Die Politik macht der Liga Hoffnung auf einen Neustart im Mai. Viele Argumente der Gegner sind leicht zu widerlegen, doch ein grundsätzliches Problem bleibt. Daher könnte es am Ende auf eine radikale Lösung hinauslaufen. Die Fußball-Kolumne.
Die Deutsche Fußball-Liga hat sich einen Maulkorb auferlegt. Nachdrücklich wurden die Verantwortlichen der 36 Erst- und Zweitligisten in den vergangenen Tagen aufgefordert, nicht weiter mit widersprüchlichen Aussagen an die Öffentlichkeit zu gehen. Der Neustart der Bundesliga mitten in der Corona-Pandemie soll unter keinen Umständen leichtfertig gefährdet werden, stattdessen arbeitet die DFL Task Force Sportmedizin/Sonderspielbetrieb unter der Leitung von Nationalmannschaftsarzt Professor Tim Meyer hinter verschlossenen Türen an einem möglichst schlüssigen Konzept für die noch zu absolvierenden Geisterspiele.
Dieser Plan soll den Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin bei ihrem nächsten Krisentreffen am 30. April vorgestellt werden, um im Idealfall am 8. Mai oder wahrscheinlicher am 15. Mai die Zwangspause nach zwei Monaten endlich zu beenden. Hoffnung macht der Liga ausgerechnet Bayerns Ministerpräsident, der bisher zu den stärksten Verfechtern der massiven Einschränkungen im täglichen Leben gehört. Er halte Geisterspiele für denkbar, sagte Markus Söder am Donnerstag: "Die Liga selber erstellt ein intensives, und wie ich auf den ersten Blick sehe und höre, sehr gutes Hygienekonzept. Wir werden es jetzt nochmal genau bewerten und dann muss man sehen, ob man Geisterspiele erlaubt."
Neben Söder können sich die Vereine auch der Unterstützung von anderen wichtigen Ministerpräsidenten wie Volker Bouffier aus Hessen und Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen, aus dessen Bundesland gleich sieben der 18 Bundesligisten stammen, sicher sein. Aber es gibt auch starken Gegenwind. So meinte Niedersachsen Landesvater Stephan Weil kürzlich, er brauche keine Geisterspiele, weil er sie ohnehin total unattraktiv finde. Und der nicht als besonders Fußball-freundlich aufgefallene Bremer Innensenator Ulrich Mäurer lehnt ebenso wie Vertreter der Polizeigewerkschaften Geisterspiele ab, weil sich nach ihrer Ansicht ungeachtet aller Verbote tausende von Fußballfans vor den Stadien zusammenrotten würden.
Gegen Geisterspiele: Bremens Innensenator und die Ultras
Einseitige Argumente, die ebenso leicht zu widerlegen sind wie die angebliche Infektionsgefahr bei den Geisterspielen selbst. Denn die rund 250 Personen, die neben den Mannschaften dazu ungefähr vor Ort sein müssen, können in den weitläufigen Stadien problemlos den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von zwei Metern einhalten. Hinter dieser Skepsis steckt allerdings eine grundsätzliche Ablehnung, die Mäurer in der Bild so erklärt hat: "Wir rechnen im Mai und Juni mit dem Höchststand der Coronavirus-Pandemie mit vielen Erkrankten, aber auch Toten und schwierigen Verhältnissen in den Kliniken. Da kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass man da Geisterspiele organisiert als wäre nichts."
Auch andere Politiker und Mediziner argumentieren, der Fußball könne gerade in der momentanen Krise nicht zur Tagesordnung übergehen. Selbst die Fanszenen Deutschlands, ein Zusammenschluss der Ultra-Szenen, fordert daher: "Es darf keine Lex Bundesliga geben." Doch die Mehrheit scheint das nach über einem Monat ohne jeglichen Livesport im Fernsehen langsam anders zu sehen. 52 Prozent der Bundesbürger sind laut einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap für baldige Geisterspiele, nur 30 Prozent dagegen.
Und knapp 50 Millionen Deutsche bezeichnen sich als Fans, rund 80 Prozent der Bevölkerung interessieren sich laut Statistiken für Fußball, der daher gerade in der aktuell so tristen Situation durchaus positive Effekte haben könnte. "Die Relevanz liegt möglicherweise nicht allein in der finanziellen Wirkung, sondern auch in der psychologischen Wirkung. Fußball ist für sehr viele Menschen ein Teil von Freude", sagte Markus Söder.
13 der 36 Profiklubs droht bis Juni die Pleite
Darüber hinaus gibt es aber vor allem die harten Fakten, die aus Sicht der DFL eine rasche Wiederaufnahme des Spielbetriebs nahezu zwingend nötig machen: Ohne die nur dann zu erwartenden Einnahmen durch TV-Rechteinhaber und Sponsoren von rund 750 Millionen Euro droht mindestens 13 der 36 Profiklubs bis spätestens Juni die Pleite. Damit riskieren die letztlich zuständigen Politiker nicht nur schlechte Imagewerte, wenn sie durch ein faktisches Berufsverbot der Fußball-Profis das Aus zahlreicher Traditionsvereine zu verantworten hätten. Vor allem stehen rund 56.000 Arbeitsplätze auf der Kippe, nicht eingerechnet weitere tausende von Jobs im Umfeld der Bundesliga. Profi-Fußball sei daher "nicht unwichtiger als andere wirtschaftliche und gesellschaftliche Bereiche unseres Lebens", sagte Ralf Rangnick der Leipziger Volkszeitung.
