Daniel Ginczek vom VfL Wolfsburg im Interview: "Meine beste Entscheidung war, Dortmund zu verlassen"

Gabriel Wonn
20. Mai 202117:11
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Daniel Ginczek wurde in seiner ersten Saison als Profi mit Borussia Dortmund Deutscher Meister, ehe er über die Stationen Bochum, St. Pauli, Nürnberg und Stuttgart den Weg zum VfL Wolfsburg fand.

Im Interview mit SPOX und Goal verrät er, wie beeindruckend Mario Götze bereits als Jugendspieler war, wie er Jürgen Klopp als Trainer erlebt hat und warum er in der U19-Bundesliga mit Schuhen von Diego Klimowicz auflief.

Außerdem nennt der 30-Jährige die Gründe für die Wolfsburger Erfolgssaison und spricht über seine eigenen Ambitionen.

Herr Ginczek, war der Beruf des Fußballprofis schon immer Ihr großer Traum oder gab es einen Plan B?

Daniel Ginczek: Es war tatsächlich immer mein großer Traum - ohne Alternative. Ich habe mit drei oder vier Jahren schon in der Nachbarschaft erzählt: Irgendwann werde ich Fußballprofi. Teilweise gab es dann Gelächter, doch letztlich ist es so gekommen, wie ich es mir als kleiner Junge erträumt habe.

2006 sind Sie aus Neheim in die U17 des BVB gewechselt. Wie kam dieser Wechsel zustande?

Ginczek: Ich war hin und wieder bei der Westfalenauswahl dabei, obwohl es für Jungs von kleineren Klubs schwierig war, dort eingeladen zu werden. Über die Auswahl ist später der Kontakt zu Borussia Dortmund und zum VfL Bochum entstanden, beide Vereine wollten mich verpflichten. Als Dortmund-Fan habe ich mich dann für den BVB entschieden, obwohl mir die meisten geraten haben, lieber nach zu Bochum wechseln, da es dort einfacher wäre. Heute kann ich sagen, dass es die richtige Entscheidung war.

Ginczek: "Mario Götze hatte uns unheimlich viel voraus"

Sie haben in der Jugend beim BVB mit großartigen Talenten zusammengespielt. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Ginczek: Ganz klar Mario Götze. Sobald er den Ball am Fuß hatte, hat man sich gedacht: Wenn der kein Bundesliga-Profi wird, dann können wir anderen alle einpacken. Er hatte uns unheimlich viel voraus, allein die Räume, die er gesehen hat.

Haben Sie eine bestimmte Szene vor Augen, wenn Sie an Mario Götze denken?

Ginczek: Es gab immer wieder Szenen, ob im Spiel oder im Training, in denen er auf einmal die Bälle vor dem Tor nochmal quergelegt hat. Wenn ich ihn dann gefragt habe, warum er nicht selbst abschließt, hat er gesagt: "Ich muss keine Tore schießen, Assists sind genauso wichtig." Mario war in einem wirklich außergewöhnlichen Maß mannschaftsdienlich. An seinem Beispiel sieht man, dass so eine Einstellung auch belohnt werden kann.

Wie erinnern Sie sich an Ihr erstes Training mit den BVB-Profis?

Ginczek: Eine Szene werde ich nie vergessen: Ich habe bei den Profis mittrainiert und saß in der Kabine neben Diego Klimowicz. Diego hat mir dann seine Adidas-Schuhe in die Hand gedrückt, mit seiner Nummer und seinem Namen draufgestickt. Er hat gesagt, ich solle sie mal anprobieren. Ich fand die Schuhe super und Diego sagte, dass sie nun mir gehören würden. Also bin ich teilweise mit Klimowicz-Schuhen in der U19-Bundesliga rumgelaufen. Ich war natürlich im Vorfeld nervös. Umso schöner war es, so aufgenommen zu werden.

