"Pokalsieg hat mir Akzeptanz gebracht"

Benedikt Treuer
14. Oktober 201511:27
Dieter Hecking gewann mit dem VfL Wolfsburg 2014/15 den DFB-Pokalgetty
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Nach dem Pokalsieg und der Vizemeisterschaft tut sich der VfL Wolfsburg in dieser Saison noch schwer. Trainer Dieter Hecking spricht mit SPOX über die Ursachen der Schwächephase und unveränderbare Saisonziele, aber auch seinen persönlichen Werdegang. Außerdem erklärt er, wie utopisch ein De-Bruyne-Wechsel für ihn war und welche Kräfte sein Team nach dem tragischen Tod Junior Malandas entwickelte.

SPOX: Herr Hecking, bei all Ihren bisherigen Vereinen waren Sie es selbst, der die Trennungs-Entscheidung traf. Sind Sie eigentlich unkündbar?

Dieter Hecking: (lacht) Nein, das glaube ich sicherlich nicht. Es ist aber schon so, dass ich das Heft des Handelns immer selbst in der Hand haben wollte. Ich habe immer das große Ganze gesehen und nicht nur meine Person. So wie zum Beispiel damals in Hannover. Dort habe ich gespürt, dass ich an einem gewissen Punkt in dem System wahrscheinlich die Bremse war. Deshalb bin ich auf die handelnden Personen zugegangen, um zu diskutieren, ob es nicht sinnvoll wäre, meinen Rücktritt anzubieten.

SPOX: So lief es aber nicht nur in Hannover.

Hecking: Stimmt und das ist sicher ungewöhnlich für meinen Job. Es war aber oft so, dass ich einfach bereit war, den nächsten Schritt zu gehen und zum Beispiel in Nürnberg eine Ausstiegsklausel hatte, von der ich Gebrauch machen konnte.

SPOX: Haben Sie daraus gelernt, dass Sie als Spieler nicht so konsequent waren? Sie sagten einmal aus, während Ihrer aktiven Zeit zu lange auf Ihre Chance gewartet zu haben.

Hecking: Definitiv. Ich habe die sich auftuenden Möglichkeiten im Trainer-Bereich viel zielstrebiger ergriffen und mit aller Konsequenz verfolgt. Ich hatte eine klare Zielvorstellung und wollte schon in der Zeit, als ich meinen Fußballlehrer gemacht habe, als Trainer in der Bundesliga arbeiten. Dass es letztlich auch so gekommen ist, ist sicherlich mit etwas Glück verbunden, aber auch mit der Qualität, die man in den Arbeitsabläufen bei den jeweiligen Vereinen gezeigt hat. Ich wollte immer möglichst weit oben ankommen.

SPOX: Bis Sie in Wolfsburg landeten, hat es aber doch eine Zeit lang gedauert. Bedauern Sie es manchmal, dass dieser Schritt nicht schon eher kam?

Hecking: Wie es sich nach nun 15 Jahren herausgestellt hat, war es der richtige Weg. Jeder wird seinen eigenen Weg finden müssen, was auch ganz wichtig ist. Schließlich weiß man vorher nie, ob es so kommt, wie man es sich erhofft. Es gibt manchmal Momente, die glücklich für dich laufen müssen, damit du die eingeschlagene Richtung auch so weitergehen kannst.

SPOX: Man hat das Gefühl, dass Sie unter den vielen Fußballromantikern einer der wenigen Trainer sind, die ihren Job ausschließlich als Arbeit betrachten. Achten Sie darauf, keine zu enge emotionale Bindung aufzubauen oder trügt der Schein?

Hecking: Sobald ich den Vertrag unterschreibe, ist auch die emotionale Bindung da. Mein Verein kann sich dann darauf verlassen, dass ich loyal bin und er zu einhundert Prozent Dieter Hecking bekommt - mit all seinen positiven wie negativen Eigenschaften. Für mich geht es darum, meine Arbeitskraft dem Verein vollständig zur Verfügung zu stellen. Ich brauche dabei nicht noch gut auszusehen oder Prozentpunkte zu verschenken, weil ich mit anderen Dingen beschäftigt bin.

SPOX: Kommt da manchmal noch der abgeklärte Polizist durch? Vor dem Start Ihrer Profikarriere waren Sie Polizeimeister.

