Spanien steht erstmals in einem WM-Halbfinale

Christian BernhardPhilipp Dornhegge
04. Juli 201015:47
Erst getroffen, dann verschossen: Xabi Alonso trat zwei Mal in Folge zum Elfmeter anGetty
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Der deutsche Halbfinalgegner heißt Spanien. Der Europameister gewann eine dramatische Viertelfinalpartie gegen Paraguay mit 1:0 (0:0). Das Tor des Abends erzielte David Villa mit seinem fünften WM-Treffer. Spanien steht damit zum ersten Mal in der Geschichte in einem WM-Halbfinale.

Vor rund 54.000 Zuschauern im Ellis Park Stadium in Johannesburg verschossen Oscar Cardozo für Paraguay (58.) und Spaniens Xabi Alonso (61.) jeweils einen Elfmeter.

Für Villa war es Treffer Nummer 43 im Dress der Spanier, dem Barcelona-Spieler fehlt damit nur noch ein Treffer auf Spaniens Rekordtorschützen Raul.

Nachbetrachtung:

Nach dem knappen Spanien-Sieg kommt es jetzt im Halbfinale zum Remake des EM-Endspiels 2008. Allerdings sind die Vorzeichen diesmal umgekehrt: Deutschland geht nach den überzeugenden Achtel- und Viertelfinalspielen als Favorit ins Rennen, denn Spanien kam auch gegen Paraguay nicht richtig ins Rollen.

Die große Frage vor dem Halbfinale am Mittwoch: Kann es sich Spanien-Coach Vicente del Bosque leisten, weiter Fernando Torres mitzuschleppen und auf seine Explosion zu warten? Auch gegen Paraguay fand der Liverpool-Stürmer nicht zu seinem Spiel, er ist meilenweit von seiner Normalform entfernt. Eine Alternative gegen das DFB-Team wäre Fernando Llorente, der gegen Portugal nach seiner Einwechslung von der ersten Sekunde an voll da war und frischen Wind ins Team brachte. Der Bilbao-Angreifer kann körperlich mit Per Mertesacker und Arne Friedrich mithalten und David Villa könnte mit einem Mittelstürmer an seiner Seite wieder von links mit Tempo in die Mitte ziehen und so im Eins-gegen-Eins seine Stärken ausspielen.

Sorgen bereitete gegen Paraguay auch die Defensive: Zum ersten Mal im Turnier wirkte die spanische Abwehr im Zentrum nicht immer sattelfest. Pique bot eine schwache Vorstellung und auch Puyol war nicht immer auf der Höhe. Gegen einen Miroslav Klose in Topform kann sich das schnell rächen.

Paraguay unterstrich gegen den Europameister, verdient unter den besten Acht der WM zu stehen und überzeugte mit Herzblut und einem fantastischen Pressing. Spaniens Kurzpassspiel kam so nur selten zur Entfaltung, Joachim Löw dürfte sich das ganz genau angeschaut haben.

Reaktionen:

Vicente Del Bosque (Trainer Spanien): "Wir hatten viele große Möglichkeiten. Wir sind zufrieden, weil wir unter den besten Vier in der Welt stehen. Wir genießen den Moment. Es wird ein großes Duell gegen Deutschland. Das ist zurzeit die beste Mannschaft."

Gerardo Martino (Trainer Paraguay): "Wir hatten unsere Möglichkeiten. Das Spiel hätten wir auch zu unseren Gunsten entscheiden können, das hat aber Spanien getan. Ich muss meinen Spielern trotzdem einen Dank für ihre Leistung im Turnier aussprechen. Momentan mache ich mir nur Gedanken über das Spiel. Die WM war der Höhepunkt eines vierjährigen Abschnitts. Nun geht es von vorn los. Mit mir oder ohne mich. "

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Anpfiff: Spanien mit derselben Elf wie im Achtelfinale gegen Portugal. Torres darf erneut stürmen.

Paraguay-Coach Martino stellt gleich auf sechs Positionen um: Bonet, Ortigoza, Benitez, Santa Cruz , Vera und auch BVB-Torjäger Barrios sind draußen. Neu im Team im Vergleich zur Japan-Partie sind Veron, Caceres, Barreto, der Wolfsburger Santana, Valdez und Cardozo. Damit ist die komplette Offensive neubesetzt.

35.: Morel mit einer herrlichen Flanke aus dem linken Halbfeld. Der sehr fleißige Santana hatte sich wieder in den Strafraum geschlichen, aber erneut ist die Hereingabe einen Tick zu lang. Glück für Spanien.

42.: Tor! Nein, doch nicht! Nach einer Hereingabe von rechts kommt Valdez am Fünfmeterraum an den Ball und schiebt locker rein. Der Schiedsrichterassistent hebt die Fahne, Abseits. Aber die Wiederholung belegt: Das war eine Fehlentscheidung, der Treffer für Paraguay hätte zählen müssen!

