Für 8,5 Millionen Euro verpflichtet der FC Bayern einen 19-jährigen Zweitligaprofi. Doch wer ist dieser Joshua Kimmich überhaupt? Während ihm sein Ex-Coach Großes zutraut, wird aus Leipzig vorsichtige Kritik am VfB Stuttgart laut.
Es war in München, wo Joshua Kimmich seine ersten Schritte als Zweitliga-Profi machte und sein erstes Erfolgserlebnis feierte. Zu Saisonbeginn gegen Aalen war er noch nicht im Kader, doch als Leipzig am 2. Spieltag bei 1860 München gastierte, stand Kimmich in der Startelf. Die Bullen dominierten den TSV und verpassten dem Gastgeber eine 3:0-Abreibung. In der 2. Liga war es das erste Ausrufezeichen von Leipzig - und damit auch von Kimmich selbst.
Sechs Monate später gibt der große Erzrivale aus München die Verpflichtung des Mittelfeldspielers bekannt. Sieben Millionen Euro gehen nach Stuttgart, da der VfB die Rückkauf-Option ziehen konnte. Leipzig freut sich über 1,5 Millionen Entschädigung, da Kimmich schon ein Jahr vor Ablauf des Vertrags den Verein wechseln wird. Und der FC Bayern hat sich wieder einmal ein großes Talent geangelt.
Ex-Coach: "Ein herausragender Führungsspieler"
Doch wer ist dieser defensive Mittelfeldspieler, der dem Rekordmeister 8,5 Millionen Euro wert ist, ohne je ein Bundesligaspiel absolviert zu haben? SPOX fragte nach bei seinem Ex-Coach, Ilija Aracic. Er trainierte Kimmich schon 2012/2013 in der U 19 des VfB Stuttgart und ist begeistert von seinem ehemaligen Schützling.
"Er hat sich in jenem Jahr unglaublich gut entwickelt", erinnert sich Aracic. "Joshua war schon damals ein herausragender Führungsspieler. Er ist ein Anführer, er übernimmt Verantwortung. Und er hat das Vertrauen immer zurückgezahlt."
Der 19-Jährige gilt als Perfektionist. Als einer, der sich stetig verbessern will und einen außergewöhnlichen Ehrgeiz an den Tag legt. Das bestätigt auch Aracic: "Er versucht nicht nur, immer zu erfüllen, was ein Trainer von ihm verlangt. Er macht stets mehr, als von ihm erwartet wird. "
Ein Charakterzug, der dem Perfektionismus-besessenen Guardiola gefallen dürfte. Und auch fußballerisch hat der Youngster viele Attribute, die zu Pep und den Bayern passen.
Kimmich passt zu Guardiola
Kimmich kann ein Spiel an sich reißen. "Er ist immer anspielbar, er will jeden Ball haben", schwärmt sein Ex-Coach. "Er war schon damals prädestiniert für ein Ballbesitz-orientiertes Spiel. Das ist wahrscheinlich auch das, was Bayern an ihm schätzt."
Eine exzellente Technik, gute Antizipation und Übersicht runden das vielversprechende Paket ab. Doch darüber hinaus hat Kimmich noch eine besondere Gabe, wie sein Leipziger Teamkollege Rani Khedira gegenüber SPOX erläutert: "Er weiß ganz genau, was in der nächsten Sekunde passiert. Egal ob er den Ball bereits hat oder gerade erst bekommt. Er findet immer eine Lösung."
Es ist wohl das Zusammenkommen dieser verschiedenen Attribute, die Kimmich zum "Wunschspieler" von Guardiola und Matthias Sammer machen, wie der FC Bayern verlauten ließ. Doch ob die Gunst von Trainer und Sportvorstand ausreicht, damit es letztlich auch für regelmäßige Einsatzzeiten reicht, bleibt fraglich.
Massive Konkurrenz - Höjbjerg als Warnung
Dass der Verschleiß von jungen, hinzugekauften Talenten beim FC Bayern seit jeher beträchtlich ist, ist ein alter Hut. Die Gründe dafür sind unterschiedlich und nicht immer nur dem enormen Konkurrenzkampf geschuldet.
