Die Neuauflage des WM-Viertelfinals 2006 zwischen Argentinien und Deutschland(Sa., 15.45 Uhr im LIVE-TICKER und auf Sky)lässt sich bequem in Einzelteile zerlegen. Wo liegen die Schlüssel zum Sieg? Wie stoppt man Lionel Messi? Wo ist die Elf von Diego Maradona verwundbar? Auf den ersten Blick besteht die Albiceleste vor allem aus Innenverteidigern, Maradonas Lieblingen und einer Schwachstelle aus München.
Manuel Neuer vs. Sergio Romero
GettyEin Duell auf Augenhöhe zweier zukünftiger Weltklasse-Torhüter. Neuer ist 24 Jahre alt, Romero 23. Neuer 1,90 Meter groß, Romero 1,91 Meter. Beide sind moderne Keeper, die mit schnellen, wuchtigen Abwürfen und präzisen Abschlägen das Spiel eröffnen können. Neuer überzeugte gegen England mit sensationellen Reflexen auf der Linie, leistete sich aber auch einen Blindflug vor dem 1:2.Romero hatte in diesem Turnier bisher nur wenig Gelegenheiten sich auszuzeichnen, dafür dominierte Argentinien seine Gegner zu sehr. Sah bei Mexikos Fernschüssen aber unsicher aus. Während Neuer noch etwas bubenhaft daherkommt und seine Haare wahrscheinlich schon in der Grundschule so trug, hat sich Romero, der "el Chiquito" (der Kleine) genannt wird, eine gepflegte Demichelis-Matte zugelegt, die ihn älter und aggressiver aussehen lässt.
P. Mertesacker / A. Friedrich vs. Carlos Tevez / G. Higuain
GettySechs der zehn argentinischen Tore haben Tevez und Higuain geschossen, es kommt also richtig Arbeit auf das deutsche Innenverteidiger-Duo zu. Wie Romero trägt zwar auch Tevez die Haare lang, macht sich aber nichts draus. Er ist der Hans Dampf in allen Gassen. "El Apache" lässt sich ins Mittelfeld fallen, weicht auf die Flügel aus und erledigt auch ab und an die Defensivarbeit, für die eigentlich Messi zuständig wäre.Maradona hat den Mann aus dem Buenos-Aires-Vorort Fuerte Apache ins Herz geschlossen und bezeichnete ihn schon vor dem Turnier als "Held des Volkes". Da er meistens über halblinks angreift, wird es Argentiniens Ziel sein, ihn in Eins-gegen-eins-Duelle mit Mertesacker zu verwickeln. Da hat Tevez deutliche Geschwindigkeitsvorteile.
GettyHiguains Aktionsradius ist da schon wesentlich geringer, was ihn aber nicht minder gefährlich macht. Auch wenn er ab und an mal auf der Außenbahn auftaucht, ist sein Betätigungsfeld der Strafraum.Wurde bei seinem Klub Real Madrid schon als Chancentod verteufelt, dann als bester Stürmer der Welt gefeiert. Hat bei der WM schon beide Seiten gezeigt. Ihn komplett aus dem Spiel zu nehmen, ist auch für den zuletzt überragenden Friedrich kaum möglich, weil Higuain auch klassische Abstauber-Tore macht und da steht, wo ein Stürmer stehen muss. "La Pipita" (das Pfeifchen) hat gute Erfahrungen mit Deutschland, erzielte beim Test im März das 1:0-Siegtor in München.
