"Der Fußball explodiert förmlich"

Stefan Rommel
11. September 201420:43
Mio "Löwe" Nielsen ist verantwortlich für den Nachwuchs beim FC Kopenhagengetty
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Michael Mio Nielsen ist der Chef des Nachwuchsleistungszentrums beim FC Kopenhagen. Im Interview mit SPOX spricht der 49-Jährige über entscheidende Charaktereigenschaften junger Spieler, Kopenhagener Zurückhaltung, die größten Hürden auf dem Weg zum Profi und passend zur Themenwoche über die Zukunft des Fußballs.

SPOX

SPOX: Herr Nielsen, wie sieht die Zukunft des Fußballs aus?

Michael Mio Nielsen: Wir sollten mit einer etwas leichteren Frage beginnen.

SPOX: Was unterscheidet das Ausbildungskonzept des FC Kopenhagen von dem anderer Klubs in Europa?

Nielsen: So groß dürften die Unterschiede nicht sein. Ich kenne natürlich nicht die Vorgaben in anderen Vereinen, aber im Prinzip wird sich das mit denen bei uns decken. Ich gehe davon aus, dass die meisten Vereine ihre Spieler ausbilden, um einen vernünftige Basis für den Seniorenbereich zu legen. Wir gehen vielleicht noch einen Tick weiter. Unser Ziel ist es, eigene Spieler so auszubilden, dass sie später als Profis beim FC Kopenhagen nicht nur Fußball spielen. Wenn wir sie ausbilden, pflanzen wir ihnen auch unsere DNA ein. Sie repräsentieren unsere Werte und Normen, weil sie das Produkt unserer Ausbildung und Erziehung sind. Dieses Wir-Gefühl ist kostbar, deshalb arbeiten wir jeden Tag an seinem Erhalt. Natürlich werden wir immer auch Spieler kaufen. Das Fundament der ersten Mannschaft soll aber immer aus unseren eigenen Spielern bestehen.

SPOX: Sie haben also nicht vor, für den "Markt" auszubilden, sondern in erster Linie noch für sich selbst?

Nielsen: Wir bilden unsere Jugendspieler aus, damit sie später einmal in unserer ersten Mannschaft auflaufen können. In unserem Trikot - nicht in einem anderen. Wir wollen grundsätzlich nicht verkaufen, wir "produzieren" nicht für den Markt. Wir bilden Spieler für unseren eigenen Bedarf an. Das war so und das wird hoffentlich auch so bleiben.

SPOX: Was ist die entscheidende Botschaft, die Sie an einen jungen Spieler haben?

Nielsen: Man benötigt Geduld! In den Medien wird gerne auf die Top-Spieler verwiesen, die mit 17, 18 oder 19 Jahren den Durchbruch im Profigeschäft schaffen. Aber Spieler wie Neymar oder Mario Götze sind absolute Ausnahmen. Das sind ein, zwei Spieler unter Tausenden, die alle denselben Traum träumen. Die entscheidende Message bleibt wie vor zehn oder 20 Jahren dieselbe: Selbst der teuerste Spieler setzt sich nicht durch, wenn er nicht gut genug ist. Was glauben Sie, wie oft Spieler bei mir auf der Matte stehen und auf einen Wechsel zu einem Klub ins Ausland drängen? Ich frage sie dann: ‚Zähl' mir doch mal alle Spieler unter 18 Jahren auf, die in einer der Top-Ligen in Europa regelmäßig zum Einsatz kamen.' Dann geht's los: Leo Messi, Christian Eriksson... Ende! Sie bekommen nicht einmal zehn Spieler zusammen, wollen mir aber erklären, dass sie das nächste große Ding sind.

SPOX: Ist das nicht verständlich bei einem Teenager?

Nielsen: Das mag aus seiner Sicht der Dinge nachvollziehbar sein. Aber ich bin dafür da, ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen - wenn das schon andere aus seinem engeren Umfeld nicht schaffen.

SPOX: Was ist so verwerflich daran, in jungen Jahren schon einen nächsten großen Schritt zu wagen?