Nichtsdestotrotz wirft die Verpflichtung von Kimmich die Frage auf, welche Perspektive sich ihm in München bietet. Denn Guadiolas Mittelfeldzentrale ist an sich - die Gesundheit aller Beteiligten vorausgesetzt - massiv überbesetzt. Dass bisher keiner der Stars aufgrund mangelnder Spielpraxis laut aufbegehrte, dürften auch die vielen Verletzungen der Mittelfeldspieler geschuldet sein.
Mit Xabi Alonso, Bastian Schweinsteiger, Thiago, Philipp Lahm, David Alaba, Sebastian Rode und Javi Martinez hat Kimmich qualitativ und quantitativ gewaltige Konkurrenz. Hinzu kommen die beiden Youngster Gianluca Gaudinho und Pierre-Emile Höjbjerg, die ebenfalls vom langfristigen Durchbruch träumen.
Dass gerade Höjbjerg, auf den Guardiola solch große Stücke hält, trotz Verletztenmisere und Rotation in der kompletten Hinrunde lediglich auf 288 Bundesliga-Minuten kam, spricht Bände über den harten Konkurrenzkampf, dem der Nachwuchs in München ausgesetzt ist. Ebenso die Tatsache, dass der Däne im Winter mit Nachdruck auf einen Wechsel pochte. Offensichtlich scheint ihm die Perspektive in München nicht zu passen.
Kimmich und Khedira: Widerspruch zum "Stuttgarter Weg"?
Eine Problematik, die Kimmichs Mitspieler Khedira aus Stuttgarter Zeiten gut kennt. Im SPOX-Interview hatte er unlängst bemängelt, dass ihm beim VfB einst keine klare Perspektive aufgezeigt worden war. Auch im Fall Kimmich liegt dieser Verdacht nahe. Verschiedene Medien berichteten, dass eine Rückkehr nach Stuttgart für den 19-Jährigen kein Thema gewesen sein soll.
Darüber hinaus war zu hören, dass man in Stuttgart einst stärker auf Khedira und Robin Yalcin gesetzt habe, während Kimmich keine eindeutigen Aussichten geboten wurden. "Vielleicht hat ihm damals tatsächlich die Perspektive gefehlt", mutmaßt auch Khedira. Also schlugen zuerst Frieder Schrof und Thomas Albeck, die ehemaligen VfB-Nachwuchsbosse in Diensten von Leipzig, und nun die Bayern zu.
Und so verliert Stuttgart innerhalb von nur sechs Monaten das nächste vielversprechende Talent. Ein Trend, der an einer konsequenten Umsetzung des unter Bobic noch vehement gepredigten "Stuttgarter Weges" zweifeln lässt. "In der jüngsten Vergangenheit haben viele junge Spieler den Verein verlassen und sind anderswo durchgestartet", stellt auch Khedira fest. "Es ist sehr schade, dass man die eigenen Talente ziehen lässt."
Der Leipziger beklagt das mangelnde Vertrauen der VfB-Verantwortlichen in den eigenen Nachwuchs: "Die Wertschätzung für die eigene Generation scheint nicht gerade riesig zu sein. Ich habe das Gefühl, das war früher mal anders."
"Sein Wechsel hat mich nicht überrascht"
Es dürfte für Kimmich ein weiterer Grund gewesen sein, das Angebot aus München anzunehmen - von den anderen vielversprechenden Aspekten des FC Bayern abgesehen: Pep Guardiola als Trainer, Champions League und ein für gewöhnlich ordentlich dotierter Vertrag.
Für seinen ehemaligen Trainer kommt der große Schritt zum Rekordmeister nicht ganz unerwartet. Vielmehr ist er für Aracic eher eine logische Konsequenz: "Kimmichs Wechsel zu Bayern hat mich nicht überrascht. Ich habe immer viel von ihm gehalten. Ich habe immer gesagt: Der wird einmal Bundesliga spielen."
Dass es tatsächlich auch zum Spielen und nicht nur zum Kaderauffüllen reicht, davon ist Aracic überzeugt: "Ich traue ihm zu, dass er sich bei Bayern durchsetzt. Er kann den Weg schaffen." Das wäre für den 19-jährigen Kimmich das nächste und wohl größtmögliche Erfolgserlebnis in München.
Joshua Kimmich in der Zusammenfassung