"Fergie ist ein großer Kloppo-Fan"

Haruka Gruber
09. Mai 201318:48
Wurde 1999 von Queen Elisabeth II. zum Ritter geschlagen: Alexander Chapman Fergusongetty
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Der größte Trainer der Neuzeit tritt bei Manchester United ab - und sein bester Freund würdigt ihn bei SPOX. Der deutsche Weltenbummler Eckhard Krautzun (72) über das legendäre Kennenlernen vor 38 Jahren und die beiden Gesichter des Sir Alex Ferguson.

SPOX: Alex Fergusons Bekanntgabe des Rücktritts als Trainer von Manchester United schockte den Weltfußball. Wann erfuhren Sie davon?

Eckhard Krautzun: Er hatte es mir Mittwochmorgen per SMS mitgeteilt, bevor es offiziell bekanntgegeben wurde.

SPOX: Und?

Krautzun: Ich dachte mir nur, dass er womöglich dieses oder nächstes Jahr zurücktritt, wenn er jetzt mindestens zwei Titel gewinnt. Daher wurde ich ähnlich überrascht wie die Öffentlichkeit. Vor allem, weil ich die Woche davor mit ihm telefoniert hatte. Entsprechend kenne ich die genauen Beweggründe für den Rücktritt noch nicht.

SPOX: Es wird spekuliert, dass gesundheitliche Gründe ausschlaggebend sind. Er bekam vor acht Jahren bereits einen Herzschrittmacher und unterzieht sich im Sommer einer Hüft-OP.

Krautzun: Dennoch macht er einen sehr fitten Eindruck. Ich wundere mich schon seit langer Zeit, wie er mit dem Stress umgeht und wie er ihn abbaut. Er ist ein Meister der Entspannung. Ich habe selten einen Trainer gesehen, der nach einem Spiel so locker in die Lounge kommt und Freunde begrüßt.

SPOX: Wie gelingt ihm das?

Krautzun: Aus meiner Sicht sind das vier Faktoren. Erstens: Er hat eine Mannschaft zusammengestellt, die selten verliert, das hilft auf jeden Fall zum Entspannen. (lacht) Zweitens: Er weiß eine Familie hinter sich, die auf ihn aufpasst. Er hat eine wunderbare Ehefrau, die ihn immer unterstützt, und viele Enkelkinder, die ihm Spaß bereiten. Drittens: Er nimmt sich viel Zeit für seine Hobbys, vor allem seine Rennpferde. Viertens: Er vermeidet unnötige Belastungen. Er verzichtet auf Auslandsreisen, sagt viele Einladungen zu Galas ab und gibt nur ganz wenige Interviews.

SPOX: Wir dachten, dass er sich so selten interviewen lässt, weil er Journalisten an sich verabscheut.

Krautzun: Misstrauen ist definitiv vorhanden. Andererseits müssen die Journalisten wissen, dass er diese Konsequenz nicht nur an ihnen vorlebt, sondern auch an Weltstars. Wenn die Beckhams, Stams, van Nistelrooys nicht spurten, wurden sie fortgeschickt. Journalisten wiederum werden nicht immer so beachtet, wie sie sich das wünschen. Trotzdem sollte man daraus keine falschen Rückschlüsse auf Ferguson ziehen. Er ist ein hervorragender Mensch und in keiner Weise arrogant. Er ist Mensch geblieben, der freundlich ist, der lacht, der anderen zuwinkt und Humor besitzt. Sein Humor ist wahnsinnig ausgeprägt, was niemand vermutet, wer ihn an der Seitenlinie sieht. Ihm ist eine besondere Natürlichkeit eigen. Und daraus entsteht eine natürliche Autorität.

SPOX: Eine Autorität, die in der Vergangenheit nicht jeder Star zu akzeptieren bereit war.

Krautzun: Da macht er keine Kompromisse. Für ihn zählt nur das Leistungsprinzip und eine Devise: Dass ManUnited größer ist als der Einzelne, egal wie groß der Name ist. Wer sich nicht eingliedert, hat schlechte Karten. Wer sich aber ins Team einbringt, erlebt einen ganz anderen Ferguson. Selbst die Wäschefrauen begrüßt er immer mit einer unglaublichen Herzlichkeit.

