritz: Es hieß, da stimmt irgendetwas nicht. Müller-Wohlfahrt stellte fest, dass die Platte nicht richtig fixiert ist, ich eine Entzündung im Sprunggelenk habe und sich auch eine Arthrose entwickeln könnte. Da ist für mich eine Welt zusammengebrochen.
Clemens Fritz: Die Stationen seiner Profikarriere im Überblick
Verein | Zeitraum | Pflichtspiele | Tore | Vorlagen |
VfB Leipzig | 1998-1999 | 6 | - | - |
Rot-Weiß Erfurt | 1999-2001 | 59 | 15 | - |
Karlsruher SC | 2001-2003 | 63 | 7 | 4 |
Bayer 04 Leverkusen | 2003-2006 | 49 | 2 | 3 |
Werder Bremen | 2006-2017 | 363 | 8 | 34 |
Wie ging es weiter?
Fritz: Ich bin dann relativ zügig und nach Anweisung von Müller-Wohlfahrt das dritte Mal operiert worden. Das war im September, ich bin anschließend noch bis Januar in Donaustauf geblieben. Als ich zurück in Leverkusen war und schon ein, zwei Spiele für die zweite Mannschaft gemacht habe, hatte ich trotzdem noch Probleme mit der Platte. Die hat irgendwie gestört. Also ließ ich mich noch einmal operieren und die Platte entfernen. Im Sommer 2005 war ich dann endlich wieder spielfähig und habe im August mein Comeback gegeben.
Dadurch haben Sie letztlich bis auf einen Einsatz in einem Champions-League-Spiel gegen Liverpool die gesamte Saison 2004/05 verpasst. Nach Ihrer Rückkehr wurden Sie aber auf Anhieb Stammspieler, spielten eine starke Saison und gingen anschließend zu Werder.
Fritz: Bremen war nach Bayern das Nonplusultra in Deutschland. Werder ist sehr frühzeitig an mich herangetreten, mein Vertrag lief auch aus. In Leverkusen hörte Reiner Calmund auf und es gab ein paar Umstrukturierungen. Bei Werder spielte Patrick Owomoyela auf meiner Position, war Nationalspieler und die WM 2006 stand vor der Tür. Ich dagegen kam im Prinzip aus dieser langwierigen Verletzung und war damals noch kein Nationalspieler. Mir war es daher wichtig, eine faire Chance zu bekommen und nicht als Backup geholt zu werden. Das wurde mir von Thomas Schaaf auch versichert.
Gleich in Ihrer ersten Saison spielten Sie mit Werder in der Champions League - unter anderem gegen Barcelona, wo es zum direkten Duell mit Ronaldinho kam. Wie war es, gegen ihn zu spielen?
Fritz: Sehr beeindruckend. Ich erinnere mich an eine Szene. Da kam ein Diagonalball zu ihm, ich stand ungefähr fünf Meter entfernt. Ich wollte ihm gerade so ein bisschen Druck geben, weil ich dachte, der nimmt ihn jetzt gleich mit der Brust an. Doch stattdessen drehte er sich, spielte den Ball mit dem Rücken über mich drüber und rannte auf der anderen Seite an mir vorbei. Völlig unberechenbar. Zum Glück hat Per Mertesacker den Ball abgefangen, sonst hätte ich da ziemlich blöd ausgesehen.
gettyBeim Rückspiel in Barcelona haben Sie mit Ronaldinho das Trikot getauscht. Besitzen Sie das noch?
Fritz: Klar, das hängt bei mir zu Hause in Bremen. Andere Trikots meiner Sammlung lagern bei meinen Eltern in Erfurt. Ein paar dieser besonderen Trikots habe ich eingerahmt und aufgehängt. Zum Beispiel eines von Per, als er beim FC Arsenal spielte. Ich habe Ronaldinho damals zehn Minuten vor Schluss gefragt, ob wir tauschen können. Er sagte zu, aber ich weiß noch, wie nach Abpfiff direkt ein Mitspieler von mir zu ihm ging und auch gefragt hat. Er blieb aber bei seinem Wort.
Kaum waren Sie in Bremen, wurden Sie im September 2006 erstmals in die Nationalmannschaft berufen. Haben Sie noch den Anruf von Joachim Löw im Sinn?
