"Gab selbst von Schalke-Fans Lob"

Jochen Tittmar
24. September 201304:47
Dede stand in seiner Dortmunder Zeit einmal kurz vor einem Wechsel zum AS RomImago
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Leonardo de Deus Santos, der Fußball-Welt besser als Dede bekannt, hatte im Sommer 2011 Borussia Dortmund nach 13 Jahren verlassen und wechselte in die türkische Süper Lig zu Eskisehirspor. Bei SPOX zieht der 34-Jährige ein Zwischenfazit seines Aufenthalts in der Türkei und spricht im Interview über einen anvisierten Wechsel nach Russland, den die Fans platzen ließen, Einkäufe bei "Ikea", die Ausbildung auf der Straße und die Gerüchte um Robert Lewandowski.

SPOX: Dede, Sie spielen seit 2011 für Eskisehirspor in der Süper Lig. Dortmunds ehemaliger Manager Michael Meier hat Ihren Wechsel eingeleitet. Wieso Meier?

Dede: Michael Meier ist so etwas wie mein deutscher Vater. Ich hatte während meiner gesamten Karriere nie einen Berater und meine Verträge beim BVB immer zusammen mit ihm und Michael Zorc ausgehandelt. Ich vertraue beiden sehr, es ist über die Jahre auch eine Freundschaft entstanden.

SPOX: Also kam Meier mit Eskisehirspor an?

Dede: Nein. Ich hatte einige Angebote aus Deutschland und Brasilien. Ich habe ihn angerufen und nach seiner Meinung gefragt. Eigentlich war klar, dass ein Wechsel innerhalb Deutschland nicht in Frage kommt. Ich konnte mir nicht vorstellen, nach 13 Jahren ein anderes Trikot als das von Borussia Dortmund zu tragen. Sein Rat war, mir genügend Zeit zu nehmen und alles reiflich zu überlegen.

SPOX: Und als Michael Skibbe, Ihr erster Trainer beim BVB, plötzlich in der Türkei anheuerte, mussten Sie nicht mehr lange überlegen?

Dede: Genau, diese Nachricht ist quasi einfach so hereingeplatzt. Skibbe war für mich eine ganz wichtige Person, als ich als junger Kerl nach Deutschland kam und nichts kapiert habe. Wir haben zwar nur eineinhalb Jahre zusammen gearbeitet, aber der Kontakt ist nie abgerissen. Als Skibbe meinte, er suche in Eskisehir einen erfahrenen Mann, war die Entscheidung in Absprache mit Michael Meier schnell gefällt.

SPOX: Skibbe verließ den Verein recht schnell nach Ihrem Wechsel und ging im Winter zu Hertha BSC. Hat Sie das enttäuscht?

Dede: Nein. Wir haben darüber gesprochen, ich habe ihm sogar dazu geraten. Hertha BSC ist ein großer Verein und war für ihn eine gute Chance. Das muss man verstehen. Wichtig war, dass er am Anfang da war. Die Erwartungen an mich waren groß, ich hatte beim BVB zuletzt kaum gespielt. Skibbe meinte zu mir, ich solle mir keinen Kopf machen und einfach mein Ding durchziehen.

SPOX: Das klappte ja mehr als ordentlich, für den Verein und Sie lief es von Beginn an sehr gut.

Dede: Vor allem das erste halbe Jahr war grandios. Wir haben in der Hinrunde 30 Punkte geholt, das ist dem Verein zuvor noch nie gelungen. Ich war sofort Stammspieler, habe am Ende 32 von 34 Spielen gemacht und drei Tore geschossen. Zum Glück hatte ich noch keine einzige Verletzung, seitdem ich hier bin. Auch in der aktuellen Saison habe ich in jedem Spiel auf dem Feld gestanden und bin mittlerweile Vize-Kapitän. Dazu floriert die Entwicklung des Vereins. Es wird ein neues Stadion gebaut und wir haben in dieser Saison erstmals seit 37 Jahren wieder an einem europäischen Wettbewerb teilgenommen, sind aber in der Europa-League-Qualifikation an Olympique Marseille gescheitert.