SPOX: Ferguson ist ein Unikum. Wie sehr wird er den Fußball vermissen?

Krautzun: Er entsagt dem Fußball niemals. Als Berater wird er hinter den Kulissen bei den wichtigsten Entscheidungen weiter mitreden.

SPOX: Wie lässt sich Fergusons Wirken historisch einordnen? Ist er der größte Trainer der Neuzeit?

Krautzun: Nach seiner Autorität, nach seinem Fachwissen, nach seinen Erfolgen: ja! Sein Wirken geht dabei weit über Meisterschaften und Champions-League-Titel hinaus. Er hat bei United alles aufgebaut. Die medizinische Abteilung, die Trainingshallen, die Kunstrasenplätze, das waren alles seine Ideen. Ideen, an die andere Klubs überhaupt nicht zu denken gewagt hatten. Nicht umsonst wurde im Old Trafford die Nordtribüne nach ihm benannt. Ferguson gehört in eine Reihe mit Sir Matt Busby und Sir Bobby Charlton.

SPOX: Sie telefonieren mit Ferguson wöchentlich und besuchen ihn im Schnitt einmal im Monat in Manchester. Woher rührt diese besondere Freundschaft?

Krautzun: Wir lernten uns vor 38 Jahren bei einer Trainertagung in Lilleshall Hall im Westen Englands kennen. Es waren verrückte Tage, unter anderem nahm Bill Shankly daran teil. Und mittendrin Alex und ich. Wir beide waren damals sehr junge Trainer, Anfang 30. Und wir waren sehr ambitioniert. Mich hatte damals schon der internationale Fußball und besonders der Fußball in Großbritannien interessiert und so kamen wir ins Gespräch und er lud mich nach Schottland ein, um ihn in St. Mirren zu besuchen.

SPOX: St. Mirren war Fergusons erste wichtige Trainer-Station, bevor er 1978 zu Aberdeen ging und in den acht Jahren Ungeheuerliches erreichte: Er gewann drei schottische Meisterschaften, viermal den Pokal und 1983 sogar den Europapokal der Pokalsieger. Wie verfolgten Sie Fergusons Aufstieg?

Krautzun: Was selbst mich als engen Vertrauten immer faszinierte: Wie Ferguson den Widerständen strotzte. Er hätte früher als Spieler der protestantischen Glasgow Rangers niemals eine katholische Ehefrau haben können und zog den Wechsel dennoch durch. Er war eigentlich zu jung für den Trainer-Posten bei Aberdeen und verschaffte sich dennoch gleich Respekt. Viele reduzieren ihn auf United, doch was ihm mit Aberdeen gelang, ist vergleichbar überragend. Was viele vergessen: Mit Aberdeen besiegte er auf dem Weg zum Europapokal-Erfolg im Viertelfinale die Bayern und im Finale Real Madrid. Mit Aberdeen!

Seite 2: Krautzun über Fergusons Liebe für Deutschland und den BVB-Fußball

SPOX: Es heißt, dass Ferguson sich schon lange vom deutschen Fußball inspirieren lässt. Stimmt das?

Krautzun: Ja, so vertiefte sich unsere Freundschaft. Er war ein Bewunderer von Hennes Weisweiler und schaute sich sehr viele Spiele der jungen Fohlen an, als Gladbach Anfang und Mitte der 70er Jahre so erfolgreich war. Wir sprachen oft über Weisweilers Fußball. SPOX

SPOX: Ein weiteres Gerücht: Dass Ferguson generell von Deutschland als Land fasziniert ist.

Krautzun: Auch das stimmt. Ferguson ist sehr bewandert. Ein fanatischer Fußball-Experte, der zudem über ein enormes Allgemeinwissen verfügt. Er ist sehr musisch, singt gerne, spielt Klavier, liebt Literatur. Es ist ein Hochgenuss, sich mit ihm über Politik, Geschichte und Kultur zu unterhalten. Und dabei hat er eine besonders ausgeprägte Schwäche für Deutschland.

