Louis van Gaal ist vor dem 12. Spieltag der Bundesliga angezählt. Einige Medien rechnen im Falle einer Niederlage gegen Schalke 04 (Sa., 15.15 Uhr im LIVE-TICKER und auf SKY) erneut mit der Ablösung eines Bayern-Trainers. Aber ist er wirklich der Schuldige der Ergebniskrise? Kapitän van Bommel nimmt seine Mitspieler in die Pflicht.
Am besten hat es dieser Tage Christoph Biermann erklärt, das Dilemma der Bayern. Der Autor und Kolumnist verglich bei "Spiegel online" die derzeitige Situation des FC Bayern mit einer Baustelle, über der noch ein Schleier von Dreck und Staub läge und bei der bei weitem noch nicht alle Wände gezogen oder Kabel verlegt seien.
Wie jeder Bauherr wisse, wird es dann besonders schwer, wenn man das Haus während der Renovierung weiter bewohnen will. Dann muss man in all dem unfertigen Chaos selbst sehen, wo man bleibt, man stolpert aber permanent über Zementsäcke und Farbeimer. Mühselige Zeiten, schreibt Biermann. Und das passt zum FC Bayern dieser Tage.
Die echte, rein bauliche Renovierung hat man an der Säbener Straße schon im Sommer 2008 abgeschlossen. Die wichtigere, die Mannschaft betreffende, ist im November 2009 immer noch nicht gelungen. Der erste Bauherr wurde mit Jürgen Klinsmann geschasst. Nun hat mit Louis van Gaal dummerweise auch der zweite Probleme, qualitativ hochwertige Ergebnisse zu präsentieren. Das machte ihn nach dem Spiel gegen Bordeaux sogar schlaflos, wie er berichtete. Mühselige Zeiten. Und auch die Kritiker schlafen nicht.
Geduld bis zur Winterpause
"Ist schon Samstag Schluss?", fragte der "Kicker" am Donnerstag überraschend polemisch. Parallelen liegen auf der Hand: Klinsmann musste im Frühling nach einem Heimspiel gegen Schalke gehen - nun steht van Gaal vor einer nicht minder schwierigen Partie gegen denselben Gegner. Schicksal? Nein, sagt der Kapitän, "das ist eine ganz andere Situation", wiegelte Mark van Bommel am Freitag ab und wies jede Trainerdiskussion vehement zurück. Kurzum: "Es ist einfach Zufall, dass Schalke kommt."
Daran, dass van Gaal nach einer Pleite wirklich gehen muss, mag man sowieso nicht so recht glauben. Auch wenn Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß in der Trainerfrage angeblich schon kontrovers diskutiert haben sollen - sind die Bayern wirklich so verzweifelt, dass sie nun zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres die Notbremse ziehen?
"Ich glaube, unser Vorstand hat die Geduld - zumindest bis zur Winterpause", sagte Franz Beckenbauer nach dem 0:2 gegen Bordeaux herrlich zweideutig. Immerhin sei er persönlich noch der Meinung, dass van Gaal "den Laden in den Griff bekommen" wird. Land auf, Land ab ist man sich einig, dass der Holländer dafür Zeit benötigt. Nur die Ergebnisse bitteschön, die sollen auch stimmen.
Handschrift ist da - nur die Tore fehlen
Dabei aber mit dem Finger allein auf den Trainer zu zeigen, ist zu einfach. Vorstand, Spieler, Trainer - alle sitzen im gleichen Boot. Und demonstrieren Einigkeit. "Der Druck liegt nicht nur auf dem Trainer", sagt van Bommel. "Er kann nur vorgeben, was er für richtig hält, aber die Mannschaft muss es ausführen."
Zumal das Team ja bereits die Handschrift des Trainers trägt - wenn auch etwas krakelig. Die Abwehr steht solide bis gut, jedenfalls besser als in der letzten Saison, und selbst nach einigen Wacklern ist Jörg Butt dahinter über jede Torwartdiskussion erhaben. Weiter vorne führen die Spieler van Gaals Grundprinzip - Dominanz! - so gut es geht aus.
Die Spielkontrolle haben sie, in jedem Spiel. Die nackten Zahlen besagen, dass der FCB außer in Bordeaux in jedem Pflichtspiel mehr Ballbesitz als der Gegner hatte, im Durchschnitt sogar über 60 Prozent. Der Hund liegt alleine vor dem Tor begraben, in der "dritten und vierten Phase", wie van Gaal es nennt. "Es ist zu wenig, was wir im letzten Spielfelddrittel machen, vor dem Tor", sagte Philipp Lahm im "Kicker": "Wir erarbeiten uns zu wenige Großchancen."