Fritz: Zum Glück hatte mich Thomas Schaaf vorbereitet, sonst hätte ich das wahrscheinlich nicht geglaubt. Er meinte in seiner typischen Art, ich solle mal davon ausgehen, dass mich der Bundestrainer anruft. Noch am selben Tag war das der Fall. Ich war im Stadion in der Kabine, als der Anruf kam und bin dann in unseren damaligen Aufenthaltsraum gegangen, um mit ihm zu telefonieren.
Ihr erstes Länderspiel fand beim 2:0 am 7. Oktober 2006 gegen Georgien statt. War die Nationalelf eine andere Dimension im Vergleich zu dem, was Sie aus den Vereinsmannschaften kannten?
Fritz: Eigentlich nicht. Ich hatte den Vorteil, dass ich viele Spieler schon kannte und wir ja auch einige Jungs aus Bremen waren. Bei Jogi Löw waren die Trainingseinheiten zwar kürzer, aber es war stets eine gute Intensität drin. Unter ihm hatte ich auf dem Platz jedes Mal das Gefühl, dass ich zu 100 Prozent vorbereitet bin - auch körperlich. In meinen ersten fünf, sechs Spielen habe ich auch von Anfang an und durchgespielt. Bernd Schneider, den ich noch aus Leverkusen kannte, spielte auf meiner rechten Seite. Wir waren ziemlich gut aufeinander abgestimmt. Er war für mich damals der wertvollste Mitspieler im Offensivspiel und eine riesige Hilfe.
gettySie wurden auch für den Kader der EM 2008 nominiert und standen im Auftaktspiel gegen Polen in der Startelf. Wie sah es vor dieser Partie in Sachen Anspannung aus?
Fritz: Die war enorm, so hoch wie noch nie. Es war eine 50-zu-50-Entscheidung, wer im rechten Mittelfeld spielt - Bastian Schweinsteiger oder ich. Jogi Löw kam dann am Spieltag beim morgendlichen Aufgalopp auf mich zu und sagte nur: 'Clemens, du spielst.' Ich war super nervös, aber das war bei mir auch immer ein gutes Zeichen. Je nervöser ich war, desto bessere Leistungen habe ich gebracht. Das gab mir daher ein wenig Sicherheit, aber ich habe in der Mittagspause kein Auge zugedrückt.
Sie kamen schließlich in allen drei Gruppenspielen zum Einsatz, durften in der K.o.-Phase aber nur noch sieben Minuten spielen. Wieso?
Fritz: Das weiß ich nicht mehr so richtig. Bei mir hat gegen Turnierende auch ein Stück weit die Kraft nachgelassen. Diese lange Zeit mit der Vorbereitung und den Belastungen des Turniers, das war für mich etwas Neues. Es war so, wie es lief, aber auch in Ordnung. Ich habe nicht gedacht: Was macht der denn jetzt, wieso lässt er mich raus? Ich war wohl einfach müde und nicht mehr so spritzig. Ich weiß noch, wie ich im Auftaktspiel nach rund einer Stunde um meine Auswechslung bat, weil ich so viele Läufe gemacht habe und einfach nur komplett platt war.
Sie haben somit auch das EM-Finale verpasst. Ist das etwas, was einen rückblickend ärgert?
Fritz: Nein! Klar, man würde gerne in jedem möglichen Finale zum Einsatz kommen. Wenn ich aber auf meine gesamte Karriere zurückschaue: Hätte mir das früher jemand so vorausgesagt, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Als Spieler aus den neuen Bundesländern war früher die DDR-Oberliga das Maximum - und ich durfte für Deutschland und sehr, sehr oft in der Bundesliga spielen. Daher würde ich niemals einen Groll auf irgendetwas haben, sondern bin mehr als zufrieden.
Sie blieben insgesamt elf Jahre in Bremen und wurden nach Ihrem Karriereende 2017 zum achten Ehrenspielführer des Vereins ernannt. Man könnte diese elf Jahre gewissermaßen halbieren: In der ersten Hälfte hatte der Verein Erfolg, in der zweiten rutschte man nach und nach ab. Gab es für Sie einen Zeitpunkt, an dem die Sache zu kippen begann?