Eskisehirspor: Der aktuelle Kader im Überblick

SPOX: Dennoch hatten Sie relativ schnell nach Ihrem Wechsel ein hochdotiertes Angebot aus Russland, das Sie auch annehmen wollten. Die Sympathiebekundungen der Fans von Eskisehirspor sollen Sie umgestimmt haben.

Dede: Das stimmt alles, den interessierten Verein möchte ich aber nicht nennen. Eskisehir wollte mich natürlich auch nicht gehen lassen. Es gab dann viele Plakate und Gesänge für mich. Auf die Menschen hat es schon Eindruck gemacht, dass da ein bekannter Spieler von Borussia Dortmund nach 13 Jahren auf einmal zu ihrem Verein wechselt - und den wollten sie nicht sofort wieder verlieren. Das hat mich sehr berührt, zumal ich ja erst seit kurzem im Verein war. Die türkischen Fans sind generell einfach krass, verrückt könnte man auch sagen. Kürzlich waren am Tag vor einem Heimspiel 10.000 Fans beim Training und haben die ganze Zeit gesungen und gefeiert. Das habe ich so noch nie erlebt.

SPOX: Dennoch war es nicht die erste finanzstarke Offerte, die Sie ausgeschlagen haben.

Dede: Geld war für mich nie ausschlaggebend. Ich habe beim BVB die Finanzkrise mitgemacht und hätte da als junger Spieler mehrfach für deutlich mehr Gehalt den Verein wechseln können. Ich bin mir letztlich auch bei der Entscheidung gegen Russland treu geblieben.

SPOX: Sie sind bald seit zwei Jahren in der Türkei. Wie verlief der Anfang für Sie?

Dede: Es war schon ein kleiner Schock, als dann endgültig feststand, dass ich den BVB verlasse und künftig für Eskisehir auflaufen werde. Ich hatte ein Gefühl voller Respekt, als ich das erste Mal in der Kabine stand, die neuen Mitspieler und die anderen Trainingsklamotten sah. Das war wie bei einem Kind am Geburtstag (lacht).

13 Jahre Dede in Dortmund: Ein Leben für den BVB

SPOX: Wie finden Sie das Leben in der Türkei?

Dede: Mir gefällt es gut, ich komme mit allem zurecht - kein Vergleich zu meinem Start in Deutschland. Die Leute sind sehr nett und freundlich, man kann toll Essen gehen und das Wetter ist meistens schön. Ich kann ein paar Brocken Türkisch und habe sonst einen Dolmetscher, der mir das Gröbste abnimmt. Es gibt zudem einige Spieler, die Deutsch können.

SPOX: Worin besteht der größte Unterschied im Vergleich zu dem, was Sie aus Deutschland gewohnt waren?

Dede: In der Organisation. Mit Deutschland kann man das hier nicht vergleichen, das sind Welten. Wir wissen oftmals eine Woche vor einem Spiel nicht, ob wir nun am Freitag oder Montag spielen. Oder wenn es hier schneit, dann sind alle überfordert. Winterreifen scheint es hier nicht zu geben. Die Dinge werden deutlich lockerer genommen, fast schon brasilianisch (lacht).

SPOX: Apropos: Gibt es in Eskisehir auch eine Samba-WG wie in Dortmund?

Dede: Nein, nein. Man wird ja mit dem Alter ruhiger und kann mit dem ganzen Trubel weniger anfangen. Meine Mitspieler Diego Angelo aus Brasilien und der Chilene Rodrigo Tello sind aber oft mit ihren Familien bei mir. Auch meine Verlobte aus Deutschland oder Verwandte aus Brasilien besuchen mich regelmäßig.

SPOX: Sorgen Sie immer noch für Ihre Familie und Freunde in der Heimat?

Dede: Natürlich. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Ich komme aus den Favelas und weiß, wie es da zugeht und wie sehr die Menschen auf Unterstützung angewiesen sind. Ich halte es für sehr wichtig zu wissen, wo man herkommt.