Hecking: Polizist zu sein war für mich nach meinem Realschulabschluss ein toller Beruf. Ich war froh, dass ich diese Ausbildung machen konnte. Es hat mich in gewissen Verhaltensweisen geprägt, was auch für den Trainerjob gut ist. Es hat Vorteile, verschiedene Facetten kennenzulernen.

SPOX: Sie waren aber schon immer Befürworter des zweiten beruflichen Standbeins und haben neben einer kaufmännischen Ausbildung auch ein Sportmanagement-Studium abgeschlossen.

Hecking: Ich habe für mich damals die Feststellung gemacht, als Spieler wahnsinnig viel Freizeit zu haben. Diese Zeit wollte ich sinnvoll nutzen. Zwar hatte ich schon früh Kinder, mit denen ich so viel Zeit wie möglich verbracht habe, jedoch war es mir auch wichtig, dass sich mein Kopf noch mit anderen Dingen beschäftigt als nur mit dem Fußball.

SPOX: Wer heute Profi wird, hat aber kaum die Möglichkeit, nebenher noch umfassende Ausbildungen zu absolvieren. Ist mit der höheren Lukrativität auch das Risiko des Berufssportlers, zu scheitern, gestiegen?

Hecking: Ich würde der heutigen Generation wünschen, dass sie es so machen könnte wie ich damals. Spieler, die bei absoluten Top-Vereinen spielen oder sogar Nationalspieler sind, haben dafür natürlich kaum Zeit. Vor denen, die sich nebenbei trotzdem noch weiterbilden, ziehe ich den Hut. Es gibt aber immer noch viele Spieler, die das relativ einfach bewerkstelligen könnten. Manchmal ist es gar nicht von Nachteil, abgelenkt zu sein und auch mal neue Leute und gesellschaftliche Aspekte kennenzulernen. Ein Fußballprofi ist meiner Meinung nach in der Lage, sich drei- oder viermal die Woche mit anderen Dingen zu beschäftigen und seinen Horizont zu erweitern.

SPOX: Welche Aktivitäten wären das zum Beispiel?

Hecking: Das kann vieles sein. Sprachen, andere Hobbys, intellektuelle Beschäftigungen. Es ist wichtig, ab und zu auch mal den Kopf für andere, konstruktive Dinge zu gebrauchen. Außerdem befreit man sich dadurch vom permanenten Druck im Sport - dem öffentlichen, dem des Trainers und dem eigenen. Ich selbst habe das damals als sehr positiv empfunden.

SPOX: Spüren Sie gerade gegenüber den jungen Spielern eine besondere Verantwortung? Häufig sind sie schon früh von der großen Chance oder Versprechen der Berater geblendet.

Hecking: Ich würde jedem Spieler raten, den Schulabschluss parallel laufen zu lassen und die Ausbildung nicht abzubrechen, um ausschließlich auf die Karte Fußball zu setzen. Mit den Nachwuchsleistungszentren und den Ganztagsschulen sind Kompromisslösungen mittlerweile gang und gäbe. Davon bin ich ein großer Befürworter.

SPOX: Während Sie in Aachen, Hannover oder Nürnberg noch der Ausbilder waren, arbeiten Sie in Wolfsburg nun fast ausschließlich mit Top-Talenten und gestandenen Stars. Hat das in den letzten Jahren etwas an Ihrer Herangehensweise geändert?

Hecking: Ja, auf jeden Fall. In der täglichen Arbeit bedarf das sicherlich anderer Inhalte und Umgangsformen. Bei meinen bisherigen Vereinen hatte ich viel mit jungen Spielern zu tun, die im Profibereich erst noch eine gewisse Ausbildung erhalten mussten. Jetzt sind es sehr, sehr wenige, die das noch benötigen.

SPOX: Schaut man sich die Entwicklung des VfL in den letzten Jahren an, ist Ihnen diese Anpassung gemeinsam mit Klaus Allofs offensichtlich gelungen. Im Mai sagten Sie, ein Trainer werde aber erst als besonders wahrgenommen, wenn er einen Titel gewonnen hat. Wie besonders fühlen Sie sich denn seit dem Pokalfinale?

Hecking: Ich fühle mich nicht besonders. Man merkt aber anhand der gestiegenen Nachfrage, dass der Stellenwert jetzt ein anderer ist und man bewiesen hat, dass man sich von unten hocharbeiten kann. Dieser Pokalsieg hat mir sehr viel Reputation und Akzeptanz eingebracht. Für mich ist das Wesentliche aber, dass ich mich trotz denkwürdiger Erfolge nicht großartig verändert habe. Das soll auch gerne so bleiben.