SPOX: Wirklich?

Krautzun: Er hat mich schon häufig in Deutschland besucht und beherrscht sogar ein paar Sätze Deutsch. Er interessiert sich besonders für deutsche Geschichte, vom Mittelalter bis zu den Weltkriegen weiß er im Grunde alles. Er ist sehr bewandert, was Deutschland anbetrifft. In der Kultur und im Fußball.

SPOX: Wie zeigt sich die Affinität zum deutschen Fußball?

Krautzun: Beispielweise besuchte ich mit ihm im vergangenen Sommer das Pokalfinale zwischen Dortmund und den Bayern in Berlin. Er hat nach dem Spiel vorausgesagt, dass Dortmund in dieser Saison die Champions League gewinnt oder zumindest das Finale erreicht. Nach dem Auftritt bei Manchester City in der Vorrunde bekräftigte er das noch einmal.

SPOX: Als Fergusons möglicher Nachfolger wird Jürgen Klopp genannt, den Sie selbst in Mainz noch trainiert haben. Wäre Klopp der Richtige?

Krautzun: Tja, schwierige Frage. Einerseits wäre das eine super Sache für Kloppo und für den deutschen Fußball. Er spricht gut Englisch, er würde sich zurechtfinden. Vom Fachwissen traue ich ihm das ohnehin zu. Zumal Ferguson ein großer Kloppo-Fan ist. Er ist ganz begeistert vom Fußball, den Kloppo in Dortmund spielen lässt und er hält den BVB für einen würdigen Champions-League-Sieger.

SPOX: Andererseits?

Krautzun: Andererseits dürfte es eine sehr schwierige Aufgabe sein, als junger Trainer solch große Fußstapfen zu füllen. Wer will schon die Nachfolge einer Legende antreten? Kloppo ist bestimmt einer für Real Madrid oder ManUnited. Nur jetzt kommt der Schritt vielleicht zu früh. Er hat sich in Dortmund etwas aufgebaut und soll sich weiter einen Namen machen.

SPOX: Ein weiterer Name: Jose Mourinho.

Krautzun: Ich persönlich glaube, dass es David Moyes von Everton wird. Ich weiß, dass Ferguson ihn sehr schätzt und sich beide sehr gut verstehen. Beide sind nicht umsonst Schotten. Aber zu Mourinho pflegt er ebenfalls einen guten Kontakt.

SPOX: Man kann sich gar nicht vorstellen, wie sich Ferguson und Mourinho verstehen können.

Krautzun: Ich reiste vor zwei Monaten nach Madrid, um für eine Woche bei Real zu hospitieren. Dabei erlebte ich Mourinho schon als arrogant. Ich sah wenig Menschlichkeit bei ihm. Da ist er nicht vergleichbar mit Ferguson, der privat offen und zugänglich ist. Vielleicht verbindet beide die natürliche Autorität.

SPOX: Ferguson sagte einmal den Satz: "Es ist völlig egal, wer geht. Manchester United wird immer blieben." Ist es wirklich egal, dass Ferguson als Trainer aufhört?

Krautzun: Alex half enorm dabei mit, dass es in der entferntesten Ecke der Welt ein United-Fanklub oder eine Bar mit United-Wimpel gibt. Der Ruf, die Marke, ist einmalig. Vergleichbar vielleicht nur mit Real Madrid. Selbst Barca und Bayern sehe ich dahinter. Ich besuchte einmal die Eröffnung eines United-Fanshops in Peking - und nach 48 Stunden waren alle Artikel ausverkauft. Das ist Manchester United! Allerdings ist United so groß, dass es selbst ohne Ferguson weitergehen wird. United überstand selbst das Munich air disaster 1958, als viele Spieler der Busby Babes tragischerweise verstarben. Aber: United lebte weiter. Das weiß auch Ferguson und nimmt sich selbst nicht zu wichtig.

Reaktionen zum Fergie-Rückzug: "Respekt vor dem Fußball-Gott"