Fritz: Den einen expliziten Moment gab es nicht. Es hing aber natürlich schon sehr stark damit zusammen, dass wir uns nach 2011 nicht mehr für die Champions League qualifizierten und einen relativ teuren Kader hatten. Man hat dann gehofft, dass es vielleicht auch nur ein Jahr ohne Königsklasse wird. Die wirtschaftlichen Problematiken schlugen allerdings direkt zu. Nachdem Thomas Schaaf aufgehört hatte, merkte man schon, dass es auf Dauer wohl schwierig werden könnte, wieder dorthin zurückzukommen, wo man einmal war.
Ab wann war Ihnen klar, dass Bremen so etwas wie Ihre zweite Heimat geworden ist und Sie den Klub auch in der schwierigen Zeit nicht verlassen werden?
Fritz: Relativ spät. Als es nicht mehr so erfolgreich lief, habe ich tatsächlich darüber nachgedacht, noch einmal zu wechseln. Ich spürte aber das volle Vertrauen des Vereins, so dass das recht schnell wieder erledigt war. 2012 hat mir Klaus Allofs bei meiner Vertragsverlängerung einen Anschlussvertrag angeboten, weil er sich mich gut im Management vorstellen konnte. Ich weiß noch, wie ich zu meinem Berater gesagt habe: Das brauche ich nicht, ich gehe ja sowieso nach Erfurt zurück.
Was hat er daraufhin gesagt?
Fritz: 'Unterschreib' mal lieber, denn du weißt nicht, was in ein paar Jahren ist.' (lacht) Nachdem Frank Baumann 2009 aufgehört hat, fragte ich ihn, ob er jetzt wieder zurück nach Würzburg geht. Er verneinte. Da sagte ich noch: Wie könnt ihr denn in Bremen bleiben? Heute kann ich ihn sehr gut verstehen. Bei mir dauerte es bis 2015, ehe ich mir das auch vorstellen konnte. Heute weiß ich, dass das die richtige Entscheidung war.
Hatten Sie in all der Zeit einmal ein Angebot, dass Sie stark ins Grübeln gebracht hat?
Fritz: Ich erinnere mich an eine Anfrage für eine Rückkehr nach Leverkusen, aber damit habe ich mich nicht großartig beschäftigt. 2009 war es anders. Da hatte ich ein Angebot von Atletico Madrid und habe lange darüber nachgedacht. Das war die Saison nach der EM. Ich tat mich nach dem kurzen Urlaub unheimlich schwer, in den Rhythmus zu kommen. Thomas Schaaf hat sehr viel mit mir gesprochen. Es wäre völlig in Ordnung gewesen, wenn er mich auf die Bank gesetzt hätte - aber er hat mich trotzdem spielen lassen. Dieses Vertrauen war der ausschlaggebende Punkt. Mir ging es in Bremen echt gut, wieso sollte ich also irgendwo anders hingehen?
gettySie sind kurz nach Ihrem Karriereende 2017 erstmals Vater geworden und haben mit einem Trainee-Programm im Management bei Werder weitergemacht. Wieso haben Sie nach so vielen Jahren im Profifußball keine längere Pause eingelegt?
Fritz: Ich hatte mit Werder zunächst vereinbart, ein Jahr Pause zu machen. Ich musste nebenher leider noch die Reha wegen meines Syndesmosebandrisses machen. Die dauerte fast ein Jahr, weil ich extreme Probleme mit meinem Sprunggelenk hatte. Da feststand, dass meine Tochter im August auf die Welt kommt und wir zu der Zeit auch heirateten, war mir wichtig, den Sommer für meine Familie und mich zu haben. Daher begann ich mit dem Trainee im März, ging drei Monate lang die Scouting-Abteilung durch und bekam danach noch einmal drei Monate frei.
Vater und Bürojob: Wie ungewohnt war dieses neue Leben für Sie?