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SPOX: In der sehr erfolgreichen letzten Saison gab es zu Beginn der Rückrunde ein Schlüsselspiel - das 4:1 zuhause gegen die Bayern. Drei Wochen zuvor war Junior Malanda schrecklich verunglückt. Wie kann eine Mannschaft, die nach dem Ereignis offensichtlich geschockt war, so eine Leistung abrufen wie in diesem Spiel?

Hecking: Das zeigt ganz deutlich, welchen Charakter unsere Mannschaft hat. Wir haben damals in der Führungsriege sicher viele richtige Entscheidungen getroffen, zudem holten wir uns professionelle Hilfe von außen. Dieser Vorfall war ein schwerer Schicksalsschlag für uns alle und in solchen Situationen sieht man, wie unterschiedlich Menschen in der Trauer reagieren. Der Eine ist in sich gekehrt und möchte alleine sein, andere brauchen die Gruppe. Wir haben jedem die Zeit gegeben, die er brauchte, um damit zurechtzukommen.

SPOX: Und trotzdem wussten Sie, dass die Zeit nicht stillsteht und Sie weitermachen mussten. Am besten so schnell wie möglich.

Hecking: Natürlich mussten wir den Jungs sagen, dass es unsere Pflicht ist, am 30. Januar wieder voll da zu sein. Auch wenn es hart war, hat das in der Gruppe hervorragend geklappt. Am Abend des Spiels hat sich die ganze Emotion der vorherigen drei Wochen entladen.

SPOX: Wie haben Sie es geschafft, sich nicht von der öffentlichen Erwartung beeinflussen zu lassen? Im Prinzip zweifelte doch keiner an einem Bayern-Sieg. Den VfL steckte man in die Rolle des angeschlagenen und kraftlosen Trauernden.

Hecking: Es kann sicherlich passieren, dass sich ein Verein vom öffentlichen Aufruhr total blockieren lässt. Wir haben aber immer gesagt, dass wir uns nicht von außen vorschreiben lassen, wie wir mit gewissen Dingen umzugehen haben. So handeln wir auch nach wie vor. Bei allem Druck und den Erwartungen, die an uns geknüpft sind, versuchen wir immer, Bodenhaftung zu haben.

SPOX: Nach dem Pokalfinale sagten Sie, der VfL sei seiner Zeitrechnung voraus. Diese wird man nach der erfolgreichen Saison sicher den Entwicklungen angepasst haben. Wo steht Wolfsburg denn, wenn Sie die Zeitrechnung der aktuellen Saison betrachten?

Hecking: Durch die späten Transfers hatten wir noch einmal einen Einschnitt. Das betrifft sowohl die Zu- als auch die Abgänge. Mit den Nachverpflichtungen Dante und Julian Draxler muss sich nun erst noch etwas Neues entwickeln. In diesem Prozess stecken wir gerade. Das geht leichter, wenn man Spiele gewinnt, was zuletzt nicht geklappt hat.

SPOX: Wird die Enttäuschung dadurch gemildert, dass die letzten Gegner auswärts Bayern, Manchester United und Gladbach hießen?

Hecking: Dass wir den Anspruch haben, selbst aus diesen Spielen deutlich mehr mitzunehmen, zeigt unsere gestiegene Erwartungshaltung. Wir müssen diese Ambition verkörpern, auch wenn es mal eine kleine Wackelphase gibt. Es wäre fatal, von den Saisonzielen abzuweichen. Wenn wir unsere Ziele nicht erreichen, werden wir kritisiert, das ist völlig normal. Wir sind in den letzten drei Jahren aber auch viel gelobt worden. Wir können damit umgehen.

SPOX: Inwiefern hat der späte Kaderumbau Ihre mannschaftstaktischen Planungen beeinflusst?

Hecking: Ich versuche, die bestehenden Muster erst einmal aufrecht zu erhalten. Natürlich ist Julian Draxler aber ein ganz anderer Spielertyp als Kevin De Bruyne. Dadurch verändert sich allein schon unsere Spielsymmetrie. Durch den engen Spielplan können wir aktuell wenige Automatismen einstudieren. Ich kann ganz ehrlich sagen, dass ich mit Perisic, De Bruyne und Hunt für die neue Saison geplant hatte. Dass sie uns alle am letzten Transfertag verlassen haben, hat die Kaderstruktur noch einmal deutlich verändert.