Seite 2: Dede über seine Kindheit, Einkäufe bei "Ikea" und die Lewandowski-Gerüchte

SPOX: Sie sprechen Ihre Jugendzeit an, die keinesfalls einfach für Sie war.

Dede: Wahrlich nicht. Ich ging acht Jahre in die Schule und musste vier Mal wiederholen, weil ich davor schon auf der Straße Eis verkaufen oder die Autos vor dem Supermarkt putzen musste, um meine Familie zu unterstützen. Durch die viele Arbeit war ich dann total müde im Kopf.

SPOX: Wie sehr hat Sie diese Zeit geprägt?

Dede: Enorm. Die Straße hat mich für das Leben ausgebildet. Dort konnte man so viel sehen und dadurch lernen, die Andersartigkeit der Menschen zu respektieren und auch zu schätzen. Auch die Beziehung, die ich zum Geld pflege, hat sich dadurch manifestiert. Das alles hat mir in meinem Leben im Umgang mit anderen Menschen sehr geholfen. Ich kann von mir behaupten, immer allen Leuten offen und ehrlich begegnet zu sein. Ich denke, das ist es auch, was mich in Dortmund so beliebt gemacht hat. Ich hatte nicht ein einziges Problem mit einem meiner Mitspieler oder den Fans.

SPOX: Wenn wir gerade beim Thema Geld sind: Ihnen wurde nachgesagt, ein Sparfuchs zu sein und bei "Ikea" und "Lidl" einzukaufen - was ja natürlich nichts Verwerfliches ist.

Dede: Als Sparfuchs würde ich mich nicht bezeichnen. Ich habe einfach Respekt vor dem Geld. Ich kaufe dort ein, weil es meinen Geschmack trifft und ich es nicht einsehe, woanders für ähnliche Produkte das Doppelte zu bezahlen. Ich hatte schon sehr wenig und sehr viel Geld, kenne somit beide Extreme. Mein Ziel war immer, dass das Geld nie meinen Charakter verändert.

SPOX: Das scheint funktioniert zu haben, sonst hätten Sie dem BVB nicht so lange die Treue gehalten. Wie oft sind Sie denn noch in Dortmund?

Dede: Einmal im Monat bin ich in Absprache mit unserem Trainer Ersun Yanal für zwei Tage da. Das ist mir sehr wichtig, Deutschland ist meine Heimat. Ich habe dort noch mein Haus, meinen Hund, meine Freundin und meine deutschen Freunde.

SPOX: Dann haben Sie sicherlich noch Kontakt zu Ihren ehemaligen Mitspielern?

Dede: Selbstverständlich. Den engsten Draht habe ich zu Mario Götze, Kevin Großkreutz, Felipe Santana, Nuri Sahin und Mannschaftsarzt Dr. Markus Braun. Wir spielen aber nicht online zusammen an der Playstation, das war nie mein Ding. Ich greife lieber zum Hörer oder schreibe eine SMS.

SPOX: Was sagen Sie denn zu den großartigen Auftritten, die der BVB in der Champions League hingelegt hat? Wie wurde das in der Türkei aufgenommen?

Dede: Der Respekt ist natürlich größer geworden, dieser Effekt ist ja in ganz Europa eingetreten. Die Truppe wurde perfekt zusammengestellt. Jeder kann mit jedem - sowohl auf, als auch außerhalb des Platzes. Das zahlt sich mit den Jahren immer mehr aus, der gesamte Verein ist unheimlich stabil geworden. Meine Kumpels aus Brasilien frotzeln oft und sagen, dass es beim BVB erst so super läuft, seit ich nicht mehr dort spiele (lacht).

SPOX: Aus dem Titel-Hattrick wird aber wohl nichts, Dortmund hat die Meisterschaft bereits in der Hinrunde verspielt. Wie sehr wurmt es die BVB-Verantwortlichen, dass man so früh schon keinen Druck mehr auf die Bayern aufbauen konnte?