Nielsen: Bei allem Respekt vor Klubs wie Twente, Heerenveen oder Hoffenheim, das sind tolle Vereine mit einer guten Jugendarbeit - aber warum sollte eines unserer Talente da hin wechseln? Hier können wir ihnen alles geben, was sie brauchen und ihnen eine realistische Perspektive aufzeigen. Keiner darf spielen, nur weil er jung ist! Die Qualität entscheidet. Und die muss man sich erst hart erarbeiten. Oder glauben Sie, dass ein Spieler wie Andres Iniesta in der ersten Mannschaft in Barcelona auch eine Chance bekommen hätte, wenn er nicht das entsprechende Format mitgebracht hätte?

SPOX: Eher nicht.

Nielsen: Ein Problem ist, dass viele nicht diesen ganzheitlichen Ansatz sehen. Oder sehen wollen. Es gibt Eltern, die enormen Druck machen. Für die ist eine tragende Rolle ihres Sohnes in einer Profimannschaft längst eingeplant. Aber das entspricht nicht der Realität. Es setzt sich heutzutage nicht mehr derjenige Spieler durch, der nur auf dem Rasen besser ist als die anderen. Der Job des Profis ist ein Full-Time-Job. Das muss man begreifen.

SPOX: In Deutschland gab es zuletzt eine heftige Diskussion darüber, ob die Profi-Klubs ihre Zweitvertretungen der U 23 am Spielbetrieb angemeldet lassen oder zurückziehen. Unter anderem hat auch ihr Champions-League-Gegner Bayer Leverkusen sein Team abgemeldet.

Nielsen: Das ist eine schwierige Entscheidung. Für den FC Kopenhagen käme so etwas aber nicht in Frage. Die Realität sieht doch so aus: In unserem Nachwuchssystem begleiten wir die Spieler bis zur U 19. Die meisten unserer Spieler sind aber erst mit 22 oder 23 Jahren fertig entwickelt. Ich habe vielleicht eine handvoll Spieler erlebt, die vorher voll ausgereift waren und ihren Durchbruch geschafft haben. Der große Rest war mit 17, 18 oder 19 noch längst nicht so weit, in einer Profi-Liga zu bestehen. Erst viel später hat es dann Klick gemacht. Wenn man ihnen dann die Chance nimmt, in der zweiten Reihe noch zu reifen oder nach einem missglückten Versuch einen zweiten oder dritten Anlauf zu nehmen, raubt man ihnen einige Chancen.

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SPOX: Was macht den letztlich den Unterschied, ob es ein Spieler im Profigeschäft packt oder nicht?

Nielsen: Es sind so genannte Sekundärtugenden - die für mich aber eigentlich Primärtugenden sind. Natürlich wird die fußballerische Komponente immer die wichtigste sein. Gleich dahinter kommen aber Dinge, die auf den ersten Blick mit dem Spiel auf dem Rasen nichts zu tun haben: Neugier, Perfektionismus, Wissbegierde.

SPOX: Das klingt einigermaßen streberhaft.

Nielsen: Wir hatten Spieler - und es waren unsere Besten - die uns Trainer regelrecht auf den Geist gegangen sind mit ihrem Wissensdurst. Sie waren so fordernd, wollten immer noch mehr lernen, Dinge hinterfragen. Die waren geradezu verrückt nach ständigem Feedback. "Wie war das nochmal mit der Übung?", "Was hätte ich da besser machen können?", "Wie ist Ihre Meinung dazu?" und so weiter. Das ist auch ein Talent: Sich nie mit dem Status Quo zufrieden zu geben.

SPOX: Kann man so etwas einem jungen Menschen beibringen oder steckt das im jeweiligen Charakter längst drin?

Nielsen: Grundsätzlich kann man alles lernen. Aber einige sind in diese Dingen von Grund auf fordernder als andere. Sie wollen nicht aufhören, sich zu entwickeln. Um das zu beurteilen, gehen wir im Trainerteam die entscheidenden Fragen durch: Wie gut kann ein Spieler Dinge aufnehmen? Wie offen ist er für Kritik? Ist er in der Aufarbeitung seiner Fehler selbst aktiv oder muss er ständig angetrieben werden? Wie schnell kann er mit dem neuen Input die gewünschten Fortschritte erzielen? Das sind entscheidende Fragen, die in Zukunft noch wichtiger werden. Alle Spieler, die sich beim FC Kopenhagen aus der Jugend bei den Profis durchgesetzt haben, waren ihren Altersgenossen in genau diesen Punkten voraus.

SPOX: Muss man die Jugendlichen auch im Umgang mit den neuen Medien schulen?