Daniel Ginczek und Mario Götze spielten beim BVB schon in der Jugend zusammen.imago images

Ginczek: "Klopps Kabinenansprache purer Gänsehautmoment"

Ab Sommer 2010 waren Sie offiziell Mitglied des Profikaders, es folgte eine historische Saison mit dem Gewinn der Meisterschaft. Haben Sie aus dieser Zeit noch eine Kabinenansprache von Jürgen Klopp im Kopf?

Ginczek: Gerade als es Richtung Meisterschaft ging, war die Kabinenansprache vor jedem Spiel ein purer Gänsehautmoment. Jürgen Klopp hat es geschafft, die Mannschaft mental unfassbar zu pushen. Selbst ich war unglaublich heiß, obwohl ich wusste, dass ich wahrscheinlich 90 Minuten auf der Bank sitzen würde. Ich weiß auch noch, dass er am Ende unbedingt auch noch den Punkterekord knacken wollte. Die mannschaftliche Geschlossenheit, die er in der Mannschaft implementiert hat, war einzigartig. Der Spaß durfte bei ihm nicht zu kurz kommen, trotzdem waren die Vorbereitungen extrem hart. In den sehr intensiven Trainingseinheiten wurde der Grundstein gelegt - davon haben sich in der Folge viele andere Vereine etwas abgeschaut.

Sie kamen in der Saison keine Minute zum Einsatz. Wie hat es Klopp bei Ihnen persönlich geschafft, Stimmung und Motivation dennoch hochzuhalten?

Ginczek: Ich habe eine gute Saison in der Regionalliga gespielt, aber Jürgen Klopp hat mir offen und ehrlich gesagt, dass ich körperlich noch nicht so weit sei. Das war in dem Moment schwer zu verstehen, heute weiß ich aber, dass ich mit 76 Kilo im Sturm nicht allzu viel bewegt hätte. Jürgen hat dennoch immer wieder auch mit den jungen Spielern wie mir das Gespräch gesucht und uns Mut gemacht. Ich bin froh, dass ich Teil dieser Mannschaft sein konnte - auch wenn es mich etwas traurig macht, dass es nicht zu einem Pflichtspieleinsatz gereicht hat.

Wann wurde Ihnen klar, dass es für einen Platz beim BVB nicht reicht und Sie den Klub verlassen müssen?

Ginczek: Die Konkurrenz beim BVB war mit Barrios und Lewandowski riesig, deshalb habe ich mich nach der Saison zum VfL Bochum verleihen lassen. Während meiner zweiten Leihstation bei St. Pauli wurde mir schließlich klar, dass ich mir die Bundesliga durchaus zutraue. Dortmund wollte mich damals als Backup für Lewandowski zurückholen, mir war es aber wichtiger, in der Bundesliga Fuß zu fassen und regelmäßig zu spielen. Das ist mir dann in Nürnberg gelungen.

Ginczek: "Nationalmannschaft hätte ein Thema werden können"

Nach einem Jahr beim Club wechselten Sie zum VfB Stuttgart. Es war Ihre erste Station, bei der Sie im Vergleich zu den vorherigen länger geblieben sind. Haben Sie sich beim VfB heimisch gefühlt

Ginczek: Ich habe mich auch bei St. Pauli sehr heimisch gefühlt. Das Vereinsumfeld war sehr familiär, wir hatten eine super Truppe und die Fans sind positiv verrückt. Ich weiß nicht, ob ich gegangen wäre, wenn wir den Aufstieg gepackt hätten. Die erste längere Profi-Station war dann tatsächlich beim VfB. Die schwäbische Mentalität war für mich als offenen Westfalen zu Beginn nicht ganz einfach, zudem kam ich verletzt an. Die Rückrunde lief dann aber sehr positiv, sodass es im Sommer wieder Wechsel-Optionen gab. Der VfB wollte mich jedoch nicht verkaufen - und ich war froh, dass ich nach nur einem halben gespielten Jahr so eine Wertschätzung erhalten habe.

Verletzungen ziehen sich leider durch Ihre gesamte Karriere. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Karriere noch besser hätte verlaufen können?

