Senegal bei der WM 2022: Die bewegende Geschichte von Trainer Aliou Cissé

Chris Lugert
02. Dezember 202217:10
Aliou Cissé ist seit 2015 Trainer der Nationalmannschaft des Senegal.getty
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Aliou Cissé hat dem senegalesischen Fußball viel gegeben. Seine Geschichte ist durchzogen von Triumphen, aber auch von Schicksalsschlägen.

Aliou Cissé kann ziemlich gut einschätzen, wie wichtig der Fußball ist - und wie unwichtig zugleich. Mit dem Senegal schaffte der 46-Jährige bei der WM in Katar den Einzug ins Achtelfinale, vor dem entscheidenden Duell gegen Ecuador, das die Afrikaner mit 2:1 gewannen, relativierte deren Nationaltrainer aber den Stellenwert des Spiels.

"Fußball ist nicht Krieg, es wird niemand sterben in der Schlacht, hoffe ich jedenfalls", sagte er. Und wenn Cissé derartige Worte wählt, steckt mehr dahinter als nur eine Floskel.

Cissé ist im senegalesischen Fußball eine bedeutende Persönlichkeit und kennt die Glücksgefühle, die dieser Sport hervorrufen kann - ebenso wie die Schattenseiten. Bei der ersten WM-Teilnahme des Landes im Jahr 2002 war er Kapitän der "Löwen von Teranga" und führte sein Team als Kapitän bis ins Viertelfinale, wo erst in der Verlängerung gegen die Türkei Schluss war. Für Cissé war das erfolgreiche Abschneiden beim größten Fußballturnier der Welt auch eine Wiedergutmachung.

Denn ein knappes halbes Jahr zuvor war er beim Afrika-Cup zum tragischen Helden geworden: Im Finale gegen Kamerun scheiterten gleich drei Senegalesen im Elfmeterschießen, auch Cissé. Sein verschossener Elfmeter jedoch beendete das Spiel und die Titelhoffnungen des Landes. Immerhin: Diese Scharte konnte er 20 Jahre später auswetzen, nun als Nationaltrainer gewann er mit dem Senegal die Afrikameisterschaft.

Aliou Cissé gewann mit dem Senegal 2022 die Afrikameisterschaft.imago images

Senegal-Trainer Aliou Cissé verlor zahlreiche Familienmitglieder bei Schiffsunglück

Doch das Jahr 2002 hielt nicht nur zwei emotional völlig unterschiedliche Fußballturniere für Cissé bereit, die im Rückblick betrachtet wie eine völlig banale und unwichtige Kleinigkeit wirkten. Am 26. September jenes Jahres kam es im Senegal zu einer Schiffskatastrophe, bei der die "Le Joola" unterging. Nach offiziellen Angaben starben 1873 Menschen, darunter Freunde, Tanten, Onkel, Cousinen, Cousins und die geliebte Schwester von Cissé. Das Schiff war die wichtigste Verbindung zwischen dessen Heimatstadt Ziguinchor im Süden des Landes und der Hauptstadt Dakar.

"Das war eine Tragödie für mich, meine Familie und Freunde, für das Land. In Ziguinchor kannte jeder jeden. Familien wurden dezimiert", sagte er. Er selbst fuhr viele Male mit dem Schiff, "ich habe die Joola geliebt, ich kannte sie in- und auswendig", schilderte er in einem Bericht der BBC. Eigentlich war das Schiff für knapp 600 Menschen ausgelegt, es war also hoffnungslos überladen und kenterte in einem Sturm vor Gambia. An diesem Tagen kamen mehr Menschen ums Leben als beim Untergang der Titanic.

20 Jahre sind inzwischen vergangen, als senegalesischer Nationaltrainer schreibt er nun an einer Geschichte, auf die seine damals ums Leben gekommenen Familienmitglieder stolz wären. Mit dem Achtelfinaleinzug in Katar gelang dem Senegal immerhin schon eine Verbesserung im Vergleich zum Turnier vor vier Jahren in Russland. Damals scheiterte das Land so knapp wie kein anderes zuvor in der WM-Geschichte. In der Gruppenphase waren die Afrikaner punkt- und torgleich mit Japan, schlussendlich entschied die Fairplay-Wertung, in der der Senegal wegen einer Gelben Karte zu viel das Nachsehen hatte.

Für Cissé war das Aus damals eine Mischung aus "Frustration" und "Enttäuschung", wie er sagte. "Ich kann es akzeptieren, wenn ein Ausscheiden folgt, nachdem ein Gegner einfach besser war. Aber so? Eliminierung durch solch ein bizarres Detail? Die ganze Arbeit fiel in Sekundenbruchteilen ins Wasser", blicket er zurück. In Katar geht die Reise jedoch weiter, im Achtelfinale wartet England. Doch auch dies ist am Ende nur ein unwichtiges Fußballspiel.