58.: Elfmeter für Paraguay, aber Cardozo scheitert mit seinem Strafstoß an Casillas! Schlechter kann man einen Elfmeter kaum schießen!

61.: Wahnsinn, jetzt bekommt auch Spanien einen Elfmeter. Und auch Alonso scheitert, unfassbar! Der Mann von Real Madrid hatte den ersten Versuch verwandelt, musste aber wiederholen, nachdem einige Spieler zu früh losgelaufen waren. Beim zweiten Anlauf sucht er sich die andere Seite aus, und diesmal hat Villar den Ball. Allerdings trifft er Fabregas beim Nachschuss am Fuß, Glück für die Südamerikaner, dass es nicht gleich noch einen Elfmeter gibt.

83., 0:1, Villa: Da ist es, und das könnte schon die Entscheidung sein! Iniesta fasst sich ein Herz und setzt zum Solo an. Pedro steht komplett frei steht, Iniesta steckt durch, Pedro schiebt die Kugel aus 13 Metern an den Pfosten. Aber da ist immer noch Villa, der abstaubt: Rechter Pfosten, linker Pfosten, rein!

89.: Die Riesenmöglichkeit zum Ausgleich! Barrios wird steil geschickt und zieht aus 17 Metern direkt ab. Casillas kann nur abklatschen lassen, der mitgelaufene Santa Cruz bekommt den Ball genau vor die Füße. Aber anstatt ihn überlegt in die Ecke zu schieben, schießt er den Keeper an.

Fazit: Spanien steht im Halbfinale, enttäuschte gegen aufopferungsvoll kämpfende Paraguayaner aber lange Zeit.

Der Star des Spiels: Iker Casillas (SPOX-Note 2). Der Torhüter von Real Madrid musste lange Zeit nicht eingreifen, war in den entscheidenden Szenen aber hellwach. Hielt den Elfmeter von Cardozo und rettete eine Minute vor Schluss überragend gegen Santa Cruz. Kein Wunder, dass fast das gesamte Team nach dem Schlusspfiff auf ihn zustürmte und sich bei ihm bedankte.

Für die SPOX-User war David Villa Man of the Match

Die Gurke des Spiels: Xabi Alonso (SPOX-Note 5). Der Real-Profi fiel in Halbzeit eins mit einigen ungenauen Zuspiele und schlechten Standards negativ auf. Nach der Pause schien Alonso noch unsicherer und "krönte" seine schwache Vorstellung mit dem verschossenen Elfmeter. Ein Abend zum Vergessen, der nach 75 Minuten zu Ende war.

Die Pfeife des Spiels: Carlos Batres. Der Mann aus Guatemala ließ viel laufen und hatte die Partie zu Beginn gut im Griff, lag aber bei der Abseitsentscheidung kurz vor der Pause falsch: Der Treffer von Valdez hätte zählen können. Der Elfmeter für Paraguay war glasklar, den für Spanien kann man auch geben. Allerdings hätte er nach Alonsos verschossenem Strafstoß erneut auf Elfmeter entscheiden müssen, denn Villar traf Fabregas beim Nachschuss klar an den Beinen.

Analyse: Paraguay überraschte die Spanier vom Anpfiff an mit sehr aggressivem Pressing und schob sehr gut nach. Der Europameister musste deswegen oft rückwärts spielen und wirkte gehemmt. Das berühmt-berüchtigte "Tiqui-Taca" fand nicht statt.

Hinten waren die Südamerikaner wie gewohnt eng am Mann, die Räume wurden extrem gut zugestellt. Villa wurde auf links immer gedoppelt und manchmal sogar zu dritt verteidigt.

Die Spanier wirkten gehemmt, der große Druck, ins Halbfinale einziehen zu müssen, war ihnen anzumerken. Erst nach 22 Minuten begann der Ball bei den Spaniern zu laufen, mehr als ein Weitschuss von Xavi sprang aber nicht heraus. Dabei war auf rechts öfter Platz, da Morel manchmal zu sehr in die Mitte zog. Iniesta bzw. Torres hatten viel Platz, machten aber zu wenig daraus. Bezeichnend: Der Europameister brachte in Halbzeit eins keinen Torschuss aufs Gehäuse von Keeper Villar.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit war das Spiel der Iberer noch unpräziser und enttäuschender, Torres musste nach 56 Minuten runter. Dann wurde es vogelwild: Innerhalb von drei Minuten scheiterten zuerst Cardozo, dann Xabi Alonso jeweils mit einem Elfmeter. Plötzlich war Leben in der Bude, das Spiel schien jetzt besonders für die Spanier erst so richtig loszugehen.

Da die Kraft bei den Südamerikanern nachließ, kam der Europameister zu mehr Chancen. Eine davon nutzte David Villa nach einem phänomenalen Solo von Iniesta zum Siegtreffer. Trotzdem: Paraguay verabschiedet sich mit erhobenem Haupt von dieser WM. Der Außenseiter verlangte dem Europameister alles ab.

Paraguay - Spanien: Fakten zum Spiel