SPOX: Hat Sie der De-Bruyne-Wechsel wirklich noch überrascht?

Hecking: Kevin hat uns sehr spät signalisiert, dass er den Weg nach Manchester gehen will. Damit waren wir uns sicher, dass wir keine Chance hatten, ihn zu halten. Bei Ivan Perisic war es ähnlich. Auch er hat uns gesagt, dass er zu Inter Mailand möchte. Das passierte aber alles sehr spät. Für Aaron Hunt war Hamburg sicher eine dankbare Option. Er war bei uns in Wolfsburg nicht ganz glücklich, was wir natürlich auch gespürt haben.

SPOX: Wenige Tage vor dem Wechsel hieß es, von VfL-Seite aus gebe es keine Verhandlungsbereitschaft in der Personalie De Bruyne. Ist es im heutigen Fußballgeschäft nicht utopisch, eine solche Aussage zu treffen?

Hecking: Zu dem Zeitpunkt war für uns klar, dass wir Kevin nicht gehen lassen wollten. Es war gar nicht absehbar, dass irgendein Verein eine Ablösesumme in der Höhe bezahlen würde. Utopisch war für mich eher, dass ein Klub unsere Forderungen tatsächlich erfüllt, um Kevin De Bruyne zu verpflichten. Aus rein sportlicher Sicht hätten wir Kevin trotzdem gerne bei uns gesehen.

SPOX: Den Anschluss hat er in der Premier League mit drei Toren in vier Spielen aber doch schnell gefunden. Hat Sie das überrascht?

Hecking: Überrascht nicht, nein. Für Kevin wäre es aber gut gewesen, noch ein, zwei Jahre in Wolfsburg zu bleiben und hier mit uns, wo er der zentrale Spieler war, Champions League zu spielen. In Manchester trifft er auf ein ganz anderes Mannschaftsgefüge. Es spricht aber für Kevins Selbstvertrauen, dass er sich diesen Schritt nach der letzten Saison jetzt schon zutraut. Und es sieht so aus, als ob er in der Mannschaft bereits gut angekommen ist.

SPOX: Wie war das bei Ihrem Team? Hat sich der Abgang des vermeintlich besten Spielers auf das Selbstverständnis der Mannschaft ausgewirkt?

Hecking: Ich kann den einzelnen Spielern nicht in den Kopf schauen. Ein Abgang bedeutet auch immer wieder einen Anfang. Meine Spieler wussten, was sie an Kevin hatten. Jedoch sehen sie auch, dass es weitergeht. Es ist bei allen Top-Vereinen so, dass man mal einen Ausnahmespieler verliert. Letztlich hat jeder nachvollziehen können, warum Kevin diesen Schritt geht. Von daher hatte der Wechsel keine negativen Einflüsse. Auch unsere aktuelle Situation führen wir nicht darauf zurück.

SPOX: Klaus Allofs sagte nach dem Gladbach-Spiel, man dürfe das Wort Krise verwenden. Ist etwas Frust mit dabei, dass die Dinge, die im letzten Jahr noch besser liefen, aktuell nicht so gut funktionieren?

Hecking: Es ist drei Jahre nur bergauf gegangen, jetzt haben wir mal eine Phase, in der die Ergebnisse nicht ganz so positiv sind. Man muss diese Thematik aber differenziert betrachten. Wir waren in München vor allem in der ersten Halbzeit gleichwertig, wenn nicht sogar die bessere Mannschaft, obwohl Lewandowski dann seine zehn Stern-Minuten hatte. Auch international sind wir nicht so weit hintendran, wie man das vielleicht noch meint. Wir haben auf jeden Fall die Möglichkeit, in dieser Gruppe weiterzukommen, obwohl wir unser Top-Niveau noch nicht erreicht haben.

SPOX: Das gilt auch speziell für Andre Schürrle. Sind Sie enttäuscht darüber, dass er so lange braucht, um in der Mannschaft Fuß zu fassen?

Hecking: Wir sind von Andre nicht enttäuscht. Manchmal braucht ein Spieler auch ein komplettes Jahr oder noch länger, um den Schalter umzulegen. De Bruyne und Perisic haben auch ihre Zeit benötigt. Andre ist voll bei der Sache und hat eine eigene hohe Erwartungshaltung. Wenn er Selbstvertrauen auf den Platz bringt, ist er zweifelsohne ein sehr guter Spieler.

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Dieter Hecking im Steckbrief