So knacken wir die Gauchos

Stefan Rommel
07. Juli 201012:29
Ein Schlüsselduell: Youngster Thomas Müller (r.) im Zweikampf mit Javier MascheranoGetty
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Mit Argentinien wartet nicht nur die offensiv-stärkste Mannschaft des Turniers, sondern auch einer der Topfavoriten auf den WM-Titel. Mehr Prüfstein geht für die junge deutsche Mannschaft nicht, beim letzten Aufeinandertreffen vor gut vier Monaten in München hatte Deutschland beim 0:1 kaum eine Chance. Und trotzdem, trotz Messi, Tevez, Higuain und des argentinischen Angriffswirbels hat die Albiceleste auch ihre Schwächen.

Der Nächste, bitte! Nach dem fantastischen Sieg über England steht Deutschland im Viertelfinale von Kapstadt (Sa., ab 15.45 Uhr im LIVE-TICKER und bei SKY) vor einer ungleich schwereren Aufgabe.

SPOX

Argentiniens Grundformation:

4-3-3 oder 4-4-2? Diego Maradona hat im Verlauf des Turniers schon beide Varianten spielen lassen, zuletzt aber das 4-3-3 bevorzugt.

Darin bilden Otamendi (oder Gutierrez), Demichelis, Burdisso (oder Samuel) und Heinze die Viererkette. Otamendi ist die spielerische Variante auf der rechten Außenbahn, Gutierrez würde mehr Wucht und körperliche Stärke ins Spiel bringen. In der Innenverteidigung kann Maradona auch wieder auf Samuel zurückgreifen.

Im Dreier-Mittelfeld ist Mascherano nominell der einzige hauptsächlich defensiv denkende Spieler auf der Sechs. Daneben sorgen Maxi Rodriguez (oder Veron) und di Maria für Druck über die Außen. Der Sturm wird Higuain in vorderster Linie spielen, Tevez kommt über die Flanke. Messi etwas hinter beide versetzt, als eine Mischung aus Regisseur und Mittelstürmer.
Im Prinzip würde das System auch als 4-4-2 mit Raute durchgehen, allerdings ist Messis Wirkungskreis vornehmlich doch eher in der Angriffszone zu verorten.

Im 4-4-2 mit Doppel-Sechs würde neben Mascherano entweder Veron oder die defensivere Variante Bolatti rücken. Tevez müsste dann einen der Mittelfeldflügel besetzen, Messi etwas hinter Higuain zurückhängend attackieren. Allerdings ist die Option eher unwahrscheinlich.

Argentiniens Defensivverhalten:

Argentinien steht mit der gesamten Mannschaft unheimlich hoch. Das bedeutet frühen Druck auf den Gegner, ausgeübt von den drei Stürmern und di Maria und Rodriguez auf den Flügeln. Die Räume rund um die Mittellinie sind gut zugestellt, besonders auf der Seite von Tevez gelingen viele Ballgewinne.

Tevez' Lauffreude treibt den Gegnerspieler quasi in die Arme der drei Mittelfeldspieler, sofern es der Gegner versäumt, den Ball schnell und präzise aus seinem Verteidigungsdrittel zu bekommen.

Der entscheidende Impulsgeber für das frühe Pressing ist dabei Mascherano. Bewegt er sich nach vorne, zieht die gesamte Mannschaft mit. Wartet Mascherano ab, dann stören nur die Stürmer und die beiden Mittelfeldaußen lassen sich in eine defensivere Position fallen.

Probleme gibt es allerdings im Umschaltverhalten von Offensive auf Defensive, wenn Mascherano die nötige Unterstützung fehlt, weil di Maria und/oder Rodriguez zu offensiv waren.

Die Innenverteidigung steht so eng wie möglich bei zumindest Mascherano. In Samuels Abwesenheit gibt Demichelis die Kommandos. Dass Maradona keinen einzigen gelernten Außenverteidiger dabei hat, fiel bis jetzt nicht ins Gewicht. Heinze und Otamendi sind in erster Linie da, um das eigene Tor zu verteidigen, ihre Stilmittel aus der Innenverteidigerschule reichten dafür bisher aus.

Argentiniens Offensivverhalten:

Natürlich läuft sehr viel über Messi, aber Barcas Star ist nur die Speerspitze der wohl besten Offensivreihe des Turniers. Wie im Klub genießt Messi auch in der Albi eine Mischung aus viel Ballbesitz und der Freiheit, alles mit dem Ball machen zu dürfen.

Das Spiel ist auf ihn zugeschnitten, Messi darf sich überall bewegen. Die Zulieferung aus dem Mittelfeld beginnt dabei sehr früh.
Messi lässt sich ins Mittelfeld fallen, spielt den Ball kurz auf einen entgegenkommenden Mitspieler und bekommt den Doppelpass zurück. Wenn jetzt nicht mindestens ein deutscher Spieler vor dem Ball steht, wird es brenzlig!