Beckenbauer findet's "furchtbar langweilig"
Das lag in den letzten Spielen vor allem daran, dass das Mittelfeld kaum Tempo entwickelte und den Risikopass scheute. "Ich denke, dass wir schneller Fußball spielen als letztes Jahr, aber viel quer und zurück, damit wir mehr Ballbesitz haben", erklärt van Bommel das Dilemma. Das Ergebnis ist nicht nur für Chefkritiker Beckenbauer "furchtbar langweilig". Es nütze ja nichts, "wenn ich hinterher sage, wir haben 70 Prozent Ballbesitz gehabt, aber das Spiel 0:2 verloren", sprach der Kaiser.
Dass van Gaals Kader massig Mittelstürmer und defensive Mittelfeldspieler beinhaltet, aber keine echten Alternativen auf den offensiven Außenpositionen, dafür kann der neue Trainer nicht viel. Die vor der Saison als "Kreativspieler" gehandelten Alexander Baumjohann und Ernesto Sosa fielen bei van Gaal durch. Eklatant wird die Schieflage des Kaders dann, wenn die Verletzungsseuche zuschlägt. Im Rückspiel gegen Bordeaux hatte van Gaals Startelf keinen offensiven Außenspieler zur Verfügung. Und damit keine Kreativität.
"Unser Spiel ist so angelegt: Wenn zwei Spieler fehlen, die sehr kreativ sind und in Eins-Gegen-Eins-Duelle gehen könnten, versuchen wir es mit Passspiel", erklärte Lahm. Die Krux: "Ohne Ribery und Robben haben wir zu wenige Spieler für direkte Duelle."
"Dürfen nicht von einzelnen Spielern abhängig sein"
Dem widersprach van Bommel am Freitag indirekt. "Natürlich sind wir froh, wenn Arjen Robben spielt, aber wir dürfen nicht von zwei oder drei Spielern abhängig sein", sagte der Kapitän. Die Erkenntnis der letzten Wochen ist aber, dass der FC Bayern genau das ist. Und sich deshalb nun in die Winterpause retten muss, egal wie.
Zeiten, in denen man sich hinter dem Trainer verstecken konnte, sind vorbei. "Wer das macht, versteckt seine eigenen Fehler", sagte van Bommel. "Man darf aber nicht vor den eigenen Fehlern weglaufen. Das wäre schlecht."
Auch wenn sich die Beine manchmal so anfühlen würden wie "Paula-Joghurt" (O-Ton van Bommel), müsse die Mannschaft wieder ein paar Grundprinzipien beherzigen. "Ich kann Wörter wie Kämpfen und Leidenschaft eigentlich gar nicht mehr hören, aber damit fängt es an. Nur wenn du kämpfst, kannst Du nachher in den Spiegel schauen", sagte der Kapitän vor dem Schalke-Spiel.
Die Stimmung kippt
Ausgerechnet Schalke. Das Klinsmann-Killer-Schalke. Das Magath-Schalke. Das Schalke, dass seit 2001 schon dreimal in München gewinnen konnte und den Bayern einst mit 0:7 die höchste Heimniederlage zufügte.
Van Bommel weiß: Die Stimmung kippt. Im Verein und im Stadion. Der FC Bayern sei nun mal kein einfacher Verein. "Wenn es gut läuft, ist alles vollkommen normal. Wenn es schlecht läuft, wirken hier ganz andere Kräfte als irgendwo sonst." Als Spieler müsse man damit umgehen können.
"Ich bin auch schon nach drei oder vier Fehlpässen ausgepfiffen worden", berichtet er. "Aber dann muss man mentale Stärke zeigen. Man muss sich sagen: Ich zeige es euch! Dieses Gefühl muss jeder Spieler haben, um hier zu bestehen."
Am Ende zählt - auch bei den Fans - nur das Ergebnis. Offensiver und spektakulärer Fußball - dafür kommen die Leute. "Aber Bayern München hat oft in wichtigen Momenten dreckige Siege eingefahren, die nicht schön anzuschauen waren. Trotzdem war das Publikum danach zufrieden", sagte van Bommel und brachte es auf den Punkt: "Das wichtigste ist, dass man gewinnt." Dann wird auch van Gaal wieder schlafen können.