Fritz: Das Vaterdasein lief super, weil ich ja anfangs zu Hause und unsere Tochter auch total unkompliziert war. Ich war mit ihr sehr viel mit dem Kinderwagen unterwegs, wir haben in Bremen fast jeden Kieselstein mitgenommen. Beim Bürojob war es dagegen so: Morgens hingegangen, abends nach Hause gekommen und um 20.30 Uhr auf der Couch eingeschlafen. Das war eine komplett andere Belastung für mich, die ich in der Form nicht kannte. Es hat ein bisschen gedauert, bis ich mich an diesen Rhythmus gewöhnt hatte.
Sie haben mittlerweile im Rahmen des sogenannten "Executive Master for International Players"-Programms einen Management-Studiengang bei der UEFA abgeschlossen - unter anderem mit ehemaligen Größen wie Didier Drogba oder Kaka. Wie ist es denn, mit einem Drogba die Schulbank zu drücken?
Fritz: Total spannend. Mit ihm hatte ich einmal eine Aufgabe in einer Zweiergruppe. Wir mussten einen sogenannten Elevator Pitch machen: Man kommt in einen Aufzug, trifft den Geschäftsführer eines Unternehmens und hat 30 Sekunden Zeit, um sich zu verkaufen. Jeder bekam etwas Zeit, um sich darauf vorzubereiten, dann mussten Didier und ich anfangen. Als er dran war, hat er zwei Minuten am Stück geredet. (lacht) Ich habe gesagt: Didier, der Kerl ist mittlerweile dreimal hoch- und heruntergefahren, so viel Zeit hast du nicht.
Kann man sich das wirklich so vorstellen, dass da all diese renommierten Ex-Fußballer mit Zettel und Stift zusammen in einem Raum hocken?
Fritz: Ja, genauso läuft das. Wir hatten sieben Module, immer in einer anderen Stadt - sechsmal in Europa, einmal in Amerika. Morgens um 7.30 Uhr war Abfahrt am Hotel und das ging dann bis abends. Täglich hatten wir wechselnde Locations. Als wir in Miami waren, schauten wir bei Inter Miami, einem Baseballverein, beim Concacaf-Verband und einem UFC-Boxklub vorbei. Dort gab es jeweils eine Art Klassenraum für uns und es wurden Workshops und Vorträge abgehalten.
In Bremen wurden Sie erst Leiter der Scouting-Abteilung, 2020 kam noch die Leitung des Lizenzbereichs dazu. Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Fritz: Eine sehr gute Frage, die ich auch ganz einfach beantworten kann. Allerdings vermutlich nicht so, wie Sie es gerne hätten.
Lassen Sie mich raten: Fußball ist ein Tagesgeschäft und daher nicht planbar?
Fritz: Genau! (lacht) Ich schaue nicht so weit voraus. Dagegen ist bereits jetzt klar, dass mir meine Familie unglaublich wichtig ist und ich merke, wie extrem zeitintensiv mein Job ist. Er ist total spannend und macht mir enorm viel Spaß. Ich bin sehr zufrieden. Von mir aus kann es in dieser Konstellation noch einige Jahre weitergehen.
gettyWie sieht es denn nun bei der Karriere nach der Karriere mit Ihrem zu Spielerzeiten offenbar ausgiebigen Konsum an Kinder-Schokolade aus?
Fritz: Was früher Kinder-Schokolade war, sind heute M&M's! Davon esse ich am Abend ganz gerne eine Espresso-Tasse voll. Ich sagte aber schon öfter zu meiner Frau, sie soll die nicht mehr einkaufen. Komisch finde ich auch: Wenn ich nicht zu Hause schlafe, habe ich kein Bedürfnis danach.
Wie kam es denn dazu, dass "früher Kinder-Schokolade war"?
Fritz: Nils Petersen hat das intensiv befeuert. Das hatte sich irgendwann so herumgesprochen, dass ich teilweise Schokolade von Fans geschenkt bekam. Wir hatten immer eine Runde mit Nils, Per Mertesacker, Olaf Rebbe, Peter Niemeyer, Sebastian Prödl und zwei anderen Kumpels, die sich alle zwei Wochen bei mir zum Playstation-Abend getroffen hat. Auf dem einen Bildschirm wurde dann Champions League geguckt, auf dem anderen zockten wir ein Turnier. Und nebenher wurde ordentlich Schokolade gegessen.