Dede: Das wurmt keinen. Wenn man zweimal hintereinander Meister und dann auch noch Pokalsieger geworden ist, dann möchte man natürlich weiterhin um die Schale mitspielen. Man darf aber nicht davon ausgehen, dass ab sofort alles außer Platz eins eine Enttäuschung für den Verein bedeutet. Das gilt für Bayern München, aber nicht für Borussia Dortmund. Verein und Fans sind da realistisch genug und wissen, wo sie herkommen. Die erneute Qualifikation für die Champions League wäre für die Entwicklung in Dortmund doch kein Rückschlag, ganz im Gegenteil.

SPOX: Ein personeller Rückschlag könnte im Sommer erfolgen, sollte Robert Lewandowski tatsächlich den Verein verlassen und zum FC Bayern wechseln. Wie bewerten Sie die Spekulationen um ihn?

Dede: Wenn ein Spieler den Verein wechseln möchte, muss man das schlicht und einfach akzeptieren. Etwas anderes bleibt auch gar nicht übrig. Klar, wenn ich als BVB-Fan spreche, dann sage ich auch, dass er unbedingt bleiben sollte. Jeder Mensch denkt aber anders: Shinji Kagawa ist zwei Jahre in Dortmund geblieben und ich war 13 Jahre dort. Das heißt aber nicht, dass ich etwas Besseres bin. Jeder Spieler hat etwas anderes für sich im Kopf, es kann nicht jeder gleich sein. Der BVB wird ohne Lewandowski sicher nicht untergehen.

SPOX: Man hört, dass Lewandowski nicht der Beliebteste innerhalb des Teams sein soll. Wie haben Sie ihn erlebt?

Dede: Es ist klar, dass jetzt viele solche Geschichten um ihn aufkommen. Das kann ich aber absolut nicht bestätigen. Er war voll in die Gruppe integriert, wie jeder andere auch. In dem einem Jahr, in dem wir zusammen spielten, waren wir gewissermaßen wie Partner. Er saß ja genauso oft auf der Bank wie ich. Robert hat nie gemeckert, im Training immer alles gegeben und geduldig auf seine Chance gewartet - ein sehr positiver Charakter.

SPOX: Während Lewandowski vor einer Welt-Karriere steht, sind Sie mittlerweile in der Phase angekommen, in der man sich Gedanken über die Zukunft macht. Sie haben einmal gesagt, dass Sie mit 35 Jahren nicht mehr unbedingt Fußball spielen wollen. In zwei Monaten wäre es soweit...

Dede: Ich habe einfach immer noch Spaß am Fußball. Da ich in Dortmund am Ende nicht mehr so oft zum Zug kam, genieße ich jetzt einfach die vielen Spielminuten. Mein Vertrag läuft bis 2014 mit Option auf ein weiteres Jahr. Ich kann nicht sagen, wie es bis dahin genau weitergeht. Ich weiß nur, dass ich nach der Karriere auf jeden Fall erst einmal nach Brasilien zurückkehren werde. Ich bin seit 15 Jahren weit weg von meiner Familie. Meine Eltern sind nun auch älter und ich möchte mit ihnen die gemeinsame Zeit genießen. Irgendwann später will ich nach Deutschland zurückkehren und dort eine Familie gründen.

SPOX: Sie wirken sehr glücklich und in sich selbst zu ruhend. Haben Sie alles richtig gemacht im Leben?

Dede: Das ist für mich nicht entscheidend. Aber wenn mir jemand die Möglichkeit geben würde, mein Leben noch einmal zu leben, dann würde ich alles wieder so machen. Ich spiele seit 15 Jahren nicht mehr bei Atletico Mineiro, aber die Fans lieben mich dort immer noch. Beim BVB ist es genauso, in Eskisehir nun ähnlich. Wenn ich in Deutschland am Flughafen ankomme, erkennt mich jeder. Die Reaktionen der Leute zeigen mir, dass ich mit vielen Entscheidungen meines Lebens richtig gelegen habe. Es gab ja selbst von Schalke-Fans Lob. Das alles kann dir kein Geld der Welt aufwiegen.