Messi kommt mit Zug auf die Gegenspieler zu und da ist er im Dribbling alleine kaum zu stellen. Der deutschen Doppel-sechs kommt hier eine besondere Rolle zu, vor allem dem leicht defensiveren Schweinsteiger. Die Innenverteidigung kann so weit weg vor dem Tor noch gar nicht eingreifen.

Ein zweiter Schlüssel ist Tevez. Der ist wie Messi stark in Dribbling und Abschluss, aber noch aggressiver und robuster. Tevez ist in Topform und wird vermutlich Lahm auf der rechten deutschen Abwehrseite mehr in der Defensive binden, als dem lieb sein wird.

Auch Khedira ist hier gefragt, in seinem Spiel insgesamt defensiver zu denken, um zur Not auch gegen Tevez auszuhelfen. Ein Problem könnte die gelbe Gefahr für Deutschland sein: Bis auf Mertesacker und Boateng ist jeder Spieler im Defensivverbund bereits mit einer Gelben Karte belastet. Eine weitere würde das Aus für ein mögliches Halbfinale bedeuten. Insgesamt sind sieben Deutsche vorbelastet.

Neben dem Messi-Muster ist auch die "deutsche" Angriffsform ein Mittel der Argentinier. Im Mittelfeld wird der Ball lange gehalten und immer wieder raus auf die Flügel gespielt. Entweder kommt dann der schnelle Seitenwechsel auf die offenere Flanke oder aber der Flachpass in die Tiefe.

Deutschland muss schnell mit den Tempowechseln zurecht kommen. Anders als die prinzipiell immer schnell nach vorne ausgerichteten Engländern versteht es Argentinien perfekt, das Spiel auch mal zu verschleppen, um dann wieder aus dem Nichts das Tempo zu verschärfen.

Argentiniens Schwächen:

Die Defensivbewegung bei Ballverlusten im Mittelfeld war einige Male sehr schwach. Vor allem zuletzt gegen die sehr aggressiven Mexikaner hatte Argentinien damit große Probleme.

Die Außen im Mittelfeld stehen sehr hoch und kommen nicht schnell genug zurück, Mascherano fehlt dann die natürlich Absicherung, die er in einem 4-4-2 hätte.

Schweinsteiger und Khedira sind im deutschen Zentrum gefragt, die Bälle nach deren Gewinn auch mal schnell in die Spitze zu spielen.

Das größte Problem dürfte aber ähnlich wie beim letzten Gegner die fehlende Schnelligkeit der Viererkette sein, vor allem der beiden Innenverteidiger. Demichelis und Burdisso werden sich das Deutschland-Spiel gegen England genau angeschaut haben und sich nicht so billig aus der Zentrale ziehen lassen wie Terry.

Trotzdem fehlt beiden bei direkter Spielweise und wenn der Ball am Boden bleibt die Handlungs- und Grundschnelligkeit im Antritt. Außerdem war Demichelis bisher in eigentlich jedem Spiel für einen dicken Bock gut.

Argentinien wird sehr wahrscheinlich etwas tiefer stehen als gewohnt, um eben die deutschen Kombinationen zu verhindern, die England das Genick gebrochen haben.

Die Standards...

Argentinien hat in seinen drei Vorrundenspielen jeweils das 1:0 nach einem ruhenden Ball erzielt. Maradonas Mannschaft besticht dabei durch Variation und Einfallsreichtum. Die beiden Innenverteidiger sowie mindestens Heinze sind immer mit vorne dabei und bevorzugtes Ziel des Anspiels.

Deutschland verteidigt gegnerische Standards im Raum. Die Gefahr, bei der Zuordnung Fehler zu machen, erscheint groß. Aber: Seit Grossos Dolchstoß vom WM-Halbfinale 2006 hat die deutsche Mannschaft nur noch drei Gegentore nach Standards bekommen - alle drei in Testspielen gegen England.

Auf der anderen Seite sind die deutschen Offensivstandards immer noch zu harmlos. Immerhin waren zuletzt ein paar Ideen im Ansatz zu sehen, auch wenn deren Ausführung noch nicht so recht klappen wollte.

Gerade in den engen Spielen machen aber die Standards immer wieder den kleinen Unterschied. Seit fast zwei Jahren wartet Deutschland auf einen Treffer nach einem ruhenden Ball...

Aus der zweiten Reihe:

Was das Mexiko-Spiel noch gezeigt hat: Wenn Argentinien tief steht, machen die Mittelfeldspieler nicht genügend Druck auf den Ball und lassen Torabschlüsse aus der zweiten Reihe zu.

Mexiko hatte in der Anfangsphase drei, vier sehr vielversprechende Versuche und Argentinien im Prinzip nur Glück, dass es nicht eingeschlagen hat.

Argentinien vs. Deutschland: Die Duelle