Ginczek: Natürlich hätte ich wahrscheinlich deutlich mehr Spiele und Tore gemacht und mich nicht immer wieder herankämpfen müssen. Ich hätte mir von meinen Qualitäten her mehr zugetraut und glaube, dass auch die Nationalmannschaft ein Thema hätte werden können. Ich habe mich leider immer zu denkbar schlechten Zeitpunkten verletzt, daher hat es für Höheres nicht gereicht. Und dennoch habe ich gerade mit dem VfL Wolfsburg die Champions-League-Qualifikation geschafft - das ist auch nicht so schlecht.

Bei den Wölfen zuletzt meist Reservist: Daniel Ginczek.getty

In der Tat. Sie sind 2018 für eine ordentliche Summe nach Wolfsburg gewechselt. War das erst einmal eine Bürde?

Ginczek: Wenn man sich den Markt anschaut, war das zu diesem Zeitpunkt schon relativ normal. Es war einerseits eine riesige Wertschätzung, andererseits habe ich gerade in meinem ersten Jahr gezeigt, dass das Geld gut investiert ist. Ich habe die Ablösesumme daher weniger als Bürde, sondern als Chance gesehen. Ich wollte zeigen: Der Junge kann kicken, wenn er gesund ist. Wenn er in den Rhythmus kommt, dann ist das ein richtig guter Bundesliga-Spieler.

Worauf führen Sie die starken Leistungen des VfL in der aktuellen Saison zurück?

Ginczek: Dass in der Mannschaft großes Potenzial steckt, hat man schon in meinem ersten Jahr gesehen, als wir Sechster geworden sind. Zuletzt haben Jörg Schmadtke und Marcel Schäfer dann an den richtigen Stellschrauben gedreht und den Kader punktuell verstärkt, wobei der Kern zusammengeblieben ist. Als ich gekommen bin, hat man gemerkt, dass die Mannschaft unsicher war. Das wurde durch die Erfolge und die mitreißende Spielweise nach und nach besser. Ich finde daher, dass die positive Entwicklung gar nicht so überraschend kommt.

Ginczek: "Priorität haben nicht meine persönlichen Ziele"

Wout Weghorst spielt eine extrem erfolgreiche Saison, zudem haben Sie mit Bartosz Bialek einen weiteren Konkurrenten und somit einen schweren Stand, während Ihr Verein eine großartige Saison spielt. Sehen Sie Parallelen zu Ihrer Zeit beim BVB?

Ginczek: Nein, damals war ich ein anderer Spieler. Ich war deutlich jünger und hatte weder den Namen noch die Qualität. Natürlich ist die aktuelle Situation für mich persönlich nicht zufriedenstellend. Würde ich das anders sehen, wäre ich kein Profifußballer. In gewissen Phasen muss man sich aber hinten anstellen. Ich freue mich für den Verein und versuche, mich im Training in den Vordergrund zu spielen. Priorität haben nicht meine persönlichen Ziele, es ging darum, mit dem Klub in die Champions League einzuziehen.

Wollen Sie auf jeden Fall in der nächsten Saison beim VfL Wolfsburg spielen?

Ginczek: Ich habe nichts anderes geplant und werde erst nach der Saison mit den Verantwortlichen über meine Situation sprechen. Ich habe noch Vertrag bis 2022 und mir bislang noch keinerlei Gedanken gemacht. Da bin ich mittlerweile auch etwas lockerer als noch vor ein paar Jahren.

Wenn Sie auf die vergangenen zehn Jahre zurückblicken: Welche Entscheidung war Ihre beste und welche bereuen Sie?

Ginczek: Meine beste Entscheidung war, Dortmund endgültig zu verlassen. Ich bereue tatsächlich nichts, ich würde immer wieder alles genauso machen. Ich würde höchstens etwas früher in den Kraftraum gehen, dann wäre ich vielleicht weniger verletzt gewesen (lacht). Klar, man könnte auch drüber sprechen, dass ich gerne mal Deutscher Meister mit einem Einsatz oder Pokalsieger geworden wäre oder in der Champions League gespielt hätte. Aber wenn ich meine Karriere mit den ganzen Verletzungen und den schweren Hürden betrachte, bin ich am Ende des Tages zufrieden.