P. Lahm / Thomas Müller vs. Gabriel Heinze / Angel Di Maria
GettyMüller wurde im März von Maradona auf der Pressekonferenz nach dem Spiel noch für einen Balljungen gehalten, hat jetzt aber die Chance, sich für immer in Diegos Gedächtnis zu brennen. Müller gab bei der Niederlage gegen Argentinien sein Länderspieldebüt und wurde von Heinze gleich mal eingenordet. Löw sollte seinem "Spieler zwischen den Linien" (Bayern-Trainer van Gaal) diesmal wieder die Freiheit geben, sich überall auf dem Platz rumzutreiben und in die Räume zu stechen.Heinze ist im direkten Duell schwer zu bespielen, weil mit allen Wassern gewaschen. Der Sohn eines Deutschen und einer Italienerin langt gerne hin - auch mal gegen einen Kameramann, wenn's sein muss. Am Angriffsspiel ist der Außenverteidiger - ebenso wie sein Gegenüber Otamendi - so gut wie nie beteiligt. In Maradonas System sind Verteidiger auch zum Verteidigen da. Nur bei Standards tauchen sie vorne auf. Als Kopfballspieler ist Heinze - siehe Siegtor gegen Nigeria - brandgefährlich.
GettyLahm wird wieder die Aufgabe zukommen, Müller und die rechte Seite gegen den zu Real Madrid wechselnden Di Maria abzusichern, falls dieser überhaupt aufläuft. Di Maria, der aufgrund seines schlaksigen Körpers auch "el Fideo" (die Nudel) genannt wird, läuft bei dieser WM noch den Erwartungen hinterher.Deshalb überlegt Maradona, Jonas Gutierrez auf die linke Außenbahn zu stellen. Der fiel als Rechtsverteidiger bei diesem Turnier durch, war beim Testspiel in München als Mittelfeldspieler von Lahm aber überhaupt nicht zu stoppen. Während Lahm und Di Maria körperlich in derselben Liga spielen, wirkt "el Galgo" (der Windhund) wie ein Bodybuilder - mit Demichelis-Matte.
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J. Boateng / L. Podolski vs. Nicolas Otamendi / Maxi Rodriguez
GettyPodolski gegen Otamendi könnte zum Schlüsselduell werden. Mit Otamendi bietet Maradona nämlich einen weiteren Innenverteidiger in seiner Viererkette auf. Schon alleine deswegen ist der 22-Jährige von Velez Sarsfield keine Optimalbesetzung als Rechtsverteidiger und kommt Podolskis Spielweise sehr entgegen, weil er sich am Offensivspiel eigentlich nicht beteiligt. Otamendi saß zu Turnierbeginn auf der Bank, spielte sich erst im dritten Gruppenspiel gegen Griechenland in die Startelf und verdrängte Gutierrez.Otamendis praktisch nicht existentes Offensivspiel erspart Podolski ungeliebte Wege nach hinten. Otamendi zeigte gegen Mexiko, dass er Probleme mit schnellen Gegenspielern hat und ließ sehr viele Flanken zu. Podolski sollte also oft das direkte Duell suchen.
GettyDas gleiche könnten die Argentinier auch Maxi Rodriguez flüstern. Denn Boateng wirkte bei seinen beiden Auftritten ebenfalls nicht unbedingt sicher und ließ sich oft mit einfachen Körpertäuschungen narren.Insgesamt eine nahezu deckungsgleiche Seite, weil sich beide Verteidiger auf Außen nicht wirklich wohl fühlen und beide schussgewaltigen Offensivspieler lieber selbst zum Abschluss kommen, als die Stürmer zu bedienen.
Das Duell könnte sich aufheben, außer es spielt Juan Sebastian Veron. Dann bekommt das gesamte Spiel der Argentinier eine ganze andere Statik. "La Brujita" (die kleine Hexe) ist Taktgeber im Mittelfeld, er bestimmt Rhythmus und Geschwindigkeit des argentinischen Spiels. Veron ist überall auf dem Platz zu finden, aber alles andere als ein Flügelspieler und würde so in den Zuständigkeitsbereich von Schweinsteiger fallen. Spielte in München eine überragende Partie an der Seite von Mascherano. Eine Umstellung auf ein flaches 4-4-2 schloss Maradona aber schon aus, weil sonst kein Platz mehr für Tevez wäre. Also bleibt wohl Veron nur ein Platz auf der Bank.
