Portugals Shootingstar: Der gefährliche Hype um Joao Felix

Kerry Hau
05. Juni 201914:30
Joao Felix gilt als neuer Cristiano Ronaldo - ein gefährlicher Vergleich.getty
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Joao Felix ist erst 19, trägt noch eine Zahnspange und leidet unter Akne. Nach einer starken Rückrunde in der portugiesischen Liga wird der Shootingstar von Benfica Lissabon aber schon mit keinem Geringeren als Cristiano Ronaldo verglichen und von Europas Eliteklubs gejagt. Der Hype um den Jungen, der mit einem Preisschild von 120 Millionen Euro prangt, ist vor seinem womöglich ersten A-Länderspiel gegen die Schweiz (ab 20.45 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER) so riesig wie gefährlich.

Einen Start nach Maß in die finale Länderspielpause vor dem Sommerurlaub hatte Joao Felix Sequeira, so heißt dieses "Jahrhunderttalent", von dem sie in Portugal gerade alle reden, mit vollem Namen, am Montagmorgen nicht wirklich.

Joao Felix war zwar nur Beifahrer, aber das Auto, in dem er saß, düste an den seit Stunden wartenden Fans vor dem Trainingsgelände in Espinho vorbei. Kein Autogramm, kein Foto - dafür musste der Jungspund, ob nun gewollt oder nicht, nach Angaben der Tageszeitung A Bola teils wüste Beleidigungen seitens der Anhänger über sich ergehen lassen.

Der offensive Mittelfeldspieler von Benfica Lissabon zeigte sich wenig später trotzdem gut gelaunt, als er mit seinen Kollegen den Trainingsplatz betrat. So, wie man eben gelaunt ist, wenn man an der Seite eines fünfmaligen Weltfußballers Cristiano Ronaldo trainieren darf. Ronaldo gleiche einem "Videospielcharakter", berichtete Joao Felix, nachdem er der Tormaschine von Juventus Turin erstmals im März begegnet war. "Für mich ging ein Traum in Erfüllung, ihn zu sehen."

Vor einem Jahr war Joao Felix noch ein Unbekannter

Wie ein Videospiel oder wie ein Traum - so lässt sich auch der kometenhafte Aufstieg dieses 19-jährigen Knaben beschreiben. Vor einem Jahr kannten ihn außerhalb von Portugal außer Scouts nur die größten Gurus unter den Football-Manager-Zockern. Joao Felix galt schon damals gewiss als besonderer Spieler aus der besonderen Benfica-Schule, nach einem zeitnahen Durchbruch im Profibereich sah es für den technisch versierten Hybriden aus Spielmacher und Flügelflitzer jedoch nicht aus. Der damalige Coach von Benfica, Rui Vitoria, gewährte ihm bis zu seiner Entlassung im Januar dieses Jahres nur sieben Kurzeinsätze in der portugiesischen Liga.

Erst sein Nachfolger, Bruno Lage, sah in ihm mehr als einen Jugendspieler mit Potenzial und beförderte ihn Schritt für Schritt zur Stammkraft. Joao Felix, zumeist als hängende Spitze eingesetzt, zahlte das in ihn gesetzte Vertrauen so eindrucksvoll zurück, dass ein regelrechter Hype um ihn entstand. Sein Dreierpack im Hinspiel des Europa-League-Viertelfinals gegen Eintracht Frankfurt katapultierte ihn endgültig ins Rampenlicht.

Nach jenem Auftritt wurde ein Späher eines europäischen Topklubs nach dem anderen bei Benfica vorstellig, um sich von dem schmächtigen Jungen mit Akne und Zahnspange aus nächster Nähe ein Bild zu machen. Keiner von ihnen wurde enttäuscht: Joao Felix verhalf dem Team aus Lissabon zum Gewinn der Meisterschaft, in 40 wettbewerbsübergreifenden Pflichtspielen gelangen ihm 20 Treffer und elf Vorlagen.

Joao Felix kostet 120 Millionen Euro - noch

Mehr als diese beeindruckenden Zahlen verblüfft aber die Spielweise von Joao Felix. Er vereint eine schier einzigartige Mischung aus Zielstrebigkeit und Schlitzohrigkeit; wie er läuft, passt und schießt, hat fast schon einen Hang zur Arroganz. Allerdings drängt sich all den Klubs, die ihn beobachtet haben, die Frage auf, ob ihnen das 120 Millionen Euro wert ist. So viel beträgt nämlich die festgeschriebene Ablösesumme, die er in seinem bis 2023 laufenden Vertrag stehen hat. Geht es nach Benficas Präsident Luis Filipe Vieira, wird diese Summe in den nächsten Wochen sogar noch einmal angehoben. Schließlich sei Joao Felix "eines der größten Talente, das wir je hatten".