Nielsen: Wir versuchen das zumindest. Wir müssen den Spielern klarmachen, dass sie in der Öffentlichkeit immer als Spieler des FC Kopenhagen wahrgenommen werden. Entsprechend fordern wir eine gewisse Zurückhaltung ein. Der Klub trägt diese Linie voll mit und handelt entsprechend.

SPOX: Wie äußert sich das?

Nielsen: Zum Beispiel verzichten wir darauf, unsere Spieler in Spielberichten besonders herauszustellen. Und wir bieten keine Stenogramme von den Partien an, in denen die Torschützen explizit erwähnt werden. Es gibt Bewegtbild-Zusammenfassungen der Partien, auf eine weiterreichende Berichterstattung verzichten wir aber. Und Vertragsverlängerungen kommunizieren wir gar nicht. Es ist nicht gut, wenn junge Spieler schon zu sehr ausgestellt werden.

SPOX: Ist das Drumherum zu schädlich für die Entwicklung eines Spielers?

Nielsen: Ich wiederhole mich, wenn ich auf den Faktor Geduld verweise. Es ist ein Problem unserer Gesellschaft, dass niemand mehr Geduld aufbringen mag. Die sozialen Netzwerke, falsche Freund oder Berater und noch schlimmer: die eigenen Eltern, vernebeln den Blick auf die Realität. Dann kommt ein Vater an und verlangt tatsächlich einen Stammplatz für seinen 18-jährigen Jungen in der Profimannschaft. Wer zum Teufel kann so etwas allen Ernstes fordern?

SPOX: Dänemark ist ein vergleichsweise kleines Land mit wenigen aktiven Fußballspielern. Wie wichtig sind gerade deshalb schlaue Lösungen im Jugendbereich?

Nielsen: Wir sind nicht Deutschland oder Frankreich, wo es zehnmal so viele aktive Spieler gibt wie bei uns in Dänemark. Deshalb darf uns kein einziges Talent durch die Lappen gehen. Keines! Jeder Spieler, den wir übersehen, tut uns unheimlich weh. Und wir müssen ständig kreative Lösungen finden, um unsere natürlichen Nachteile einigermaßen zu kompensieren. Das gelingt mal gut, dann wieder nicht so gut. Die Nationalmannschaft ist derzeit leider weit weg von der Weltspitze. Wir müssen uns wieder verbessern, aber das dauert. Die anderen Nationen haben aufgeholt und uns teilweise überholt.

SPOX: Wie hat sich der Markt für junge Spieler verändert?

Nielsen: Der Markt hat sich in den letzten Jahren nochmal extrem gewandelt, manchmal spürt man eine regelrechte Goldgräberstimmung. Die großen Klubs zocken, wenn sie eine zweistellige Millionensumme für einen 19-Jährigen ausgeben, dem der ganz große Durchbruch zugetraut wird, der diesen aber noch nicht geschafft hat. Nur können sich das die wenigsten Klubs leisten.

SPOX: Können Sie sich gegen diese Übermacht denn wehren?

Nielsen: Wir stehen ständig unter dem Druck der großen Klubs in Europa. Wir müssen unseren Spielern deshalb klarmachen, dass auch dort nicht anders gearbeitet wird als hier. Vielleicht mit etwas mehr Geld im Hintergrund, aber inhaltlich? Nein! Warum sollte ein Spieler also sein gewohntes Umfeld verlassen? Außerdem zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass gleich eine ganze Reihe von Spielern, die es doch versucht haben, schnell wieder zu uns zurückgekehrt ist.

SPOX: Herr Nielsen, wie sieht die Zukunft des Fußballs aus?

Nielsen: Es gibt nichts anderes auf der Welt, das man so toll zur Schau stellen kann. Der Fußball explodiert förmlich. Er ist omnipräsent. Das führt natürlich auch dazu, dass er auf gewisse Weise auch missbraucht wird, zumeist für wirtschaftliche Interessen. Ich glaube aber nicht, dass wir hier einer typischen Blase auf den Leim gehen, die irgendwann mit einem lauten Knall platzt. Wir als Klubs haben deshalb die Verantwortung dafür, dass das System nicht ausartet! Die Spirale wird sich weiterdrehen, das steht fest. Aber wir müssen das Tempo im Griff haben.

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