Bastian Schweinsteiger / Sami Khedira vs. Lionel Messi
GettyEs ist die Frage, über die sich die ganze Welt den Kopf zerbricht: Wie stoppt man Lionel Messi? Otto Rehhagel versuchte es mit gnadenloser Manndeckung, Mexiko mit zwei extrem defensiven Sechsern. Alles Maßnahmen, die Löw nicht treffen kann und nicht wird. In diesem Moment könnte er den Ausfall von Christian Träsch am meisten bedauern, er hätte wunderbar als Kettenhund zu Messi gepasst. Nun müssen Schweinsteiger und Khedira diese Aufgabe lösen.Was bei der WM bisher klar wurde: Messi hat alle Freiheiten und wird von Maradona protegiert wie kein Zweiter. "La Pulga" (der Floh) kann sich in der Offensive frei bewegen und ist aus der Defensive ausgenommen. Seine Kraft gilt dem Offensivspiel. Hat er mit dem Ball am Fuß erstmal Tempo aufgenommen, ist es eigentlich schon zu spät. Khedira muss also ähnlich diszipliniert und tief spielen wie gegen England, sonst steht Schweinsteiger im großen Raum auf verlorenem Posten.
Ganz wichtig: Der Abstand zwischen der deutschen Abwehrkette und dem defensiven Mittelfeld muss klein gehalten werden - hier hat man gegen England Wayne Rooney oft zu viel Platz gelassen. Messi aber sucht den Platz zwischen den Linien wie kein Zweiter, um dort Tempo aufzunehmen und selbst abzuschließen oder auf die Stürmer abzulegen.
Mesut Özil vs. Javier Mascherano
GettyDeutschlands Schlüsselduell in der Offensive. Özil verleiht dem deutschen Spiel - ähnlich wie Messi auf argentinischer Seite - Leichtigkeit und Kreativität. Seine Spielweise ist der Grund dafür, warum die spanische Sporttageszeitung "Marca" Deutschland ein Fußballspiel mit Violinen attestierte. Das Duell mit Mascherano ist seine nächste Nagelprobe bei dieser WM. "El Jefecito" (der kleine Chef) gehört zu den besten defensiven Mittelfeldspielern der Welt.Er ist so gut, dass Maradona schon lange vor der WM sagte, seine Nationalelf sei immer Mascherano plus zehn andere Spieler. Das Gute für Özil: Ähnlich wie bei England Gareth Barry organisiert Mascherano das defensive Mittelfeld der Argentinier alleine - nur um Längen besser. Özil sollte aber viel Platz bekommen, um nach links oder rechts auszuweichen, weil Mascherano das Zentrum schließen muss. Kann ihn Özil mal aus der Mitte locken, gibt es viel Raum für den nachrückenden Khedira oder den einrückenden Müller.
Miroslav Klose vs. Martin Demichelis / Nicolas Burdisso
GettyKlose ist so gut wie Pele - zumindest was die geschossenen Tore bei Weltmeisterschaften angeht (12). Und er will mehr. Klose hat in diesem Turnier wieder bewiesen, dass er im geistig und körperlich fitten Zustand Deutschlands bester Stürmer ist. Bayern-Kollege Demichelis weiß, was auf ihn zukommt. Das sollte nicht unbedingt für mehr Sicherheit beim Erfinder der Demichelis-Matte führen. Hat mit seinen Haaren oft mehr zu tun als mit seinen Gegenspielern, was sich in immer wieder kehrenden Flüchtigkeitsfehlern niederschlägt.Hat sich in München noch keinen Spitznamen erarbeiten können, der über die Verkürzung seines Nachnamens ("Micho") hinausgeht. Umso erstaunlicher, dass Maradona den wieder fitten Walter Samuel, genannt "el Muro" (die Mauer), nur auf die Bank setzt. Immerhin zeigte sich Demichelis an der Seite des Inter-Verteidigers konzentrierter und sicherer. Erst als dieser verletzt ausfiel, glänzte Demichelis als Bruder Leichtfuß. Burdisso dient ihm offensichtlich nicht als Stabilisator. Der Roma-Verteidiger ist nicht so flatterhaft wie Demichelis, aber auch nicht mehr als solide. Und das waren John Terry und Matthew Upson bis zum Achtelfinale auch...