Aus Vieira spricht auch ein Geschäftsmann, der im Falle eines Verkaufs so gut entschädigt werden möchte wie möglich. Manchester City soll bereits 80 Millionen Euro geboten haben, auch Champions-League-Sieger FC Liverpool, Real und Atletico Madrid sowie Juventus Turin liegen dem Vernehmen nach auf der Lauer. Als würde das medial ausführlich dokumentierte Wettbieten nicht schon genug Druck auf den Teenager erzeugen, werden in der Öffentlichkeit auch noch unangenehme Vergleiche angestellt.

Joao Felix: Der wievielte nächste Cristiano Ronaldo?

In Portugal meinen sie ja schon zu glauben, dass dieser 19-Jährige eines Tages in die Fußstapfen von Cristiano Ronaldo treten kann. So wie früher Nani, der nach mehr oder weniger erfolgreichen Jahren in England, Spanien, Türkei und Italien heute bei Orlando City in den USA kickt, oder Ricardo Quaresma, der auf eine ähnliche Odyssee zurückblicken kann. Spieler, die in ihrer Blütezeit zweifellos mit besonderen Anlagen gesegnet waren, Ronaldo aber weder ablösen noch das Wasser reichen konnten.

Joao Felix ist in der öffentlichen Wahrnehmung jetzt das, was Goncalo Guedes (FC Valencia) oder Diogo Jota (Wolverhampton Wanderers) vor nicht allzu langer Zeit noch waren: ein Riesentalent, das alles mitbringt, um Portugals neuer Ronaldo zu werden.

Dabei ist er ein ganz anderer Spielertyp wie CR7. Benficas Überflieger verfügt zwar über eine beeindruckende Abschlussstärke, geht aber nicht so oft ins Dribbling, weil er dafür (noch) nicht die Physis mitbringt. Er definiert sich in erster Linie über seine Kreativität.

Joao Felix wird ähnlich hochgejubelt wie Renato Sanches

Der argentinische Ex-Profi Jorge Valdano, einst Torjäger von Real Madrid und heute Fernsehexperte, schreibt in seiner Kolumne für die AS: "Joao Felix erinnert mich an den alten Kaka. Er wirkt wie ein klassischer Zehner, hat aber viel Zug zum Tor. Seine Spielweise ist attraktiv und abwechslungsreich, auf der einen Seite sehr natürlich, auf der anderen Seite sehr frech. Das spricht für sein Selbstvertrauen."

Fragt sich nur, wie Joao Felix ohne dieses Selbstvertrauen spielen würde. Der Rechtsfuß wurde beim FC Porto, dem großen Rivalen von Benfica, ausgebildet, verließ den Klub im Alter von 15 Jahren aber aus mangelnder Perspektive. Er bekam dort nicht die Unterstützung, die ihm seine Trainer in Lissabon, allen voran Bruno Lage, zusagten.

Es gibt zwar genügend Beispiele dafür, dass die Benfica-Schule Weltstars herausbringen kann - etwa David Luiz (FC Chelsea), Angel Di Maria (Paris Saint-Germain), Nemanja Matic (Manchester United), Jan Oblak (Atletico Madrid), Bernardo Silva oder Ederson (beide Manchester City)- aber auch Beispiele, die dagegen sprechen. Das prominenteste: Renato Sanches. Der defensive Mittelfeldspieler ging als ähnlich hochgejubelter Kicker wie Joao Felix mit 19 Jahren zum FC Bayern, konnte die hohen Erwartungen in München aber nicht ansatzweise erfüllen.

Portugal-Experte rät Joao Felix zu Benfica-Verbleib

"Es reicht nicht, nur im Besitz großer fußballerischer Qualitäten zu sein. Wenn man so früh hochgejubelt wird und in jedem Zeitungsbericht auftaucht, braucht man eine starke Persönlichkeit - und die entwickelt man nicht von jetzt auf gleich", meint Portugal-Experte Manuel Pereira, der als Korrespondent für A Bola in Madrid arbeitet, im Gespräch mit SPOX und Goal.

Sein Rat an Joao Felix: "Das Beste wäre, wenn er noch mindestens eine Saison bei Benfica bleiben würde und in aller Ruhe internationale Erfahrung sammelt." Neben sechs Einsätzen in der Europa League kommt der Jungspund auf 77 Minuten in der Champions League. Auf sein erstes Länderspiel mit Portugal wartet er noch immer. Das könnte sich heute Abend ändern, wenn der Europameister im Estadio do Dragao, dem Stadion seines Ex-Klubs Porto, die Schweiz zum Halbfinale der Nations League empfängt.

Die Zahlen von Joao Felix in Portugals Liga 2018/19

KategorieWert
Gespielte Minuten1733
Tore15
Vorlagen7
Kreierte Großchancen12
Vergebene Großchancen5
Passquote76,7 %
Zweikampfquote47,1 %