Allein deshalb sind die Geisterspiele im nächsten Monat für fast alle Beteiligten alternativlos. Die entscheidende Hürde bleibt aber die Gesundheit der Beteiligten, denn die Übertragung von Conrona-Viren ist in einem Kontaktsport wie Fußball bis zum erst 2021 zu erwartenden Impfstoff nicht zu verhindern. Massenhaftes Testen der Spieler, möglichst täglich, soll daher dafür sorgen, dass nur der infizierte Spieler dann aussortiert werden müsste. Das aber ist nicht nur rechtlich umstritten - bisher müssen alle Kontaktpersonen in Quarantäne - sondern auch gesellschaftlich.
"Wir haben keine unendlichen Testkapazitäten. Wir müssen unsere Tests so vernünftig einsetzen, dass sie denjenigen Personen, die sie wirklich benötigen, zu Gute kommen", meint Ulf Dittmer, Direktor des Instituts für Virologie in Essen. "Ich weiß nicht, ob es ethisch vertretbar ist, wenn man 20.000 Tests bei Personen durchführt, die eigentlich keine Risikogruppe darstellen und auch keine Symptome haben. Das sehe ich sehr kritisch, wenn sich die Ressourcen für die Tests nicht deutlich verbessern."
Der Profi-Fußball argumentiert hingegen, dass diese rund 20.000 Tests für die gesamte Rest-Saison im Vergleich zu den deutschlandweit rund 550.000 Tests pro Woche absolut vertretbar seien. Unterstützung kommt vom Berufsverband "Akkreditierte Labore in der Medizin". "Selbst wenn die 36 Vereine ihr Personal alle zwei Tage durchtesten würden mit jeweils 40, 50 Personen, liegen wir unter einem halben Prozent der Testkapazitäten. Das ist in absoluten Zahlen so gering, dass das regional vor Ort einfach so mitgemacht würde. Das sehen wir als vollkommen unproblematisch an", sagte der ALM-Vorsitzende Dr. Evangelos Kotsopoulos der Welt.
Corona-Infektionen beim Kontaktsport Fußball nicht zu verhindern
Allerdings ist unklar, wie zuverlässig die Ergebnisse solcher Schnelltests sind. Wie der SPIEGEL berichtet, waren einem Pilotprojekt von Eintracht Frankfurt und der Universitätsklinik rund ein Viertel der Proben falsch. Und das größte Problem bleibt ohnehin bestehen: Auch die Tests könnten eine Infektion nicht verhindern. "Wenn man 90 Minuten Fußball spielt, gibt es so viele enge Kontakte, dass man sagen müsste, dass die Personen aus der Kontaktgruppe 1 eines Infizierten - so nennt man die Gruppe mit der höchsten Gefährdung - in Quarantäne gehen. Das ist das Vorgehen der allermeisten Gesundheitsämter", sagte Virologe Dittmer der dpa. Stand jetzt also würde ein einziger Corona-Fall unter den Profis das ganze DFL-Modell wie ein Kartenhaus zum Einsturz bringen.
Deshalb spricht vieles am Ende dafür, dass nur eine radikale Lösung den reibungslosen Ablauf und damit das Überleben der meisten Bundesligisten sichern kann: Eine maximale Abschottung aller 36 Vereine, wie er offenbar bereits in der Task Force ebenso wie in anderen großen Ligen wie Italien oder England diskutiert wird. Dabei würden die geringst mögliche Anzahl an Spielern und Staff, also ca. 30 Leute, in einem Teamhotel oder einer Sportschule einkaserniert und nur zu den Spielen dieses Quarantäne-Umfeld verlassen. Während vom zusätzlich nötigen Hilfspersonal durch die Abstandsregelungen keine Gefahr ausginge, müsste der körperliche Kontakt zu Familie und Freunden allerdings für mehrere Wochen komplett unterbunden werden.
"Wahrscheinlich ist das der einzig gangbare Weg, um die Saison wirklich zu Ende zu spielen", sagt Dittmer. So sei es auch im chinesischen Wuhan mit dem medizinischen Personal gemacht worden: "Die durften nur noch in Hotels übernachten und nach Dienstschluss nicht zurück zu ihren Familien. Ob man das in einem Land wie Deutschland durchsetzen kann, weiß ich nicht. Aber es wäre wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, um sicherzustellen, dass von außen keine Infektion in diese Gruppe hineingetragen wird."
Immerhin wäre das Vorgehen nicht komplett anders als bei Nationalmannschaften während Welt- und Europameisterschaften, auch zeitlich. Dort folgen einem zweiwöchigen Trainingslager im Optimalfall rund fünf Wochen beim Turnier zusammen im meist abgeriegelten Teamquartier - und wenn die Titelkämpfe auf einem anderen Kontinent sind, müssen viele Spieler über die gesamte Zeit ebenfalls ohne Angehörige auskommen. Dortmunds Torwart Roman Bürki hat zwar stellvertretend bereits klargemacht, dass er sich solch eine wochenlange Kontaktsperre nicht vorstellen kann. Aber vermutlich wird ihm und seinen Kollegen am Ende keine andere Wahl bleiben, wenn sie die Existenz ihrer Arbeitgeber nicht aufs Spiel setzen wollen.